Kapitel 7
Am nächsten Tag kam dann doch alles anders als gedacht: Madame Thurgood teilte mich für den Tag in die Waschküche ein und Tahnee sollte zusammen mit Hazel und einer weiteren Zofe den Ballsaal reinigen. Larkin dagegen würde an diesem Tag mit jemand anderen Vorlieb nehmen müssen.
Tahnee traf das besonders und ich spürte, dass die beiden den Abend allein sehr genossen haben müssen.
„Du magst Larkin", stellte ich fest, während wir unsere Haare flochten.
„Er ist nett", antwortete sie knapp, aber ihre Wangen färbten sich dunkelrot.
„Er ist aber doch kein Prinz, oder doch?", hakte ich nach und lehnte mich mit hochgezogenen Augenbrauen gegen die Zimmertür.
„Nun, das ist er nicht, aber...", sie hielt inne:
Die Tür wurde von außen aufgerissen und ich stolperte rücklings nach hinten.
„Ey!", protestierte ich, konnte mich aber gerade so noch fangen.
Hinter mir hatte sich Hazel positioniert. Die Arme vor der Brust verschränkt, war sie sich keiner Schuld bewusst: „Ihr müsst früher aufstehen, wenn ihr immer so trödelt".
Ich seufzte. Diese Frau hatte einfach kein Taktgefühl.
„Ich freue mich auch sehr, dich zu sehen. Bin ja schon weg", und damit drückte ich mich zwischen sie nach draußen, winkte Tahnee mit einem Augenzwinkern zu und machte mich auf den Weg ins Hauptgebäude des Anwesens.
Auf der Strecke durch den Park, waren schon jede Menge Menschen unterwegs: Sie stutzten die Hecken, mähten den Rasen, oder waren dabei ein Zelt auf der freien Fläche aufzustellen. Ich genoss es, sie unerkannt zu beobachten, weshalb ich mir extra viel Zeit ließ.
Noch waren keine nennenswerten Personen im Schlosspark, die ich erkannte. Aber immerhin war es derzeit noch früh am Morgen. Aufgrund dessen betete ich innerlich, die Waschküche würde über ein Fenster verfügen, mit dem ich das Treiben im Park verfolgen konnte.
Dort angekommen, blieb das vorerst meine geringste Sorge: Madame Thurgood hatte sich vor der Tür aufgestellt und starrte mich grimmig an.
„Du bist zu spät!", ihre Stimme bebte vor Wut, was mich im höchsten Maße verunsicherte.
„Ich bitte um Entschuldigung, Madame", sicherheitshalber senkte ich meinen Kopf, um ihr nicht in die Augen blicken zu müssen.
Das wiederum schien ihr zu imponieren, denn ihre Stimmlage wurde weniger bedrohlich:
„Nun gut, beginne jetzt. Der Haufen muss bis heute Abend fertig sein", dabei deutete sie auf einen Berg weißer Bettlaken und Handtücher.
Ich wagte mich nicht zu widersprechen und nahm mir direkt das oberste Laken vom Stapel.
Das Zimmer war bis auf eine Kerze, die von der Decke hing, dunkel. Zudem waren die steinernen Wände übersät von Löchern und kleinen Rissen. Am unheimlichsten waren jedoch die drei kleinen Fenstern an der länglichen Seite des Zimmers: In ihnen blockierten Stangen die uneingeschränkte Sicht ins Freie.
Mein Ziel stand unter den Fenstern: Eine dampfende Wanne, in der sich ein altes Waschbrett nach einem Kleidungsstück sehnte. Ich erfüllte diesen Wunsch nur allzu gerne, indem ich das Laken in die Tonne drückte und anschließend es über das Waschbrett rieb.
Madame Thurgood inspizierte meine Arbeit bis aufs kleinste und drohte mir bei jedem Fehler mich hinauszuwerfen, denn – wie sie mehre Male betonte – es gab durchaus eine Vielzahl von Bewerberinnen die für diese Aufgabe sterben würden.
Derweil hatte ich bereits die Hälfte des Haufens erreicht, wobei die nasse Wäsche immerhin noch gebügelt werden musste.
Meine Finger wiesen nach der harten Arbeit Rillen auf und brannten nach jedem weiteren Griff ins schaumige Wasser. Indessen malte ich mir aus, was meine Familie und Morris in diesem Moment wohl taten.
