13. Versprechen

Mit gesenktem Kopf saß ich am Esstisch, meine Schwester und Tim zu meiner beiden Seiten und meine Mutter mir gegenüber. Es gab Mittagessen und zur Feier meiner Heimkehr hatte meine Mutter groß aufgefahren. Vor mir irgendwo musste ein Teller Suppe stehen und aus Küche duftete es nach Knödeln, Braten, Sauce, Kartoffeln, zwei Arten von Salat und zum Nachtisch Pudding, Eis und frisch gebackenem Kuchen. Mir war dieser ganze Aufwand mehr als nur unangenehm, somal ich mir fast sicher war, dass ich keinen Bissen davon runter bringen würde. Doch meine Mutter hatte sich nicht davon abbringen lassen und so saß ich nun schon minutenlang vor meinem unberührten Teller und brachte es nicht über mich, etwas davon zu essen.

"Bitte Stegi, iss etwas.", hörte ich leise Tims Stimme beinahe flehend neben mir und bekam sofort ein schlechtes Gewissen.

"Du hast es mir versprochen", erinnerte er mich sanft, was mich aufseufzen ließ. Meinem Freund zu Liebe suchte ich dann aber tatsächlich nach dem Löffel und tauchte ihn vorsichtig in die Flüssigkeit vor mir ein. Mit voller Konzentration versuchte ich, das beinahe unmögliche zu vollbringen und nicht über die Hälfte der Flüssignahrung schon auf dem Weg zu meinem Mund zu verlieren. Als ich es schließlich tatsächlich geschafft hatte und zumindest einen kleinen Teil des Löffelinhaltes an mein Gesicht gebracht hatte, ließ allein der Geruch der Nahrung Übelkeit in mir aufsteigen. Einzig und allein mein Versprechen Tim gegenüber ließ mich schließlich die winzige Portion Suppe tatsächlich in den Mund nehmen und schlucken. Ich hatte bereits jetzt mehr als genug davon und wollte den Löffel gerade wieder zur Seite legen, als Tim mich erneut flehend ansprach:

"Nein, bitte. Gib es nicht schon auf. Du musst etwas essen. Denk an dein Versprechen."

Ich seufzte auf und zu allem Überfluss musste auch meine Mutter sich nun einmischen:

"Er hat recht, Schatz. Iss zumindest noch ein paar Löffel."

In diesem Moment war mir einfach nur nach Heulen zu mute.

"Es geht nicht, okay? Ich kann diese dumme Suppe einfach nicht essen, ich schaff es nicht. Ich will es nicht und ich kann es auch nicht.", brach es aus mir heraus und meine Mutter hielt erschrocken die Luft an.

"Tut mir leid, Schatz", hörte ich die unfassbare Traurigkeit aus ihrer Stimme heraus und hätte am Liebsten sofort wieder geschrien.

"Bitte, Stegi" Tim klang unglaublich klein und verzweifelt. Sofort wurde er von meiner Schwester unterbrochen: "Lass gut sein. Du kannst ihn nicht zwingen.", erkannte sie. Doch Tim schien trotzdem nicht aufgeben zu wollen:

"Nein, ich kann dich wirklich nicht zwingen. Aber ich kann dich bitten. Bitte Stegi, einen Löffel zumindest noch. Tus für mich, bitte"

Schmerzlich wurde mir bewusst, wie viel ich ihm in den letzten Wochen zu verdanken hatte und so kam es, dass ich schließlich tatsächlich noch zwei Löffel Suppe runterzwang.

Eine Stunde später erhob ich mich endlich erleichtert vom Esstisch, Tim zu Liebe hatte ich noch eine kleine Kartoffel mit Sauce und ein paar kleine Gabeln voll Kuchen zu mir genommen. Ich taste mich vor in mein Zimmer, wo ich mich sofort erschöpft auf meine Matratze legte, während meine Familie, inklusive Tim, sich um den Abwasch kümmerten. Fast augenblicklich fielen mir die Augen zu und ich dämmerte in einen Halbschlaf über. Immernoch hatte ich mich nicht an die vollkommene Dunkelheit um mich herum gewöhnt und mein Tag-Nacht-Rhythmus war dadurch vollkommen durcheinander gebracht. Eine knappe halbe Stunde später ließ mich das leise Geräusch einer sich öffnenden Tür wieder vollkommen in die Wirklichkeit zurückkehren und ich erkannte Tims Schritte, auf eine merkwürdige Art schwer und leicht zugleich, die mein Zimmer betraten und sich schließlich wie selbstverständlich auf meiner Matratze niederließen. Ich hatte mich inzwischen aufgesetzt und lehnte mich vorsichtig gegen den Größeren, der sofort einen Arm um mich legte und mich fest an sich zog.

