Gypsy

Die Erinnerung an den letzten Sommer ist für mich so kristallklar wie die Wogen des Atlantiks, die mit ungehinderter Wucht an der Küste meiner Heimat Cork aufbranden. In ihrer hoch aufschäumenden Gischt fängt sich das Licht in allen Farben des Regenbogens, wenn sie das schroffe Gestein treffen, und ihr Donnern ist bei auflandigem Wind kilometerweit zu hören. Die Schönheit dieser Naturgewalten sollte man nicht unterschätzen, so wie nichts in der Natur zu unterschätzen ist ...

Alles fing damit an, dass in der Nähe unseres kleinen Ortes eine Gruppe Gypsys gesehen wurde. Das sprach sich in Windeseile herum. Sie seien am Nachmittag auf der Küstenstraße gekommen und hätten unweit einer kleinen Bucht ihr Lager aufgeschlagen. Mindestens vier ihrer typischen Holzwagen habe man gesehen und auch zwei oder drei Caravans. Die Aufregung war groß ihretwegen. Zwar hätte niemand in unserem Städtchen zugegeben, dass er fremdenfeindlich sei, doch wurden ein paar Sicherheitsmaßnahmen getroffen, die, so hieß es, nicht schaden konnten, wenn fahrendes Volk auftauchte. Die Schäfer ließen ihre Hunde patrouillieren, Hausfrauen erledigten ihre Einkäufe und holten ihre Wäsche von der Leine, den Kindern sagte man, sie sollten zu Hause sein, wenn es dunkel wurde.

Dies alles machte mich neugierig. Zu den Kindern zählte ich schon längst nicht mehr, wenn auch noch nicht ganz zu den Erwachsenen, also nahm ich mir vor, auszukundschaften, was diese Durchreisenden so in ihrem Lager taten. Da gab es vieles, was ich mir vorstellte, während ich auf meinem Fahrrad zuerst die Straße und schließlich einen rumpeligen Feldweg entlangfuhr. Gewiss wäre eine Wahrsagerin unter ihnen, die für ein wenig Kleingeld bereit war, die Zukunft aus der Hand zu lesen, oder auch aus einer Kristallkugel. Ein Fiedler musste dabei sein, der auf seinem Instrument mit flinken Fingern fremdartige und wunderschöne Melodien spielte. Eine Tänzerin vielleicht? So eine schwarzgelockte Schönheit wie die Esmeralda aus dem Roman des Glöckners von Notre Dame? Ich hatte diese Bilder und Klänge in meinem Kopf, doch was ich stattdessen fand, übertraf sie alle.

Tatsächlich erreichte ich ihre Lagerstätte kurz vor Sonnenuntergang. Von Weitem waren Stimmen zu hören, einige konnte ich verstehen, andere benutzten eine mir vollkommen unverständliche Sprache. Sie alle klangen fröhlich. Dennoch wagte ich nicht, einfach so bei ihnen aufzutauchen. Was sollte ich auch sagen, wenn ich ankam? Hey, mein Name ist Robin, ich habe noch nie echte Gypsys gesehen und meine Neugier treibt mich her? Ich versteckte mein Rad also am Wegesrand im Gebüsch und ging vorsichtig etwas abseits weiter, stets im Schutz des Ginsters, der dort überall blühte. Mit Staunen beschaute ich ihr Lagerleben durch die Zweige und Blüten hindurch. Kinder spielten barfuß mit einem Ball und einem Hund, eine ältere Frau mit Kopftusch stand bei einem großen Kessel über offenem Feuer und rührte einen Eintopf, Wäsche hing an einer Leine, ein paar Männer saßen rauchend vor ihren Wagen. All das wirkte fremdartig, faszinierend und friedlich. Doch ich hatte noch nicht alles gesehen und ein Gefühl wie eine Vorahnung führte mich weiter in Richtung Küste. Diese Leute campierten nicht ohne Grund am Meer, dachte ich, irgendetwas würde mich dort noch erwarten.

Schon bald hatte ich die ersten Dünen erreicht und während ich die Stimmen des Lagers hinter und das sanfte Rauschen des Meeres vor mir hören konnte, entdeckte ich plötzlich ihn: Er hielt ein Pferd am Zügel, einen stattlichen fast schwarzen Hengst, doch ich hatte einzig Augen für den Mann. Er war groß, trug nur eine lose, an den Knien zerrissene helle Hose, was ihm etwas Verwegenes gab, und er bewegte sich in perfektem Einklang mit dem Tier, das er an der Brandung entlangführte. Bei jeder seiner Bewegungen sah ich, wie sich seine Muskeln an gebräuntem Oberkörper und Armen spannten und wieder entspannten. Noch nie hatte ich so etwas gesehen. Wo ich aufwuchs, zeigte man sich nicht so selbstverständlich mehr aus- als angezogen, fuhr es mir in den Sinn. Gleichzeitig spürte ich eine Unruhe, eine Aufregung, die mein Herz lauter schlagen ließ als zuvor und obendrein durchströmte mich ein Gefühl von Wärme, die ich mir nicht erklären konnte. Doch war sie kein bisschen unangenehm und als sei er, der Gypsy, die Ursache dieser Empfindungen, zog es mich wie magisch zu ihm.

