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Der DJ legte den neuen Song von The Weeknd auf und die Menge riss begeistert die Arme in die Höhe. Chris kam nicht wirklich voran. Der Fremde drängte ihn weiter, die Hand mit eisernem Griff auf seiner Schulter, den Lauf der Waffe beständig in seine Flanke drückend. Ein sturzbesoffenes Pärchen stolperte ihnen in den Weg. So, wie die beiden miteinander zugange waren, wähnten sie sich sicher schon in einem privateren Umfeld. Chris stoppte kurz und ließ den Kerl mit der Knarre auflaufen. Wie bei einem Dominoeffekt übertrug sich der Rempler auf das Pärchen. Unbemerkt zupfte Chris an einer einladend wippenden Schleife. Das Bändchen löste sich und das bereits arg verrutschte Oberteil des Girls verlor seinen letzten Zusammenhalt. Schrill aufschreiend versuchte das Mädchen, seine entblößten Brüste zu bedecken.

Ihrem Freund gefiel zwar die neue Perspektive, nicht aber die weiteren Zuschauer und schon gar nicht die Ursache dieses unfreiwilligen Striptease. Mit einem wütenden Knurren holte er zu einem gewaltigen Schwinger aus. Der Faustschlag kam unkoordiniert und vorhersehbar - für Chris. Seinem aufdringlichem Anhängsel war die Sicht versperrt. Im letzten Moment schwenkte Chris zur Seite. Der Mann mit der Waffe hinter ihm reagierte einen Bruchteil zu spät auf die hektische Bewegung. Wie ein Keil krachte der erzürnte Lover zwischen sie.

Chris nutzte die Chance, um abzuhauen. Wachsam schlängelte er sich durch den Dschungel farbiger Laserstrahlen. Ein weiterer Kerl, dessen verbissene Miene nicht zu einem Partygänger passte, tauchte auf. Wieder änderte Chris die Richtung und hoffte auf die Professionalität seiner Verfolger. Nicht auszudenken, wenn diese hier mitten im Gedränge das Feuer eröffneten.

Die Stimmung im Club bekam von der drohenden Gefahr nichts mit. Eine Wolke aus aufgeheizter Energie umgab die feiernden Menschen. Sogar oben auf dem Bartresen tanzte eine zierliche Blondine mit wild wedelnden Armen.

Chris quetschte sich an den nächsten Knutschenden vorbei. Sah er jetzt überall nur noch sexhungrige Pärchen? Erschrocken blieb er stehen. Drehte den Kopf. Musterte die hüpfende Blondine auf dem Tresen genauer.

Scheiße! Eve!

Sein Herzschlag beschleunigte nochmals. Er passte den unsichtbaren Strom der Menge ab, die zur Bar hinstrebte und ratterte eine ganze Litanei an Flüchen und Gebeten herunter.

»Was, zum Teufel, machst du hier?«, brüllte er durch den ohrenbetäubenden Lärm zu ihr hinauf.

Eve strahlte wie die aufgehende Sonne, als sie ihn erblickte. Leider hatten seine Verfolger ihn ebenfalls ausgemacht. Von links und rechts schoben sich zwei kräftige Kerle heran und nahmen ihn in die Zange.

Diesmal fackelte Chris nicht lange. Er packte den ersten an der mit Ketten behängten Jacke und knallte ihn gegen die stabile Verkleidung der Bar. In Erwartung des nächsten Angriffs duckte er sich zur Seite und schnellte mit erhobenen Fäusten herum. Doch der zweite Mann ging nicht auf ihn los, sondern versuchte, eine wütend kreischende Eve loszuwerden, die auf seinen Rücken gesprungen war. Fuchtelnd langte er mit seinen Armen nach oben, um sie an den Haaren zu ziehen, erwischte aber nur die Perücke. Chris nutzte seine fallengelassene Deckung, schnappte sich einen Barhocker und legte seine ganze Wut in einen gezielten Hieb gegen das Kinn des Kerls. Der verdrehte japsend die Augen und kippte auf seinen Kumpel.

»Braucht ihr noch lange? Dieser Lokalität fehlt doch jedes Niveau.«

Verdattert blickte Chris zu einem großgewachsenen Schwarzen, der sich ihnen mit tief in die Stirn gezogenem Hut näherte. Ein wadenlanger dunkler Ledermantel umfloss die schlanke Gestalt, bei jedem Schritt blitzte das rote Innenfutter des Mantels und ein silberglänzendes Etwas darunter auf.

