17. Hachita
♪ Don't need a Gun – Billy Idol
Louis
Seit Wochen verfolgten wir die Spuren der Mörder Anuuns. Zunächst führten diese nach Texas, dem Fundort seiner Leiche. Dort verbrachten wir jede Menge Zeit mit Nachforschungen, die zum Teil im Sande verliefen. Und das im wahrsten Sinne des Wortes. Denn der Fundort bezeichnete nicht die Stelle, an welcher er ermordet wurde.
Es waren viele Untersuchungen nötig, um die Gegend ausfindig zu machen und einzugrenzen. Unter anderem entnahm man Spuren aus seinen Haaren, aus der Kleidung und der Haut. Ich hatte das große Glück, dass man mich am Gerichtsmedizinischen Institut ein- und ausgehen ließ, da ich offiziell einer Sondereinheit der Polizei angehörte. Dass ich im Moment aus dem Team ausgeschieden war, musste niemand wissen. Alistair hängte dies nicht an die große Glocke, denn je weniger Leute über meinen Undercover-Einsatz Bescheid wussten, desto geringer war die Chance, aufzufliegen. Und egal, was ich gerade tat, ich war noch immer bei der Polizei angestellt.
Beinahe täglich arbeitete ich in der Forensik mit und staunte, welche Kenntnisse nach all den Jahren doch hängengeblieben waren. Alleine die Tatsache, dass ich mich noch immer daran erinnern konnte, mit welchen Methoden man den Sand aus den Haaren und der Kleidung untersuchte, ließ mich erstaunt dreinblicken.
Natürlich hatten sich gewisse Dinge verändert, waren fortschrittlicher geworden, denn die moderne Technik ließ sich nicht aufhalten.
Wir fanden Spuren von getrockneten Erdklumpen, die sich in den Sohlen seiner Schuhe festgesetzt hatten. Ebenso trafen wir auf winzige Partikel, die wohl von Blättern stammten. Es galt herauszufinden, um welche Pflanzenart es sich dabei handelte und wo das Grünzeug wuchs. Auf diese Art und Weise würden wir herausfinden, wo man Anuun getötet hatte.
Weiterhin führten all diese Entdeckungen zu der Annahme, dass die Mafia gestört worden sein musste, da sie sich keine Mühe bei der Entsorgung des Toten gegeben hatten. Normalerweise taten sie das immer, und verscharrten die Opfer mehr als nur gründlich.
Dass es sich um die Mafia handelte, die als Täter in Frage kamen, war beinahe eindeutig. Schon alleine die Kugel, die mitten in sein Herz ging, gab Aufschluss darüber. Die Pistolen, welche mit der Munition des Kalibers zweiundzwanzig gefüttert wurden, entsprachen exakt dem Muster der Mafia-Organisationen oder deren angeheuerten Auftragskillern. In diesem Fall gingen wir jedoch davon aus, dass die Mafia selbst Hand angelegt hatte.
Aki und ich hatten den Fundort vor einigen Tagen gemeinsam besichtigt. Nach Blutspuren suchte man hier vergebens und alleine das deutete von Beginn an daraufhin, dass Anuun an einem anderen Ort erschossen worden war.
„Louis, die Ergebnisse sind gerade gekommen."
Jeff Andersons Stimme, der Leiter der Forensik, sprach mich an, während ich auf die unzähligen Reagenzgläser starrte, welche die unterschiedlichsten Flüssigkeiten enthielten. Manchmal fühlte ich mich hier wie bei Professor Snape im Kurs der Zaubertränke von Harry Potter.
Sofort schaute ich auf.
„Und?"
Wortlos drückte er mir die Papiere in die Hand, die ich aufmerksam zu lesen begann.
Der Inhalt gab Aufschluss über die Gegend, in welcher Anuun dem Verbrechen zum Opfer gefallen war.
„Diese Büsche, deren Fasern an seiner Kleidung hafteten, sind also in New Mexico vorzufinden", sagte ich.
