Blackscreen
P.O.V Manuel
Ein Klingeln riss mich aus meinen Gedanken. Verwirrt sah ich von dem Video auf, welches ich gerade fertig geschnitten hatte. War das mein Handy? Umständlich stand ich auf und lief in das Schlafzimmer, in dem mein Handy gerade lud. Tatsächlich rief mich gerade jemand an. Wer das wohl war? Als ich auf den Bildschirm sah, schlich sich beinahe sofort ein Lächeln auf meine Lippen. Palle rief an. Was er wohl wollte? Schnell riss ich das Kabel aus dem Handy und nahm den Anruf an. Mit dem Handy am Ohr lief ich langsam zurück zu meinem PC. „Hi Palle!", begrüßte ich meinen besten Freund. Doch statt der wunderschönen, fast immer voller Energie und Freude strahlender Stimme von meinem YouTube Kollegen und aller besten Freund Paluten, antwortete mir eine tränenerstickte Stimme einer etwas älteren Frau. „G-Guten Tag", schluchzte sie, „du, du bist doch Manuel, oder? Der Freund von Pat-pat." Sie schluchzte laut auf und ich hörte wie das Handy weitergegeben wurde. Verwirrt setzte ich mich auf meinen Stuhl. Was war da los? „Hallo?", ein Mann meldete sich. Er klang ebenfalls etwas älter und auch er schien voller Trauer. „Sind sie", er räusperte sich, „Germanletsplay?" Meine Verwirrung und auch Besorgnis stieg von Sekunde zu Sekunde. Wer waren diese Personen? Was war passiert? „Ja, der bin ich. Wer sind sie und warum haben sie das Telefon von Palu- ich meine von Patrick?" Es war seltsam mal nicht Palette, Palle oder andere Spitznamen von meinem Lieblingskürbiskopf zu verwenden, aber ich glaubte kaum das dieser Mann mich kannte. Erneut räusperte der Mann sich und als er mir antwortete, zitterte seine Stimme: „Ich bin Rainer, der Vater von Patrick. Es ist so das Patrick vor etwa drei Stunden einen..." seine Stimme brach ab. Jemand sprach zu ihm und erneut wurde das Telefon weitergegeben. „Entschuldigen sie, die Eltern des Betroffenen sind etwas aufgelöst", ein jüngerer Mann sprach nun zu mir. Seine Stimme war angenehm ruhig: „Sie sind ein Freund von Herr Patrick Mayer, wie ich mitbekommen habe, oder?" Langsam ging mir das ganze drum herumreden ziemlich auf die Nerven. Was war da los? Ungeduldig, aber auch sehr besorgt um Palle, antwortete ich trotzdem brav auf seine Frage. Und endlich begann der Mann zu erzählen: „Ihr Freund Patrick Mayer hatte vor circa drei Stunden auf der A3 Richtung Münster einen schweren Verkehrsunfall. Ein Lastwagen, der neben dem Auto fuhr, verlor die Kontrolle über den Laster und er musste nach rechts an die Leitplanke ausweichen. Das Auto knallte gegen die Leitplanke und der Vordere Teil wurde komplett beschädigt. Der LKW-Fahrer hatte wohl kurz die Aufmerksamkeit vernachlässigt. Auf jeden Fall wurde natürlich sofort der Krankenwagen gerufen und der Verletzte in das nächstgelegene Spital gebracht. Doch leider verstarb Patrick Mayer kurz darauf im Krankenhaus an zu schweren Verletzungen, da das Herz durch einen herumfliegenden Blechteil stark verletzt ..." den Rest hörte ich nicht mehr. Das Handy war mir aus der Hand gefallen. Langsam sank ich zu Boden. Ich war wie paralysiert. Leise hörte ich noch den Arzt reden, doch ich verstand kein Wort mehr. Das konnte nicht sein. Das durfte nicht sein. Es war nicht möglich. Nein. Nicht Paluten. Nicht meine Palette. Nicht er. Meine Hand zitterte, als ich mein Handy wieder in die Hand nahm und den Arzt mit brüchiger Stimme fragte: „Wie sieht er aus?" Dieser schien verwirrt: „Wie bitte?" – „Wie sieht er aus", fragte ich erneut. Der Arzt schien nicht wirklich zu verstehen, was mir diese Information nützen sollte, aber brav begann er ihn zu beschreiben. Und mit jedem Wort riss er unwissend ein Stück meines Herzens, ein Stück meiner Seele entzwei: „Der Mann hat kurze braune Haare, braune Augen, ist zwischen 1.60 und 1.70 cm groß und trägt ein schwarzes T-Shirt, blaue Jeans und eine blau-schwarz gestreifte Jacke." – „Was steht auf dem T-Shirt?" – „Ich kann es nicht genau erkennen, da es beim Unfall zerrissen wurde, aber so etwas wie Freedomsquad in weißer Schrift und darüber noch in kleinerer Schrift steht Alle gut im Dor- der Rest ist nicht erkennbar."