»U?«

»Och, menno. Ich dachte, du hältst mich für Wesley Snipes.« U lehnte sich lässig an den Tresen und trat mit den derben Doc Martens auf die Hand des ersten Angreifers. Aufjaulend ließ dieser die gezückte Pistole los und U beförderte die Waffe mit dem Absatz außer Reichweite. Chris nutzte den Barhocker ein weiteres Mal und schickte den Typen ins Land der Träume.

Der Zwischenfall erregte kaum Aufsehen bei den Umstehenden und Chris konnte U nur zustimmen. Sie sollten verschwinden, solange das auch so blieb. Eine Konfrontation mit der Security brachte nur weitere Probleme.

»Tut mir leid«, rief er Eve zu. Sie fiel ihm um den Hals und bedeckte sein Gesicht mit kleinen Küssen.

»Nein, muss es nicht. Ich will keinen falschen Namen. Ich will nur dich!«

Trotz ihrer hoffnungslosen Situation wurde ihm warm ums Herz.

»Jetzt trödelt nicht, Kinder. Das Batmobil wartet!« U bahnte ihnen den Weg nach draußen. Immer wieder blickte Chris sich argwöhnisch um. Das Gefühl einer lauernden Bedrohung hatte sich nicht gelegt. Eve schnatterte wie ein fröhlich gluckerndes Bächlein auf ihn ein. Er verstand kein Wort, doch der Klang ihrer Stimme beruhigte ihn allmählich.

In der dunklen Gasse hinter dem Club parkte U's quietschgelber GTO. Chris gestattete es sich, aufzuatmen. Sie würden eine Lösung finden.

»Was für eine Aufregung! Das schreit nach einer großen Tasse heißen ... « U beendete seinen Satz nicht, sondern rutschte aufstöhnend an der Fahrertür nach unten. Ein Berg von einem Mann schälte sich aus den Schatten, den kurzen Totschläger unheilverkündend in der Hand schwingend. Hinter Chris und Eve tauchten weitere Gangster auf, die Waffen gezückt und ein fieses Grinsen in den Gesichtern. Reflexartig schob Chris Eve hinter sich.

»Wen haben wir denn da?« Einer der Männer trat nach vorn, wohlweislich außerhalb von Chris' Reichweite bleibend. Mit seinem edlen nachtblauen Anzug, dem gepflegten Haarschnitt und dem säuberlich gestutzten Schnurrbart hob er sich sichtlich vom Rest der Schlägertruppe ab. Sein verschlagener Blick und das grausame Lächeln versprachen jedoch nichts Gutes.

»Malfattores Black Cobra. Da haben die Feds doch tatsächlich mehr als einen unserer lieben Freunde vergessen. Was für eine Schlamperei. Um alles muss man sich selber kümmern. Wolltest du noch ein paar von Giuseppes Pferdchen einsammeln?«

Chris antwortete nicht und blieb vollkommen ruhig stehen. Hier draußen würden diese Typen keine Hemmungen haben, ihre vollautomatischen Kanonen einzusetzen.

Der Wortführer betrachtete ihn mit schmalen Augen. »Der alte Sack hat sich lange genug überall breitgemacht. Jetzt übernehme ich die Geschäfte! Du wirst mir keinen Ärger mehr machen.« Er drehte sich zu seinen Handlangern um und streckte die Brust vor. »Es ist sogar unsere Pflicht als treue Staatsbürger, diesen Abschaum von der Straße zu holen.«

Zustimmendes Johlen setzte ein. Chris überlegte fieberhaft. Er hatte keine Ahnung, wer diese Kerle waren, doch es klang ganz nach verfeindeter Konkurrenz. Statt besser wurde ihre Lage immer aussichtsloser.

Die bewaffneten Männer rückten vor. »Los! Umdrehen. Lass deine Hände sehen.« Chris bekam keine Chance. Von beiden Seiten sicherten ihn zwei Gangster ab, ein dritter zog ihm die Arme auf den Rücken. Dünne Kabelbinder schnürten sich mit einem Ritsch um seine Handgelenke.

»Malfattores Zeit ist zu Ende! Ich werde meine Überlegenheit heute allen mit einer kleinen Showeinlage demonstrieren. Nach dieser Nacht wird jedem klar sein, wer der neue Herrscher der Straße ist!«

Mit groben Stößen wurde Chris zu einem schwarzen Lieferwagen getrieben. Die völlig apathische Eve zerrten die Gangster ebenfalls mit. Chris ersparte sich jeglichen Protest. Sollten diese Kerle bemerken, wie wichtig ihm Eve war, würde es nur noch schlimmere Auswirkungen für sie haben.

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