Drosselpelz' Liebe
Wo ist sie nur?
Aufmerksam sah Drosselpelz sich im Lager um. Wie jeden Morgen, seitdem Bernsteinfleck krank war, verteilte Vipernzahn die Aufgaben. Wie jeden Morgen hatte Drosselpelz die Chance, mit Blaupelz auf Jagdpatrouille eingeteilt zu werden; eine Gelegenheit zu bekommen, ganz unbeschwert mit ihr Zeit zu verbringen.
Aber wo war sie jetzt?
Drosselpelz zuckte leicht zusammen, als er ihr wunderschönes blaugraues Fell aus dem Kinderbau auftauchen sah. Sie blickte unruhig im Lager umher, lief aber dennoch zielstrebig auf Abendsterns Bau zu. Besorgt stellte Drosselpelz sein Fell auf. Was war nur los mit ihr?
Er hörte, wie Vipernzahn Kleinohr, Goldblüte, Sturmschweif und Buntpfote zur Jagdpatrouille einteilte. Er bemühte sich, nicht enttäuscht den Kopf hängen zu lassen. Keine gemeinsame Jagd für ihn und Blaupelz. Sein Blick wanderte wieder zum Anführerbau. Was besprach sie bloß mit Abendstern?
»Flickenpelz!«, ertönte Vipernzahns Stimme. »Du kontrollierst mit Weißpelz und Rosenschweif die Grenze zum SchattenClan. Zedernstern hat gestern Abend erzählt, auf ihrem Territorium würde von Zeit zu Zeit ein Fuchs gesichtet und wir müssen sicherstellen, dass er auf unserem Territorium nichts verloren hat.«
»Stachelkralle!«, fuhr er fort. »Du übernimmst die Seite zum FlussClan. Wir wollen nicht, dass jemand dieser räudigen Fischfresser vergisst, wem die Sonnenfelsen von jetzt wieder gehören. Nimm Tigerkralle und Drosselpelz mit.«
Doch der sandgraue Kater nahm seinen Namen allerdings nur mit halber Aufmerksamkeit wahr. Viel mehr interessierte ihn jetzt Blaupelz, die gerade Abendsterns Bau verließ und zielstrebig auf den Ginstertunnel zulief.
Als sie an ihm vorbeilief, konnte Drosselpelz sich nicht mehr zurückhalten. Er folgte ihr mit schnellen Schritten und holte sie kurz vor dem Ausgang des Lagers ein.
»Alles in Ordnung mit dir?«, fragte er besorgt.
Doch Blaupelz drehte sich nicht einmal um. Sie murrte ein »Ja« und ging weiter, ohne ihn auch mur einen weiteren Augenblick zu würdigen.
»Drosselpelz!«, ertönte in diesem Augenblick Stachelkralles Stimme. »Du bist für die Patrouille zum FlussClan eingeteilt. Wenn du aufhören würdest Blaupelz hinterherzulaufen wie ein Junges seinem Moosball, hättest du das vielleicht mitbekommen.«
Er zuckte mit seinem Schwanz in Richtung Lagerausgang.
Drosselpelz unterdrückte ein verächtliches Schnauben. Hatte Stachelkralle vergessen, wie er sich aufgeführt hatte, als er in Schneepelz verliebt gewesen war?
Er wollte sich gerade der Patrouille anschließen, als Rosenschweif zu ihm gelaufen kam und fast in ihn hineinkrachte. Er schnurrte amüsiert. Manchmal hatte er das Gefühl, dass ein Teil der jungen Kätzin die Kinderstube nie verlassen hatte. Sie hatte immer noch diese grenzenlose Energie und Lebensfreude.
»Gratuliere!«, maunzte sie ihm zu. »Ich freue mich so sehr für euch! Du wirst ein toller Vater sein.«
Sein Schnurren wich augenblicklich einem überraschten Schweigen.
»Wie bitte?«, fragte er sie verwirrt. »Du musst mich verwechseln. Ich...«
»Drosselpelz!«, knurrte Stachelkralle. »Wir müssen aufbrechen. In der Zeit, wo du hier redest, könnte der FlussClan die Sonnenfelsen wieder einnehmen.«
Drosselpelz zuckte mit den Schnurrhaaren.
Ganz bestimmt machen sie das. Und vorher fliegen sie noch über den Fluss und fischen Igel daraus.
Er wollte Rosenschweif noch etwas fragen, aber die junge Kriegerin lief bereits hinter Spatzenpelz her. Und so blieb Drosselpelz nichts anderes übrig, als Stachelkralle und Tigerkralle zu folgen.
