SIEBZEHN
Der Zeiger rückte auf halb elf zu und ich hatte ich einen bunten Strauß an Antworten auf meine immer selbe Frage nach Finn bekommen. Mir war bis jetzt nicht klar, auf wie viele Arten ein 'nein' ausgedrückt werden konnte.
Stella ging es nicht anders. Auch sie hatte nur negative Antworten gesammelt.
„Tut mir wirklich leid", seufzte sie, wobei sie in beinahe gleichem Maße frustriert wirkte wie ich selbst. Gemeinsam ließen wir uns auf die Stufen sinken, die den Brunnen umgaben und die beiden steinernen Figuren, die aus römischen Amphoren Wasser in das Becken laufen ließen, überragten uns in der Dunkelheit. Das Plätschern, das nach meiner Einschätzung neben uns hätte erklingen müssen, wurde von den krachenden Bässen der Musik, die durch die geöffneten Gartentüren nach außen drang, vollständig übertönt. Meine Füße zuckten automatisch im Takt. Hinter einem Lächeln verbarg ich meine Enttäuschung, keinen Hinweis auf Finn bekommen zu haben, und antwortete über den Lärm hinweg:
„Kannst du ja nichts für. Du hast mir jedenfalls sehr geholfen. Ich frag noch ein bisschen rum und dann gehe ich nach Hause."
Bei meiner Ankündigung fiel Stellas Blick sofort auf meine Füße und die mörderischen Absätze, die meine Ballen und Fußgelenke quälten. Vielsagend lächelte sie.
„Ruf dir besser mal ein Taxi. Mit den Schuhen fühlt sich die Strecke bei jedem Schritt länger an."
Ich nickte mal wieder brav, dann verabschiedeten wir uns.
„Stella?",fragte ich sie im Weggehen.
„Hm?"
„Wo sind die Toiletten?"
„Erster Stock, gleich am Anfang des Ganges ist ein WC und am Ende ein Bad. Im Dachgeschoss gibt es eine Toilette und im Keller sind auch zwei."
Stellas Beschreibung folgend betrat ich das Haus, das womöglich noch voller geworden war und sich langsam aber sicher in einen Hexenkessel angetrunkener, hormongesteuerter Feiernder verwandelte. Überall knutschten Leute oder tanzten engumschlungen, als wäre das bereits ihr Vorspiel. Zu Hause hätte ich mich jetzt in meinem Zimmer eingesperrt, mir Ohrstöpsel gesucht und wäre schlafen gegangen. Heute musste ich da durch, wenn ich noch für eine Weile Nachforschungen anstellen wollte.
Auf der breiten Treppe, die sich in einem langgezogenen Bogen in den ersten Stock hinaufzog, war ordentlich Betrieb und in einem Pulk von Leuten schob ich mich ein Stockwerk hinauf, dann weiter in den zweiten. Hier oben war es deutlich ruhiger und die Partygeräusche drangen nur gedämpft durch die Decke. So kam es, dass mir eine bekannte Stimme auffiel, als ich auf dem Rückweg von der Toilette eine Tür passierte, die bis auf einen winzigen Spalt angelehnt war. Licht sickerte durch die Ritzen und zerschnitt das rote Band eines Teppichs, das sich durch sämtliche Flure schlängelte.
Ian schien hinter besagter Tür mit irgendjemandem zu streiten. Er klang äußerst aufgebracht. Leise schlich ich an der Tür vorbei, bemüht keinen Laut zu verursachen. Das Letzte was mir vorschwebte, war, dass er mich beim Lauschen erwischte. Trotzdem kam ich nicht umhin, einige Sätze aufzuschnappen.
„Du interessierst dich doch gar nicht ernsthaft für sie. Such dir eine andere, die du vögeln kannst", fluchte Ian soeben. Dann fügte er sanfter hinzu: „Ich will nicht, dass du ihr wehtust, okay? Lass die Finger von ihr."
Die Stimme die Ian antwortete, war leise, klang weiter entfernt, als stünde der Sprecher am entfernteren Ende des Raumes und ich konnte seine Worte nur bruchstückhaft hören.
