44. Precious
♪ Home – One Direction
Sienna
Atemlos verfolgte ich das Gespräch, welches Louis mit Harry führte. Erst als Louis sagte: „Keine Sorge, wir warten auf dich, Harry", fiel mir ein Stein vom Herzen.
„Ist er auf dem Weg hierher?", erkundigte ich mich.
„Ja, aber er hatte unterwegs eine kleine Reifenpanne. Jetzt ist aber alles wieder ok. Vermont liegt halt nicht gerade um die Ecke. Er wird nicht vor Mitternacht hier sein."
Bevor ich etwas erwidern konnte, meldete Kieran sich zu Wort.
„Onkel Harry kommt hierher? Juchu! Ich will so lange warten, bitte, bitte!"
Nialls Blick traf auf meinen, dann sah ich meinen Mann nicken und hörte, wie er sagte: „Du legst dich zwischendurch hin, wir wecken dich, wenn Harry da ist, ok?"
„Ach menno", schmollte Kieran. „Ich bin schon so groß, ich kann aufbleiben."
Darauf erwiderten wir nichts, denn er würde sowieso irgendwann einschlafen.
Zur Feier des Tages ließen wir uns Pizza kommen, inklusive zwei Flaschen Rotwein. Während wir aßen, unterhielten wir uns über den geplanten Flug sowie den damit verbundenen Umzug.
„Morgen Abend, gegen halb acht fliegt ihr alle gemeinsam nach London", erklärte Louis, bevor er genießerisch in ein Stück Salami-Pizza biss.
„Was heißt das, ihr alle?", fragte ich verdutzt. „Kommst du nicht mit?"
Leicht schüttelte er seinen Kopf. „Nein, ich habe noch etwas zu erledigen."
Da Kieran sich im Raum aufhielt, wollte ich nicht weiter nachfragen, denn diese Dinge waren vermutlich nicht für Kinderohren bestimmt. Somit begnügte ich mich mit einem Nicken und hob mein Glas Wein, um in die Runde zu prosten.
„Auf euer neues Leben in London", sprach Liam, der mir als Erster sein Glas entgegenhielt.
Der leise Klang, als wir anstießen, erinnerte mich an ein kleines Glöckchen. Hell und freundlich – und genauso sah ich unsere Zukunft vor mir. Endlich konnten wir den ganzen Ballast abwerfen, der uns seit Jahren verfolgte.
Lächelnd lehnte ich mich an Niall, der einen Arm um mich gelegt hatte, da er bereits mit Essen fertig war. Für einen Moment schloss ich meine Augen, um diese Sekunden später wieder zu öffnen und festzustellen, dass ich mich keineswegs in einem Traum befand. Alles war real.
Zu spüren bekam ich dies erneut, als wir nach dem Essen direkt mit dem Packen begannen. Vier zusätzlich helfende Hände brachten schon Einiges zustande, das musste ich zugeben. Ruck zuck hatten wir die Kleidung in den Koffern verstaut, ebenso Teile von Kierans Spielzeug, das in einer Reisetasche untergebracht wurde.
„Wir brauchen noch Pappkartons", seufzte ich, nachdem ich das letzte Stofftier, einen kleinen Teddybär, in der Tasche verstaut hatte, die kurz vorm Platzen stand.
„Ich habe schon welche geordert", sagte Sophia, zu meiner Überraschung. „Sie werden per Express hierher geliefert."
„Wann denn?"
„Vorhin, gleich nachdem Louis uns mitgeteilt hat, dass euer Umzug ansteht."
Ich gab Sophia eine herzliche Umarmung. Wie immer war auf sie Verlass und wie zu erwarten, wurden die Umzugskartons noch am Abend zu uns gebracht. Stück für Stück verschwand darin, allzu viel nahmen wir von den Dingen, die im Haus herumstanden, nicht mit. Außer einigen Deko Gegenständen, die mir ans Herz gewachsen waren und den beiden Bildern von Thomas Fabry. Die Kisten sollten morgen zum Flughafen transportiert werden und würden dort sofort in den Privatjet verladen werden. Ich konnte es kaum erwarten, endlich wieder nach Hause zu fliegen. Langsam realisierte ich auch, was das bedeutete. In weniger als achtundvierzig Stunden würde ich Seth, Harvey und Gwenny in meine Arme schließen können. Nur alleine der Gedanke daran, verursachte eine Gänsehaut auf meinem Körper sowie Tränen in meinen Augen.