»Wenn ein FlussClan Krieger auch nur eine Kralle auf unser Territorium setzt, werde ich ihn in Fetzen reißen«, prahlte Tigerkralle.
»Sie müssen sehen, dass Abendsterns Ankündigung nicht nur leere Worte waren«, bestätigte Stachelkralle.
Drosselpelz' Fell stellte sich bei den Worten der beiden Krieger auf. Es war eine Höchststrafe mit ihnen auf Patrouille zu gehen. Sie würden alles zerfetzen, was keine DonnerClan-Katze war.
Er hörte auf, ihrer Unterhaltung zu folgen und dachte wieder an Rosenschweifs Worte. Er würde Vater? Aber von wem den? Sie konnte eigentlich nur Blaupelz meinen. Rosenschweif hatte ihm in den letzten Monden immer wieder aufmunternde Blicke zugeworfen, wenn er versucht hatte, mit der blaugrauen Kätzin zu reden. Aber Blaupelz konnte niemals seine Jungen bekommen. Es musste ein ganz schreckliches Missverständnis vorliegen. Warum redete sie denn auch nicht mit ihm? Verzweifelt wirbelte er eine Schar Blätter auf, die noch vom letzten Blattfall auf dem Boden lagen.
Er versuchte sich an seine letzte Begegnung mit Blaupelz zu erinnern. War es Einbildung oder war ihr Bauch tatsächlich angeschwollen gewesen? Erwartete sie wirklich Junge? Eine Welle der Enttäuschung überkam Drosselpelz. Wenn das wirklich so wäre, dann wären es nicht seine Jungen. Aber er konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, wer dann ihr Vater sein sollte. Er hatte Blaupelz nie liebevoll mit einem Kater beisammen gesehen. Sie verbrachte viel Zeit mit Rosenschweif und Leopardenfuß. Er hatte immer gedacht, er wäre der Kater, mit dem sie am meisten Zeit verbrachte. Und dass sie nur immer so abwesend war, weil sie das Wohl des Clans über das Gründen einer Familie stellte. Aber wenn Rosenschweif recht hatte, dann gab es jemand anderen, der Blaupelz' Herz erobert hatte.
Und dann fügten sie die verschiedenen Informationen auf einmal zu einem ganzen Bild zusammen, wie Ginsterzweige zu einem Bau. Blaupelz musste einen geheimen Gefährten haben. Und sie hatte selbst heute Morgen erst erfahren, dass sie Junge erwartete. Deswegen hatte sie sich so merkwürdig verhalten. Und deswegen wusste nicht einmal Rosenschweif, wer der Vater war.
»Drosselpelz!«, riss ihn auf einmal Stachelkralles Stimme aus den Gedanken. Erschrocken zuckte er zusammen. »Wir sind hier auf Patrouille. Und du bist so verträumt, dass ein Dachs neben dir laufen könnte und du würdest ihn nicht merken.«
Du hättest ihn doch sowieso schon vorher in Fetzen gerissen, dachte Drosselpelz, aber behielt den Satz lieber für sich. Er nickte bloß und versuchte sich wirklich auf seine Umgebung zu konzentrieren. Und er fasste einen Beschluss. Er musste mit Blaupelz reden.
Er ließ seinen Blick durch den Wald wandern und prüfte die Luft. Er hörte bereits das Rauschen des Flusses, aber er konnte noch keinen FlussClan-Geruch wahrnehmen. Dafür stieg aber ein anderer Geruch in seine Nase. Und kurz darauf sah er auf das dazugehörige blaugraue Fell durch den Wald streifen. Sie bewegte sich auf das Lager zu.
»Ich habe ein Eichhörnchen da vorne entdeckt«, meinte er an die beiden anderen Krieger gewandt. »Lauft schon einmal zur FlussClan Grenze. Ich komme nach.«
Ohne auf ihre Antwort zu warten, verschwand er im Gebüsch und lief auf Blaupelz zu, die eindeutig aus der Richtung des Flusses kam. Was beim SternenClan hatte sie dort gemacht?
»Blaupelz?«, fragte er und spürte ein Kribbeln durch seinen Körper ziehen. Alleine ihr Name löste schon wieder eine Welle des Verliebtseins in ihm aus. Doch ihr Gesichtsausdruck ließ diese Emotionen einem Anflug von Sorge weichen. Sie sah zerstreut aus und leer.
»Ist alles in Ordnung mit dir?«, wiederholte er die Frage, die er ihr eben im Lager schon gestellt hatte.
Wieder machte sie sich nicht die Mühe aufzusehen. Es zerriss ihm das Herz.