„Ja, und es gibt sogar einen weiteren Anhaltspunkt. Wir konnten ausmachen, wie lange sein Leichnam in etwa transportiert wurde und das wiederum grenzt den Tatort ein. Sehr eng sogar, denn das Vorkommen dieser Büsche gibt Aufschluss darüber, in welchem Areal der Mord stattgefunden hat. Die geologischen Befunde bestätigen dies außerdem."
Ich war ganz Ohr und konnte meine Aufregung nur mühsam verbergen.
„Und welches Gebiet ist das?"
„In der Gegend um Hachita, einer Siedlung, in der etwa fünfzig Leute leben."
Sofort öffnete ich die KartenApp auf meinem Handy, gab den Ort ein stellte fest, dass dieser etwa einhundertzwanzig Meilen entfernt von Las Cruces lag, jener Stadt in deren Nähe man Anuuns Leiche fand.
„Die Ermittler sind bereits auf dem Weg dorthin", erklärte Jeff, als ich ihm die Papiere wieder zurückgab.
„Fein, dann wollen wir hoffen, dass sie etwas herausfinden", lauteten meine abschließenden Worte.
Am liebsten wäre ich auf der Stelle selbst dorthin gefahren, doch es war schon ein wahnsinniges Zugeständnis der amerikanischen Polizeibehörden, dass man mir gestattete, im Gerichtsmedizinischen Institut mitzuarbeiten. Ich wollte es nicht übertreiben und vielleicht in Ungnade fallen, weil ich übereifrig wirkte.
Immerhin lag Hachita nicht auf dem Mond und die Ermittler würden schnell wieder zurück sein, sobald sie ihr Programm durchgezogen hatten.
Mit diesen Nachrichten in der Tasche kehrte ich zu Aki zurück. Wir waren um vier Uhr nachmittags in unserem Hotel verabredet und sie, wie immer, pünktlich.
„Hey, Louis."
Zur Begrüßung bekam ich einen Kuss auf den Mund, den ich ohne zu zögern erwiderte.
„Hey, Süße. Na, wie war dein Tag?"
„Soweit gut. Ich habe zu Basil Kontakt aufgenommen. Er ist mit Alfredo unterwegs und meldet sich morgen wieder."
„Das trifft sich gut. Vielleicht haben wir bis dahin ein Ergebnis."
„Welches Ergebnis?"
Sie schaute mich neugierig an.
„Das, von den Ermittlungsarbeiten."
Ohne Umschweife erläuterte ich, was ich heute erfahren hatte und wie weit die Untersuchungen bezüglich des Mordes an ihrem Vater vorangeschritten waren. Aki zeigte sich durchaus glücklich darüber, denn jede Spur brachte uns näher an die Mörder heran.
Zu zweit starrten wir auf die Karte und suchten nach Hachita.
„Was für ein gottverlorenes Nest", entfuhr es ihr.
„Ja, ist vermutlich die perfekte Gegend, um Leute abzumurksen", entgegnete ich.
„Wir sollten dahin fahren."
„Daran habe ich auch schon gedacht. Doch wir müssen warten, bis die Ermittler wieder weg sind. Und je nachdem, was sie herausgefunden haben, brauchen wir vielleicht gar nicht in diese Einöde zu reisen. Vielleicht ergibt sich daraus eine neue Spur, die wir verfolgen können."
Nachdenklich ließ Aki sich auf dem Bett nieder.
„Ich weiß nicht, Louis", sprach sie. „Die Leute in ländlichen Gegenden sind oft verschlossen. Ich kenne das von den Siedlungen um Barrow. Sie reden nicht gerne mit Fremden, es sei denn derjenige ist ein Pfarrer oder Arzt, der ihnen helfen will."
„Hm." Ich kratzte mich am Hinterkopf, um nachzudenken. „Wir haben beides nicht zur Hand. Niall können wir ja wohl schlecht herbitten und einfach so als Ärzte auftauchen, kommt nicht so gut."
„Da hast du wohl Recht."
