- Kapitel 82 -

Meine Muskeln, meine Glieder, meine Seele.
Jede Zelle meines Körpers wird von kleinen unzähligen Magieimpulsen versorgt. Die Schattenopale! Sie sind Edelsteine der Dunkelheit. Magier der dunklen Magierklasse verwenden sie oft, um ihre Kräfte zu verstärken. Alastair hat sie in das Oberteil meiner Uniform eingearbeitet. Ich dachte, er hätte sie benutzt, um sie hübscher aussehen zu lassen, doch dass sie mir Kraft geben würden habe ich nicht erwartet. Wenn Alastair nach wie vor mein Bindungspartner wäre, hätte ich diesen Prozess noch irgendwie nachvollziehen können, da ich auf die Weise noch auf seine Kräfte hätte zurückgreifen können, doch so?
Levion ist nun mein Bindungspartner. Wieso also helfen die Schattenopale mir? Ich dürfte keinerlei zugriff mehr auf dunkle Magie haben.
Weil Alastair es ihnen befohlen hat", beantwortet Levion mir die Frage in Gedanken, während er einem Konterangriff der Projektion ausweicht. Verdutzt werfe ich ihm einen Blick zu und beobachte ihn dabei, wie er sanft wie eine Feder auf dem Boden landet.
Wie meinst du das?", hake ich nach und versuche meine Beine endlich dazu zu bringen mein Gewicht zu tragen.
Als er sie verarbeitet hat, hat er sie magisch beschworen. Sie dienen ausschließlich dir und deinem Schutz. Dabei spielt es keine Rolle welcher Magierklasse du oder dein Bindungspartner angehören", konkretisiert er seine Erklärung woraufhin mir der Mund ins Bodenlose klappt. Alastair hat selbst für solch einen Fall vorgesorgt? Er hat damals schon soweit gedacht, mich immer noch schützen zu können auch wenn er nicht länger an meiner Seite sein kann?
Er ist nicht umsonst die Nummer zwei der großen Zwölf, Ember", kontert Levion neckisch grinsend, während mein Körper sich immer schneller zu erholen scheint. Im nächsten Moment steht der langhaarige Magier auch schon hinter mir und umfasst meine Schulter.
„Nun Ember..was wirst du tun? Bleibst du liegen oder stehst du auf und kämpfst weiter?", stellt er mir die Frage und sieht abwartend auf mich herab.
„Ja Ember..bleibst du liegen oder muss ich dich erst töten?", äfft die Projektion Levions Worte nach, was mich vor Wut beinahe schäumen lässt. Entschlossen blicke ich meinem Bindungspartner entgegen und nicke ihm zu. Ein zufriedenes Grinsen bildet sich auf seinen Lippen, ehe er einen Schritt zurück tritt. „Gut, dann ziehe ich mich nun wieder zurück und überlasse dir alles Weitere", entgegnet er und verschränkt die Arme hinter seinem Rücken.
Wut, Frust, Hilflosigkeit.
All diese Gefühle brodeln tief in meinem Inneren, schwappen beinahe über. Alastair hat alles in seiner Macht stehende getan, um mich an die Spitze zu bringen und bei Gott ich werde seine Mühen nicht vergebens sein lassen.
Ohne großartig darüber nachzudenken presche ich nach vorn. Angetrieben von meiner Wut und meinem Zorn hageln meine Fäuste auf meinen Gegner ein, der sie nur knapp blocken kann. Sein dreckiges Grinsen strahlt mir entgegen, während auch er immer wieder zu Angriffen ansetzt.
„Das du überhaupt noch in der Lage dazu bist dich zu bewegen..du scheinst zäher zu sein als erwartet, das muss man dir lassen", spottet er lachend und weicht meinem Tritt mit Geschick aus. Mit zusammengebissenen Zähnen setze ich gleich zum nächsten Schlag an.
„Soweit ich die Lage überblicken kann hast du deine ganze magische Kraft bereits zu Beginn des Kampfes aufgebraucht und mit reiner Körperkraft wirst du mich niemals besiegen können. Es ist also nur eine Frage der Zeit", fährt er verhöhnend fort, während er sich galant zur Seite dreht, um meinem Fausthieb zu entgehen.
