NEUNUNDFÜNFZIG

Hastig trocknete ich mich ab und verließ, mein Handtuch fest um mich gewickelt, den Waschraum der Studenten. Jedoch nicht, ohne mich vorher umzusehen und sicherzustellen, ungesehen über den Gang huschen zu können. Im Zimmer angekommen, wischte ich die Tropfen von meinen Brillengläsern, bevor ich in aller Eile in meine Kleidung schlüpfte.

Obwohl ich mich beeilt hatte, gelang es mir nur gerade eben, mein Shirt in die Hose zu stopfen, bevor Davis das Zimmer betrat. Mit frischen, trocknen Shorts, aber dafür tropften seine nassen Haare noch immer und sein Arm steckte nach wie vor in dem Müllsack.

Weil er noch immer erschöpft wirkte, sparte ich mir blöde Kommentare für später auf und rubbelte stattdessen seine Haare mit einem Handtuch und entfernte das Klebeband.

„Wie ist das hier passiert?", erkundigte ich mich und tupfte seine Schulter trocken, bevor ich ihm das Handtuch um den Hals legte.

„Lange Geschichte. Die Kurzfassung: ich bin verletzt und es tut auch nach Tagen noch verdammt weh", antwortete er einsilbig und versuchte dabei ein Oberteil aus seinem Koffer zu fischen. Ein kariertes Flanellhemd, dessen Knöpfe er mit einer Hand nicht aufbekam.

„Könntest du vielleicht?", genervt hielt er mir das Hemd hin. „Mann ist das alles ein Mist", fluchte er. „Ich krieg nichts in die Reihe. Echt!"

„Hm, ich weiß wie das ist Davis, wenn man ständig auf andere angewiesen ist."

Ich rang mir ein Lächeln ab, auch wenn mir der Gedanke einen Stich versetzte. Der Gedanke an jemanden, dem ich vertraut hatte und auf den ich mich gerne hätte verlassen können. Nicht weil ich es musste, sondern weil ich es zum ersten Mal seit dem Unfall wollte.

„Und was ist mit dir? Was ist das für ein Typ, den du da aufgerissen hast?"

„Lange Geschichte. Die Kurzfassung: ich bin verletzt und es tut auch nach Tagen noch verdammt weh."

Ich war froh, dass Davis nahe vor mir stand und ich die Knöpfe dieses albernen Holzfällerhemdes schloss. Dank dieses Umstandes musste ich Davis nicht in die Augen sehen, während er weiter dozierte: „Ich hab dich immer davor gewarnt, dich leichtfertig auf dahergelaufene Typen wie diesen Huxley damals einzulassen. Du bist das klassische Opfer, Anna. Immer allein. Hilflos. Bedürftig und voller Sehnsüchte. Man sieht dir förmlich an, dass du dich nach Nähe und Zuneigung sehnst."

„Ach, erzähl mir du nichts über Liebe und Zuneigung. Du vögelst alles, was nicht weiter schmeißen kann als du. Wenn jemand auf der Suche nach irgendwas ist, dann du!"

Ich warf ihm eine Jeans aus dem Koffer zu. „Und jetzt mach mal ein bisschen schneller. Ich hab heute nicht ewig Zeit. Wir müssen dir noch ein Zimmer besorgen und in zwei Stunden muss ich..."

„Musst du was?" Davis zog den Bauch ein und blies den Brustkorb auf. Was für ein Poser. Konnte er mir nicht weismachen, dass er deswegen das Hemd besser in seine Hose kriegte.

„Weg. Ich muss einfach weg", grummlte ich ausweichend.

„Heute ist Sonntag und du bist Anna. Für Kirche ist es zu spät. Also was dann?", bohrte er nach.

„Ich treffe ein paar Leute."

„Leute? Anna! Verarsch mich nicht! Du triffst keine Leute. Sag, dass du mir aus dem Weg gehen willst. Ich versteh das total. Ich wäre auch nicht hier, wenn mir was Besseres eingefallen wär."

Er dackelte mir hinterher den Flur hinunter.

„Leute. Als ob!", brummte er und lachte überaus amüsiert.

„Gott, Davis! Was stimmt mit mir nicht? Was stimmt mit dir nicht? Ich hab nicht Lepra oder sowas. Es gibt Menschen, die verbringen gerne Zeit mit mir. Menschen, die mich brauchen. Ein bisschen zumindest."

„Hm. Klar."

Am liebsten hätte ich ihm sein überhebliches Grinsen aus der Fresse geprügelt. Gab es eine Zeit, in der ich mir gewünscht hatte, er würde mich mögen? Dieser schrecklich nervige Kerl? Innerlich schüttelte ich den Kopf. Sichtbar nickte ich aber.

„Ja, ich werde gebraucht. Stell dir das mal vor. Und damit meine ich nicht als Fußabstreifer. Und wenn du mir nicht glaubst, dann kannst du heute Nachmittag mitkommen!"

Inzwischen war ich wirklich in Rage. So richtig. Was bildete der Kerl sich bloß ein? Die Tür zu Mr. Pokes Büro nicht wütend aufzustoßen, fiel mir schwer. Noch schwerer fiel es mir, Davis gedanklich ins Tanzprojekt zu projizieren. Dafür war es leicht, mir seine Reaktion vorzustellen. Er würde es hassen, weil ich es liebte oder wahlweise, weil es mich von Doris unterschied. Und die Liste der Abweichungen war unendlich lang.

Meine Ausdrucksweise.

Meine wilden Haare.

Meine Augen.

Die Brille.

Die Nase.

Meinen Dialekt.

Meine Ausdrücke.

Meine Fingernägel.

Und am meisten hasste er die Musik, zu der ich für mein Leben gerne tanzte. Volleyball! Das wäre ein Sport, der ihm in den Kram passte. Aber nicht dieses alberne Rumgehopse. Hin und her gerissen zwischen Wut und Resignation – nein Kapitulation- besann ich mich auf meinen Anstand und wünschte Mr. Poke einen guten Morgen. Er konnte nichts dafür, dass ich von Davis ständig mit der heiligen Kuh Doris verglichen wurde und dabei beschissen abschnitt. Das Einzige, wo ich keinen Vergleich scheuen musste, war mein Abschluss. Aber nicht, weil der bombastisch gut war, sondern weil Doris ihn nie machen würde. Es war aber anzunehmen, ihr Durchschnitt wäre besser als meiner gewesen.

Nach einem kurzen Gespräch verließen Davis und ich das Büro bereits wieder. Ob es meine höflich-verbindliche Art war oder Davis hilflos-charmantes Lächeln, dass ihm den Schlüssel zu einem der Gästezimmer eingebracht hatte, war ich nicht sicher. Wichtig war nur: ich war Davis nachts los. Er und seine ständigen Sticheleien waren nervig und inzwischen hatte ich wirklich Angst, jeden Augenblick in Tränen auszubrechen, sollte er noch ein paar Spitzen auf mich abschießen. Und dann ging der Ärger erst richtig los. Doris war nämlich immer fröhlich und ich war eine kindische Heulsuse.

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