Kapitel 12
Der nächste Tag begann, wie er endete: zermürbend. Nachdem der Spüldienst sämtliche Kraftreserven aus meinem Körper gezogen hatte, fiel ich spätabends in mein Bett. Der Schlaf übermannte mich, ohne ihm die Erlaubnis dafür erteilt zu haben. Denn meine Schuhe ruhten auch nach dem Aufwachen noch immer an meinen Füßen. Trotz dessen hatte er mir nicht die gewünschte Erholung beschafft, wie ich es mir erhofft hatte. Dementsprechend müde, nahm ich mein Frühstück zu mir.
Bisher traf ich nur die engsten Dienstboten der königlichen Gesellschaft in der Küche an. Madame Thurgood hatte seit der unbehaglichen Begegnung am gestrigen Abend kein Wort mehr über meine Vorwürfe verloren. Stattdessen unterhielt sich die Hofdame angeregt mit Etjen, dessen Auftreten sich kaum, von dem der Hofdame unterschied, obgleich er ihr ebenfalls unterlegen war. Beide schienen auf einer Ebene zu sein, die sich durch eine innige Beziehung zueinander auszeichnete.
Ich hingegen, hatte meine vertrauten Personen mit meinem Dienst als Zofe verlassen. Ein Preis, an dem ich bereits am ersten Tag gezweifelt hatte. Aber immerhin hatte ich die Möglichkeit mich in meiner freien Zeit in den Stall zu schleichen, um mich mit den beiden über die Geschehnisse auszutauschen. Daher beschloss ich, dies unmittelbar nach meinem Rundgang ins königliche Gemach anzustreben.
Die Klingel, die die vollendete Vorbereitung der königlichen Speisen ankündigte, läutete zur gleichen Zeit meinen Dienst ein. Nun würde die Königin ihr Zimmer verlassen und es wäre meine Aufgabe, dieses wieder in einen reinen Zustand zu bringen.
Mittlerweile hatte sich die Eingangshalle mit Gästen des Hauses gefüllt, die es alle in den Speisesaal zog. Mit gesenktem Haupt, eilte ich an ihnen vorbei. Meine Anwesenheit sei ausschließlich zum Arbeiten erwünscht. Das hatte man mir ausdrucksstark vermittelt, sodass ich es nicht darauf anlegte dem zu widersprechen. Paradox, wenn man bedenkt, dass sie noch nicht mal fähig dazu waren, einen einfachen Tee zu kochen. Selbstständigkeit ist der Tod der Monarchie.
Nach der zugegebenermaßen unfreiwilligen Durchquerung der Eingangshalle, die mich stets an den Tod erinnerte, fand ich mich im Gang der Gemächer wieder. Lediglich meine Schritte hallten durch den Gang, welcher an den Wänden mit stilvollen Gemälden geschmückt war.
Ich erkannte die ehemalige Königin, die Mutter des Königs, welche selig in die Ferne blickte. Ihre Lippen zierte ein Lächeln, welches Besucher des Durchgangs freudig begrüßten. Sie hatte die Gabe, sich auf ihrem Gegenüber voll und ganz einzustellen. Obwohl ich dies nur durch Erzählungen wusste, war das Gemälde ein eindeutiger Beweis dafür: Selbst ihre smaragdgrünen Augen strahlten freundlichen Respekt, sowie Interesse an ihrem Gesprächspartner aus.
Die Wiederkehr der Königin war über die Jahre hinweg unwahrscheinlicher geworden. Mittlerweile müsste sie über hundert Jahre alt sein, da sie auch vor ihrem Verschwinden nicht die jüngste war. Davon erzählten die silbernen Haare, die zusammen mit der Diamanten besetzten Krone um die Wette glänzten.
Das Gemach der angeheirateten Königin wirkte bis auf das ungemachte Bett unberührt. Um diesen Zustand beizubehalten, schnappte ich mir einen Besen und befreite den Boden von nicht existentem Dreck. In dieser Zeit stellte ich mir vor, selbst Herrin dieses Raumes zu sein: Stundenlang hätte ich in diesem riesigen Bett verbracht, aus dem Fenster geschaut und mich womöglich dreimal am Tag umgezogen, um möglichst jedes meiner vielzähligen Kleider regelmäßig zu präsentieren. Demzufolge wäre ich wohl die arroganteste Königin im ganzen Lande geworden.