Als meine Beine zu zittern anfingen, setzte ich mich kurz auf Kierans Bett, um mir eine Pause zu gönnen. Übermorgen würde unser Leben in London beginnen. Zwar wusste ich noch nicht, wo wir wohnen sollten, doch ich war mir sicher, dass Alistair bereits eine Bleibe für uns aufgetrieben hatte.
Nach der kleinen Pause ging es weiter und als ich Kieran gegen halb acht endlich ins Bett verfrachtete, spürte ich, wie sich langsam aber sicher ein Glücksgefühl in meinem Innersten ausbreitete. Ich konnte es nicht erwarten, nach Hause zu kommen.
Die letzte Kiste wurde verschlossen, beschriftet und zu den restlichen Exemplaren gestellt, die sich mittlerweile überall auftürmten. Liam hatte Burger und Fritten besorgt, welche wir nun verspeisten. Mittlerweile ging es auf elf Uhr abends zu, wir waren alle groggy, doch irgendwie auch unheimlich entspannt.
Während des Packens hatten wir Witze gerissen und uns darüber unterhalten, was wir alles machen wollten, sobald wir uns endlich im Vereinigten Königreich niedergelassen hatten.
„Uff, das wäre geschafft!" Mit einem lauten Ächzen ließ Niall sich auf das Sofa fallen. Wir anderen taten es ihm gleich und verteilten uns auf allen Sitzgelegenheiten im Wohnzimmer. Jetzt hieß es Warten auf Harry.
Es war zehn Minuten nach Mitternacht, als er endlich auftauchte. Das Erste, was mir an Harry auffiel, waren seine kurzen Haare. Er sah nicht schlecht damit aus, trotzdem fand ich, dass ihm die längere Version besser stand.
„Bist du unter einen Rasenmäher geraten?", zog ich ihn liebevoll auf, worauf er antwortete: „Nein, das war nur zu Tarnzwecken."
Kieran schlief natürlich schon, doch wir begleiteten unseren Freund in das Kinderzimmer, nachdem wir ihn ausgiebig begrüßt hatten. Sanft streichelte er Kierans Wange, der jedoch im Tiefschlaf lag. Wir wollten ihn nicht wecken, deshalb zogen wir uns recht schnell wieder in den Wohnbereich zurück, wo der Rest saß und sich im gedämpften Licht unterhielt.
Sofort riss Harry sich den letzten Burger unter den Nagel, der noch übrig war, um diesen im Rekordtempo zu verspeisen. Gesprochen hatte er noch nicht viel, außer der Begrüßung, doch nun setzte er zum Reden an.
„Ich habe den Auftrag ausgeführt, Niall. Den Rest wird Louis dann machen."
Mein Blick ging zu dem eben Erwähnten. „Es ist es das, was du noch erledigen musst?", fragte ich, was er mit einem Nicken beantwortete.
„Ich komme nach, sobald ich kann", meinte Louis.
Zehn Minuten später lösten wir unsere Runde auf. Niall und ich verzogen uns ins Bett, jedoch konnten wir beide kaum schlafen. Die Aufregung hatte von uns Besitz ergriffen. Jede Minute zog sich endlos dahin, jede Stunde kam einer Ewigkeit gleich. Irgendwann nickte ich ein, um Punkt sechs Uhr wieder wach zu werden. Es hielt mich nichts mehr im Bett, obwohl es noch dunkel draußen war.
Gemächlich stand ich auf, um den letzten Morgen in New York einzuläuten. Dabei wandelten Seth, Harvey und Gwenny stets durch meine Gedanken. Bald würden sie mir so nahe sein, wie schon lange nicht mehr.