Akis Aussage brachte mich noch weiter zum Grübeln. Wenn es sich tatsächlich so verhielt, wie sie es vermutete, würden die Menschen in Hachita nicht sonderlich kooperativ sein, was die polizeiliche Ermittlungsarbeit betraf.
„Wir werden in einer Sackgasse landen, oder?", stellte ich meine Befürchtung in den Raum.
„Das kommt ganz darauf an. Wenn die Ermittler es nicht schaffen, müssen wir es versuchen, aber anders."
Vielleicht hatte sie Recht, doch ich wollte erst das Ergebnis abwarten, bevor ich mir Gedanken über ein weiteres Vorgehen machen konnte.
Da die die Spuren nach New Mexico, an einen Ort nahe der Grenze zu Arizona und auch zu Mexico führten, war es war gar nicht mehr so sicher, dass Annun tatsächlich nach Mexico hatte reisen wollen. Vielleicht war er auf eine andere, vielversprechende Spur gestoßen und wollte diese verfolgen. Das war ihm zum Verhängnis geworden, was wiederum darauf schließen ließ, dass die Spur heißer als jeder Pfad zur Hölle sein musste. Und auf diesen Weg begaben wir uns nun.
Dabei bekamen wir die beste Unterstützung, die man sich nur vorstellen konnte. Mark, Basil und Alfredo gehörten zu unserem Team. Jeder wusste genau, was er zu tun hatte. Die Verantwortlichkeiten unter uns waren stets geregelt und somit gab es nie irgendwelche Unklarheiten.
Im Prinzip waren die Teams ihr eigner Herr, nur wenn wir alle zusammentrafen, um etwas zu besprechen, leitete ich die Gespräche. Im Moment fühlte es sich gut an, nur die Verantwortung für mich und Aki zu tragen.
Die Frau an meiner Seite war härter, als ich je geglaubt hatte. Sie konnte schießen wie ein Kerl und es stellte auch kein Problem für sie dar, in einem Schlafsack im Zelt zu übernachten.
Das Einzige womit wir beide anfangs kämpften, waren die warmen Temperaturen in dieser Gegend. In Texas war es einfach für unseren Geschmack viel zu heiß.
Immerhin hatte das Hotel die Zimmer mit einer Klimaanlage ausgestattet, was die Nächte durchaus erträglich machte.
„Was denkst du, wie lange die brauchen werden?"
Aki richtete ihren Blick auf mich und während ich antwortete, bediente ich mich an der Minibar.
„Ich hoffe, wir werden morgen, spätestens übermorgen etwas erfahren."
Den Rest des Abends verbrachten wir ganz entspannt. Zuerst in einem Restaurant, in welchem wir original texanische Steaks verdrückten, die einfach himmlisch schmeckten. Ich bestellte dazu eine scharfe Soße, von der mir morgen ganz sicher der Hintern brennen würde. Aber das nahm ich gerne in Kauf, da sie meine Geschmacksnerven mehr als nur positiv ansprach.
Im Anschluss an das Essen suchten wir eine der zahlreichen Bars auf. Wir landeten im The Hoppy Monk, einem durchaus ansprechenden Etablissement, in welchem heute sogar Live Musik geboten wurde, da es Samstagabend war.
An meinem Whiskey nippend hörte ich der Country Musik zu, die mir immer mehr ins Ohr ging, seit ich mich in diesem Land aufhielt. Früher hatte ich mit dieser Art Musik nichts am Hut, jetzt konnte ich nicht genug davon bekommen.
Aki und ich schwangen sogar das Tanzbein, da alle anderen das auch taten und wir außerdem Lust dazu verspürten. Vielleicht wollten wir uns auf diese Art und Weise auch nur von den Dingen ablenken, die noch vor uns lagen.
Morgen würden wir hoffentlich mehr wissen.
Es war weit nach zwei Uhr, als wir in unser Hotelzimmer zurückkehrten und bereits nach vier, als wir endlich einschliefen.