Als ich näherkam, auf den zweiten Blick, fiel mir auf, wie schön der Fremde wirklich war. Ein dichter Schopf schwarzen Haars, nass von der Gischt, rahmte ein ebenmäßiges Gesicht mit einem ausgeprägt männlichen Kinn, dunklen Augen unter dichten Brauen und sinnlichen Lippen. Er sprach lächelnd und sanft mit dem Pferd wie zu einem Vertrauten. Ich sollte ihn nicht so ansehen, schalt ich mich selbst, er sollte mich nicht so faszinieren. War es das? Neugier und Faszination für einen fremdartigen Schönling? Das musste ich herausfinden! Also trat ich aus dem Schutz der Dünen und des Ginsters heraus. Ich war schließlich kein Kind mehr, das er entführen konnte und wenn, dann wäre es mir in diesem Moment nur recht. Was ich wirklich war, sollte ich schon bald erfahren.

Er schien nicht überrascht zu sein, mich zu sehen, nur ein Funkeln trat in seine Augen, das zuvor noch nicht dagewesen sein konnte. Sonst blieb er lediglich stehen und flüsterte dem Pferd etwas ins Ohr, wobei er ihm mit der Hand über den Hals strich. Dann erst wandte er sich mir zu. Im ersten Moment fürchtete ich, dass er wütend würde, weil ich ihn störte oder dass er vielleicht lächerlich fand, was er sah: einen schlaksigen Halbstarken in zerknitterten Hosen und Hemd, an denen sich Dornen, Gras und Blätter ebenso verfangen hatten wie in seinem struppigen roten Haar. Doch er wirkte keinesfalls abweisend. Im Gegenteil.

„Du folgst mir schon eine ganze Weile, Engländer. Was willst du von mir?", sprach er geradeheraus und der Klang seiner Stimme, volltönend, baritonal und mit einem leichten osteuropäischen Akzent, fuhr mir heißkalt durch Mark und Bein. Ich war unfähig zu antworten, wagte mich aber weiter, bis ich genau vor ihm stand. Ich reichte ihm knapp über die Schulter und ich konnte Salzwasser an ihm riechen.

„Lass dich anschauen", schlug er vor und tat genau das.

Dabei trafen sich zuerst unsere Blicke. Noch nie hatte ich einen Mann gesehen, der Augen hatte, glänzend und nahezu schwarz wie Ebenholz. Sie schienen mir ein unendlich tiefer Wunschbrunnen zu sein, in dem sich meine hellen Augen spiegelten, die mir verrieten, was ich mir so sehr wünschte: Ihn und dass er mich begehrte.

Als könnte er Gedanken lesen, begann er, mich genauer zu betrachten. Seinen Händen entglitten die Zügel, worauf sie sich an den Knöpfen meines Hemdes zu schaffen zu machen. So entblößte er meinen hellhäutigen Oberkörper, was ihn lächeln ließ.

„Du bist blass und bildhübsch", raunte er dicht an meinem Ohr, sodass mich der Hauch seines Atems daran kitzelte, während seine Handflächen streichelnd über meine Brust fuhren. Ich konnte spüren, wie mir das Blut in die Wangen schoss und ein Kribbeln überzog meine Haut, da wo er mich berührte. Doch war dies keine Scham. Ich musste von Sinnen sein, weil ich es einem völlig Unbekannten gestattete und mehr noch – ich genoss es. Eine innere Wärme flammte in mir auf und löste meine anfängliche Anspannung. Eine Begierde erwachte in mir: ich wollte mehr davon, von seinen Berührungen und vor allem wollte ich ihn berühren. So begannen meine Hände nach ihm zu tasten, ihn ebenfalls zu liebkosen, so wie er es bei mir tat. Seine Muskeln an Brust und Bauch waren ausgeprägt, dennoch fühlte er sich dort geschmeidig und warm an.

„Du machst das gut", flüsterte er mir zu, „darf ich dich küssen?"

Was für eine Frage! Natürlich durfte er und mehr noch, beschloss ich, auch wenn mir die Erfahrung gänzlich fehlte, um zu wissen, was dies bedeuten könnte. Ich nickte ihm eilig zu und zog ihn dichter zu mir, sodass kein Zweifel bleiben konnte. Worte fand ich keine, doch ein wohliges Seufzen brachte ich hervor, bevor seine Lippen sich auf meine legten. Sogleich durchfuhr mich eine Mischung aus Überraschung und Erwartung. Sein Kuss war zunächst sanft, er umschmeichelte meinen Mund mit seinen Lippen, nippte ein wenig daran, bis ich entspannte und seiner Zunge erlaubte, mehr und mehr zu erforschen. Um es ganz zu genießen, schloss ich die Augen, überließ ihm die Führung und tat, was er tat. Ich fasste nach seiner Wange und seinem Haar. Er schmeckte bittersüß nach Honig und Meersalz. Ermuntert durch meine Reaktion küsste er nun fordernder und rücksichtsloser, was mich ebenfalls anstachelte. Wir drängten uns immer enger aneinander, ließen unsere Hände unsere Körper erkunden und vergaßen nach und nach jede Scheu. Sein heißer Atem machte mich ganz verrückt, ich seufzte und mein jugendlicher Leib schien mittlerweile in Flammen zu stehen. So sanken wir nieder in den Sand, wo wir uns lustvoll wälzten. Mal war er oben, dann wieder ich und der einzige Gedanke, den ich fassen konnte, war, dass es noch immer nicht genug war.