~~~
Es fühlte sich komisch an, als ein schwarzer Wagen uns später für die Fahrt zum Flughafen abholte. Harry, der bereits im Auto saß, war bester Laune und wurde sofort durch Kieran in Beschlag genommen. Die beiden hatten sich unglaublich vermisst.
„Gehen wir in London wieder in den Zoo, Onkel Harry?", wollte unser Sohn wissen. „Und nehmen wir dann Maggie mit?"
„Natürlich, so oft du willst, Dreikäsehoch."
„Aber ich bin doch schon fünf!", kam es entrüstet von Kieran, „Und nicht mehr drei!"
„Dann willst du also, dass ich dich Fünfkäsehoch nenne?"
Begeistert nickte unser Sohn, während wir uns kaum das Lachen verbeißen konnten. Es war wirklich zu drollig, was manchmal in seinem Kopf herumspukte.
Schneller als gedacht ging die Fahrt vorüber und der Luxus in einem Privatjet zu fliegen, schloss mit ein, dass wir uns nicht in der Schlange am Flughafen anstellen mussten, sondern direkt zum Rollfeld gebracht wurden.
Mit einem erleichterten Aufatmen ließ ich mich auf dem Sitz nieder. Niall vergewisserte sich, dass Kieran gut angeschnallt war und kaum saß er auf seinem Platz, trafen Liam, Sophia und Eleanor ein. Die Begrüßung unter uns war überschwänglich und bald darauf ging es los.
Als das Flugzeug startete, hielt ich Nialls Hand und drückte diese ganz fest. Stumm sahen wir einander an, wissend, dass unser Leben von nun an ein anderes, ein freies sein würde. Nie wieder brauchten wir uns zu verstecken, nie wieder würde man uns nach dem Leben trachten. Ich bewunderte Niall für all das, was er getan hatte. Selbst dass er mir diese Dinge so lange verheimlichte, bis ich selbst Lunte roch, konnte ich ihm nicht nachtragen. Er tat es für mich und Kieran, damit wir in Ruhe hatten leben können.
Mit einem kleinen Seufzen lehnte ich mich im Sitz zurück, hoffend, dass der Flug so schnell wie möglich vergehen möge und ich ein wenig schlafen konnte. Wir flogen in die Nacht hinein, die sich ellenlang dahinzog. Jede Stunde blickte ich auf die Uhr, wünschte mir, dass wir endlich landen würden, doch es dauerte noch eine ganze Weile. Fast sieben Stunden dauerte der Flug, der mich zu jenen Menschen brachte, die ich seit Jahren vermisste. Ich konnte es nicht erwarten, sie zu sehen. Oftmals hatte ich mir in meinen Träumen ausgemalt, wie es wohl sein würde, wenn wir eines Tage wieder zurückkehren konnten. Nun wurde dies zur Realität.
„Wir landen in einer halben Stunde."
Die Stimme des Piloten unterbrach meinen Gedankenstrom und plötzlich wurde ich durch eine immense Aufregung erfasst. Ich konnte es nicht mehr erwarten.
Als wir gegen halb acht den Privatjet verließen, blickte ich auf zwei große Limousinen, die bereits auf uns zu warten schienen. Alistair stieg aus der einen und breitete seine Arme aus, als Kieran plötzlich auf ihn zu rannte.
„Alistair!", rief unser Sohn und lachte vor Freude.
Vor Rührung traten Tränen in meine Augen. Wie schlimm würde dies dann erst werden, wenn wir Seth und Harvey begegneten? Einstweilen stand der Abschied von Harry, Liam und Sophia an, die versprachen, dass wir uns in den nächsten Tagen sehen würden.
„Danke für alles", sagte Niall, eine Aussage, der ich nur zustimmen konnte. Unsere Freunde hatten alles für uns getan, unsere Leben geschützt und obwohl es ihr Job war, empfand ich es trotzdem nicht als selbstverständlich. Dafür lagen sie mir zu sehr am Herzen.