Umso unbarmherziger empfand ich das Geräusch, das mein Handy fabrizierte, während ich noch im Bett lag und vor mich hindöste.
„Ja", murmelte ich verschlafen, ohne die Augen zu öffnen.
„Hey, Louis, hier ist Jeff. Ich wollte dich auf dem Laufenden halten."
Diese zwei Sätze bewirken, dass ich im Bett hochschoss wie eine Rakete.
„Was gibt es denn?"
„Die Ermittlungstruppe hat sich gerade gemeldet. Leider mit schlechten Nachrichten."
Mein Herz pochte so laut, dass ich das Rauschen meines eigenen Blutes in den Ohren wahrnahm. Ein Wunder, das Aki nicht erwachte.
„Man hat zwar den Fundort des Leichnams aufgespürt, doch die Leute haben angeblich nichts Verdächtiges gesehen. Auch konnte sich niemand an Anuun erinnern."
Es verhielt sich so, wie Aki es vorausgesagt hatte.
„Ok, und was nun?", fragte ich, während ich mich aus dem Bett erhob, um anschließend den Balkon zu betreten.
Warme Luft schlug mir entgegen und zündete mir eine Zigarette an, damit ich besser nachdenken konnte.
„Nichts, man kann die Menschen nicht zwingen etwas auszusagen. Vielleicht finden wir irgendwann jemand, der sich dazu bereit erklärt zu reden."
„Verdammt!", fluchte ich laut.
Das war der Moment, in dem Aki auf den Balkon schritt. Ihre Augen schauten fragend in meine und ich deutete ihr an, dass ich das Telefonat gleich beenden würde.
„Ok, Jeff. Da können wir wohl im Moment nichts machen. Ich danke dir trotzdem für die Info", verabschiedete ich mich.
„Bitte, gern geschehen. Sehen wir uns nochmal?"
„Ich denke nicht, denn es gibt für mich keinen Grund mehr in El Paso zu bleiben. Aber du hast ja meine E-Mail und falls es noch irgendwelche Neuigkeiten gibt, kannst du mich kontaktieren."
Nachdem ich Aki über alles aufgeklärt hatte, hieß es, die Vorbereitungen für unseren Trip zu treffen.
Als erstes setzte ich mich mit Seth in Verbindung. Die Undercover Arbeit bedeutete nicht, dass ich keine Hilfe mehr aus London in Anspruch nehmen konnte, im Gegenteil.
Siennas Bruder schickte im Handumdrehen eine Software auf mein Handy, die es niemandem ermöglichte, meine Nummer zurückzuverfolgen. Das Gleiche tat er mit Akis Handy. Schritt eins war vollbracht.
Nachdem wir alles zusammengepackt und im Hotel ausgecheckt hatten, kontaktierte ich Basil, um ihm zu erklären, was wir vorhatten. Anschließend machten wir uns auf den Weg in Richtung Hachita.
Aus dem Budget für das Netzwerk hatte ich einen alten Jeep gekauft, dessen Dach sich komplett öffnen ließ. Aki gefiel es sehr, sich während der Fahrt den Wind um die Nase wehen zu lassen. Ihre langen Haare hatte sie stets zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, damit ihr diese nicht ins Gesicht wehten, wenn ich auf das Gas drückte.
Insgesamt lag eine Strecke von knapp einhundertzwanzig Meilen vor uns. Zu diesem Zweck nutzten wir zunächst Interstate Nummer 10, die in Richtung Las Cruces führte. Dort fuhr ich allerdings ab, denn ich benötigte ein Internetcafé, um mit Harry Kontakt aufzunehmen. Er war der einzige in unserem Team in New York, dem ich Nachrichten zukommen lassen konnte, ohne das die Gefahr einer Überprüfung bestand. Bei Liam und Sophia konnten wir uns nicht sicher sein, da die Mafia ihre Namen kannte. Und wir trauten den Burschen mittlerweile alles zu, was überwachungstechnische Dinge anging.