„Eigentlich ist es ziemlich simpel..Alles was ich tun müsste, wäre dir mit einem Schlag den Rest zu geben, doch ich persönlich finde es unglaublich amüsant dir dabei zuzusehen, wie du dich abmühst", fügt er hämisch grinsend hinzu, was mich nur weiter anstachelt nicht aufzugeben.
„Es wird ein weitaus zufriedenstellenderes Gefühl sein dich zu vernichten, wenn du kurz vor dem Ende stehst", lacht er irrwitzig auf. Ich nutze die Gelegenheit seiner Unachtsamkeit und verstärke meinen nächsten Fausthieb mit meiner Feuermagie. Der Geruch von verschmorter Haut erfüllt den Raum und Fetzen der Brandwunde hängen seitlich von seiner Wange herab. Ein wahrlich widerwärtiger Anblick.
„Aber wenn ich es mir recht überlege..", murrt er angesäuert und umgibt sich mit violett schimmerndem Nebel. Seine eben noch klaffende Wunde heilt innerhalb weniger Sekunden, ehe er einige Schattenattacken auf mich hetzt. Geschickt weiche ich ihnen aus und hole zum Gegenschlag aus.

Es ist ein ausgewogenes Kräftemessen, was die Lage umso aussichtsloser erscheinen lässt. Wenn man diesen Gedanken aufgreift und weiterspinnt kommt man zu dem Ergebnis, dass hier keiner als Sieger hervorgehen kann wenn das so weitergeht. Wenn wir uns beide durch die Kraft der Dunkelheit heilen können und unsere Kraftreserven auf einem einigermaßen konstanten Level halten können, wird dieser Kampf auf ewig so weitergehen. Es muss doch eine Möglichkeit geben das Blatt zu meinen Gunsten zu wenden. Irgendetwas übersehe ich doch hier. Und wieder einmal ist es so, als würde mich mein Schicksal verhöhnen. Nun habe ich schon eine weitere Möglichkeit zu sehen dazu gewonnen und doch übersehe ich die wichtigen Details.
Seufzend weiche ich zurück und schlittere an meinem Gegner vorbei.
Ich muss nachdenken.
Logisch betrachtet muss es einen Weg geben hier als Sieger hervorzugehen. Levion hätte ansonsten schon längst eingegriffen oder den Kampf abgebrochen. Er muss etwas wissen, dass ich nicht weiß. Etwas sehen, dass ich nicht sehe. Plötzlich fällt es mir wie Schuppen von den Augen, was mich in meiner Bewegung stoppen lässt.
„Moment mal..", sage ich zu mir selbst und spüre im nächsten Moment etwas Hartes gegen meinen Rücken prallen. Alastairs Projektion fällt zu Boden und reibt sich die Stirn.
„Was zum..was hast du denn auf einmal? Wieso bleibst du einfach so stehen? Sag mir nicht, dir ist plötzlich klar geworden, dass es doch besser wäre sich zu ergeben", spottet er lachend und sieht provokant zu mir auf, doch darauf lasse ich mich nicht ein.
„Pff, als hätte ich so etwas auch nur ansatzweise nötig", blaffe ich leise und aktiviere das Siegel auf meinem Handgelenk. Ungläubig sieht Alastairs Abbild mir dabei zu, bewegt sich jedoch nicht.
Wenn es möglich ist in die Vergangenheit zu blicken, sogar in die Vergangenheit zu reisen muss es auch möglich sein in die Zukunft zu sehen.

Ohne zu zögern führe ich meinen Finger auf den Pfeil der nach rechts zeigt. Wenn man in die Vergangenheit will nutzt man den Pfeil, der nach links zeigt. Folglich muss man den Pfeil wählen, der in die entgegengesetzte Richtung zeigt, um in die Zukunft zu gelangen. Zumindest erscheint mir dies als die logischste Schlussfolgerung. Allerdings..Ich stoppe in meiner Bewegung. Ich muss mich sammeln. Ich will nicht in die Zukunft reisen. Ich will lediglich sehen, was in Zukunft passiert.
Welcher Pfeil ist der Richtige?
