20

Flup ... flup ... flup ...

»Fuck«, war das erste Wort, welches sein Geist formte, während er sich aus der zähflüssigen, tiefschwarzen Pfütze der Bewusstlosigkeit zurückkämpfte.

Flup ... flup ... flup ...

Irgendwoher kannte er dieses nervige Geräusch. Blinzelnd bemühte er sich, die Augen zu öffnen. Irgendetwas war anders.

Ein Piep ... piep ... piep mischte sich unter das Flup ... flup ... flup.

Langsam drehte er den Kopf, wackelte vorsichtig mit Fingern und Füßen. Er schwebte wie in einer riesigen Wolke rosaroter Zuckerwatte. Mutiger geworden zog er die Unterarme an und versuchte, sich aufzurichten.

Stechender Schmerz jagte durch seinen Oberkörper. Ach ja, das hatte gefehlt. Stöhnend sank er in sich zusammen. Alles wieder auf Anfang. Langsam einatmen, ausatmen. Um sich horchen.

Piep ... flup ... piep ... flup ... piep ...

Es machte ihn wahnsinnig. Energisch zwang er seine Augenlider nach oben. Helle Wände, keine Möbel, ein Vorhang. Ein Monitor mit komisch hüpfenden Punkten und Linien. Ein fremdes Bett mit weißen Bezügen. In seinem Arm steckte ein Schlauch, der sich in luftige Höhen hinaufwand. Oha!

Gedämpfte Stimmen erklangen, der Vorhang öffnete sich leise raschelnd. Eine kleine, rundliche Frau mit gestärktem Kittel und professioneller Tüchtigkeit lächelte auf ihn herab. »Fünf Minuten«, hörte er sie sagen. »Er ist gerade aufgewacht.«

›Bin ich das?‹, fragte seine innere Stimme. Er wusste es nicht mit Sicherheit. In seiner Erinnerung wirbelte ein Tornado an Bildern.

Schritte näherten sich seinem Bett. Er sah einen hellgrauen Anzug, ein strenges Gesicht, weißes Haar, tiefliegende wachsame Augen, eine scharfe Adlernase. Der ältere Herr musterte ihn besorgt. Ein jüngerer, blonder Mann trat hinzu. Dessen braune Augen blickten traurig und auch ein bisschen verärgert.

Plötzlich durchfuhr es ihn siedend heiß. Hektisch schnappte er nach Luft. Er musste hier raus! Er sah den jungen Mann blutverschmiert neben sich. Er musste ihn retten! Doch er konnte keinen Muskel rühren.

»Schwester!«, hörte er die Männer rufen. Die freundliche Frau tauchte wieder auf, drehte hinter ihm an irgendwelchen Gerätschaften herum, hielt ihm eine Maske vors Gesicht. Reiner Sauerstoff strömte in seine Lunge. Ihre Hand tätschelte beruhigend über seine Wange. »Gleich geht es wieder. Das ist nur ein kleiner Panikanfall. Es ist alles in Ordnung.«

Quatsch. Nichts war in Ordnung! Doch er fügte sich folgsam den Anweisungen der Schwester, bis diese die Atemmaske wieder wegnahm.

Die beiden Männer waren noch da und schienen unschlüssig, ob sie bleiben sollten.

»Du bist so ein Idiot«, murmelte der jüngere. »Jesse!«, ermahnte Mr. Adlernase.

»Steve«, flüsterte der Patient. »Fuck. Jesse. Es tut mir leid.« Er vergrub sein Gesicht in den Händen und atmete schwer unter dem Ansturm der glasklaren Erinnerungen.