Alistair hatte mich wissen lassen, welche Aufgabe Harry zufiel und um ehrlich zu sein, beneidete ich ihn nicht darum. Wer verkleidete sich schon gerne als Penner und lebte im Stadtteil Harlem? Sinnbildlich gesprochen zog ich jedoch den Hut vor meinem Freund und Kollegen. Wenn er das alles schaffte, wie Alistair sich das vorstellte, war ihm die nächste Gehaltserhöhung sicher.
„Louis, wir sollten bald anhalten. Ich habe Hunger", ließ Aki mich wissen.
Sie lächelte mir zu, als ich den Kopf in ihre Richtung drehte.
„Klar, ich nämlich auch und außerdem müssen wir tanken", erwiderte ich.
Ihre Hand wanderte zu meinem Oberschenkel, was augenblicklich ein Kribbeln in meinem Bauch auslöste.
Manchmal bekam ich ein schlechtes Gewissen, weil ich mich so glücklich in ihrer Gegenwart fühlte und nicht rund um die Uhr um Anuun zu trauern vermochte. Aber ich war mir sicher, er hätte es verstanden, denn unser aller Leben ging weiter. Nichts desto trotz würde er immer in unseren Herzen bleiben.
Kaum hatten wir die Stadt erreicht, suchte ich nach einem Internet Café, welches auch über private Telefonzellen verfügte. Dort erwarb ich eine internationale Telefonkarte, die ich bar bezahlte. Ich wollte mein eigenes Handy nur nutzen, wenn es gar nicht anders ging, obwohl ich mit der neuen Software einen gewissen Schutz hatte.
Nach dreimaligem Klingeln nahm Harry den Anruf entgegen.
„Hey, Kumpel, wie geht es dir? Hast du die Stadt schon auf den Kopf gestellt?", fragte ich grinsend.
„Louis? Oh Mann, ich bin so froh, von dir zu hören! Geht es euch beiden gut?"
„Ja, ich wollte dich nur wissen lassen, dass wir den genauen Fundort der Leiche kennen, die Menschen jedoch nicht sehr kooperativ waren. Zumindest nicht den Polizeibeamten gegenüber."
Ich räusperte mich kurz, um noch ein: „Du verstehst, was ich meine", hinzuzusetzen.
Da Harry nicht auf den Kopf gefallen war, konnte er eins und eins zusammenzählen.
„Pass auf, wenn du deine Ermittlungen anstellst", mahnte er sorgenvoll.
„Das sagt gerade der Richtige."
„Wieso? Meine Tarnung ist die beste überhaupt. Und ich sehe Niall jeden Tag. Das ist absolut toll!"
Er geriet richtig ins Schwärmen, was ich total süß fand. Harry war einfach ein lieber Kerl. Er hatte Niall sehr vermisst, als dieser in Barrow lebte – und nun vermisste ich ihn; den Mann, der wie ein Bruder für mich war.
„Geht es ihm gut?"
„Ja, er joggt jeden Morgen, um sich in Form zu bringen und er ist eifersüchtig auf den Mafia Boss, der in seinem Haus aus- und eingeht und Sienna den Hof macht."
Mir entwich ein lautes Lachen, obwohl die Sache ansich gar nicht komisch war.
„Na dann pass bloß auf, dass er den Mafiosi nicht umbringt", lauteten meine Worte.
„Keine Sorge, so weit ist er noch nicht. Ich glaube, er hat sich da ziemlich unter Kontrolle."
„Gut so."
„Sag mal, wo genau steckst du eigentlich?", wollte Harry wissen.
Ein kleines Schmunzeln zeichnete sich auf meinem Gesicht ab.
„Das darf ich dir nicht sagen, sonst wäre ich ja nicht mehr Undercover, oder?"
Für zwei Sekunden herrschte Stille am anderen Ende der Leitung, dann antwortete er: „Ok, aber melde dich ab und zu, damit wir wissen, ob du noch am Leben bist."