»Ich gehe nur ins Lager zurück«, meinte sie.
Einen kurzen Moment lang war Drosselpelz versucht, sie gehen zu lassen. Sie hatte ganz offensichtlich einen anderen Gefährten. Daran konnte er nichts ändern und wenn sie mit diesem Kater glücklich war, dann wollte er daran auch nichts ändern. Aber sie konnte auch nichts daran ändern, dass er sie liebte. Und dass er sich um sie sorgte. Und dass er sie nicht mit so einem hängenden Kopf ins Lager ziehen lassen würde.
Und so stellte er sich ihr in den Weg und sagte ganz einfach: »Halt!«
»Rosenschweif hat mir gerade gratuliert, dass ich Vater werde«, miaute er dann. Er wollte eigentlich noch mehr sagen, aber ihr Blick verriet ihm, dass er schon genug erzählt hatte.
»Das kann nicht sein«, entgegnete Blaupelz langsam und in Drosselpelz flammte kurz Hoffnung auf. War es also einfach nur ein Versehen von Rosenschweif gewesen? Erwartete Blaupelz gar keine Jungen? Doch die nächsten Worte erloschen die Hoffnung schneller, als sie gekommen war. »Sie hat es mir versprochen.«
Ihr erster Satz war also nur auf Rosenschweif bezogen gewesen, nicht auf die Jungen.
»Hat sie recht?«, fragte er dennoch. »Bekommst du Junge?«
Blaupelz schwieg einen Moment
»Es tut mir so leid«, miaute sie dann. »Ich habe ihr nicht gesagt, dass du der Vater bist. Sie hat es einfach angenommen und es war leichter...«
Drosselpelz horchte auf. Würde sie jetzt verraten, wer der Vater war? Würde sie jetzt alles erklären? Doch sie schwieg. Offenbar rang sie mit einem Geheimnis, das sie am liebsten ausspucken würde wie ein schlechtes Stück Frischbeute, aber es aus irgendeinem Grund für sich behalten musste. Dieses Bild zerbrach Drosselpelz das Herz. Und er wollte es nicht länger sehen.
»Also bekommst du tatsächlich Junge?«, fragte er dennoch. Wenigstens das musste er wissen.
Blaupelz blinzelte. »Ja, so ist es«, antwortete sie bloß.
In Drosselpelz überschlugen sich die Gedanken. Was sollte er jetzt sagen. Was wollte er jetzt überhaupt. Einen Moment lang sah er Blaupelz schweigend an. Ihre wunderschönen blauen Augen. Und dann wusste er, was er wollte. Er wollte, dass sie glücklich war. Und wenn sie das Geheimnis für sich behalten wollte, dann respektierte er diesen Wunsch.
»Ich werde dich nicht fragen, wer der Kater ist«, miaute er schließlich. »Ich bin mir sicher, dass es einen Grund gibt, warum du es geheim halten willst.«
Natürlich hätte er sie liebend gerne gefragt, wer er war. Aber dieser Wunsch stand auf seiner Prioritätenliste deutlich unter Blaupelz' Wohl.
Interessiert sah er sie an, wie sie an einem Farn zupfte. Würde sie jetzt einfach gehen? So wie sie bereits an ihm vorbeigegangen war, als er heute Morgen versucht hatte, mit ihr zu reden.
»Es tut mir leid, dass es nicht anders gelaufen ist«, sagte sie allerdings dann, ohne ihn anzusehen. »Ich... ich wäre mit dir glücklich geworden, das weiß ich. Aber nun ist alles schiefgelaufen und ich weiß nicht, was ich tun soll.«
Drosselpelz fühlte sich, als habe er ein Junges vor sich, das nicht auf ihn gehört hatte und nun in Schwierigkeiten steckte. Warum hätte sie nicht einfach früher diese Erkenntnis haben können? Warum hätten sie nicht einfach zusammen glücklich werden können? Er zuckte zusammen, als er bemerkte, dass er bereits in der Vergangenheitsform von ihnen sprach. Dafür war es zu früh. Blaupelz mochte die Jungen eines anderen bekommen und nie das für ihn empfinden, was er für sie verspürte, aber deswegen würde er nicht aufhören, sie zu lieben. Und dazu gehörte, ihr aus ihrer vertrackten Situation zu helfen.
»Du kannst dem Clan erzählen, dass ich der Vater bin, wenn du willst«, bot er ihr an. »Ich meine, wenn es die Sache einfacher machen würde.«
Sie starrte ihn überrascht an.