Meine Träumereien wurden von einem kaum hörbaren Klopfen unterbrochen. War die morgendliche Speise etwa schon beendet? Ich legte den Staubwedel, mit dem ich mittlerweile das Regal reinigte, beiseite und bereitete mich darauf vor, auf Madame Thurgood, oder die Königin selbst zu treffen.
Die klopfende Person drückte die Tür auf. Kaum merklich schreckte ich einen Schritt zurück. Es handelte sich nicht um die Königin, sondern um den König höchstpersönlich. Kurzerhand setzte ich zu einer Verbeugung an, aber der Monarch hob beschwichtigend die Hand.
„Auf solche Formalien kannst du hier getrost verzichten", unsicher, ob ich seinen Worten Glauben schenken sollte, erhob ich mich aus meiner Starre.
„Guten Morgen, eure Hoheit", brachte ich hervor und wendete mich unmittelbar von ihm ab.
Das Unwohlsein breitete sich in meiner Brustgegend aus. Ich wollte es loswerden. Ich wollte ihn loswerden. Statt eine angemessene Resonanz zu zeigen, spazierte er seelenruhig in das Zimmer. Ich fühlte seine Blicke auf mir, denn sie brannten wie Feuer, Löcher in meinen Körper. Gleichzeitig wurde es anstrengender zu atmen. Der Raum schien sich zu verkleinern. Von der Weite des Gemaches blieb letztendlich nur noch ein Bruchteil übrig, dabei war es nicht mehr als seine Anwesenheit, die den Raum in Besitz nahm.
„Du bist Eliza, habe ich recht?", stellte der Mann, dessen pechschwarzes Haar zu einem lockeren Zopf gebunden war, fest.
Allein mein Nicken erforderte einen massiven Anstrengungsakt, welcher zugleich meinen ganzen Mut brauchte. Er spürte es und er wusste ganz genau, wie er damit umgehen musste. Wahrscheinlich bestand daraus der Großteil seines Lebens.
„Ich habe gehofft, dich hier aufzufinden, Eliza", meinen Namen aus seinem Mund fühlte sich mehr als falsch an, „Ich schätze gründliche Arbeit sehr, davon konnte man bei Lilibeth leider nicht sprechen. Doch bei dir habe ich ein ganz anderes Gefühl".
Daraufhin drehte ich mich zu ihm. Worauf wollte er hinaus? Der König hatte meine Arbeit sicherlich nicht unterbrochen, um mich zu loben.
Harold hatte sich an das Fenster gestellt, wobei er das äußere Treiben intensiv verfolgte. „Nun, Etjen ist wahrlich nicht mehr der Jüngste. Ab und an könnte er Hilfe gebrauchen. Heute ist wieder einer dieser Tage, wo er einfach nicht hinterherkommt", der Monarch wendete sich wieder zu mir.
Seine Hände waren hinter seinem Rücken verschränkt, sodass sein langes Gewand sich stramm um die muskulösen Arme presste.
„Ich helfe euch gerne, eure Hoheit", die Wahrheit hätte mich allenfalls mein Leben gekostet.
Der König rieb sich das Kinn, während er seinen Blick durch das Zimmer schweifen ließ.
„Wie ich sehe, hast du meiner Frau ausreichend gedient, sodass ich dich besten Gewissens entführen kann", das raue Lachen des Mannes klang merkwürdig erheitert. Sogleich setzte er wieder das wissende Grinsen auf.
„Ich stehe stets zu euren Diensten, eure Hoheit", mit einem Räuspern gelang es mir, wieder eine angemessene Stimmhöhe zu erreichen.
