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Unermüdlich drehte der Ventilator über ihm seine Runden. Das ständige Spiel von Licht und Schatten lullte ihn wieder in einen benommenen Dämmerzustand. Planlos starrte er zur Decke hinauf, an der an einigen Stellen der Putz bröckelte. Die grauen Flügelblätter zogen behäbig ihre Kreise, wie hungrige Geier auf der Suche nach einem Kadaver.

Oh Mist, da war doch noch was.

Schluckend kämpfte er gegen das nächste trockene Würgen an. Die Orientierungslosigkeit machte ihm ernsthaft zu schaffen. Wie lange war er wieder bewusstlos gewesen? In was war er hier hineingeraten? Wo war hier? Und die absolute Nummer Eins aller Fragen - WER war er?

Er schloss die Augen, zählte bis zehn und versuchte sich an einem Gebet.

Erfolglos. Er blieb in diesem schäbigen Motelzimmer und der Tote neben ihm blieb tot, genau wie seine Erinnerung.

Wobei, immer noch besser, als wenn dieses, in ungesundem Grau schimmernde, ehemals vielleicht ganz ansehnliche Gesicht seine blau angelaufenen Lippen zu einem Grinsen verziehen und »Hallo, Frühstück!« rufen würde. Think positive, oder so.

Mit der freien Hand griff er nach oben und fummelte umständlich den verknoteten BH von seinem anderen Handgelenk. Er rieb sich über den eingeschlafenen Arm, um die Blutzirkulation anzukurbeln und das zwickende Kribbeln schneller loszuwerden. Dann tastete er mit größter Vorsicht seinen wummernden Schädel ab. Entgegen seiner schlimmsten Befürchtungen schien alles noch an seinem Platz. Keine scharfkantigen Knochensplitter, keine abartigen Verformungen, kein klebriges Irgendwas. Schnaufend hievte er sich auf die Ellenbogen, stützte sich auf die Unterarme und verschaffte sich einen groben Überblick.

Viel gab es nicht zu sehen. Bett, Schrank, Tisch, Stuhl. An der Wand eine leere TV-Halterung, die nur noch an einer Schraube hing. Kein Fernseher, kein Radio, kein Kühlschrank. Zwei Türen, vermutlich Flur und Bad. An der einen klebte ein laminierter Fluchtwegeplan, auf dem kaum noch etwas zu erkennen war. Neben dem Bett eine winzige Ablage mit einer zerfledderten Bibel. Ein paar umherliegende Klamotten.

Nichts davon sorgte für einen AHA-Effekt, nirgends gab es einen Anhaltspunkt für seinen Aufenthaltsort.

Eigenartigerweise regte ihn der Anblick der Leiche inzwischen nicht mehr sonderlich auf. Auch die unzähligen, kleinen bunten Pillen, die streublümchenmäßig das Bett bedeckten, ließen ihn kalt. Wesentlich beunruhigender fand er das anhaltende schwarze Loch in seinem Kopf, das jegliche Erinnerung ins Nichts gesaugt hatte.

»Ist echt nicht unser Tag heute, was Kumpel?« Seine Stimme kratzte als hätte er Kies gefrühstückt. Nachdenklich ließ er den Wonderbra durch die Finger gleiten. »Ist das zufällig deiner?«

Natürlich bekam er keine Antwort.

»Na, ich merke schon – du bist kein großer Freund vom Quatschen danach«, beschwerte er sich halbherzig. Die stickige Luft erschwerte ihm das Atmen und kalter Schweiß rann zwischen seinen Schulterblättern hinab. Das Frösteln, welches ihm vor fünf Minuten noch eine Gänsehaut beschert hatte, war von erdrückender Hitze abgelöst worden, die der altersschwache Ventilator wie dickflüssigen Pudding im Raum verteilte.

Dumpf nagte ein bedrohliches Gefühl an seinem Unterbewusstsein. Doch so sehr er sich auch bemühte, es blieb verschwommen, wand sich um die Ränder seiner Wahrnehmung, zerfloss ihm ungreifbar zwischen den Fingern.

Dafür liefen seine Kopfschmerzen zur Höchstform auf. Zischend sog er die Luft durch seine zusammengebissenen Zähne. Dann schob er die aussichtslose Grübelei beiseite.

»Was juckt John Doe der Status Quo? Probleme hat er sowieso.«

Haha, wie witzig. Statt zu reimen, sollte er sich besser an die Lösung besagter Probleme machen.

Er kniff die Augen zusammen und unterzog seinen Bettnachbarn einer genauen Musterung. Interessant war der abgewetzte Seesack, den der Tote wie ein Baby an seine Brust drückte. Ohne größere Skrupel zerrte er am Karabiner der Abdeckung. Kein leichtes Unterfangen. Die Totenstarre war bereits voll ausgeprägt und dementsprechend unkooperativ verhielt sich sein Gegenüber.

Frühester Todeszeitpunkt vor mindestens sechs bis acht Stunden. Höchstens ein Tag.

›Woher weiß ich sowas? Bin ich vielleicht Arzt?‹, schoss ihm eine weitere Frage durch seine blockierten Gedankengänge. Mit neuer Hoffnung blickte er zu den spärlichen Anziehsachen. Ein weißer Kittel mit Namensschildchen wäre extrem hilfreich.

Fehlanzeige.

Grummelnd rüttelte er weiter an dem olivgrünen Segeltuch. Endlich gab der Verschluss nach. Mit einem singenden Surren glitt die Kordel durch die Ösen und offenbarte das nächste Rätsel.

Dollarschein an Dollarschein quoll aus dem sich öffnenden Schlund. Gebrauchte Scheine. Zerknittert, abgegriffen und nicht nachvollziehbar, woher sie stammten. Ein wunderbar verwendbares Zahlungsmittel für jedwede Träume.

Allerdings beschlich ihn das ungute Gefühl, dass dieser Haufen Geld seine verzwickte Lage nicht wirklich vereinfachen würde.

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