»Das würdest du wirklich tun?«
»Du weißt, was ich für dich empfinde, Blaupelz«, antwortete Drosselpelz. Natürlich wusste sie das. Er hatte es in den letzten Monden mehr als deutlich gemacht. Aber es tat gut, es jetzt einfach auch einmal zu sagen. Es war wie eine schwere Last, die er mondelang auf seinen Schultern getragen hatte und jetzt von ihm abfiel. »Ich würde alles tun, um dich glücklich zu machen, das verspreche ich. Und ich werde deine Jungen lieben, als wären es meine.«
Er brauchte eine große Menge an Überwindung, Blaupelz anzublicken. Am liebsten hätte er die Worte kurz nachdem sie seinen Mund verlassen hatten, wieder zurückgenommen. Bot er der Kätzin, die ihn offenbar für einen anderen Kater so lange abgewiesen hatte, nun an, genau diesen Kater zu ersetzen? Wie mäusehirnig war er eigentlich.
Hoffnung macht blind für die Realität, erkannte er. Und Liebe kann den Verstand ausschalten wie Krallen das Leben einer Maus.
»Das... das kann ich nicht zulassen«, hauchte Blaupelz nach einer gefühlten Ewigkeit. Sie klang dabei so, als hätte sie ein schlechtes Gewissen, wenn sie sein Angebot annahm.
Drosselpelz war zu perplex, um zu antworten. Verstand sie denn nicht, dass er ihr liebend gerne den Gefallen tun würde? Dass er nichts lieber tun würde, als ihr zu helfen? Er wusste nicht, was er darauf antworten sollte und war fast schon dankbar, als plötzlich laute Schreie erklangen.
»Wie es sich anhört, haben Stachelkralle und Tigerkralle einen Eindringling gefunden«, stellte er fest. »Vielleicht brauchen sie Hilfe.«
Ohne auf eine Antwort zu warten rannte er los. Zu seinen ClanGefährten und weg von dieser unangenehmen Situation. Was hatte er sich nur dabei gedacht? Wieso hatte er Blaupelz seine Hilfe angeboten. Wieso konnte er sie nicht einfach die Folgen ihres Handelns (was auch immer es sein mochte) tragen lassen?
Er war so sehr in Gedanken vertieft, dass er fast schon überrascht war, als er sah wie sich Stachelkralle auf einen FlussClan-Krieger stürzte. Unruhig trat Drosselpelz von einer Pfote auf die andere, als er sah wie der DonnerClan Krieger seinen Gegner an der Kehle festnagelte und wüst beschimpfte. Was tat Stachelkralle denn da? Wusste er denn nicht, dass er das Gesetz der Krieger damit überschritt? Es sprach doch nur davon, seine Grenzen zu schützen. Nicht, dass kein feindlicher Krieger für einen Grenzübertritt sterben musste.
»Es könnten noch mehr kommen«, sagte er als Vorwand, um der Situation entfliehen zu können und möglicherweise jemand anderen auf das unmögliche Verhalten seines Clan-Kameraden aufmerksam zu machen. »Ich gehe und hole Hilfe.«
Und damit drehte er sich um und verschwand im Wald. Ihm entging dabei nicht, dass Blaupelz ihm gefolgt war und dem Grenzgefecht zusah. Und ihm entging ihr Blick nicht. Er hatte schon oft versucht, Zeit mit ihr zu verbringen, aber ein solches Glänzen war dabei noch nie in ihre Augen getreten. Vielleicht war es auch nur Einbildung, aber auf einmal hielt Drosselpelz die Überlegung, dass Eichenherz der Vater von Blaupelz Jungen war, für gar nicht so unrealistisch. Sein Fell sträubte sich, während er auf die Grenze um Zweibeinerort zulief, um dort eine Patrouille zu finden. Was hatte dieser Kater nur, was er nicht hatte? Warum sollte Blaupelz sich für ihn entscheiden?
Er verlangsamte sein Tempo und versuchte, sein Fell wieder anzulegen. Es war nur eine Vermutung. Und selbst wenn sie wahr sein sollte, würde das nichts an seinem Verhältnis zu Blaupelz ändern. Egal ob ihr heimlicher Gefährte nun dieser FlussClan-Kater, ein Krieger aus dem SchattenClan oder sogar Federbart war; wenn es Blaupelz wollte, dann würde er sich als Vater ihrer Jungen ausgeben. Und wenn sie es nicht wollte, würde er auch diesen Wunsch akzeptieren.
Denn das Zeichen von Liebe war nicht, dass man gemeinsam Junge bekam. Das Zeichen für Liebe war, dass man für den anderen da war, wenn er ihn am meisten brauchte.
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