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›Chris. Chris Callahan. Callahan, Chris?‹ Egal, wie oft er den Namen im Geiste hin und her drehte, er blieb ein unangenehmer Fremdkörper. Lediglich mit Cal konnte er sich etwas anfreunden. Wesentlich angenehmer war der für ihn ebenfalls fremde Körper, mit dem er gerade wieder auf Tuchfühlung ging. Eves weiche Rundungen schmiegten sich perfekt an ihn. Auch wenn sie dabei ein Gesicht zog, als wolle sie lieber mit der Tapete verschmelzen.

Seine Ehefrau. Diese Behauptung war so absurd, dass sie direkt wahr sein könnte. Im Suff passierten einem durchaus absonderliche Dinge, die man im nüchternen Zustand niemals in Betracht ziehen würde. Weshalb sollte sie sich so eine bescheuerte Lüge ausdenken, wenn sie nicht einmal etwas von ihm wollte?

Doch trotz ihrer unübersehbaren Verärgerung war sie ernsthaft um ihn besorgt gewesen. Ein warmes Gefühl legte sich über die bohrenden Zweifel seiner Unwissenheit. Ihre Nähe tat ihm gut. Selbst das hämmernde Dröhnen in seinem Kopf hatte sich auf ein erträgliches Maß eingepegelt. Wobei, möglicherweise lag das daran, dass ihm das Blut im Eiltempo vom Hirn abwärts in tiefer gelegene Regionen rauschte. Gut, dass die leichte Stoffhose nicht allzu eng geschnitten war.

Die Geschäftigkeit auf dem Gang draußen verzog sich schlurfend nach nebenan, ohne dass er dem Beachtung schenkte. Er wusste, dass dort keine ernsthafte Bedrohung lauerte. Das melodische Geschnatter war ihm vertraut. Interessanterweise verband er es mit duftendem, süßen Tee und leckeren Teigtaschen statt mit knatternden Kalaschnikows.

Eve ganz aus der Nähe zu betrachten, war eindeutig verlockender, als das Rätseln über seine Sprachkompetenz. Ihr kurzes seidenweiches Haar duftete dezent nach Aprikosen, ihr verhalten ausgestoßener Atem streichelte sein Schlüsselbein. Die fein geschwungenen Augenbrauen zogen sich bereits wieder misstrauisch zusammen und sie kaute auf ihrer wundervollen Unterlippe herum.

Chris verspürte große Lust, dies ebenfalls zu tun.

»Findest du es nicht ein bisschen übertrieben? Das ist sicher nur die Putzkraft! Mit der Russenmafia haben wir uns gar nicht angelegt«, zischte Eve und begann, unruhig zu zappeln. Die reibenden Bewegungen weckten noch ganz andere Wünsche in ihm. Vorsichtig verlagerte er sein Gewicht ein wenig zur Seite und drückte sie wieder an die Wand.

»Pssst! Es könnte ein hinterhältiger Trick sein!«, flüsterte er ihr ins Ohr und streifte dabei mit den Lippen über ihre Wangenknochen, die sogleich wieder eine bezaubernde Röte überzog. Sein Frauchen war ein taffes Persönchen und sie hatte ein verdammt gutes Gespür, welches ihre offensichtlich nicht vorhandenen Russischkenntnisse wettmachte. Sicher blieben ihm nur noch wenige Minuten ...

Mit ohrenbetäubendem Geheul nahm ein Staubsauger seinen Betrieb auf und fuhrwerkte polternd durchs Nachbarzimmer. Eves spitze Finger bohrten sich in seine Rippen.

»Was hab ich dir gesagt? Das ist der Zimmerservice. Wir hätten längst hier abhauen sollen!«

Nur widerwillig trat Chris einen Schritt zurück. Die Waffe steckte er sich hinten in den Hosenbund. Eves Mutmaßung über den Militärdienst machte Sinn. Die Glock lag vertraut in seiner Hand. Himmel! Er wusste sogar, um welches Modell es sich bei der Pistole handelte.

»Mit den Russen ist nicht zu spaßen«, brummte er und achtete darauf, einen grimmigen Gesichtsausdruck beizubehalten. Laut ihrer Aussage war er ein Spieler und jap – er hatte gerade riesigen Spaß an dem Spiel mit ihr. 