Die Buchhandlung musste bereits geöffnet sein und meine Mutter würde mit dem gewonnenen Weizen Brot backen. Reflexartig umfasste ich das Medaillon und drückte es. Obgleich ich es mir nur einbildete, fühlte ich, wie es Energie in meinen Körper pumpte, sowie den Schmerz, welchen ich verspürte, linderte.
Einen Blick über meine Schulter, versicherte mir, dass die Hofdame derweil verschwunden war. Diese Tatsache sorgte dafür, dass ich mich entspannte. Gleichzeitig wurden dadurch meine Hände flinker, sodass auch die andere Hälfte der schmutzigen Wäsche rapide und vor allem tropfend auf der Leine über dem geschlossenen Kamin hing.
Nun musste sie noch gebügelt werden. Demzufolge setzte ich das massive Bügeleisen auf den Kamin, wodurch es rasch die gewünschte Temperatur annahm.
Währenddessen hatte ich ein Laken auf dem Tisch ausgebreitet, sowie mit einem Topflappen meine Hände präpariert. Vorsichtig packte ich das Eisen am Henkel und brachte es hinüber auf den Tisch. Federleicht glitt es über das knittrige Laken, sodass es am Ende kaum mehr Falten aufwies. Infolgedessen brachte ich das Bügeleisen wieder hinüber und faltete das Laken zu einem kleinen Päckchen. Diese Prozedur wiederholte ich unzählige Male, doch der Berg schrumpfte nur schleppend.
Plötzlich vernahm ich einen Schrei außerhalb des Gewölbes. Er schrillte hallend durch die Gänge, sodass ich zunächst den Ursprungsort nicht ausmachen konnte.
Rasant sprang ich auf, daraufhin auch das Bügeleisen polternd zu Boden fiel. Darauf achtete ich allerdings nicht, sondern sprintete den Flur hinab. Wie von Sinnen ließ ich mich von meinem Instinkt leiten, denn ich konnte keinen klaren Gedanken fassen.
Und wieder ertönte ein ohrenbetäubender Schrei, worauf ein bitterliches Heulen folgte. Ich nahm zwei Treppen auf einmal. Die Eingangshalle, aus welchem ich den Laut vermutete, war nicht mehr weit entfernt.
Kein Mensch weit und breit. Hatten sie den Hilferuf nicht gehört? Egal. Weiter laufen.
Dann endlich bremste ich mich auf dem alten, persischen Teppich ab, der wie immer auf dem Boden der Eingangshalle ruhte. Es dauerte einen Moment, bis ich verstand, was sich dort abgespielt haben musste.
Tahnee eilte zu mir. Den Tränen nah, fiel sie in meine Arme. Vor ihr auf dem Boden lag eine Frau. Doch sie schlief nicht. Aus ihrer Brust klaffte ein langes, silbernes Messer, welches selbst am Griff mit Blut übersät war. Ihr schwarzes Kleid saugte sich immerzu mit dem fließenden Lebenssaft voll. Gleichwohl bildete sich neben der schlafenden Schönheit ein roter Fluss, der in einer Lache, kurz vor dem Teppich endete.
Die Augen der jungen Frau waren weit aufgerissen. In ihnen spiegelte sich eine bleibende Furcht, vor dem, was sie noch vor wenigen Minuten gesehen haben musste.
Ich würgte. Vom Ekel übermannt, drehte ich mich weg.
„Was ist passiert?", presste ich hervor.
„Ich weiß es nicht...Ich habe sie so entdeckt und-", Tahnee schniefte und vergrub ihr verheultes Gesicht an meiner Brust.
Mittlerweile waren auch einige Schaulustige eingetroffen. Unter ihnen befand sich Madame Thurgood, die sich rasch nach vorne kämpfte.
„Oh nein, was ist passiert?! Lilibeth!", rief sie außer sich, während sie sich zu der Toten kniete.
„Wir brauchen einen Arzt!", brüllte jemand.
Der Arzt ließ nicht lange auf sich warten: „Sie ist tot", stellte er schließlich fest. Ach was.
„Wer war es? Und vor allem, wie kann das keinem aufgefallen sein? Wir befinden uns immerhin in der Eingangshalle", überrascht von meiner äußerlichen Klarheit, sah ich erneut zu der Toten, die nun einen Namen hatte. Lilibeth.
„Das aufzuklären ist Aufgabe der Gendermarie", erklärte die Hofdame und lief nervös auf und ab, „Viel schlimmer ist, dass die Königin selbst soeben ihre Dienerin verloren hat".