„Das mache ich, Kleiner. Ich hab dich lieb, vergiss das nicht und pass auf, dass du in New York nicht unter die Räder gerätst."
„Keine Sorge, ich bin der coolste Penner, der herumläuft. Mich greift niemand an, weil sie alle denken, ich sei in Junkie."
Alistair hatte mit seinen Ideen wieder einmal ganze Arbeit geleistet, das musste ich zugeben.
„Ok, bis bald und halte die Ohren steif."
„Ja, du auch."
Es hatte gut getan, eine bekannte Stimme zu hören und zu wissen, dass soweit alles in Ordnung war. Nun konnte ich meinen Weg mit Aki fortsetzen.
Bevor wir auf die Interstate auffuhren, deckten wir uns noch in einem Supermarkt mit Vorräten ein. Das Wasser und die Sandwiches verstauten wir in der gerade gekauften Kühlbox, welche mit einem Beutel Eiswürfel gefüllt wurde. Anschließend fuhren wir zu einem Burger Restaurant, dessen Drive-In Service wir nutzten, denn wir hatten es eilig zu unserem Ziel zu gelangen.
Es ging weiter auf der Interstate Nummer 10 bis zur der Ausfahrt Nummer 49, welche auf den Highway Nummer 146 abzweigte. Dieser brachte uns direkt nach Hachita, einer trostlosen Ansammlung von Häusern, einer Poststation, sowie einer Kneipe. Die durfte wohl nirgendwo fehlen und kam mir sehr gelegen.
Als ich den klapprigen Jeep davor abstellte, wurden wir sogleich durch die schmutzigen Fensterscheiben beäugt.
Aki lächelte mir aufmunternd zu, bevor ich ihre Hand ergriff und die Kneipe betrat. Mit sicheren Schritten ging ich auf die Theke zu, ließ mich auf einem der Barhocker nieder und bestellte einen Whiskey, sowie eine Cola für Aki. Einer von uns musste nüchtern bleiben, und es kam nicht gut, wenn eine Frau sich betrank.
Der Whiskey gehörte zwar nicht unbedingt zu den besten Sorten, doch nach dem zweiten Drink ging mir das am Hintern vorbei.
Nach und nach füllte sich die Bar, wir hatten die perfekte Zeit erwischt, um unter die Leute zu geraten. Es schien von Vorteil zu sein, dass Aki keine reinweiße Frau war und ich mir hatte einen zerzausten Bart stehen lassen, denn entgegen unserer Befürchtungen, kamen wir mit den Männern ins Gespräch.
„Was hat euch denn in diese Gegend verschlagen?", erkundigte sich ein Typ mit einem braunen Cowboy Hut.
„Ach", erwiderte ich grinsend, „ich glaube, wir haben uns verfahren. Wir wollten nach Old Hachita, diese Geisterstadt und sind irgendwie hier gelandet."
Brüllendes Gelächter erfolgte.
„Das passiert den meisten Touristen hier", gab er rechts neben dem Cowboy sitzende Mann von sich. „Die ist siebzehn Meilen westlich von hier."
„Das ist Pech, denn jetzt habe ich Durst. Wollte mal wieder einen richtigen Whiskey trinken", brummte ich.
„Na dann. Eine Runde auf mich, Bill", rief der Typ dem Wirt zu.
Die Runde kam und durch Dimitris Wodka geeicht, kippte ich den Whiskey auf Ex ab, was mir anerkennende Blicke einbrachte.
„Für ein Bleichgesicht trinkst du ziemlich gut", fand der Cowboy, was mir ein leichtes Grinsen entlockte.
Keiner der Männer hier wies eine helle Hautfarbe auf. Sicher stammten einige aus Mexico oder generell aus Südamerika.
Aber ich war auf dem richtigen Weg, denn wer mit ihnen trinken konnte, dem vertrauten sie. Das hatte ich bei den Inuit gelernt.