Erneut fiel das Handy aus meiner Hand. Nein, es bestand kein Zweifel. Stumme Tränen tropften auf meine Hose. Ich konnte nicht weinen. Nicht reden. Emotionen zeigen. Es kam mir zu unwahrscheinlich vor. Zu unmöglich. Es konnte, nein es durfte nicht sein, das Paluten tot war. Das ich nie wieder mit ihm reden würde. Ihn nie wieder lachen hörte. Nie wieder gemeinsam mit ihm zocken und Videos aufnehmen konnte. Mein Blick fiel auf den Bildschirm meines PCs. Dort war immer noch das Schnittprogramm offen. Und das Video, welches ich vor wenigen Minuten noch geschnitten hatte. Die erste Folge von einem neuen Projekt, welches ich und Palle gemeinsam starten wollten. Minecraft Lifetime. Ein Projekt in dem wir mit einer Mod unser Leben von Geburt bis zum Tod spielen würden. Was für eine Ironie des Schicksals. Die Stimme des Arztes ließ mich zusammenzucken. Ich nahm das Handy wieder ans Ohr. „Ja?", fragte ich ihn monoton. Ohne Gefühle. Kalt. „Die Beerdigung von Herr Mayer wird nächste Woche in seiner Heimatstadt Hamburg am Friedhof Ohlsdorf stattfinden. Die genaueren Daten werden ihnen noch zugeschickt." – „Müssen sie nicht", sagte ich, „ich werde nicht kommen." Der Arzt schien erstaunt und entrüstet sagte er: „Herr Mayer war doch ihr bester Freund! Sie können doch nicht zu seiner Beerdigung kommen!" Ich gab ihm keine Antwort darauf. Dieser schien zu begreifen und verabschiedete sich schnell. Als ich nur noch das laute Piepen hörte, legte ich mein Handy achtlos auf den Boden und setzte mich an den PC. Schnell schloss ich das Schnittprogramm und ging in den Teamspeak. Maudado und Zombey waren tatsächlich online. Ich wusste, dass ich gerade nicht in der Verfassung war, ihnen alles zu erzählen, denn dann würde es heißen, dass es tatsächlich wahr war. Doch ich musste es ihnen erzählen. Sie waren ja ebenfalls seine besten Freunde. Meine Hand zitterte stark, aber ich schaffte es in den Raum von Maudado zu joinen. Sie waren bei einer Aufnahme, dass wusste ich, aber in dem Moment war mir das herzlich egal. Als ich dazukam lachten die beiden gerade laut. Anscheinend war etwas Lustiges passiert. Ich war wütend auf sie. Wie konnten sie lachen, wenn ihr bester Freund gerade gestorben war. Sie hatten kein Recht darauf. „Seid still!", schrie ich laut. Sofort verstummten sie. Anscheinend hatten sie nicht bemerkt, dass ich dazugekommen war. Maudado lachte erschrocken: „Man Manu hast du mich erschreckt! Mach sowas nie wieder." Ich erwiderte nichts. Die Wut brodelte weiter in mir. Wie konnte er jetzt auch noch Witze reißen! Palle war tot! Niemand durfte glücklich sein. „Halt deinen verdammten Mund!", zischte ich kalt. Sofort verstummte Maudado und er wurde ernst. „Was ist los Manu?", fragte er. „Palle ist tot."
