Schwesterherzen

Schon als kleines Mädchen hatte ich diesen einen Traum. Ich träumte das Leben einer Eisprinzessin.

Das schimmernde Eis und dieses Gefühl vom flatternden Herzen, das dir zeigt , was fliegen heißt. Schon damals habe ich davon geträumt all das auch spüren zu können. Das Problem dabei war, dass die Realität einen irgendwann einholte und man aufhörte zu träumen, um erwachsen zu werden.

Ich habe niemals auf dem Eis gestanden, ich habe niemals meinen Traum gelebt. Manchmal frage ich mich, ob ich einfach den richtigen Moment verpasst hatte, ob ich es verpasst hatte glücklich zu sein. Ich wusste es nicht, aber ich war davon überzeugt, dass alles anders gekommen wäre.

*

Kennt ihr dieses Gefühl, wenn ihr an einem Ort voller Leute seid und euch trotzdem völlig verloren vorkommt?

Ich kann mich kaum erinnern, wann ich zuletzt ohne gelebt habe. Die Gänge waren wie immer völlig überfüllt und laut, sodass mein Kopf schon nach wenigen Sekunden schmerzte. Ich machte mir garnicht die Mühe, mich durch die Massen zu quetschen, es würde sowieso nichts bringen. Immer wieder schulterte ich meine Tasche, die mir aber genauso oft von der Schulter rutschte. Verdammt. Innerlich fluchte ich, dass ich nicht doch den Rucksack genommen hatte.

Irgendwann dann, nach einer kleinen Ewigkeit , stand ich in der Cafeteria. Ich brauchte nicht lange suchen, um meine beste Freundin zu finden.Sie fand mich. Immer. "Blaire" brüllte sie über den Lärm der anderen hinweg, während ich ihr Grinsen heraus hören konnte. Ich schmunzelte. Egal wie schlecht ich drauf war, Rose brachte mich immer zum lächeln. Sie machte sich nichts draus, was andere von ihr dachten, sie war einfach nur sie selbst. Dafür bewunderte ich sie.

Als ich an unseren Tisch ankam wurde ich in eine stürmische Umarmung gezogen. "Ich hab dich vermisst, Blaire" murmelte sie in meine Haare. "Wir haben uns zwei Stunden nicht gesehen" lachte ich. Als sie sich löste zog sie diesen Schmollmund, der mir so vertraut war. Das war eine seltsame Angewohnheit , warum auch immer. Es sah absolut bescheuert aus, aber das interessierte sie kein Stück weit.

"Ja und das waren zwei Stunden zu viel" meinte sie dann doch nach kurzem überlegen und zog mich zum Tisch. Ich schüttelte grinsend den Kopf. Ich fühlte mich wie ein ganz normales Mädchen, wenn ich mit Rose zusammen war. Sie ließ mich für einen Augenblick vergessen. Ich seufzte. Wenn ich das nur wirklich können würde, manchmal wünschte ich mir nichts sehnlicher. Ein Leben, in dem es meine größte Sorge war, ob meine Lieblingsserie eine Fortsetzung bekam. Ein schöner Traum.

Aber dann schlug mir die Realität ins Gesicht. Das tat sie immer. Der Grund warum ich nicht vergessen konnte, warum ich nicht vergessen wollte.

Die Türen gingen auf und alle Blicke lagen auf ihr. Die Schönheit meiner Schwester war atemberaubend, während ihr Lächeln dem in keinster Weise nachstand. Liz hatte schon immer diese Ausstrahlung. Obwohl sie Teil des Cheerleaderteams war, mit dem bestaussehendsten Typen der Schule ging und Noten schrieb, die ich mir nur wünschen konnte, liebte sie jeder. Sie war irgendwie zu perfekt, um wahr zu sein. Ein Film, der in der Realität spielte.

Sie war freundlich, ehrlich und aufrichtig. Eigenschaften, die selbstverständlich sein sollten, aber es keinesfalls waren. Ich fand schon immer, dass ihre Güte nicht in diese diese verwegene Welt passte. Aber vielleicht war das der Grund, warum man sie nicht hassen könnte, sondern nur lieben.

Als sich unsere Blicke trafen wurde ihr Lächeln noch strahlender. Auch ich grinste. Sie war meine Schwester, mein Herz. Und auch wenn wir unterschiedlicher nicht sein konnten, waren wir Unzertrennlich. Sie war meine Luft zum Atmen. Selbst wenn meine Welt eine andere war, als die ihre, würde ich ihr niemals von der Seite weichen.

Immer wenn ich diese Gedanken hatte fragte ich mich warum ich ihr nicht den Schmerz nehmen konnte, den sie versteckte. Warum nicht ich ihr Schicksal leben konnte, wenn sie doch soviel besser war, als ich. Sie liebte das Leben, während ich schon lange daran zerbrochen wäre. Sie kämpfte einen Kampf, den sie niemals gewinnen würde. Einen Kampf den sie alleine kämpfen musste. Und genau deshalb brach mein Herz jeden Tag aufs Neue.

Liz hat einen Hirntumor, welcher nicht operativ entfernt werden kann und weder auf Chemo oder Strahlen zu reagieren scheint. Er wächst, wenn auch langsam, und ist absolut tödlich. Zwar kann kein Arzt kann sagen, wie viel Zeit ihr noch bleibt, aber sie wissen, dass ein „bald" viel zu nah ist, dass der Abschied jeden Augenblick treffen kann. Einen Abschied, der kein Wiedersehen verspricht. Einen Abschied den ich nicht wahrhaben will.

Wie verabschiedet man sich, wenn man die Hoffnung noch nicht aufgegeben hat? Die Antwort ist: Man tut es nicht, weil man es nicht kann.