»Das sollte es auch! So eine bescheuerte Aktion durchzuziehen. Du bist einfach verschwunden, Caleb, ohne ein Wort!« Kopfschüttelnd winkte Jesse ab, als Chief High ihn unterbrach. »Ich habe die ganze Sache gedeckt. Sie sollten ihren Ärger an mir auslassen.«

»Caleb? Ich heiße Caleb!« Zur Verwunderung seiner Besucher hob er freudig den Kopf. Um ihn gleich wieder hängen zu lassen. »Ich bin gefahren, Jesse. Der Unfall war meine Schuld. Ich fand es so toll, dass du mit dabei warst. Dabei hätte ich dir den Einsatz ausreden sollen. Ich wusste nicht, wie ich es wieder gutmachen kann.«

»Blödsinn! Ich wollte unbedingt in dein Team und es war ein Unfall! Die haben uns die Reifen zerschossen. Du konntest überhaupt nichts machen. Der Wagen hätte auch auf deiner Seite in die Mauer krachen können.« Jesse stemmte sich den gesunden Arm auf die Hüfte. »Ich hätte mich über einen Besuch von dir in der Reha gefreut. Statt dessen machst du einen auf The Punisher! Unsere Großmutter ist schon ganz krank vor Sorge und ich muss ihre geballte Betüdelei allein ertragen.«

»Jekaterina Olejewa! Meinst du, sie macht mir ein paar Blini mit Butter? Oder Watruschki mit süßem Quark?« Caleb lief das Wasser im Mund zusammen. Fröhliche Bilder ihrer gemeinsamen Kindheit bei der Großmutter blitzten auf und ließen ihn strahlen. »Was für ein Glück, dass ich kein Mafioso bin!«

Leicht besorgt wegen dieser abrupten Stimmungswechsel runzelte Chief High die Stirn. »Agent Donnelly, sind Sie okay?«

»Ja! Ja, jetzt schon. Wie ist die Aktion gelaufen? Habt ihr alle erwischt? Wie habt ihr mich gefunden? Was ist mit Luger und seiner Truppe? Und wo ist Eve?«

»Langsam, langsam. Operation "All-in" war ein voller Erfolg. Diesen Luger und einen Großteil seiner Bande haben wir auch verhaften können. Aber es war verdammt knapp! Warum haben Sie nicht eher einen Notruf abgesetzt?«

Caleb zuckte mit den Schultern, »Ich habe es vergessen. Also buchstäblich. Ich hatte einen totalen Blackout.« Er atmete tief durch. »Ihr habt keine Ahnung, wie beschissen sich das angefühlt hat, nichts über sich zu wissen. Aber wo ist jetzt Eve?«

Die beiden Männer schauten ihn ratlos an. »Welche Eve?«

Erneut wurde es Caleb übel. Das konnte nicht sein. Wie konnten sie ihn retten und Eve ging verloren?

»Sagen Sie kein Wort! Dies ist eine völlig unrechtmäßige Vernehmung! Der Mann ist schwerverletzt. Das grenzt schon an Polizeigewalt. Sie werden zuerst mich mit meinem Mandanten sprechen lassen!« Ein kleiner untersetzter Herr wieselte herein und wedelte mit einem Anwaltsdokument.

»Halt!« Jesse versperrte ihm den Weg. »Wer sind Sie? Wie kommen Sie hier rein?«

»Mein Name ist Frank Rochester. Ich bin der Anwalt des Herrn da. Seine Exfrau hat mich mit der Verteidigung beauftragt und eine größere Kautionssumme hinterlegt. Also darf ich Sie jetzt bitten, mich hier durchzulassen?« Der kleine Herr plusterte sich mächtig auf.

»Es ist alles in Ordnung, Mr. Rochester«, beschwichtigte ihn Chief High. »Ihr Mandant benötigt keine Verteidigung. Es liegt keine Anklage gegen ihn vor.«

»Ähm, ach so? Nun, in dem Fall entschuldigen Sie mich bitte. Aber ich lasse meine Karte da, falls sich daran etwas ändern sollte«, flüsterte er Caleb lautstark zu und legte die Visitenkarte auf der Nachttischkonsole ab.

»In Ordnung«, bedankte sich dieser schmunzelnd. Jesse schaute dem Juristen verwundert hinterher. »Was bitte, war das denn? Und seit wann hast du eine Exfrau?«

Caleb grinste nur schweigend.

