Fackeln im Sturm


Es war eine mondlose, vollkommen windstille Nacht, als Leif sich für die Wiederkehr seines Geliebten bereit machte. Er würde seine Ankunft erwarten, oben auf der Klippe, bei den großen alten Steinen. Sie waren in der Form eines riesigen Schiffes aufgereiht und von weither sichtbar. Er liebte diesen Ort, denn hier waren sie sich zuerst begegnet und hier würden sie sich erneut in die Arme schließen. Der Pfad hinauf war steil und schmal, weshalb der Schwede sein Pferd unten am Strand zurückgelassen hatte. Alles, was er benötigte, trug er nun selbst in seinen Satteltaschen mit sich. Viel war es nicht. Eine Decke, ein wenig Proviant und natürlich die Fackeln, um dem geliebten Mann den Weg zu weisen. Ein paar Glühwürmchen saßen im Gras und der Anblick ihres kalten Lichts ließ ihn lächeln. So wie sie, würde auch er seinen Liebhaber mit Leuchtfeuer anlocken. Wenn es nur endlich so weit wäre, dass sie sich wieder vereinten!

Oben auf dem Kamm der Klippe hielt er Ausschau in der Dunkelheit, aber noch war nichts zu sehen. Kein Mast, kein Segel, keine Gischt. Die See lag ruhig und spiegelglatt, gerade so als sei sie friedlich und es war nicht mehr lang bis Mitternacht. Dann, das wusste Leif, käme ein plötzlicher Sturmwind und ließe sie schäumen, wild brodeln und das Schiff ausspucken, das den Geliebten zu ihm brachte. Nicht mehr lange ...

Er machte sich sogleich daran, die schweren Fackeln aufzustellen und zu entzünden. Sie waren aus soliden Stämmen gemacht, etwa so dick wie seine Oberschenkel und auch falls wider Erwarten Wind aufkäme, würden sie weiterbrennen, denn das Feuer fraß sich, geschützt im Innern des Holzes, in die tiefen Spalten einer Säge. Kein Sturm konnte sie ausblasen. Leif stellte sie rechts und links von dem übermannshohen Felsen auf, der den Bug des steinernen Schiffes darstellte und schaute zu, wie ihre Flammen aufloderten. Nicht weniger brannte die Sehnsucht in ihm, denn es waren sieben endlose Jahre vergangen, seit sein Liebster ihn verließ. Er war noch jung gewesen, gerade Anfang dreißig. Jetzt war er fast vierzig und damit zum ersten Mal deutlich der Ältere, denn er alterte nicht. Kaum einen Tag. Was dies bedeutete, begann Leif nun erst zu begreifen.

Sein Liebster war verflucht. Seit einer Ewigkeit schon war er dazu verdammt, unsterblich über die Ozeane zu segeln und nur einmal alle sieben Jahre kam er an Land. Seine Gestalt war die eines jungen Mannes von Ende zwanzig und blieb es, während seine Seele einsam und alt in ihm wohnte. Wie lange schon, das wusste nur er. Und während seine äußere Hülle für immer jung, stark und schön blieb, alterte Leif. Zuerst noch kaum merklich, doch schon bald unaufhaltsam. Nach drei gemeinsamen Nächten, wie viele könnten sie noch haben? Noch einmal drei, vier? Fünf allerhöchstens. Und wie auch immer oder wann auch immer der blonde Schwede starb, es wäre allein. Treu bis in den Tod, wie er es versprochen hatte, vor genau einundzwanzig Jahren. Es musste einen anderen Weg geben, sagte er sich immer wieder und auch jetzt, während ihm Tränen in die Augen stiegen. Es konnte keinen Fluch geben, der nicht zu brechen war. Es gab doch für jeden Menschen eines Tages die Erlösung. Also auch für ihn und seinen verdammten Seefahrer.

Die Flammen loderten mittlerweile hell und klar und stiegen nahezu senkrecht in den Nachthimmel auf, als sich plötzlich etwas tat. Ein Wind kam vom Wasser, ungewöhnlich kalt für den Mittsommer und nicht von dieser Welt. Leif fröstelte und er legte sich seine Decke um. Dann starrte er hinaus auf See, wo es losging. Ein dumpfes Tosen wuchs in der Ferne zu einem mächtigen Brausen, Luftwirbel bliesen das Wasser auf bis man die weiße Gischt in der Nacht deutlich erkennen konnte. Der Wind nahm zu und die Fackeln flackerten im Sturm. Eine Windhose wie aus dem Nichts teilte die Fluten mitten entzwei und aus der klaffenden Wunde im Meer, stieg mit einem Mal ein grausiges Geisterschiff empor. Die Segel hingen in nassen Fetzen vom Mast, das Holz bog sich und jammerte laut, kein Licht an Bord, nichts, was darauf hinwies, dass es dort eine Mannschaft gab oder einen Kapitän. Es nahm dennoch direkten Kurs auf die Klippe und Leif spürte, wie sich sein Herzschlag beschleunigte. Er kam. Es dauerte nicht mehr lange!

Die Galeone lag schon bald in sicherer Entfernung vor Anker und ein Ruderboot mit nur einem Mann an Bord näherte sich dem leeren Strand. Am nächsten Morgen, das wusste Leif, würden die Menschen im Hafen aufgeregt zusammenlaufen, um zu erfahren, wie des nachts ein solch großes Schiff unbemerkt herangekommen war, und nur er kannte das Geheimnis. Einen Teil davon zumindest.