"Dankeschön", flüsterte er leise und eine unerklärliche Gänsehaut, vermischt mit dem Gefühl der Wärme, das mich immer in seiner Gegenwart überkam, überzog meine Haut.

"Ich weiß, wie schwer das eben für dich war", fuhr er unbeirrt fort, "aber es ist wichtig, wirklich." Ich nickte leicht, ich wusste ja, dass er recht hatte, aber trotzdem fiel jeder Bissen mir so unglaublich schwer.

"Danke, dass du mich gezwungen hast. Ich weiß, dass du es nicht böse meinst", gestand ich schweren Herzens und erntete dafür eine Leichte Berührung seiner Lippen auf meiner Schläfe. Ein unerklärliches Kribbeln durchzog von dort meinen ganzen Körper und ich spürte wieder ein Mal, wie mir das Blut in die Wangen schoss und ich rot wurde. Tim neben mir lachte leise auf, bevor er sich noch näher an mein Ohr heranbeugte: "Wenn du rot wirst, bist du einfach unglaublich süß", flüsterte er fast unhörbar leise und doch jagte jedes seiner Wörter mir einen Schauer über den Rücken. Tim schien zu merken, wie peinlich berührt ich war und überbrückte diesen Moment sofort, indem er etwas aus seiner Hosentasche zog und mir in die Hand drückte.

"Ein Handy", erkannte ich nach einigen Augenblicken, zu vertraut war das Gefühl dieses Gegenstandes in meiner Hand.

"Dein Handy", verbesserte er mich und ich schnappte überrascht nach Luft.

"Du hattest es bei dir als du ins Krankenhaus eingeliefert wurdest, die Schwestern haben es uns gegeben.", erklärte Tim sofort. Eine unerklärliche Welle von Gefühlen brach über mich hinein und ich spürte, wie meine nutzlosen Augen wässrig wurden.

"Hast du irgendetwas...", setzte ich an, doch Tim unterbrach mich sofort: "Alles was ich gemacht habe war, es vorhin aufzuladen", vergewisserte er mir und ich glaubte ihm. Aus Gewohnheit drückte ich den bekannten Sperrknopf an der Seite. In meiner Dunkelheit tat sich nichts doch ich wusste, dass der Bildschirm nun mit dem Entsperrcode leuchten würde. Ich hielt den kleinen Kasten tim entgegen, um ihn an meiner Stelle den Code eingeben zu lassen, doch ich spürte nur die verneinende Bewegung seines Kopfes.

"Ich kann dir helfen, aber machen musst du schon selber", grinste er. Vorsichig hob ich meinen Finger über den Bildschirm und Tim sagte mir sofort die Zahlen an, die ich im Begriff war, zu drücken. Schließlich schaffte ich es so tatsächlich, mein Handy zu entsperren und Tim bestätigte mir, dass nun der Homebildschirm zu sehen war.