Ich habe keine Zeit mir darüber den Kopf zu zerbrechen! Wenn ich doch nur die Zeit stoppen könnte, um in Ruhe darüber nachdenken zu können. Und erneut könnte ich mich selbst dafür Ohrfeigen wieder einmal auf dem Schlauch gestanden zu haben. Ich habe doch noch immer Levions Umhang. Er konnte schon einmal die Zeit stoppen. Nun, da er mein Bindungspartner ist, wird das sicherlich noch einmal möglich sein. „Umhang, stoppe die Zeit!", weise ich den Stofffetzen an, doch nichts geschieht. Verwirrt werfe ich einen Blick hinter mich. Wieso klappt es nicht?
„Ha! Was soll das denn werden wenn es fertig ist?", spottet die Abbildung lachend und kugelt sich auf dem Boden hin und her. Ich ignoriere ihn weitestgehend und versuche herauszufinden wieso es nicht funktioniert. Liegt es daran, dass ich seine Magie bereits aufgebraucht habe? Klappt es tatsächlich nur einmal selbst wenn Levion nun mein Bindungspartner ist?
„Das ist ja wirklich urkomisch, nein wirklich! Aber so langsam vergeht mir die Lust an dem ganzen hier. Es wird Zeit das zu beenden", wirft die Projektion nun wieder mit teuflischem Grinsen ein und nähert sich mir unheilvoll. Was soll ich tun?
Soll ich es wagen und einfach einen der drei übrigen Pfeile auswählen?
Doch ich bin mit dem Element der Zeit leider nicht vertraut genug, um vorherzusagen welche Konsequenzen ein solches Ratespiel nach ziehen wird. Andererseits, wenn ich noch länger zögere und nichts tue wird mich Alastairs Projektion sicher erwischen und dieses Mal endgültig. Aus einer Kurzschlussreaktion schließe ich meine Augen hastig und aktiviere einfach den Pfeil, der sich gerade unterhalb meines Fingers befindet. Als sich für wenige Sekunden nichts rührt öffne ich vorsichtig eines meiner Augen und verfalle im nächsten Moment ins Staunen. Etliche runde, schwebende Zauberkugeln erstrecken sich vor mir. Jede einzelne zeigt andere sich bewegende Bilder. Ich trete mit bedacht näher an eine heran und werfe einen Blick auf das, was sie zeigt. Ich erkenne mich selbst, wie ich am Boden liege. Levion kniet neben mir, beugt sich über mich, streckt seinen Arm aus und stoppt die Zeit. Meine Augen sind geschlossen. Ich spüre keinerlei magische Präsenz mehr, die von meinem Körper ausgeht. Schockiert reiße ich die Augen auf. Diese Kugel..sie zeigt..meinen Tod. Mir stockt der Atem während ich zurückstolpere. Mein Herz rast und hämmert gegen meine Brust. Hastig widme ich mich einer anderen Kugel in der ich Levion entdecke. Er wirft sich vor mich, schnippt dem Finger und verlangsamt die Zeit. Er dreht sich zu mir und redet scheinbar eindringlich auf mich ein. Ich kneife meine Augen zusammen und stelle mit erschrecken fest, dass mir in dieser Zeitkugel der halbe linke Arm fehlt. Erneut ziehe ich scharf die Luft ein. Das darf doch nicht wahr sein.
Dieser Kampf hat so viele mögliche Endszenarien?
Und jede einzelne zeigt entweder meine Niederlage oder wie ich ihr nur knapp entgehe, jedoch nicht ohne einen gewaltigen Preis dafür zu zahlen.
„Nein..Nein! Das kann nicht sein! Es muss einen anderen Weg geben" hauche ich verzweifelt und irre ziellos zwischen den schier endlosen schwebenden Kugeln umher. Die Antwort muss in irgendeiner dieser Kugeln zu sehen sein! Ich weiß es einfach. Es muss einen anderen Weg geben. Etliche Kugeln schiebe ich frustriert beiseite. Unzählige, die allesamt Bilder zeigen, die ich am liebsten wieder vergessen will. Ich bin der Lösung noch keinen Schritt näher gekommen. Seufzend lasse ich mich nach vorn fallen.
„Ich kann doch nicht alle Kugeln einzeln analysieren! Das würde mein Leben lang dauern!"
Ich muss es wohl einsehen.