Ein so einfacher Satz. Drei Worte. Und so viel Wirkung. Maudado keuchte auf, Zombey war still, doch ich wusste das er es nicht glauben konnte. „Was ist passiert Manu?", fragte er mich mit ruhiger Stimme, aber ich konnte Unglaube und auch einen Hauch von Angst heraushören. „Verkehrsunfall. Anruf von Palles Handy. Tot." Das waren die einzigen Worte, die ich herausbrachte. Immer noch war ich wie paralysiert, hoffte das das alles nur ein dummer Traum war, oder ein Streich von Palle. Meinetwegen auch eine Halluzination, die durch Drogen ausgelöste war, obwohl ich gar nicht trank. Es war mir egal. Hauptsache es war nicht die Wahrheit. Plötzlich klingelte ein Handy. Es war nicht meins. Und selbst wenn. Ich würde nicht rangehen. „Hallo?" Es war Maudados Handy gewesen. Ich hörte erneut die Stimme des Arztes. Maudado hatte auf laut gestellt. „Guten Tag." Die Gleiche Begrüßung. Derselbe Inhalt. Doch als ich es jetzt noch einmal hörte, die Reaktion meiner Freunde mitbekam, das Schluchzen von Palutens Eltern im Hintergrund hörte, tat sich unter mir ein Loch auf. Ich realisierte. Er war wirklich tot. Ich würde ihn nicht mehr hören. Nicht mehr sehen. Nicht mehr mit ihm lachen. Er war weg. Für immer. Ein Tuten erklang. Der Arzt hatte aufgelegt. Der Anruf war beendet. Stille. Unerträgliche Stille. Ich hörte Maudado schlucken. „Tot" flüsterte er. Zombey war still. Und beinahe gleichzeitig verließen wir den Teamspeak.
Wie viel Zeit war vergangen? Eine Stunde? Ein Tag? Eine Woche? Ich wusste es nicht. Und ich wollte es auch nicht wissen. Was nütze es mir schon. Ich lag in meinem Bett, Arme und Beine ausgebreitet und starrte gegen die Decke. Die ganze Zeit schwirrte nur ein Gedanke durch meinen Kopf. Paluten ist tot.
Ich stand auf. Mein Rücken schmerzte vom langen Liegen. Mein Hals war ausgedörrt. Mein Magen knurrte. Doch ich nahm nichts davon wahr. Langsam setzte ich mich in Bewegung und lief in mein Aufnahmezimmer. Der PC war noch an. Im Ruhemodus. Ich setzte mich auf den Stuhl und tippte langsam das Passwort ein: Kürbistumor. Sofort ploppten mir Unmenge an Nachrichten entgegen. Twitter, Youtube, Discord... Ich blickte auf das Datum. Es war ein Tag vergangen. Langsam öffnete ich einen neuen Tab. Öffnete Youtube. Ich war nicht angemeldet. Auf der Startseite sprang mir ein Video entgegen. Von Sturmwaffel. Paluten stand im Titel. Ein schwarzes Thumbnail. Ich klickte drauf. Das Video ging eine Minute. Freddie erklärte in einem Text was passiert war. Er schrieb, dass Paluten an einem Autounfall gestorben war. Das er tot war. Tot. Das er die nächsten Tage keine Videos hochladen würde. Wenn ich könnte, würde ich bitter aufschnauben. Das war natürlich das wichtigste für seine Zuschauer. Die Videos. Doch ich sah das Video ohne jegliche Emotion zu Ende. Ich scrollte runter. Promiflash, Rewinside, KuchenTV, HerrNewstime. Sie alle hatten Videos hochgeladen. Zu Paluten. Seinem Tod. Wenn ich könnte, würde ich wütend meinen PC ausschalten. Wütend sein, auf all die Youtuber denen es am wichtigsten war, als erstes diese Bombenneuigkeit