"Ist irgendetwas... keine Ahnung. Nachrichten, Anrufe?" Ich erinnerte mich an das Geständnis meines Vaters, dass sie all meinen Kontakten eine Nachricht geschrieben hatten über das Geschehene. Beinahe wurde ich sauer und ärgerte mich, dass meine Schwester meinen Code gekannt hatte, doch dann erinnerte ich mich, dass nur deswegen Tim jetzt hier neben mir saß. Dieser lachte auf: "Ja, so ein paar Anrufe und Nachrichten sind da...", erklärte er mit einem breiten Grinsen und da es nicht den Anschein machte, dass er von sich aus mehr Informationen liefern würde, fragte ich genauer nach. Seine Antwort zug mir kurz sämtliche Luft aus der Lunge: "Siebenhundertdreiundzwanzig Nachrichten? , vergewisserte ich mich und Tim lachte erneut auf: "Scheint so, als wärst du ein kleiner Fameboy", neckte er mich und ich nickte nur schwach. Am liebsten hätte ich das Handy sofort wieder weggelegt, wollte mich nicht mit all diesen Leuten außeinandersetzen müssen. Zu viel auf ein Mal. Doch auf Tims unermüdliche Ermutigungen hin gab ich schließlich nach und begann, nach der Anleitung meines besten Freundes, die einzelnen Chats zu öffnen. Erleichtert nahm ich die Nachricht auf, dass ein großer Teil der Nachrichten nicht an mich gerichtet, sondern nur ungelesene Gruppennachrichten der letzten Wochen. Dadurch fiel der größte Teil schon ein Mal weg und übrig blieben nach Tims Schätzung 50 Nachrichten, die tatsächlich für mich bestimmt waren. Bevor ich begann, die einzelnen Chats zu öffnen, vergewisserte Tim sich, dass mir bewusst war, dass er so alle Nachrichten, die ich bekommen hatte, würde lesen können und mir das recht wäre. Doch ich zögerte keine Sekunde. Ich wusste, dass ich Tim mehr vertrauen konnte als jedem anderen und es gab keinen Chat, den er nicht auch lesen durfte. Also arbeiteten wir uns zusammen durch jede Nachricht, er las sie mir stets vor und sagte mir an, worauf ich im Begriff war, zu tippen, jedoch bestand er darauf, dass ich das Handy selbstständig bediente und weigerte sich jedes Mal, wenn ich versuchte, es ihm selbst in die Hand zu drücken. Irgendwann fand ich mich damit ab und auch die Tatsache, dass es auf diese Art viel länger dauerte, begann mich nicht mehr zu stören. Die meisten Nachrichten waren Beileidsbekundungen meiner Schulfreunde und nach der gefühlt hundertsten immer gleich lautenden Nachricht, begann ich, mich darüber aufzuregen:

"Sieh dir das an! Alle verhalten sich so, als wäre ich gestorben oder so! Merken die nicht, dass ich noch lebe? Lächerlich! Maaaaaaan!", beschwerte ich mich und brachte somit mal wieder Tim zum Lachen. Ohne Vorwarnung wuschelte er mir durch die Haare. Zwar hatte ich mich heute eh nicht sonderlich um meine Frisur gekümmert, da ich nicht plante, die Wohnung so schnell zu verlassen, jedoch wollte ich das trotzdem nicht so einfach auf mir sitzen lassen:

"Tiiiiiiim", jammerte ich, was ihn nur noch mehr zum Lachen brachte. Und dieses Mal stimmte ich mit ein.

"Na komm, wollen wir noch ein wenig weiter machen?", erkundigte er sich schließlich und wir fuhren fort, meine Nachrichten der letzten Wochen gemeinsam zu lesen und zu beantworten. Ich hatte gerade erneut kurze immergleiche Dankesworte, die ich zugegebenermaßen einfach von den letzten Chats kopiert hatte, abgeschickt und ging zurück auf die Übersicht der Chatverläufe, als Tim verkündete, wir seien mit dem ursprünglichen Nachrichten durch. Leider hatte inzwischen der Großteil meiner Kontakte mir auf meine Dankesnachricht geantwortet, so lag wieder ein Haufen Nachrichten vor uns, die wir durcharbeiteten. Dieses Mal fassten wir noch kürzer, ich antwortete nur noch, wo es nötig war und bloß ein paar sehr guten Freunden schrieb ich längere, personalisierte Nachrichten. So schlugen wir uns die nächsten Stunden durch einen unendlichen Jungle aus Nachrichten, Fragen nach meinem Befinden und Gute-Besserungs-Wünschen. Warum auch immer. Was mir fehlte, konnte nicht mehr gebessert werden, das war mir bewusst, also schienen all diese Wünsche fehl am Platz und ich beantwortete sie nur, da ich den guten Willen der Absender dahinter erkannte. Irgendwann hatten wir es tatsächlich geschafft, alle Kontakte irgendwann abzuwürgen, manche hatten bereits nach drei, vier höflichen Nachrichten Ruhe gegeben, andere erst nach Stunden. Tatsächlich war einiges an Zeit vergangen, bis wir das Handy zur Seite legten und Tim begann, mit von Apps zu erzählen, die genau das konnten, was er heute getan hatte. Ich lachte bei seinem Versprechen, sich darüber noch ein Mal genauer darüber zu informieren, nur auf:

"Brauch ich alles nicht. Ich hab ja dich", zwinkerte ich dem Größeren frech zu. Doch meine gute Stimmung flaute in diesem Moment rasant ab, irgendetwas an Tims Reaktion war merkwürdig.