Anschließend führte mich der Monarch ein Stockwerk höher zu einer hölzernen Tür, welche sich als Eingang zu seinem Gemach entpuppte. Im wesentlichsten unterschied sich die Raumgestaltung nicht von dem mir anderen bekannten Zimmer: Auch hier fand man lediglich ein Bett, sowie einen Schreibtisch vor. Hier hingegen waren die Vorhänge zugezogen, sodass es dort schon dämmerte. Mehrere Kerzen ließen den Schreibtisch hell erleuchten, obgleich dieser unmittelbar vor einem Fenster stand.
Als der König die Tür hinter sich schloss, betrachtete ich sein Bett. Es war ebenso ordentlich, wie die restliche Räumlichkeit. Ich begann zu zweifeln. Wieso hatte der Monarch mich in sein Zimmer gelockt?
„Nimm Platz", er verwies auf ein Sofa in der rechten Ecke des Raumes.
Unbehaglich folgte ich seiner Anweisung, ließ ihn dabei aber keine Sekunde aus den Augen. Er selbst machte keine Anstalten, sich hinzusetzen. Stattdessen lehnte Harold sich mit verschränkten Armen gegen die Lehne eines pompösen Sessels.
„Wobei wird meine Hilfe benötigt?", hakte ich nach einer Weile des Schweigens nach.
Das Gemach der Königin war bei weitem nicht fertig. Sicherlich würde sie es erzürnen, wenn sie ein ungemachtes Bett auffinden würde.
Unerwartet zogen sich seine Mundwinkel in die Höhe: „Geduld ist eine Tugend, derer auch du dich bedienen darfst, Eliza".
Die Anspannung in meinem gesamten Körper war kaum mehr zu verbergen und mischte sich nun auch mit Wut. Wut, über die Unverschämtheit, die sich der König erlaubte. In jeder anderen Begebenheit hätte ich mir nicht die Mühe gemacht, mich dem Mann devot unterzuordnen. Allerdings wollte ich die Mythen, welche sich um den Monarchen rankten, nicht auf ihre Korrektheit überprüfen.
Harold war nicht in Eile. Sein Schweigen verstand ich nicht. Womöglich wollte er mich testen, wie treu ich der Königin blieb. Demzufolge gab es hier nichts mehr, was mich hielt. Also richtete ich mich auf: „Die Königin wird bald aus dem Speisesaal zurückkommen und ich werde sie zu einer Anprobe geleiten". Der Satz verließ so schnell meinen Mund, dass ich fast über ihn stolperte.
Fluchtartig eilte ich zur Tür, den Knauf schon in der Hand, spürte ich zwei Hände, die mich an der Hüfte zurückzogen. „Aber, aber, Eliza, du möchtest mich doch nicht jetzt schon verlassen", die Stimme an meinem Ohr drohte mir allen Mut zu stehlen.
„Lass mich los!", flehte ich, während ich mich in seinen Armen wandte.
„Deine vorlaute Art solltest du schleunigst unterbinden", sein Tonfall erinnerte an ein Knurren.
Mit einem Ruck trat ich ihm zwischen die Beine, wodurch der König schmerzerfüllt aufheulte. Ich ergriff die Gelegenheit und kämpfte mich aus seinem Griff, stolperte jedoch, noch ehe ich einen gesunden Abstand zwischen uns erreichen konnte. Mit einem lauten Poltern fiel ich zu Boden. Kurzzeitig wurde mir schwarz vor Augen. Stöhnend versuchte ich mich wieder aufzurichten. Hörte mich hier denn keiner?
Harold hatte sich mittlerweile von meinem Angriff erholt und zog mich unsanft an den Schultern nach oben. „Dabei hatte ich dich doch eben noch gewarnt, Eliza...". Sein Ziel erreicht, trug er mich in die Nähe eines Regals. Indes gab ich nicht auf: Schreiend trat ich mit meinen Gliedmaßen um mich, machte mich so schwer wie nur möglich und bemühte mich nach einer Waffe zu greifen.
Der Versuch scheiterte, denn der König presste mir eine Hand auf den Mund: „Wenn du weiter so schreist , kann ich nicht dafür garantieren, dass deine Atemwege frei bleiben". Das Lachen in seiner Stimme war ekelerregend.