»Pfff...!« Entgeistert riss Eve die Arme in die Höhe. »Jetzt aber flinke Füße, Schatz!«

»Höre ich da einen Hauch von Sarkasmus?«, fragte Chris und griff sich in gespieltem Entsetzen an die Brust. Dann fischte er grinsend einen Fünfzig Dollarschein aus dem Seesack und faltete ihn zu einem kleinen Fächer. Vorsichtig zog er die Zimmertür auf. An der Türklinke hing, wie erhofft, ein Bitte-Nicht-Stören-Schild. Chris klemmte den Geldschein in den Aufhängeschlitz und verschloß die Tür leise.

Eve rollte mit den Augen und sammelte weiter hektisch ihre Sachen zusammen. »Das wird uns auch nicht ewig Zeit verschaffen.«

Schmunzelnd hielt er ihr den Wonderbra entgegen, der noch an seinem Handgelenk baumelte. »Komm schon, gib es zu, wir haben uns wieder versöhnt, oder?«

Abrupt hielt sie inne und schaute missmutig zu ihm auf. »Nein, haben wir nicht. Der BH lag bloß einfach noch hier rum.«

»Ach so. Er hat sich also ganz selbständig um meine Hand und das Bettgestänge gewickelt? Was für ein gemeingefährliches Wäschestück.«

Diesmal wirkte Eve ehrlich geschockt. »Wie? Das verstehe ich nicht. Als mich der Mistkerl ins Bad gezerrt hat, lagst du auf dem Boden. Angezogen.«

Unisono blickten beide stirnrunzelnd auf den schweigenden Dennis.

»Wer weiß, was ihm die kleinen Spaßmacher da vorgegaukelt haben«, raunte Eve und schielte Chris von der Seite an. »Bestimmt wollte er nur die Anziehsachen tauschen, um unerkannt unterzutauchen.« Ihre Erklärungsversuche waren rührend, machten die Szenarien in seinem Kopf aber keinen Deut besser.

»Ich will es gar nicht wissen«, knurrte er angewidert. »Wir müssen ihn verschwinden lassen. Solange er nirgends auftaucht, haben wir möglicherweise noch eine Gnadenfrist, bis uns die nächsten Bluthunde am Arsch hängen.« Chris begann, den Leichnam in das Bettlaken zu wickeln und verwendete unter einiger Genugtuung die restlichen Jalousieschnüre zum Fixieren.

Eve schien die Symbolik weniger zu verstehen. Sie blickte völlig entgeistert zwischen ihm und dem Schnürpaket hin und her. »Wie stellst du dir das vor? Willst du ihn in den Schrank stopfen, in der Hoffnung, da schaut keiner rein? Die Tür hält nicht. Die fällt einem entgegen, sobald man zu nah dran vorbeiläuft.«

»Das habe ich bereits gemerkt.« Ein unangenehmer Gedanke ließ ihn innehalten. »Hattest du deine Tasche deshalb unterm Bett? Um dich auf leisen Sohlen davonzustehlen, während ich schlafe?«

Eves Schweigen war ihm Antwort genug. Ziemlich irritierend war der Stich, den dieses Eingeständnis ihm versetzte.

»Hey, jetzt guck nicht so beleidigt. Beim Teilen ist sich jeder selbst der nächste.« Sie hockte sich neben ihn und half beim Verzurren der letzten Zipfel. »Ich hatte einfach Bedenken, ob du dich an unsere Abmachung hältst. Und ich wollte auch mal das Sahnestückchen von der Torte und nicht nur die übriggebliebenen Krümel.« Ihre großen Augen bettelten um Verständnis.

»Hm.« Eves Ehrlichkeit überraschte ihn. Doch auch wenn er ihre Beweggründe nachvollziehen konnte, blieb ein schaler Beigeschmack zurück. Was war zwischen ihnen schiefgelaufen und wie weit konnte er ihr noch vertrauen? »Dann muss ich mich wohl bei unserem Freund hier bedanken?«

Eve zuckte mit den Schultern. »Du kannst an seinem Grab ein paar nette Worte sagen. Also, was ist jetzt dein Entsorgungsplan? Den Wäschewagen klauen? Oder einfach unauffällig unter den Arm klemmen?«

»Den Wäschewagen hast du doch gehört. Der macht zuviel Radau. Wir werfen ihn aus dem Fenster. Die Büsche draußen bieten ausreichend Deckung und man kann davor parken.« Chris stutzte kurz. »Wir haben doch ein Auto, oder?«

»Ja klar, obwohl mir ein Heißluftballon jetzt lieber wäre.« Das spitzbübische Funkeln in ihren Augen war bezaubernd. Ihre gerade Linke, mit der sie seinen Oberarm knuffte, ebenso. »Du hast gewusst, dass das die Reinigungskraft ist!«

