Was vom Sommer bleibt

Der Prompt hat mich im Mai an ein superschönes Lied erinnert: 

Nicht im Schlafe hab ich das geträumt. Hell am Tage sah ich's schön vor mir: Eine Wiese voller Margeriten, tief ein weißes Haus in grünen Büschen. Götterbilder leuchten aus dem Laube. Und ich geh mit einem, der mich lieb hat, ruhigen Gemütes in die Kühle dieses weißen Hauses. In den Frieden, der voll Schönheit wartet, dass wir kommen. Und ich geh mit einem, der mich lieb hat, in den Frieden voll Schönheit.  



Es gibt Situationen im Leben, in denen die Weichen gestellt werden. In dem Moment, wo es passiert, bemerken wir es nicht, doch irgendwann später, wenn wir zurückschauen, erkennen wir, dass es diesen Punkt gab, an dem wir uns entschieden haben nach links oder rechts zu gehen, geradeaus zu laufen oder vom Weg abzuweichen. So gab es diesen einen Augenblick, an dem alles anders gekommen wäre, wenn ich den Mut gehabt hätte, mich für Gregor zu entscheiden.

Er war einer der polnischen Saisonarbeiter, die für das Spargelstechen in unseren Ort gekommen waren. Das Geld, das sie dabei verdienten, würden sie später in ihrer Heimat gut gebrauchen können. Gerade die jungen Männer kamen meistens, um sich das Startkapital für eine kleine Familie zu verdienen. Irgendwo jenseits der Grenze wartete bereits ein Mädel auf sie, vielleicht schon mit einem Babybauch und einem Vater, der die Einwilligung zur Hochzeit endlich geben würde, sobald sich der hoffnungsvolle Bräutigam mit einem Umschlag voller Euros bewiesen hatte.

Ich selbst war, wie jedes Jahr zur Erntezeit, auf dem Hof meines Vaters, auch wenn ich inzwischen Agrarwirtschaft studierte. Mein alter Herr war sehr stolz auf beides. Dass ich es später einmal als Diplom Landwirt zu etwas bringen würde und dass ich meine Wurzeln kannte. Tatsächlich wäre mir nie in den Sinn gekommen, zur Saison in der Stadt zu bleiben. Ich half dabei, die Arbeiter anzuleiten, ihnen die Maschinen für das Waschen und Sortieren zu erklären, ich fuhr mit dem Traktor und einer angehängten Gulaschkanone auf die Felder und brachte ihnen ihre warme Mahlzeit. Und dabei sah ich ihn.

Auf den ersten Blick schien er nichts Besonderes zu sein, denn er trug eine schäbige Jeans und einen zerschlissenen Hoodie wie die anderen auch. Doch irgendetwas an der Art wie er einfach nur dastand, zog mich in den Bann. Vielleicht, weil er immer etwas abseitsstand, einen Becher mit heißem Kaffee in beiden Händen und den Blick auf die Weite des Horizonts gerichtet. Was mochte ihm wohl durch den Kopf gehen? Hatte er Sehnsucht? War er gar traurig? Warum interessierte mich das? Vielleicht, weil ich auch zuweilen in die Ferne blickte und mich fragte, was mir das Leben bringen würde. Fast beneidete ich ihn, denn sein Weg schien mir so klar. Klarer jedenfalls als meiner, denn bisher hatte ich mir meine Homosexualität nicht gänzlich eingestanden. Ist nicht immer die Rede von so einer Phase? Nach zwei Jahren Oberstufe, dreien im Studium und ausbleibender Faszination für irgendein Mädel in meinem Umfeld, war die Sache jedoch längst entschieden. Und wenn nicht, dann hätten es mir spätestens die Fantasien verraten, die mich nachts in meinen Träumen fanden - seinetwegen.

Wenn ich ihm im Schlaf begegnete, dann sah ich ihn in besseren Kleidern. In einem leichten, leinenen Hemd mit der Farbe des Weizens im Sommer. Wir standen auf einer Lichtung im Wald und ein leiser Wind, der es seinen Oberkörper umschmeicheln ließ, wehte stets um uns her. Auch sein Haar, wie seine Augen haselnussbraun, wurde davon sanft bewegt und ich stellte mir vor, dass es nach einer Wiese duftete, auf der Mohn und Margeriten blühten. Seine Hose war nicht so fadenscheinig wie sonst, aus besserem Stoff als Jeans und saß perfekt an seinem Po. Wenn er dann mit bloßen Füßen langsam auf mich zukam, wirkte er selbst so schwerelos wie eine warme Brise und das Lächeln auf seinen Lippen versprach mir alles, wonach ich mich so sehr sehnte. Wir verständigten uns im Traum ganz ohne Worte, denn was wir beide uns wünschten war ganz offenkundig.

Er war es, der mir eine Hand entgegenstreckte, um mich zu sich heranzuführen und ich folgte ohne jedes Zögern seiner Aufforderung. Sobald er mich an seiner Brust spürte, legte er mir einen Arm um die Mitte, hielt mich fest, so wie es ein Tänzer tun würde, und tatsächlich drehten wir uns sogleich verspielt im Kreis, gerade so, als bewegten wir uns zu einer wundersamen Melodie in vollkommenem Einklang. Gregor und ich, als müsste es so sein. Über uns die wiegenden Wipfel der Bäume in einem Blätterkleid aus frischem Grün.