"Tim, was ist los?", fragte ich besorgt. Er sefzte auf.

"Ach Stegobert. Du weißt, wie sehr ich die Zeit hier genieße und wie gerne ich für dich da bin. Aber ich muss wieder zurück nach Hause. Ich habe die Schule erst letztes Jahr beendet, muss mir jetzt eine Ausbildung oder einen Studienplatz suchen und anfangen, mein eigenes Leben zu planen." Seine Stimme klang leise und traurig und sofort überkam mich ein schlechtes Gewissen, dass er meinetwegen das alles noch nicht getan hatte.

"Ich... natürlich Tim, das verstehe ich. Ich mein... irgendwie war es ja auch klar, also ich meine... du weißt schon, das leben muss weiter gehen und so.", stotterte ich. Tim schien zu merken, was in mir vorging, denn er rückte noch näher an mich heran und schloss mich in seine warmen Arme.

"Wann fährst du wieder heim?", nuschelte ich.

"So wie es geplant ist, übermorgen in der früh. Tut mir leid, dass ich es dir erst jetzt sage."

Ich nickte bloß schwach. Von nun an musste ich mein Leben also alleine auf die Reihe bekommen, ohne Tims helfende Hand und ermutigende Worte. Mir schien dies wie ein Ding der Unmöglichkeit, dieses mein neues Leben schien für mich ohne Tim an meiner Seite undenkbar."

"Werden... können wir dann wieder regelmäßig telefonieren?", flüsterte ich in seine Richtung, "Wie früher?"

Ich spürte deutlich sein Nicken, jede seiner Bewegungen, so nahe war er mir. Und ich genoss seine Nähe und das Gefühl der Geborgenheit, das er ausstrahlte.

"Genau wie früher.", bestätigte er mir.

"Ich mein, ich habe zwar keinen Computer mehr und alles, also können wir nicht skypen oder ins Ts... aber ich habe mein Handy, wir können einfach telefonieren. Ich schaffe das schon irgendwie, ich kriege das hin.", plapperte ich einfach ungehindert los, mir selbst nicht sicher, ob ich ihn oder mich selbst überzeugen wollte.

"Natürlich, mein kleiner Dino", sprach seine tiefe stimme beruhigend auf mich ein und tatsächlich wurde ich langsam gefasster.

"Können wir uns trotzdem wieder treffen?", fragte ich ihn vorsichtig und hatte innerlich Angst vor der Antwort.

"Natürlich", bestätigte er mir sofort, "Denkst du, ich lass meinen kleinen Stegosaurus im Stich?" Leicht schüttelte ich den Kopf und eine unglaubliche Welle der Erleichterung überkam mich.

"Danke, Timmi", flüsterte ich leise. Lauter brauchte ich auch nicht sein, ich wusste, dass er mich gehört hatte.

"Wir schaffen das, mein Kleiner, wir schaffen das zusammen, okay?", versuchte er mir Mut zuzusprechen.

"Wenn du willst, komme ich Ende der Woche direkt wieder. Ich werde nicht immer hier sein können, aber dieses Wochenende schaffe ich es auf jeden Fall, okay?"

Bei diesen Worten war es mir, als würde eine sichere Rettungsleine vor mur auftauchen und mich aus dem Fluss der Verzweiflung, Angst und Einsamkeit ziehen, in den ich eben gefallen war. Tim würde mich nicht alleine lassen, er würde weiterhin fur mich da sein. Und zum gefühlt tausendsten Mal an diesem Tag bedankte ich mich bei meinem besten Freund, dankte ihm für alles, was er für mich getan hatte.

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Hayho meine Lieben

Heute Mal ein etwas längeres Kapitel für euch, dieses Mal habe ich wieder die 2000-Wörter geknackt. Ich fühle mich zurückversetzt in alte Zeiten, als ich nie Kapitel unter 2000 Wörter hatte... Nunja, damals gabs aber auch keine regelmäßigen Uploads, geschweigedenn täglich...

Ich wollte fragen, was ihr so für Ideen habt für ein eventuelles Special, vielleicht seit ihr ja kreativ. Wenn ja: Immer ab in die Kommentare damit. Ich freue mich über jedes Feedback. Auch Kritik oder sonstiges immer gerne gesehen, ich beantworte jedes Kommentar. :)

Liebe Grüße, minnicat3

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