Alistair schloss sowohl Niall als auch mich in seiner väterlichen Art in die Arme und tatsächlich strömten die ersten Tränen aus meinen Augen. Ich war einfach nur unglaublich erleichtert.
„Willkommen zurück in der Heimat", lauteten Alistairs Worte, nachdem er uns umarmt hatte. „Wir fahren jetzt ohne Umweg zu Seth und Harvey."
Augenblicklich begann mein Herz zu rasen, mein Mund wurde durch eine merkwürdige Trockenheit erfasst und meine Hände zitterten wie Espenlaub. Niemand konnte richtig ermessen, wie es mir gerade ging, Niall vielleicht ausgenommen. Er war mein Fels in der Brandung, ergriff meine zitternde Hand und drängte mich förmlich in das Innere des Wagens. Alistairs Chauffeur, es handelte sich um den gleichen, der früher schon in seinen Diensten stand, kümmerte sich um unser Gepäck und setzte sich anschließend hinter das Steuer. Er lächelte uns freundlich zu, bevor sich die Limousine in Bewegung setzte. Soweit ich mich erinnern konnte, lautete sein Name Preston.
Während der Wagen durch die Straßen rollte, blickte Kieran neugierig aus dem Fenster, soweit er dies zu tun vermochte.
„Mami, ist das schon London?"
„Ja, mein Schatz."
„Das ist cool. Es ist schön hier."
Dem konnte ich nur zustimmen. London war wirklich wunderschön, vor allem, wenn man es vermisste hatte, so wie ich es tat. Aufmerksam folgten meine Augen den Gebäuden, an denen wir vorüberfuhren. Einige waren neu, andere kannte ich noch von früher. Doch das Flair dieser Stadt, die ich über alles liebte, hatte sich nicht verändert. Typisch englisch eben.
Je näher wir dem Stadtteil Canada Water kamen, desto aufgeregter wurde ich. Ich erkannte alles wieder, die schmucken Straßen, den kleinen Yachthafen, die schönen Häuser und als wir schließlich vor einem Gebäude anhielten, da wusste ich, wir befanden uns am Ziel.
Das Aussteigen ging mir nicht schnell genug, Niall kümmerte sich Gott sei Dank um Kieran. Er konnte sich denken, wie mir zumute war. Alistair betätigte die Klingel und ehe ich mich versah, vernahm ich das Summen des elektrischen Türöffners.
Ohne zu zögern stürmte ich die Treppe nach oben und als ich dort ankam, wurde die Tür mit einem Ruck geöffnet. Und dann sah ich ihn.
Seth stand vor mir.
Dieser Moment fühlte sich an wie die Unendlichkeit. Mein Herzschlag beschleunigte ins Unermessliche und ich versuchte meine Atmung verzweifelt unter Kontrolle zu bringen. Seine blauen Augen füllten sich mit Tränen, er ging einen Schritt auf mich zu und breitete seine Arme aus. Für eine Sekunde begann ich innerlich zu Taumeln, war es ein Traum oder die Realität? Der Kloß in meinem Hals löste sich langsam, ließ die Tränen hervorkommen und meine Knie weich werden. Beinahe sackte ich zusammen, doch mein Bruder fing mich auf.
„Sienna." Als ich sein Schluchzen hörte, war es aus und vorbei.
Ich warf mich buchstäblich an seinen Hals und drückte ihn fest an mich.
„Seth", schluchzte ich, dann wurde meine Stimme durch ein Tränenmeer erstickt.
Wir standen einfach nur da, hielten uns in den Armen und konnten wohl beide nicht glauben, dass dies die Wirklichkeit sein sollte. Unsere zerschundenen Seelen brauchten einen Moment, um zu begreifen, dass der Schmerz nicht länger existent sein sollte, dass wir uns wieder hatten. Das Beben meines Körpers beruhigte sich nur sporadisch und ich spürte, wie Seths Hände vorsichtig über meinen Rücken streichelten.
„Sienna", flüsterte er nach einer gefühlten Ewigkeit. „Dass ich dich wiederhabe- das ist das schönste Geschenk auf Erden."