Doch mein Traum ging stets noch weiter. Nach dem Tanz befanden wir uns auf einem Gartenweg, der durch dichten, blühenden Rhododendron zu einem kleinen weißen Haus führte. Zielgerichtet zog Gregor mich dorthin, vorbei an hohen Statuen alter griechischer Götter, die uns bemerkten und zulächelten. Meine Aufmerksamkeit galt jedoch nur ihm. Der sanfte Druck seiner Hand verlieh mir Zuversicht und so folgte ich ihm hinein. Eine angenehme Kühle empfing uns und ein Zauber schien uns den Weg zu weisen, eine Stiege hinauf, in einen lichtdurchfluteten Raum, an dessen Fenstern leichte Vorhänge im Wind flatterten. Dort führte er mich zu einem Bett, in dem er mich im nächsten Augenblick bereits vollkommen nackt wie ich selbst und sehnsuchtsvoll erwartete. 

Zärtlich wanderte zunächst mein Blick über seinen vollkommenen Leib. Gänzlich gelöst lag er da. Die muskulösen Arme hinter seinem Kopf verschränkt, sein Atem hob und senkte eine leicht behaarte, wohl definierte Brust und wie spielerisch blieb mir seine Männlichkeit noch von einem Laken verborgen. Doch sein erwartungsfroher Blick verriet mir, dass er es mir zugedacht hatte, ihn ganz und gar zu entblößen.

All dies trieb uns beide mehr und mehr dem Höhepunkt entgegen, doch weder war ich schon am Ende meiner Wünsche noch er. Mit einem knarzigen Raunen, das mir eine neue Hitzewallung bescherte, verlangte Gregor das Nächste. „Nimm mich", flehte er beinahe, und in dem Moment, da er es aussprach, wurde mir bewusst, dass ich genau dies wollte. Es bedurfte keiner weiteren Worte. Ohne Aufschub machte er sich für mich bereit, indem er sich auf den Rücken legte und schamlos die Beine spreizte. Dabei zog er mich halb mit, halb über sich, was mir erneut dem Atem raubte. 

So, über ihn gestützt, suchte ich nach seinem Blick, der mir signalisierte, wie sehr er nach mir verlangte. Ich nickte ihm zu, brachte mich in die rechte Position und stieß schließlich behutsam, aber bestimmt vor. Hitze und Enge empfingen mich und ein leises Seufzen von Gregor ließ mich beben. Es war unvorstellbar erregend, ihn so besitzen wie ich es nie für möglich gehalten hätte. Genießerisch schob er sich mir entgegen, indessen ich tiefer in ihn eindrang. Für einen Augenblick verharrte ich, um mich an das Gefühl und ihn an meine Größe zu gewöhnen, dann setzte ich mit langsamen Schüben ein, die meine kurz zurückgehaltene Lust abermals anschürten. 

Das wohligste Prickeln überkam mich im Rhythmus der Stöße, die ich immer wieder und mit zunehmender Kraft in meinen willigen Liebhaber hineinjagte. Dieser wand sich unter mir und griff nach meinem Schopf, um mich zu sich herabzuziehen. Unsere Münder fanden sich wie von selbst und unsere Zungen umspielten sich als Ausdruck ungezügelten Verlangens. Schon konnte ich spüren, wie mein Orgasmus kurz bevorstand, als sich Gregor plötzlich zwischen unseren verschlungenen Leibern ergoss. Das Gefühl von seiner Hitze auf meiner Haut gab mir den Rest und so bäumte ich mich auf, ein letztes Mal, worauf ich tief in ihm kam. 

Ein Zucken und Zittern durchfuhr mich sowie ihn nicht weniger. Er reckte sich mir entgegen, bevor er vollkommen aufgelöst zurück in die Laken sackte. Wieder zog er mich mit sich und so kam ich zuletzt mit dem Kopf auf seiner Brust zu liegen, horchte auf seinen pulsierenden Herzschlag, während sich mein eigener Atem langsam beruhigte. Kaum war dies geschehen, schaute ich zu ihm hinauf und erkannte, dass er mich mit seinen haselnussfarbenen Augen erschöpft, aber glücklich ansah. Das Lächeln in seinem Gesicht war gewiss das Schönste, was ich je gesehen hatte und ich wünschte mir nichts sehnlicher, als dass ich es festhalten könnte. Es sollte mir gelten. Immer, für alle Zeit.

In dem Moment zerbarst der Traum.

Mehrmals kam dieses Nachtgespinst zu mir und immer nahm ich mir vor, endlich einen ersten Schritt zu wagen. Auf ihn zuzugehen, wenn er verträumt in die Weite blickte. Vielleicht würde er sich mir zuwenden und mir gestehen, dass er nur darauf gewartet hatte. Was hätte ich zu verlieren?

Verloren habe ich letzten Endes ihn. An einem grauen Morgen Mitte Juni war er nicht mehr da. Abgereist noch vor Ende der Saison. Es hieß, er musste dringend zurück nach Polen. Familienangelegenheit. Das Wort traf mich wie ein Schlag. Es konnte so vieles bedeuten und doch nichts. Was mir nun bleibt? Vielleicht die Hoffnung auf nächstes Frühjahr. Wenn er wiederkommt, vielleicht kann ich dann endlich mutig sein. 

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