„...nicht wahr... ganz was anderes."
Schritte näherten sich der Tür. Die nächsten Worte waren klar und deutlich von Ian:
„Ich sag es dir noch mal: lass sie in Ruhe!"
Bevor der Gesprächspartner antworten konnte, huschte ich zur Treppe und ließ nachdenklich den ersten Stock hinter mir.
Gerade steuerte ich die Zwischenebene der Treppe an, als mich jemand anrempelte. Auf den hohen Absätzen schwankte ich nur kurz. Ein Blinzeln später kippte meine Welt zur Seite. Nicht zum ersten Mal, wurde mir Stufen zum Verhängnis. Klar und deutlich zogen die Bilder meines fatalen Sturzes in Überlichtgeschwindigkeit durch mein Gehirn. Schon die Erinnerung an den Schmerz, der mich damals das Bewusstsein gekostet hatte, ließ mich aufkreischen; lange, bevor ich aufprallte und sich die Kanten der Stufen in meine Rippen fraßen. Mein Kopf knallte mit einem Knirschen, das in meinem Schädel widerhallte wie ein dröhnender Glockenschlag, seitlich gegen das Treppengeländer. Hilflos war ich dem Schmerz ausgeliefert, der sich in einer tosenden Welle ausbreitete. Nur am Rande registrierte ich, wie meine Brille von meiner Nase glitt.
Kurz sah ich Sternchen in allen Regenbogenfarben, umfasste meinen Kopf mit beiden Händen, um zu verhindern, dass er platzte wie eine überreife Melone. In der Hoffnung, es könnte ein wenig helfen, presste ich die Hand gegen meine Schläfe, wo sich stechender Schmerz sammelte und bis in meinen Kiefer zog. Tränen schossen in meine Augen und ich biss die Zähne zusammen. Bitte alles, nur keine weitere Platzwunde! Prüfend kontrollierte ich auf meine Finger. Im dämmrigen Licht der Treppe erkannte ich aber rein gar nichts. Die Fingerkuppen, die ich gegeneinander rieb, fühlten sich Gott sei Dank trocken an und nicht glitschig vom Blut.
Vorsichtig tastete ich über den Treppenabsatz.
Brille, komm schon! Wo bist du?
Fluchend beugte ich mich über die Stufen, erkannte aber trotzdem nicht mehr als das Braun des Holzes und das rot des darüber gespannten Teppichs. Blindlings tastete ich mich weiter.
Leises Knirschen von Links, über die Musik hinweg kaum zu hören, ließ mich in der Bewegung erstarren. Hektisch krabbelte ich auf allen vieren in Richtung des Geräusches.
„Nicht, Kleine, du verletzt dich nur. Da ist alles voller Scherben."
Eine Hand schloss sich um mein Handgelenk. Sehr sanft, trotzdem löste die Berührung dort sofort ein bedrückendes, dunkles Gefühl aus und ich versuchte, energisch die fremden Finger abzuschütteln.
„Ich tu dir nichts. Ich will dir nur helfen", behauptete eine Stimme, die zu der Hand zu gehören schien. Sie klang beruhigend. Gleichzeitig zeigten mir die Worte, wie hilflos und bedürftig ich in diesem Moment war. Den Tränen nahe nickte ich und registrierte erleichtert, wie sich der Griff lockerte.
„Danke", gab ich zurück und kniff die Augen zusammen, blickte in Richtung der Stimme und sah trotzdem nur Schemen. Selbst als ich etwas näher rückte, konnte ich keine Merkmale ausmachen, die mir halfen festzustellen, ob ich dem Unbekannten schon einmal begegnet war. Lediglich ein grausam penetranter Geruch von Rauch und Schnaps intensivierte sich drastisch und prallte förmlich wieder davor zurück.
„Entschuldige bitte, ohne Brille erkenne ich niemanden wirklich. Kennen wir uns?", fragte ich den Sprecher, der als Antwort leise lachte.
„Keine Ahnung. Aber du suchst mich schon seit einer Weile. Ich bin Finn."
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top