Es war auch mein schönstes Geschenk, nur konnte ich ihm das im Augenblick nicht sagen, da meine Stimme noch immer versagte. Stattdessen drückte ich ihm einen Kuss auf die Wange, den er sofort erwiderte.
Zum ersten Mal hob ich den Kopf, um in sein Gesicht zu schauen. Er hatte sich nicht viel verändert, war nur ein wenig älter geworden, doch die klaren, blauen Augen besaß er noch immer.
Seth lächelte mich an und sagte leise: „Du bist eine wunderschöne Frau, Sienna. Niall muss der glücklichste Mann der Welt sein."
„Das bin ich auch", vernahm ich plötzlich eine vertraute Stimme neben mir.
Da war er, mein Fels in der Brandung, der Mann für den ich das alles auf mich genommen hatte, weil ich ihn unendlich liebte.
„Es freut mich, dich kennenzulernen, Niall."
Mein Bruder streckte meinen Mann die Hand entgegen, die Niall sogleich ergriff. „Ebenfalls", erwiderte er lächelnd.
Automatisch ging mein Blick zu ihm und dann sah ich Kieran an, dessen Augen groß und rund wurden, als er Seth erblickte. Die beiden hatten sich einmal gesehen, das wusste ich, doch dass unser Sohn sich dermaßen an meinen Bruder erinnern würde, hätte ich niemals gedacht.
Er ließ Nialls Hand los, ging auf Seth zu und sagte: „Du hast mir die Mütze und die Handschuhe mit Supermann drauf gekauft!"
Selbst meinem Bruder stand die Überraschung im Gesicht geschrieben, denn im ersten Moment war er dermaßen verblüfft, dass er keine Antwort parat hatte. Doch dann sah ich das Lächeln auf seinen Lippen, welches verriet, dass er unseren Sohn liebte.
„Ja, das habe ich", antwortete er mit leicht belegter Stimme. „Weißt du denn noch, wie ich heiße?"
Langsam ging er vor Kieran in die Hocke, der seinen Kopf leicht schief legte, um dann zu antworten: „Seth."
Erneut begann ich zittern, kämpfte mit den Tränen und wusste nicht, wie ich all das überstehen sollte. Zu groß war die Wiedersehensfreude, zu tief die Gefühle, zu stark der Schmerz, so viel verpasst zu haben. Meinen Bruder und Kieran zusammen zu sehen, gab mir jedoch die Gewissheit, dass endlich alles gut war. Nichts würde sich mehr zwischen uns stellen, wir waren für alle Ewigkeiten vereint.
Total aufgewühlt lehnte ich mich gegen Niall, der einen Arm um mich legte.
„Ich glaube, da wartet noch jemand auf dich, Sienna", flüsterte er leise.
In diesem Moment sah ich Harvey, der hinter Seth stand, jedoch zu taktvoll war, um unser Wiedersehen zu unterbrechen.
„Harvey!" Als ich auf ihn zustürmte, begann er zu weinen und erneut kamen alle Emotionen in mir hoch.
Grenzenlose Freude, Liebe, Erleichterung und der Schmerz ihn so lange nicht gesehen zu haben. All das stürzte zum zweiten Mal innerhalb von wenigen Minuten auf mich ein. Wir beide hielten uns fest umklammert, küssten uns auf die Wangen und schauten uns zum Schluss in die Augen. Sanft streichelte er über mein Haar und begann zu lächeln.
„Meine Zuckerpuppe, ich habe dich so vermisst."
Als Harvey diesen Satz sagte, fiel die Erstarrung von mir ab und ich begann zu grinsen. Wie sehr hatte ich diesen Namen vermisst! 'Meine Zuckerpuppe' durfte nur er zu mir sagen.
Geschlossen betraten wie die Wohnung, wo Harvey und Niall sich endlich begrüßten. Der Lebensgefährte meines Bruders musterte meinen Mann sehr genau, ehe er sagte: „Da hast du dir aber ein Sahneschnittchen an Land gezogen, Sienna."