zu verbreiten. Am meisten Klicks und Aufmerksamkeit zu bekommen. Doch ich konnte nicht. Ich starrte die Videos ohne jegliche Emotionen an. Die Vorschaubilder. Die Titel. Ich suchte nach Maudados Kanal. Kein Video. Nach Zombeys Kanal. Kein Video. Auch Herr Bergmann und Claus hatten nichts hochgeladen. Eine E-Mail ploppte plötzlich auf. Vom Amtsgericht Hamburg. Ich klickte drauf. Es war ein Testament. Ein Testament von Patrick Mayer. Den langen natürlich automatisch verfassten Text des Amtsgerichtes ignorierte ich. Das einzige was mich interessierte war ein Foto eines Zettels, welches mir ebenfalls geschickt wurde. Die Handschrift von Palle:
Lieber Manu
Hör auf wegen sonem Kott wie mir traurig zu sein. Zieh weiter dein Ding durch. Sei glücklich. Vergiss mich nicht, aber trauer mir nicht nach. Versprich es. Edgarehrenwort.
Dein Kottbruder Azzlack Pdizzel
PS: kürbistumor
Das war alles. Doch es genügte mir. Ich wusste was er mit seinem PS meinte. Schnell ging ich zurück auf Youtube und klickte auf Anmelden. Ich tippte die Email-Adresse ein und das Passwort. Und tatsächlich. Sein YouTube Kanal erschien. Und das oberste Video brach mir mein Herz. Es war ein privates Video. Vor wenigen Tagen hochgeladen. Niemand hatte es gesehen. Und der Titel war: Lieber Manu...
In Zeitlupe klickte ich auf das Video. Und erneut brach mein Herz. Palle sah mich mit seinen wunder wunderschönen braunen Rehaugen an, grinste fröhlich in die Kamera und begann zu sprechen. Seine Stimme klang wunderbar. Er sprach nicht wie sonst, fröhlich und aufgedreht, sondern sanft, lieb und trotzdem ernst. Er war furchtbar.
„Hey Manu. Ich weiß nicht, ob du das je sehen wirst. Aber wenn du es siehst, dann tut es mir leid. Denn das heißt, dass ich nicht mehr da bin", er sah mich sanft lächelnd an, als ob er mich trösten würde, „es tut mir leid, dass du wegen mir leiden musstest. Nur weil ich nicht mehr da bin. Und wann auch immer du das hier siehst, möchte ich dir sagen, wie sehr ich dich mag. Du bist der beste Freund, den ich jemals hatte und ich liebe es mit dir zu lachen, zu reden und Scheisse zu labern. Jedes Mal, wenn es mir scheisse geht, rede ich mit dir, lache ich mit dir und es geht mir besser. Jedes Mal, wenn ich kein Bock mehr habe, etwas zu tun, dann bist du da und sagst mir was für ein fauler Klumpen Kott ich doch bin und mir geht es besser. Und jedes verdammte Mal, wenn du nicht da bist geht es mir scheisse. Darum möchte ich dir sagen Mänjuel, was für ein verdammt nochmal toller Mensch du bist. Und ein Mensch wie du verdient es nicht, traurig zu sein. Also denk an mich, aber sei nicht traurig. Denk an mich, aber nicht an meinen Tod. Denk nicht an das schlimmste in meinem Leben, sondern an das Beste. Nämlich das ich dich getroffen habe. Denn Manu", Palle sah mich mit seinen wundervollen Augen an, „ich liebe dich. Und du bist das beste was mir je passiert ist. Vergiss das nicht." Das Video endete. Der Bildschirm war schwarz. Palle war weg. Und eine einzelne Träne tropfte auf den Tisch.
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