0,5
... zehn Stunden zuvor.
»Jackpot, Babe! Jackpot!«
Der Fahrer des weinroten Hondas trommelte mit enthusiastischer Begeisterung auf das Armaturenbrett des in die Jahre gekommenen Wagens. Als im Autoradio die Reibeisenstimme von Bon Scott ertönte, drehte er den Lautstärkeregler bis zum Anschlag auf und fiel kreischend in die AC/DC-Hymne ein.
Seine Beifahrerin rollte genervt mit den Augen und zog ihre langen Beine auf den Sitz hoch. Nervös zuckte ihr Blick vom Rückspiegel zum Seitenfenster und wieder zurück.
»Jetzt entspann dich mal, Süße. Es lief doch alles wie am Schnürchen.« Dennis Palmer fummelte eine halbzerdrückte Schachtel Malboro aus der Brusttasche seines quietschbunten Hawaiihemdes. Mit den Knien fixierte er das Lenkrad, während er sich eine Fluppe zwischen die Lippen steckte und auf der Ablage nach dem Feuerzeug kramte.
»Schau nach vorn und fahr verdammt nochmal nicht so schnell! Wir brauchen echt kein unnötiges Aufsehen«, zischte ihn die Blondine an.
Grinsend schielte er auf den nackten Streifen Haut über ihren ausgefransten Hotpants. »Und wenn schon. Wir können uns jeden Strafzettel der Welt leisten.«
»Entspannen werde ich mich erst, wenn wir aus der Stadt raus sind.« Erneut wanderte ihr misstrauischer Rundumblick zum Außenspiegel.
»Deine negativen Vibes ziehen mich echt runter, Babe!« Verärgert knüllte Dennis die leere Zigarettenschachtel zusammen und pfefferte sie nach hinten auf den Rücksitz, wo sie sich den knapp werdenden Platz mit einer beachtlichen Anzahl leerer Getränkedosen und Fastfoodverpackungen teilte. Nach einem kräftigen Lungenzug ließ er die angehaltene Luft langsam durch die Nase entweichen. Die Frau machte ihn mit ihrem Verfolgungswahn fertig. Angesichts der blinkenden Leuchtreklamen, angestrahlten Wasserfontänen und ständig wechselnden Lightshows entlang des nächtlichen Vegas-Stripes konnte sie da draußen sowieso nichts erkennen.
»Bis diese Armleuchter gecheckt haben was los ist, liegen wir längst am Strand von Tahiti. Also, wie wäre es mit einem Abstecher zum High-Roller? Vom Riesenrad aus hast du eine überwältigende Aussicht. Unser Flug geht erst gegen Mittag.«
»Pfff...« Naserümpfend wedelte seine Begleitung den Nikotinrauch beiseite und zog sich die blonde Mähne vom Kopf. »Warum hast du das nicht mit mir abgesprochen? Was soll ich in der Südsee? Deine tropischen Nächte sind mir ein Graus. Ich bekomme hier schon einen Hitzekoller. Sprichst du überhaupt französisch? Ich könnte mich ohrfeigen, dass ich mich von dir zu diesem Wahnsinn habe bequatschen lassen.«
»Mach dir nicht so viele Gedanken, Babe. Es wird dir schon gefallen. Die Hauptsache ist doch, dass wir zusammen sind.« Er legte seinen rechten Arm lässig über ihre schmalen Schultern und massierte ihren verspannten Nacken. So zart, so zerbrechlich, wahrscheinlich könnte er ihr mit einer Hand das Genick brechen ...
»Setz die Perücke lieber wieder auf. Wäre doch blöd, wenn unsere Tarnung auffliegt, bevor wir im Flieger sitzen«, rügte er sie barsch, als sie seine Hand abschüttelte.
»Das Teil juckt! Und mir platzt gleich der Kopf! Ich werde garantiert nicht noch zwölf Stunden in irgendeiner Absteige rumsitzen und seelenruhig auf die Handlanger des Todes warten.«
»Bis zum Einchecken im Motel wirst du es schon noch aushalten!« Dennis sank tiefer in den Fahrersitz und deutete auf die nächste Ampelanlage. »Wer weiß, ob die nicht auch Zugriff auf die Aufnahmen der Verkehrsüberwachung haben.«
»Warum fahren wir dann nicht gleich zum Flughafen und nehmen einfach den nächstbesten Flug? Egal wohin.« Die junge Frau zog sich eilig das blonde Kunsthaar wieder über ihr eigenes und schaute ihn mit großen Augen bittend an.
»Damit wir irgendwo im spießigen Europa landen? Oder ich mir den Arsch in Anchorage abfriere? Vergiss es! Außerdem sind nirgendwo die Wellen besser als am Teahupoo. Es war schon immer mein Traum, dort zu surfen.« Dennis warf die Kippe aus dem offenen Fenster. So kurz vor dem Ziel ließ er sich auf keinen Kompromiss ein. Er roch bereits den Duft tropischer Blüten, hörte das Donnern der Meeresbrandung, sah sich im Green-Room einer fantastischen Overhead-Welle.
Endlich frei sein! Nie wieder sich verstellen müssen! Nie wieder die aufgespritzten Lippen irgendeiner gelangweilten Millionärsschabracke ertragen!
Auch wenn er leichte Gewissensbisse verspürte, denn die Kleine neben ihm hatte durchaus ihre Qualitäten. Doch die nächsten exotischen Cocktails würde er mit einem glutäugigen, braungebrannten ...
»Oh Shit! Jetzt habe ich wegen deinem Genöle die Ausfahrt verpasst!«
Fluchend trat Dennis mit aller Kraft auf die Bremse. Unter lautstarkem Hupen der anderen Autofahrer vollführte er eine filmreife Kehrtwende. Seine Begleiterin quietschte erschrocken auf und klammerte sich an den Türgriff, um nicht vom Sitz zu rutschen.
»Du Idiot! Spinnst du jetzt komplett?« Ihr Blick blieb an einem dunklen Pickup mit getönten Scheiben hängen, der jedoch weiter geradeaus fuhr. »Ich glaube langsam, du legst es echt darauf an, uns umzubringen!«
»Hör auf zu nerven und reich mir lieber 'n Muntermacher rüber!« Dennis wechselte rücksichtslos die Spur und fädelte sich in den gemächlich fließenden Verkehr ein. Jetzt hatte es diese Zimtzicke geschafft, ihm die gute Laune zu verderben. Er knurrte ungehalten und zog ein kleines Tütchen aus der Hosentasche. Innerlich korrigierte er sein gerade empfundenes Bedauern. Weiber waren einfach nur ätzend. Andererseits erleichterte ihm das seinen Entschluss, was das Teilen der Beute anging.
»Glaub mir, Babe. Ich weiß, was ich tue.« Mit seinem schönsten falschen Lächeln schlug er einen versöhnlichen Tonfall an.
»Sieht aber nicht danach aus«, meinte sie schnippisch, während sie nach einer bunten Dose hinter ihrem Sitz angelte. »Wie viele von den Dingern hast du schon eingeworfen?«
»Nicht annähernd genug, um dein Rumgemecker zu verkraften! Ich kapier dein Problem nicht. Ich wollte diese Nacht mit dir so richtig groß feiern. Wieso kannst du dich nicht einfach freuen?«
Ihre Stimme klang unendlich traurig, als sie leise vor sich hinmurmelte: »Du hast mich auch nie nach meinen Träumen gefragt.«
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