SIEBENUNDSIEBZIG - EPILOG

Weiß und weich lag der warme Sand zu meinen Füßen und ein ums andere Mal vergrub ich meine Füße darin. Er hatte mir gefehlt, der Sand, der ein breites Band bildete, das sich in der Mittagssonne blendend hell gegen ein sattes Türkis des Wassers abhob. Kleine Wellen brachen sich mit träger Regelmäßigkeit in der seichten Bucht. Am Ende eines Steges, der sehr weit hinausführte, lag ein kleines rotes Boot vertäut, das sanft auf den Wellen schaukelte. Ein paar Kinder tobten mit Gleichaltrigen im Wasser und ich beobachtete das Treiben seit einiger Zeit von hier aus.

„Ist hier noch Platz für eine alte Frau? Sie ist freundlich und hat Brownies dabei."

Grannys Hüfte machte ihr seit ein paar Tagen zu schaffen und umständlich setzte sie sich. Das kühle Wetter war daran schuld, dass ihre Gelenke schmerzten. Darüber konnte ich nur lächeln. Es hatte heute beinahe vierundzwanzig Grad!

„Bist du sauer, dass ich euch nicht vorher von der OP erzählt habe?", ging ich zum Frontalangriff über. Für mich war es wichtig zu wissen, was sie dachte. Wie sie zu der Sache stand, dass ich nur noch eine verschwindend geringe Sehschwäche hatte.

Einen Moment schwieg meine Grandma und ich liebte sie dafür, dass sie mir nicht nur eine halbgare Antwort vor den Latz knallte, sondern sich Zeit ließ, ihre Worte genau zu wählen. Es war ihre Art, seit ich denken konnte und genauso lange gab mir diese Art das Gefühl für voll genommen und wertgeschätzt zu werden.

„Weißt du Anna", begann sie bedächtig und stützte ihr rundes Kinn auf eine knochige Hand, die in ein schmales, zierliches Handgelenk überging und ihr etwas Zerbrechliches verlieh, das völlig im Gegensatz zu ihrem unbeugsamen Charakter stand.

„Wir haben keinen Grund, böse auf dich zu sein. Du bist eine erwachsene Frau und du triffst seit einiger Zeit bereits deine eigenen Entscheidungen. Wir akzeptieren das. Es ist der Lauf der Welt."

Mit einem Lächeln blickte sie zu mir, das ihre Fältchen um die Augen vertiefte. „Kinder werden Leute. Eigenständige Persönlichkeiten. So soll es sein und wir sind eher stolz auf deine Selbständigkeit."

„Mum hat sich ziemlich aufgeregt", erinnerte ich Granny an den Tobsuchtsanfall meiner Mutter.

„Sie hat bereits viel von deinem Leben verpasst. Sie hat es vor langer Zeit so entschieden und trotzdem nimmt sie die Jahre, die ihr verloren habt, als Verlust wahr. Dein Grandpa und ich konnten dich, im Gegensatz zu ihr, reifen sehen. Wir glauben fest daran, dass du das Risiko, beide Augen gleichzeitig richten zu lassen, gegen die persönlichen Vorteile abgewägt hast. Dass du dadurch dein erstes Semester wiederholen musst, halte ich für eher banal. Für uns ist das kein Weltuntergang, weil wir dich besser einzuschätzen wissen als deine Mum und wir vertrauen absolut darauf, dass du vernünftige, rational begründbare Entscheidungen triffst."

Das Vertrauen meiner Grandma ehrte mich. Gleichzeitig wusste ich, dass ich ihre Worte in dieser einen Sache relativieren muss.

„Nicht immer. Bei Ian lag ich weit daneben."

Grandma legte mir tröstend einem Arm um die Schulter.

„Da ist was dran."

Einen Augenblick überlegte sie.

„Du hast in deinem kurzen Leben schon eine Menge kaputte Ehen gesehen. Beziehungen die zerbrechen oder nur mit viel Gewalt zusammengehalten werden. Einen Vater hattest du nie, was ich meinem Sohn weiß Gott übelnehme. Wie hättest du es denn besser wissen sollen? Es fehlt dir an Vorbildern für funktionierende, tragfähige Beziehungen."

Verlegen nestelte ich an meinem Rocksaum, weil mir etwas einfiel, das Carter vor kurzem zu mir gesagt hatte.

„Ich ziehe Spieler, Lügner und Betrüger an, hat Carter behauptet."

„Und er dauernd Frauen, die nicht wissen, wie man in der Öffentlichkeit Kleidung anbehält."

Granny lachte ein wenig boshaft und sagte dann: „Aber er hat das Herz auf dem rechten Fleck. Genau wie du. Und ihr werdet beide den richtigen Partner finden, wenn ihr bereit dafür seid. Apropos finden: falls du wirklich vorhast, länger zu bleiben, Steven sucht seit ein paar Wochen wieder eine Reinigungskraft für die Tanzschule und an der Tankstelle wird eine Aushilfe gebraucht. Donna sucht auch noch jemanden, für die Frühschicht. Durchfüttern, bis du dein Semester wiederholst, können wir dich nicht mehr, jetzt wo Grandpa nicht mehr auf dem Bau arbeitete."

„Bleiben darf ich aber so lange?"

„Selbstverständlich! Du kannst immer bei uns wohnen, Anna. Und wenn du dich entscheidest, nicht zurückzugehen und hier in der Nähe zu studieren, dann selbstverständlich auch." Viel leiser, fast peinlich berührt, fügte sie: „Es sei denn, du schämst dich für uns und unseren Lebensstil?"

Meine Kehle wurde eng. Wie viel Kummer hatte sie sich meinetwegen gemacht in den letzten Jahren. Wie viele sinnlose Gedanken an einen undankbaren Teenager verschwendet, der dachte, die Vergangenheit abstreifen zu können wie alte, ungeliebte Kleidung.

„Es gab eine Weile, da wollte ich, dass niemand davon wusste", gab ich ehrlich zu. „Aber jetzt ist es mir egal. Hier ist mein zu Hause. Bei dir und Grandpops. Und ich würde sehr gerne bleiben. Am liebsten für immer."

Ende Band I

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