An dem Regal angekommen, drückte er ein Buch an die Regalwand, woraufhin ein Teil der Wand knarzend eine in die Tiefe führende Treppe entblößte. Ich erahnte mein Schicksal und startete den Tränen nah eine weitere Bemühung an sein Mitleid zu appellieren: „Ich gebe dir alles, was du von mir verlangst, aber bitte lass mich gehen".
„Wovor fürchtest du dich, Eliza? Ich werde dir nichts tun", und damit schubste er mich die Treppe hinunter.
Dieses Mal fiel ich nicht, sondern konnte mich geradeso auf den Beinen halten. Stattdessen visierte ich die Flucht nach vorn.
An den Wänden waren Öllampen angebracht, die nicht den ganzen Gang erleuchten konnten. Den Grund erfuhr ich wenig später: Denn am Ende der Treppe teilte sich der Gang einmal, wobei ich nun einer kerkerähnlichen Kammer gegenüberstand. Mein Herzschlag raste, ich wusste, dass mein Tod nur noch einen Tobsuchtsanfall weit entfernt war. Wenn ich doch nur wüsste, was er von mir wollte. Ich saß in der Falle.
Wieder ließ sich der Mann Zeit: „Seit dem du mir das erste Mal unter die Augen getreten bist, wollte ich dich in meinem Besitz wissen". Gemächlich legte er mir Fesseln an, sodass meine Hände über meinem Kopf an einer Kette hingen. Resigniert ließ ich es zu.
In der Zwischenzeit liefen mir Tränen die Wangen hinunter: „Man wird mich suchen. Du wirst auffliegen und die Krone verlieren".
„Lass das mal meine Sorge sein, du hast von jetzt an eine ganz andere Aufgabe", die Finger des hochgewachsenen Mannes strichen über meine Wange hinunter zu meinem Kinn. Mit letzter Kraft drehte ich meinen Kopf zur Seite.
Urplötzlich durchquerte ein einzelner Gedanke meinen Kopf. Konnte er der Verursacher der Verletzungen der Königin sein? Wenn dies stimmte, so war meine Rettung aussichtslos. Denn würden die Dienstboten seine Taten gegen die Königin decken, so würden sie dann sicherlich keine Ausnahme bei einer einfachen Zofe einlegen.
Noch ehe ich den Einfall weiter verfolgen konnte, drückte der Mann mein Kinn rabiat in seine Richtung. Es knackte in meinem Kiefer, sodass ich einen Schmerzenslaut ausstieß.
„Fühlst du dich nicht geehrt einen König so nah an deiner Brust zu wissen?", unbewusst schüttelte ich den Kopf. Ein Fehler.
Harold holte die Hand zu einem Schlag aus, die dann schmerzhaft auf meine Wange aufprallte. „Ganz schön frech, für eine Frau deines Ranges".
„Ich will nur weg von dir!".
„Es spielt keine Rolle, was du willst", kommentierte er, hörbar amüsiert, „Das einzige, was zählt ist, das, was ich verlange".
Und schon wieder berührten mich seine Hände, die keinen Widerstand zuließen. Inzwischen war Harold keinen Zentimeter mehr von mir entfernt. Die steinerne Wand hinter mir, bohrte sich peinigend in meine schmerzende Kopfhaut, während ich versuchte den Abstand zu vergrößern. Leider verfolgte er andere Pläne.
Die Lippen des alten Mannes suchten sich, ohne Vorwarnung, den Weg hin zu meinen. Aus Furcht ließ ich es über mich ergehen, schloss die Augen und träumte mich an einen anderen Ort, an dem nicht gerade ein selbstsüchtiger Mann, der nach Wein roch und sich selbst als unwiderstehlich bezeichnete, mich ohne meine Erlaubnis küsste.
Dort sollte es friedlich sein. Menschenleer. Warm.
Ich verließ meinen Körper, denn er hatte Schuld daran, dass ich in diesem Augenblick wünschte nicht mehr lebendig zu sein.
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