Ich begann an seiner Hose zu zerren.

„Weg damit!", verlangte ich.

Er lachte und noch bevor ich realisierte, was geschah, hatte er mir meine heruntergestreift. Ich tat das Gleiche für ihn und verlor keine Zeit damit, seine stattliche Erektion zu bewundern. Wieder zog ich ihn zu mir, drückte mich in wilder Erregung an ihn und versuchte, jede noch unbekannte Region seines Leibes zu erobern. Ich leckte das Salz auf seiner Haut, fühlte seine Muskeln unter meinen Händen, schob ihm ein Bein zwischen seine kräftigen Schenkel, was ihm ein Stöhnen entlockte und mir einen heißen Schauer über den Rücken jagte.

Nie zuvor war ich mit einem anderen Menschen so zusammen gewesen und niemals hätte ich geglaubt, dass mich eine solch zügellose Begierde überkommen könnte. Das Gefühl von Sand unter mir und dem nackten, heißen Leib des Gypsys über mir, trieb mich weiter an. Ich hob mich ihm entgegen, schenkte ihm wilde, hungrige Küsse und genoss die Reibung, die wir uns gegenseitig an unserer Härte verschafften. Mehr und mehr spielten meine Nerven und Sinne verrückt. Das Blut rauschte in meinen Ohren, mein Herz pochte zunehmend stärker, ein angenehmes Ziehen und aufbrausendes Prickeln durchfuhren meinem Körper. Meine Hände suchten nach ihm, fassten ihn überall. Seine muskulösen Schultern, seine Brust, seine Festen Po, seinen steifen Schwanz. Schließlich war es der Gypsy, der unsere Bewegungen in Einklang brachte. Er hielt mich, drückte sich an mich, ergriff mit starker, aber dennoch sanfter Hand unser beider Erektion und massierte sie auf und ab. Ich stöhnte und bald bäumte ich mich auf. Sein beschleunigter Atem keuchte immer wieder an meiner Wange. Dann endlich kam der erlösende Höhepunkt. Wir ächzten und zugleich jubelte alles in mir. Ich riss die Augen weit auf, wollte ihn ansehen und was ich sah, war das Schönste: Seine glänzenden, unergründlichen Augen, sein schweißnasser Schopf, sein erschöpftes Lächeln.

Noch immer wollte keiner von uns den anderen loslassen und so blieben wir eine Weile eng umschlungen liegen. Küssten noch ein wenig, streichelten noch ein wenig. Irgendwann hatte sich meine Wahrnehmung wieder halbwegs normalisiert und ich hörte das leise Wogen des Meeres, nahebei schnaubte das Pferd, der Wind kühlte meine Haut und es dämmerte. Mein Kopf ruhte auf seiner Brust und ich vernahm seinen Herzschlag. Am Himmel über uns traten die ersten Sterne hervor. Wehmütig erkannte ich, dass es Zeit wurde, sich zu trennen. Zuhause würden sie sich sonst Sorgen um mich machen. Womöglich eine Suche beginnen ...

„Ich muss gehen", wisperte ich nur und er verstand ohne weitere Worte. Der Rausch wie der Zauber unseres Liebesspiels waren vorbei. Dennoch würde dies kein Abschied für immer. Wir zogen uns an, er holte seinen Hengst, dann gingen wir noch gemeinsam ein Stück. Schweigend, doch noch immer verbunden. Schließlich sagten wir einander goodbye.

An jenem Abend gab es beim Abendessen kein anderes Thema als das Zigeunerlager, das wieder verschwinden sollte. Mein Vater und andere Männer des Ortes waren deswegen bereits beim Bürgermeister gewesen. Ich wagte nicht, mich dagegen auszusprechen, auch wenn es mich wütend machte. Was wussten diese engstirnigen Erwachsenen schon über das fahrende Volk? Nichts als Gerüchte und Vorurteile. Später dauerte es eine Ewigkeit, bis ich mich in den Schlaf wälzte. Immer wieder sah ich den schönen Gypsy vor mir, spürte seine Berührungen, sehnte mich nach ihm. Sollte ich einfach mit ihm gehen? Wäre das auch sein Wunsch? Gleich früh morgens, so nahm ich mir vor, wollte ich zu ihm und ihn fragen.

Doch dazu kam es nicht. Als ich bei Morgengrauen aus dem Haus trat, entdeckte ich sein Pferd friedlich grasend in unserem Garten. Da wusste ich, dass er fort war. Doch ich wusste auch, dass er wiederkommen würde, denn er hatte dieses Pfand zurückgelassen. Und so warte ich voller Zuversicht. Bis er kommt, werde ich gut für das Tier sorgen.  

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