Jesse ließ sich davon anstecken und setzte sich mit einem schelmischen Zwinkern zu ihm aufs Bett. »Der Chief war übrigens im Fernsehen. Das musst du dir ansehen. Das Video geht gerade in allen Netzwerken viral.«

Ungeachtet des Protestes ihres Chefs zückte Jesse sein Handy. Mit kindlicher Vorfreude reckte er Caleb das Display vor die Nase.

»Das hat überhaupt nichts mit der Zusammenfassung unseres Einsatzes zu tun«, beschwerte sich Steve und wedelte aufgebracht mit den Händen.

Sein Einwand fand kein Gehör.

»Es ist aber das Highlight der Pressekonferenz«, trällerte Jesse schadenfroh. Die für den Chief untypische Verlegenheit machte Caleb richtig neugierig. Gespannt wartete er auf das Ende des obligatorischen Werbespots.

Das Logo von KTNV ploppte auf und Olivia Fairchild, das Gesicht der Action News, fächerte ihr blondes Haar medienwirksam über ihre Schultern. Neben ihr stand Chief High mit stoischer Miene und nickte verabschiedend in die Kamera.
»Wir danken Ihnen für das ausführliche Interview«, flötete Olivia und hielt den Chief am Ärmel zurück. »Abschließend möchten wir Ihnen noch einen Betroffenen vorstellen, der einige ganz persönliche Worte abgeben möchte.«

Die Kamera schwenkte zur Seite und eine hochgewachsene Gestalt in einem fließenden, goldfarbenen Hosenanzug mit Leopardenmuster stolzierte ins Bild. Eine große schwarze Hand winkte dem Publikum zu und fasste sich dann theatralisch an den blütenweißen Kopfverband.
»Als Bürger dieser Stadt fühle ich mich verpflichtet, ebenfalls meinen aufrichtigen Dank an unsere tapferen Ordnungshüter auszusprechen. Ich wurde selbst zu einem Opfer dieser unsäglichen Gewaltauswüchse und daher kann ich nur begrüßen, dass endlich etwas gegen die verbrecherischen Machenschaften der Bandenkriminalität unternommen wurde.« Die Gestalt schob sich zwischen die Reporterin und den FBI Chief. »Und weil mir lobende Worte allein zu wenig sind, spendiere ich jedem Cop in dieser Stadt ein kostenloses Frühstück bei mir im Diamond-Diner!«

Caleb atmete erleichtert auf. U ging es ebenfalls gut. Doch das Video war noch nicht zu Ende. U umfasste mit einem fröhlichen Quietscher zuerst Olivia und dann den Chief und verpasste jedem einen herzhaften Schmatzer, der beide perplex zurückweichen ließ. Mit ausschweifenden Armbewegungen verteilte U Kusshändchen und Flyer des Diners und blinzelte flirtend in die Kamera.

»Die nächste Pressekonferenz dürfen Sie geben«, grummelte Steve augenrollend und zog Jesse vom Krankenbett. »Und Sie können Ihren Dienst wieder ganz offiziell bei uns aufnehmen«, informierte er Caleb. »Wenn Sie wieder fit sind. Ich habe alle Wogen bezüglich unserer "Geheimaktion" geglättet.«

»Ach Chief, ich glaube, ich nehme erst einmal Urlaub.« Caleb drehte die Visitenkarte des Anwalts in den Händen.

»Urlaub? Wo wollen Sie denn Urlaub machen?«

»Ich bin meiner Großmutter eine Erklärung schuldig und wenn ich den Besuch überlebe, fahre ich nach Maine. Ich habe da so einen Geheimtipp. Ein kleines verschlafenes Nest, total friedlich und den ganzen Tag nichts los. Aber eine tolle Bar sollen die haben, mit einer dreiseitigen Bierkarte und einer ganz zauberhaften Besitzerin.«

*** Ende ***

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