Lächelnd legte ich einen Arm um Akis Taille, um alle wissen zu lassen, dass diese Frau tabu für sie war. Sie verstanden und akzeptierten es, denn keiner versuchte sie anzubaggern. Das wäre ihnen auch schlecht bekommen, denn selbst nach dem vierten Whiskey konnte ich noch gerade stehen. Zum ersten Mal bereute ich es nicht, die Wodka-Orgien mit dem Russen veranstaltet zu haben. Noch nie in meinem Leben hatte ich so viel getrunken wie in Barrow, doch das zahlte sich nun aus.
Die Dämmerung brach hinein, schließlich wurde es stockdunkel draußen und die ersten gruseligen Geschichten wurden erzählt. Unter Alkoholeinfluss gab man so manches preis. Zuerst wurde über einen Vorfall berichtet, der sich vor zehn Jahren zugetragen hatte. Jemand fand eine blutige Hand, unweit der Straße, die aus Hachita heraus nach Mexico führte. Ein anderer sprach über die von einem Raubtier zerfetzte Leiche einer Frau, die niemand zuvor gesehen hatte. Es war das reinste Jägerlatein, was sie mir auftischten und ich tat, als wären es die besten Geschichten der Welt.
„Dasch klingt cooool", lallte ich, obwohl ich noch hätte normal reden können.
Aber ich passte mich ihnen an. Selbst der Wirt hatte leichte Schlagseite, die einzige nüchterne Person in diesem Raum war tatsächlich Aki.
„Du hascht die Ho- Hoschen noch nischt voll genug", plapperte der Nächste. „Hier wurde einer erschoschen."
„Ach hör doch auf", lachte ich.
„Nee, wirklisch", rülpste er. „Aber pssscht, die Leische wurde entschorgt. Sie haben sie einfach mitgenommen."
Ich spürte wie Aki, die sich gegen mich lehnte, ihren Körper leicht anspannte. Vorsichtig tasteten meine Finger nach ihrer Hand. Uns durfte jetzt kein Fehler unterlaufen.
„Wohin mitgenommen? Man nimmt doch eine Leische nicht mit", keuchte ich unter Lachtränen.
„Doch, die schind böse."
„Wer? Die böschen Geister?"
„Nein, diesche Männer."
Jetzt wurde es interessant. Ich spendierte eine Runde Whiskey, um den Leuten die letzten Informationen zu entlocken.
„Und er wurde einfach scho getötet?", fragte ich lallend, nachdem ich den Whiskey abgekippt hatte.
„Ja, dabei wollte er nur nach Arischona."
„Arischona?"
Er war anzunehmen, dass er Arizona meinte.
„Wasch wollte er denn in Arischona?" Ich rülpste laut, um volltrunken zu wirken.
„Keine Ahn-nung. Yuma, er hat Yuma geschagt, nischt wahr, Bill?"
Yuma war eine Stadt in Arizona.
Nun wusste ich, wohin die Reise uns führen würde. Eine Reise, die der Höllenglut immer näher kam.
______________________
Endlich ein Kapitel aus Louis' Sicht. Ich weiß, dass einige Leser sich das schon lange gewünscht haben und es war auch an der Zeit, ihn auftreten zu lassen. Er wird wieder kommen, versprochen.
Wie fandet ihr seine Aktion in der Kneipe in Hachita, um an die Informationen heranzukommen?
Ich habe es geliebt, dieses Kapitel zu schreiben, obwohl es mit vielen Recherchen bezüglich der Orte, Entfernungen usw. verbunden war. Ich hoffe, es hat euch gefallen.
Über 4 k Kommentare habe ich bisher zu dieser Story! Ihr seid doch verrückt und ich würde euch am liebsten alle umarmen, weil ihr immer so tolle Worte hinterlasst. Das baut mich wirklich auf, ich danke euch dafür und auch, dass ihr mich weiterhin auf dem Weg dieser Reihe begleitet.
Das nächste Update kommt wahrscheinlich erst am Dienstag, da ich am Wochenende sehr viel unterwegs sein werde und kaum Zeit zum Schreiben habe.
LG, Ambi xxx
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