Ich wagte es nicht ihr zu widersprechen, obwohl die Pietätlosigkeit dieser Aussage mein Inneres zum Kochen brachte.
„Zur Mittagszeit sind die königlichen Herschafften auf ihren Gemächern und trinken Tee. Die Eingangshalle wurde heute Morgen gesäubert, sodass sich keiner der Zofen mehr durch aufgehalten hat", flüsterte Tahnee zu, während sie sich wieder aufrichtete.
„Glaubst du, es war jemand vom Personal?"
„Möglich. Oder ein Dieb, der beim Klauen gestört worden war", mutmaßte Tahnee.
„Ich muss hier raus. Bitte halte Madame Thurgood hin, wenn sie nach mir fragt", bat ich, denn das Gefühl der Übelkeit überrollte meinen Magen erneut.
Ohne eine Antwort, abzuwarten steuerte ich die Tür zum Park an, drückte sie auf und zog die frische Luft tief ein. Sofort füllten sich meine Lungen mit klarer, frischer Luft.
Nicht desto trotz preschte ich mich an der Tür vorbei, hin zu einer Bank am Rande eines Blumenbeets. Dort nahm ich atemlos Platz. Meine Gedanken waren voll und ganz bei der jungen Frau, die gerade vor meinen Augen ihr ganzes Leben verloren hatte.
Würde jemand um sie trauern, oder würde sie vergessen werden, wie eine Blume, dessen Blätter vom Winde weggetragen werden? Niemals könnte sie ihre unerreichten Träume ausleben.
Lilibeth. Noch fiel es mir schwer, sie mit einem Namen zu verbinden. Unmenschlich, hatte sie dort gelegen. Ihre Würde wurde vom Mörder mitgenommen und sie – Lilibeth – würde sie keineswegs zurückerlangen. Es war zu spät. Nur für sie, nicht für mich. Denn ich lebte. Versuchte – nein sollte – mit dieser Situation fertig werden. Trotzdem fürchtete ich mich nicht, selbst zum Opfer zu werden. Schließlich blieb einem dann dieser Schritt – das Trauen, um die verlorene Lebenszeit - erspart.
Indessen war ich nicht mehr alleine. Eine Frau im roten Gewand spazierte durch den Garten. Der samtige Stoff schmiegte sich um ihre schmalen Hüften und fiel locker bis hinunter zu ihren Beinen. Das Dekolleté war vorschriftsmäßig bis zum Hals mit Stoff gedeckt, doch ihre Arme waren frei.
Mein Atem stockte, als ich ihr in die Augen sah. Auch die Fremde hatte ihr Kinn erhoben und fing meinen Blick ein. Die Zeit schien anzuhalten, denn keiner von uns wagte es, sich von dem jeweils anderen abzuwenden.
Das helle Blau in ihren Augen erinnerte mich an das ruhige Meer, welches vor dem Sturm im sanften Takt hin und her wippte. Derartiges schwarzes Haar, mutete an aus einer Schattenwelt zu stammen, betonte zudem das schlichte Rot ihre wohlgeformten Lippen.
In ihrem Gesicht konnte ich keinerlei Emotionen ablesen, die auf meine Person Rückschlüsse zuließen. Auch erkannte ich die schon in die Jahre gekommene Dame nicht. Hoffte allerdings inständig, dass sich diese Begegnung in naher Zukunft wiederholen würde.
Zweiundsiebzig Sekunden waren vergangen, als sie sich von mir wegdrehte und sich stattdessen zu einem Kräuterbeet wandte. Trotz dessen fiel es mir schwer, sie aus meinem Fokus zu befreien. Fasziniert von jedem Schritt, den sie in solcher Vorsicht tat, als könnte der Boden unter ihr zerbrechen. Und trotzdem strahlte sie eine beständige Dominanz aus.
Die Fremde kniete sich zu den Kräutern. Als würde sie etwas Bestimmtes suchen, rieb die Frau die Blätter eines Strauches zwischen den Fingern.
Schlagartig wurde ich aus meiner visuellen Verfolgung unterbrochen, indem neben mir eine Gestalt auftauchte.
„Junge Dame, warum arbeitest du nicht?", schimpfte Madame Thurgood in meine Richtung und zog mich von der Bank.
„Mir war schlecht...",
„Das war keine Einladung für irgendwelche Ausreden!", derweil hatte sie mich an den Haaren gepackt und schleifte mich, wie ein ungehorsames Kind hinter sich her.