Zum Glück kam Niall mit Harveys Humor bestens klar, denn er lachte nur kurz und zwinkerte mir zu, bevor unsere Hände sich ineinander verschränkten.
Noch immer kam mir alles so unwirklich vor.
Als wir das große Wohnzimmer betraten, bemerkte ich, dass die Wände anders gestrichen waren und auch, dass sich neue Gardinen an den Fenstern befanden. Fünfeinhalb Jahre waren eine lange Zeit, vieles hatte sich verändert, doch unsere Zuneigung wurde nicht zerstört.
Wie in Trance ließ ich mich gemeinsam mit Niall auf dem Ledersofa nieder, während meine Augen ständig zu Seth und Harvey gingen. Erst als Alistair, der sich die ganze Zeit zurückgehalten hatte, zu reden begann, richtete sich meine Aufmerksamkeit auf ihn.
„Ihr werdet für die ersten Tage hier wohnen. Seth und Harvey haben sich bereit erklärt, euch Asyl zu bieten."
Das Flunkern in seinen braunen Augen bewirkte, dass ich schmunzeln musste. Mein Bruder und sein Lebensgefährte würden uns niemals auf der Straße stehen lassen. Es kam für Seth auch nicht in Frage, dass wir in ein Hotel zogen, denn wir waren eine Familie. Dabei war es ziemlich egal, dass er Niall erst seit fünf Minuten kannte. Er war mein Mann und alleine das zählte.
„Ihr könnt im Gästezimmer schlafen und für Kieran steht eine Couch zum Ausziehen in meinem Büro bereit", erklärte Seth lächelnd.
Er wirkte so aufgeregt wie ein kleines Kind, was mich wissen ließ, dass er es genoss, sich um unseren Sohn zu kümmern. Zu unserer Freude schien Kieran sich hier sofort wohl zu fühlen. Er kletterte auf Harveys Schoß, der ihn mit Keksen versorgte und grinste uns alle an.
„Mami, wohnen wir jetzt hier?", fragte er.
„Nur vorübergehend, bis wir etwas anderes gefunden haben", erklärte Niall.
„Hm, und wie lange dauert das?"
In diesem Moment ertönte die Klingel und Seth sagte prompt: „Das wird Gwenny sein."
Sofort sprang ich auf, hechtete zur Tür und wartete, bis meine Freundin die Treppe hochkam. Wir stürzten uns förmlich entgegen, obwohl wir uns erst vor einigen Wochen in New York begegnet waren. Aber damals hatte keine von uns beiden ahnen können, dass unser Widersehen in London so bald stattfinden würde.
Unsere Begrüßung war nicht minder tränenreich als in Millis Galerie, unsere Gefühle genauso aufwallend und unsere Umarmung ebenso heftig und gleichermaßen liebevoll.
„Gwenny", schluchzte ich völlig fertig, „mein Schatz, dass ich dich wiederhabe."
Sie weinte leise, drückte mich fest an sich und küsste mich immer wieder.
„Nein, ich habe dich wieder, denn du warst fort", flüsterte meine beste Freundin mit rauer Stimme.
Leicht streichelte sie über meine Wange, bevor sie sanft nach meiner Hand tastete.
„Ich liebe dich, Sienna."
„Ich dich auch, Gwenny."
Lange sahen wir uns an, diese Vertrautheit, die noch immer zwischen uns herrschte, die niemals zerstört werden konnte – das war es, was mich faszinierte, was uns verband und was unsere Freundschaft ausmachte.
Wir benötigten keine Worte, um uns zu verstehen und als ich Gwenny mit mir zog, folgte sie mir stumm in die Wohnung. Zunächst wurde sie von Seth und Harvey umarmt, doch dann stand Niall auf, um meine beste Freundin zu begrüßen. Er sagte einen Satz, der mich zu Tränen rührte.
„Danke für alles, ohne dich hätte ich Sienna niemals kennengelernt."
„Nichts zu danken, das habe ich gerne gemacht", erwiderte Gwenny lächelnd.