»Ich war mir nicht zu hundert Prozent sicher«, versuchte Chris sein Verhalten halbherzig zu rechtfertigen. Er packte den verhüllten Körper am oberen Ende. »Nimm du die Füße. Wir schaffen ihn zuerst bis zum Fenster und schauen, ob die Luft rein ist.«

Eve zauderte kurz, drehte den Kopf beiseite und griff ebenfalls zu. In den nächsten Minuten geschahen mehrere Dinge gleichzeitig und Chris glaubte, das Schicksal hämisch lachen zu hören. Die Tür nebenan klapperte, der Wäschewagen quietschte über den Flur und stoppte vor ihrem Zimmer. Eve stolperte über ihre Sporttasche, die brisante Fracht glitt ihr aus den Händen und fiel krachend zu Boden. Ein spitzer Aufschrei entschlüpfte ihr, bevor sie sich entsetzt die Hand vor den Mund schlug.

Die nachfolgende Stille war ohrenbetäubend und die Zeit schien schockgefrostet stehenzubleiben.

»Алло? Все в порядке? Brauchen da Hilfe?« Ein zaghaftes Klopfen begleitete die Frage.

›Shit!‹, formulierte Chris lautlos mit den Lippen, während er krampfhaft im Geiste ihre Optionen durchging. Eve ließ sich rückwärts auf das Bett fallen. Prima! Das war nun wirklich alles andere als hilfreich! Jetzt begann sie auch noch auf und ab zu wippen und die klapprige Schlafstätte in rhythmische Schwingungen zu versetzen.

»Aaah. Ja! Gib's mir, Baby! Schneller! Fester! Mach schon! Jaaaaa!«

OKAY. Sollte er dazu noch irgendetwas beitragen? Doch Eves Performance zeigte bereits Wirkung. Der vor der Tür entrüstet ausgestoßene Redeschwall bedurfte keiner Übersetzung. Schließlich zuckelte der Ein-Frau-Reinigungstrupp weiter. Eve hüpfte vom Bett herunter und deutete eine kleine Verbeugung an. Diesmal verdrehte Chris die Augen, konnte sich das Lachen aber nicht vollkommen verkneifen. Das restliche Stück zum Fenster schafften sie ohne Probleme.

Gemeinsam checkten sie die Umgebung. Die schmale Zufahrt lag wie ausgestorben in der prallen Mittagssonne. Ein Streifen Grünfläche mit blühenden Ziersträuchern und Palmen verdeckte den Blick zur Straße weiter vorn. Dort rollte gemächlich der übliche Stadtverkehr. Eine bessere Chance würden sie nicht bekommen. »Wo steht unser Wagen?«, fragte Chris. Eve zeigte zum Parkplatz an der Seite des Motels. »Na dann, auf drei! Eins, zwei, drei ...«

Mit einer eleganten Schraubendrehung segelte Dennis Palmer in die buschigen Hortensien. Im Eiltempo raffte nun auch Chris alle verbliebenen Hinweise auf sie zusammen. Das nutzlose Handy wanderte mit in den Seesack. Bei den zwei Paar Autoschlüsseln hielt er inne.

»Welcher ist unserer?«, fragte er Eve. Sie blickte ihn an, als wolle er die ultimative Wurftechnik fürs Seven Eleven erklärt bekommen. 

»Als ob du mich jemals mit deinem Wagen hättest fahren lassen«, motzte Eve pikiert.

›Gutes Argument‹, dachte sich Chris, behielt es aber besser für sich. Stattdessen steckte er beide Schlüssel ein und schnappte sich den Seesack. Mit einem förmlichen Kopfnicken bot er Eve den Arm an. »Mrs. Callahan. Darf ich bitten? Wohin soll die Reise gehen?«

Eve blinzelte wie eine kleine Eule, dann henkelte sie sich mädchenhaft kichernd bei ihm ein. »Sehr gern, Mr. Callahan. Reiten wir der Sonne entgegen, runter von diesem heißen Pflaster und dann immer der Nase nach, über den gelben Backsteinweg bis zur Brücke aus Regenbogenfarben. Wo die Sterne in den Fluss fallen und sich Himmel und Meer berühren, wird unser Topf voll Geld alle unsere Träume erfüllen.«

Chris legte den Kopf schräg und grinste. »Okay. Aber das gibst du ins Navi ein.«

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