Wieder in der Waschküche angekommen, schubste sie mich nach vorne, wo weiterhin das Bügeleisen vor sich her dampfte.
„Ich habe keine Zeit für so einen Quatsch. Bald beginnt der Ball und die Königin hat keine Kammerzofe mehr. Meinst du, ich habe dann Lust mich mit so etwas wie dir herumzuärgern?!".
Ich schluckte: „Würden Sie mich einsetzen, hätten Sie gleich zwei Probleme weniger, Madame", damit brachte ich die Hofdame anscheinend zum Lachen.
„Du bist wohl kaum dafür geeignet. Obwohl...", Madame Thurgood griff nach meinem Kinn und drehte es zur Seite, „Einen Versuch ist es wert, wenngleich deine Schönheit zu wünschen übrig lässt, habe ich scheinbar keine andere Wahl".
Überrascht von dieser unerwarteten Wendung, erhob ich mich: „Ich werde mich sehr bemühen, Madame".
Als Nächstes ging alles ganz schnell. Ich hatte weder die Möglichkeit, mich von Tahnee zu verabschieden, noch die Neuigkeit zu verdauen. Anstelle dessen folgte ich Madame Thurgood die imposanten Treppen hinauf in die königlichen Gemächer.
Hier war alles größer, schöner und edler, als noch zuvor im Eingangsbereich. Selbst der Boden schien frisch poliert. Binnen zehn Minuten hatte mir die Hofdame jegliche Regeln und Etiketten näher gebracht, die ich mir alle unmöglich merken konnte.
Bevor sie mich jedoch auf das Königspaar losließ – wie sie es nannte – sollte ich mich an den gehobenen Stand anpassen. Folglich brachte Madame Thurgood mich in einen schmalen Raum am Ende des Ganges.
„Dies wird dein Zimmer sein, damit du jederzeit der Majestät zur Seite stehen kannst. Ich möchte betonen, dass dein Aussehen der Aushang dieses Anwesens sein wird. Also mach es ordentlich", die Hofdame sah mich abschätzend an, als wollte sie sagen, dass ich in diesem Moment auf keinen Fall ihren Anforderungen entspräche, „In einer halben Stunde wird der König eine Rede halten, die über den Vorfall informiert. Also, beeile dich".
Mit der geschlossenen Tür, öffneten sich alle Emotionen, die ich erfolgreich hinter einer Mauer aus Stress verbarrikadiert hatte: Auf der einen Seite, war ich meinem Traum näher denn je, dem königlichen Leben auf dem Hof ganz nah zu sein. Nichtsdestotrotz ging ich ein höheres Risiko ein, mich diesem auch wieder zu entfernen: Selbstverständlich hatte ich die wichtigsten Regeln verinnerlicht, trotzdem bezweifelte ich meine Fähigkeiten in meiner neuen Rolle als Kammerdienerin.
Zusätzlich befand ich mich in dem Zimmer einer Toten, die hier vor ein paar Stunden noch die Nacht verbracht hatte. Als hätte Lilibeth nie existiert, nahm ich soeben ihren Platz ein. Unmenschlich. Würdelos. Man hatte, mit meiner Hilfe, aus ihr ein Objekt der Vergangenheit gemacht.
Aufmerksam ließ ich meine Fingerkuppen über den Schrank gleiten, welcher direkt neben der Tür platziert war. Eingeritzte Runen bedeckten die Schranktür und formten Blumen, die sich ineinander wandten. Kurzerhand umschloss ich den Türknauf, zog ihn in Richtung meines Bauches, sodass dieser sein Inneres entblößte:
Das Kleid war schwarz, bodenlang, aber vor allem war es schlicht. Weder eine Schürze, noch sonstiger Schnickschnack entstellte es in seinem Erscheinen. Auch angezogen konnte man nur, wenn man ganz genau hinsah, erkennen, dass es sich um ein Kleid einer Zofe handelte.
Vor dem Spiegel, welcher neben dem spärlich anmutenden Bett an die Wand genagelt war, drehte ich mich begeistert. Obgleich das Schwarz meine Haut bleich erscheinen ließ, sowie die kantigen Ecken meines Gesichtes umso hervorstachen, fühlte ich mich auf eine gewisse Weise schön. Zumindest schöner, als in meinem alten Leinenkleid.
Schwarz, die Farbe der Trauer, würde mir in den kommenden Tagen noch öfter begegnen, als mir lieb war...
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