Es tat so gut zu sehen, dass die beiden sich verstanden. Alles andere wäre für mich einer Katastrophe gleich gekommen. Weiterhin entsprach es einem Glücksfall, dass Kieran sich mit Harvey in der Küche aufhielt, ansonsten hätte er sicher Fragen gestellt, was Niall damit meinte. Unser Sohn war ziemlich pfiffig für sein Alter, was mir bewusst machte, dass irgendwann bestimmte Fragen kommen würden. Fragen, deren Antworten einen Schock in ihm auslösen konnten, wenn man es nicht richtig anging.
„Ich unterbreche die Wiedersehensfreude nur ungerne, aber wir haben heute noch etwas zu klären", mischte Alistairs Stimme sich in meine Gedanken.
„Was denn?", erkundigte sich Niall sofort.
„Das kann ich hier schlecht erklären. Ich würde euch beide gerne mitnehmen, Kieran kann hier bei Seth, Harvey und Gwenny bleiben. Es dauert nicht allzu lange."
Da unser Sohn gerade mit einem Sandwich in der Hand auf mich zugestürmt kam, ergriff ich die Gelegenheit.
„Kieran, hast du etwas dagegen, wenn Alistair kurz mit uns nach draußen geht? Magst du so lange hier bleiben?", stellte ich ihm die Frage, wissend, dass er sich dann kooperativ zeigen würde.
„Ja, ich mag hier bleiben, hier ist es schön. Außerdem mag ich Seth und Harvey", erklärte unser Sohn grinsend.
Zur Bekräftigung seiner Worte setzte er sich neben meinen Bruder, den er verschmitzt angrinste. Gott sein Dank entwickelte sich alles recht unkompliziert, es hätte durchaus schlimmer kommen können.
„Gib ihm seine Malstifte, wenn er sich langweilen sollte. Sie sind in seinem Rucksack", flüsterte ich Seth ins Ohr, bevor ich Niall und Alistair folgte.
Dort wartete die schwarze Limousine noch immer vor dem Haus. Gespannt darauf, wo unser Ziel sein würde, schaute ich mir die Gegend an. Wir durchquerten Canada Water und fuhren über die Waterloo Bridge, um dann die Schnellstraße zu nehmen, die wir in Greenford verließen. Von dort aus ging es weiter in nördliche Richtung.
Niall und ich hatten noch kein Wort miteinander gewechselt, wir waren viel zu aufgeregt, um nicht zu sagen unruhig. Alistair hingegen plapperte die ganze Zeit. Nachdem er uns darüber informierte, dass wir eine Namensänderung beantragen könnten, um Nialls alten Nachnamen zu erlangen, ging er zu einer anderen Thematik über.
„Es wird euch gefallen, meine Kinder. Wir fahren nun zu eurem neuen Heim und von dort aus kannst du mit deinen Eltern skypen, Niall. Ich habe sie bereits über deine Ankunft in London informiert, um sie nicht einem Schock auszusetzen."
„So hässlich bin ich nun auch wieder nicht", kam es trocken von Niall, der seine Freude nicht mehr verbergen konnte. Andauernd drückte er meine Hand, so lange bis der Wagen endlich zum Stehen kam. Wir hatten fast eine Stunde Fahrt hinter uns, befanden uns jedoch noch immer in London. Die Stadt war eben riesig, trotzdem würde ich nicht irgendwo anders wohnen wollen.
Ich hielt die Luft an,als ich ausstieg und der Druck von Nialls Hand nahm zu, während wir auf das Gebäudeblickten. Just in diesem Moment wurde mir bewusst, dass mein Traum wahr werden würde.
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Ich denke, ihr wisst alle, vor welchem Gebäude Niall und Sienna stehen, oder? :)
Es tut mir leid, dass ihr so lange auf das Update warten musstet, aber nun ist es da. Ich hoffe, es hat euch gefallen.
Danke für die tollen Kommentare zum letzten Kapitel, ihr seid einfach unglaublich!
Das nächste Update wird nach Weihnachten, am 27.12. kommen. Ich wünsche euch frohe Feiertage.
LG, Ambi xxx
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