Selbst mit der Macht in die Zukunft blicken zu können sind einem dennoch Grenzen gesetzt. „Du hast heute wohl deinen Tag der Erkenntnisse, hmm?", erklingt Levions Stimme plötzlich neben mir, woraufhin ich erschrocken aufsehe. Er steht mit gewohnt hinter dem Rücken verschränkten Armen vor einer der schwebenden Kugeln und sieht mit einem ausdruckslosen Lächeln zu, wie sich die grausamen Bilder abspielen. „Auch ein Magier, der die Zeit beherrscht ist nicht allmächtig. Das einzige, was wir ihr entnehmen können sind Informationen. Doch wie du siehst, ist auch das nicht immer so einfach", fährt er fort und wendet sich mir zu. „Was gedenkst du nun zu tun?", richtet er die Frage an mich woraufhin ich mit den Schultern zucke.
„Mir gehen allmählich die Ideen aus. Ich habe wirklich alles versucht was in meiner Macht stand. Ich habe probiert ihn mit meiner Kraft zu besiegen, ich habe versucht ihm im Kampf überlegen zu sein, doch scheinbar kann ich ihn mit nichts schlagen, was ich zu bieten habe", entgegne ich niedergeschlagen und winkle meine Beine an. Erneut sitze ich wie ein Häufchen Elend neben ihm.
„Nun, das ist wahr. Nichts, was du bisher zu bieten hattest..doch, das ist das reizvolle an der Zeit. Sie bleibt nicht stehen, schreitet stetig voran. Sekunde um Sekunde. Minute um Minute. Und jede einzelne bietet dir neue Erkenntnisse, neue Erfahrungen, neue Informationen, neue Einblicke. Es mag so aussehen, als würde die Zeit momentan nicht auf deiner Seite stehen, doch das ist ein Irrglaube. Die Zeit steht auf keiner Seite. Sie ist neutral. Genauso wie sie dein Scheitern in sich trägt, so trägt sie auch deinen Sieg in sich. Stell es dir so vor, wie ein zweischneidiges Schwert, eine Medaille mit zwei Seiten. Das Eine existiert nicht ohne das Andere. Nur weil du im Moment lediglich eine Seite siehst, heißt das nicht, dass es die andere nicht gibt", erklärt er und kommt langsam auf mich zu, bis er schließlich direkt vor mir steht. Ich hebe zaghaft den Blick und sehe, wie er eine der schwebenden Kugeln über seiner Handfläche balanciert. Interessiert erhebe ich mich und starre wie gebannt ins Innere der Kugel. Stirnrunzelnd wandert mein Blick von der Kugel zu Levion und wieder zurück.
„Diese Kugel zeigt keine Bilder", stelle ich ernüchtert fest und vernehme kurz darauf Levions leises Lachen.
„Ganz recht. Diese Kugel steht für den Zufall. Genauer gesagt für den Verlauf der Zukunft, in welcher du dein Schicksal änderst. Der Ausgang dieses Weges ist selbst der Zeit nicht bekannt, weshalb du auch keine Bilder darin erkennen kannst", klärt er mich auf, woraufhin ich mir die Schläfen massiere.
„Das bedeutet, dass es von Anfang an für mich vorherbestimmt war diesen Kampf zu verlieren?! Ganz egal, welchen dieser unzähligen Wege ich auch gewählt hätte?", stelle ich die Hypothese auf.
„Nicht ganz..diese Kugel ist der Beweis dafür, dass es mindestens einen Weg gibt, den Ausgang des Kampfes zu deinen Gunsten zu entscheiden. Wie dieser Weg jedoch aussieht kann nicht vorherbestimmt werden", korrigiert er mit erhobenem Finger, was mich seufzen lässt.
„In Ordnung, das einmal beiseitegeschoben..heißt das, dass nicht einmal du weißt was ich jetzt am besten tun sollte?", frage ich ganz direkt und erwische Levion scheinbar kalt damit. Seufzend senkt er den Blick.
„Ich befürchte fast, dass das der Fall ist. Ich kann dein Schicksal leider nicht für dich entscheiden. Ich kann dir diese Bürde nicht abnehmen. Jeder Mensch trägt die Last seines Schicksals gleichermaßen allein, doch ich kann dir dabei zur Seite stehen. Ember, egal wie du dich auch entscheiden magst ich werde nicht von deiner Seite weichen", entgegnet er mir mit einem bedrückten Lächeln auf den Lippen. „Ich werde auf deine Entscheidung warten", fügt er hinzu, ehe er in goldenem Nebel verschwindet.

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