Ich habe mich schon oft gefragt, wie Liz immer ein Lächeln auf den Lippen tragen kann, wenn ihr doch bewusst ist, dass jeder Tag ihr letzter sein könnte. Wie konnte man mit diesem Schicksal, welches nur Leid und Schmerz versprach, glücklich sein? Ich wusste nicht wie, aber Liz tat genau das. Sie war trotzdem glücklich. Vermutlich war das aber das unglaublichste an ihr. Sie war es leid gesagt zu bekommen, dass sie nichts tun konnte, um ihren Tod zu ändern. Darauf zu warten, dass sie sterben würde. Viel lieber wollte sie das Leben leben, dass sie nicht haben konnte. Und ja das tat sie. Sie lebte ihren Traum.

Es dauerte eine Ewigkeit, bis Liz uns erreichte. Jeder schien das Bedürfniss zu haben unser Zusammentreffen verzögern zu wollen. Von allen Seiten. Manchmal nervte ihre Beliebtheit, sie war definitiv anstrengend. Genervt vergrub ich meinen Kopf in meinen Armen, die sich an den Tisch hefteten.

„Keine Sorge, sie kommt doch gleich" lachte Rose. Ich hob den Blick und musste wirklich feststellen, dass sie mich auslachte. Ich warf ihr einen vernichtenden Blick zu. Abwehrend hob sie ihre Hände.

„Hey seh mich nicht so an. Du hast doch eben noch genau dasselbe behauptet. Also ganz ruhig, kleine"

Wieso verdammt machte mich jeder, wirklich jeder, immer und überall, darauf aufmerksam, dass ich verdammt nochmal keine 1,80m Modelnorm Größe hatte?

Es nervte mich ungemein. Aber das schlimmste war, dass Rose das wusste. Sie machte das mit purer Absicht. Auch wenn sie meine beste Freundin war,  trotzdem konnte sie manchmal ein echtes Biest sein.

„Blaire"

Mein Kopf schoss augenblicklich in die Höhe. Liz. Meine schlechte Laune war, wie weg geblasen, das Grinsen hätte man vermutlich wirklich spüren können.

„Liz"

Ich schloss sie in eine feste Umarmung, die sich mit genauso eine Intensität erwiderte. Als wir uns lösten, hatte ich nur Augen für mein größtes Vorbild. Meine große Schwester.

„Na wie geht's dir, kleine?"

Liz legte den Kopf leicht schief, während sie sich auf den Stuhl gleiten ließ. Meine Schwester stand bei diesem Thema meiner besten Freundin in nichts nach. Wirklich, warum? Jedes mal dasselbe. Sie erntete dafür nur einen genervten Blick von mir.

Als Rose und Liz einen Blick tauschten, brachen sie auch schon in Gelächter aus. Einkriegen war bei den beiden zwecklos. Ich nahm einen tiefen Atemzug, aber statt dieser inneren Yoga-Ruhe, konnte ich mein Schmunzeln nicht ganz verbergen. Egal, wie sehr es mich nervte, beim zusehen von Liz und Rose konnte man einfach nicht ernst bleiben.

„Nein ehrlich, wie gehts dir Schwesterherz?"

Das verschmilzte Lächeln umspielte noch immer ihre Lippen, aber sie wirkte nun um einiges gefasster. Naja, so gefasst wie man eben sein könnte, wenn man versuchte ernst zu bleiben.

„Frag lieber nicht, ich glaub ich falle in Geschichte durch"

Und da war sie wieder, meine schlechte Laune. Meine Stimmung war schon immer unberechenbar gewesen, aber das nahm mir keiner der Beiden jemals übel. Sie akzeptierten mich, so wie ich war. Und das liebte ich so an Ihnen.

„Wie wärs, wenn du mal zu Abwechslung anwesend sein würdest, geistlich meine ich natürlich"

Rose hatte schon immer diesen schrägen Sinn für Humor, der meine Stimmungsschwankungen immer wieder aufs neue beeinflusste. Positiv oder Negativ. Das konnte ganz unterschiedlich sein. Die Brünette war die Ironie in Person. Und auch wenn ich meiner Miesen Laune gerne Luft gemacht hätte, wusste ich, wenn ich ehrlich war, dass ich dazu einfach nicht das richtige Selbstbewusstsein hatte. Erst recht nicht, wenn Liz hier war und alle Augen auf uns gerichtet waren. Wirklich, Liz besaß in der Schule kein Privatleben. Anders als Liz oder Rose, störte mich das. Ich hasste Aufmerksamkeit.

„Blaire, du hattest es mir versprochen" Seufzte Liz.

„Ich hab's echt versucht Liz, aber du weißt das mich dieser Spießer nicht leiden kann" versuchte ich mich zu erklären.

Anders als meine Schwester und entgegen jedem Klischee eines schüchternden Mädchens, war ich froh wenn ich meinen Abschluss in der Tasche hatte. Während ich aufs bestehen hoffte und mich durchmoggelte, hatte Liz natürlich den Ruf als Jahrgangsbesten inne. Mal ganz ehrlich, wie konnten wir verwandt sein?

„Blaire..."

Ich pustete mir eine meiner blonden Strähnen aus dem Gesicht.

„Ist ja gut, ich versuch's" Kaum zu glauben, dass ich mich wieder breitschlagen ließ. Aber ich konnte meiner Schwester keinen Wunsch abschlagen. Dafür waren sie zu kostbar.

„Ja ganz bestimmt. Aber nur in ihren schlimmsten Albträumen"

Echt jetzt Rose? Manchmal sollte sie echt lernen ihre Klappe zu halten.

Erstes Kapitel *-*

Ich hoffe es hat euch gefallen, Meinungen?

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