Inzwischen hatte sich der Wind wieder gelegt und die Fackeln brannten ruhig vor sich hin, doch umso aufgeregter wurde der wartende Mann. Dann, endlich, näherten sich Schritte auf dem steilen Pfad. Das Geräusch seiner Stiefel würde Leif noch in hundert Jahren erkennen. Ebenso seine schattenhafte Gestalt. Groß, mit ausladendem Umhang und erhobenem, von wilden Locken umkränztem Haupt, war er da und sah sich um. Als er den anderen Mann im Flammenschein gewahrte, kam er gelaufen und breitete die Arme aus, um ihn sogleich mit ungezügelter Freude an sich zu reißen.

„Sieben Jahre!", rief er aus, „Was für eine Ewigkeit, ohne dich!"

Leif war zu aufgewühlt, um gleich zu antworten. Er konnte es kaum fassen, dass der geliebte Mann ihn wieder an sich drückte, so fest, dass es fast wehtat. Seine Kraft, sein Geruch nach Leder, See und Sehnsucht, das alles war so echt, so real, so überwältigend.

„Du bist gekommen!", brachte er endlich hervor und fasste das Gesicht seines Liebsten mit beiden Händen, um ihn anzuschauen. Nichts hatte sich verändert. Das waren seine Augen, funkelnd wie eh und je, seine sinnlichen Lippen, seine Wangen, makellos, zeitlos. Er musste ihn küssen! Bebend vor Verlangen presste er seine Lippen auf den Mund des anderen, der sogleich erwiderte. Sein Atem war heiß, lebendig und sein Kuss gleichzeitig rau und süß. Keiner der beiden wollte Worte oder Zeit verlieren. Was gab es auch zu reden oder anderes zu tun? Ihnen blieben nur die Stunden bis zur nächsten Mitternacht.

Ohne Umschweife entledigte sich der Ankömmling seines Umhangs und breitete ihn auf dem Boden aus. Kaum war das getan, zog er Leif zurück in seine Arme und gemeinsam sanken sie hernieder. Wieder küssten sie sich und drängten sich aneinander, unfähig, unwillig, ihr Begehren zu zügeln. Wälzten sich übereinander, bis er sich als erster löste, um sich sein Hemd vom Leib zu reißen. Leif begriff, dass er das Gleiche tun musste und wollte! Ja, er wollte die Haut des anderen auf seiner spüren und nicht nur das. Er wollte ihn, alles, in sich spüren. Es galt, keine Sekunde zu zögern! Mit nur wenigen Handgriffen, machten sie sich nun eilends daran, sich aus Hemden, Stiefeln, Hosen zu befreien. Mal zog der eine, mal der andere an einem noch immer lästigen Kleidungsstück, bis sie letztendlich so wie Gott oder der Teufel sie geschaffen hatte, abermals übereinander herfielen. Eng umschlugen rieben sie sich aneinander, ließen ihre Hände wandern, ihre Münder, ihre Zungen. Einzig ihr lustvolles Stöhnen und keuchender Atem erfüllte die Nacht um sie herum. Leif sah auf zu den Sternen, dann wieder suchte er die funkelnden Augen des anderen über sich, er zog ihn nieder, fasste in seine schweren Locken und küsste ihn aber und aber. Im flackernden Licht der Fackeln wirkten sein Gesicht, seine Haut wie dunkles Gold und ebenso heiß wie die Flammen. Dabei war er was? Ein Spuk? Ein Geist?

Plötzlich kam es über Leif. Noch nie hatte er ihn gefragt, aber er wollte es nun unbedingt wissen.

„Was ...", begann er zwischen gierigen Küssen, „... sag mir, ... was du bist."

„Das weißt du", lautete die ungeduldige Antwort.

Nur kurz hielt der wilde Seemann inne, dann forschten seine heißen Lippen nach denen von Leif. Doch dieser war nicht zufrieden.

„Nein, ich weiß es nicht", versuchte er es erneut und legte seine Hand auf das Herz des Mannes. Es schlug, schnell und stark. „Bist du ein Geist? Ein Dämon? Es ist mir gleich, denn ich liebe dich. Aber ich muss es wissen."

Der Mann legte seine auf Leifs Hand, bevor er mit tiefer, ernster Stimme sprach: „Was du erfragst, kann ich dir nicht sagen, denn ich kenne die Antwort selbst nicht. Ein Mensch war ich vor langer Zeit, jetzt bin ich weniger als das. Was ist schon ein untoter Irrfahrer auf den weiten Ozeanen, der niemals seine Heimat findet? Nur eins ist mir gewiss, dass ich dich liebe. Du bist alles, was ich will. Dein Geliebter ist alles, was ich bin."

Seine Antwort bewegte Leif zutiefst. Wie konnte ein solcher Mann, einen einfachen Menschen wie ihn lieben? Was, wenn er zum letzten Mal kam? Wenn Leif ihm nicht genügte? Warum er? Er musste dies erfahren.

„Sag mir den Grund. Warum liebst du mich?"

„Weil du mich erkanntest, gleich als du mich sahst. Du fühltest meine Einsamkeit und dass ich dich suchte. Einen Menschen, der mich das Leben wieder spüren lässt. Wenn auch nur für eine Nacht und einen Tag, alle sieben Jahre. Deine Treue ist mehr als ich je zu hoffen wagte und statt der Sehnsucht nach dem Tod sehne ich mich nun nach dir."

Der Seefahrer schaute, ob seine Worte die rechten gewesen waren. Doch noch immer war da ein Zögern, irgendetwas, das noch zwischen ihnen stand. Sanft küsste er Leif, fuhr mit seinen Lippen die Konturen der Lippen des Mannes nach und flüsterte ihm seinen Namen zu. Leif, Leif ... Dann, mit einem Mal, war ihm überdeutlich, was es war.

„Ich werde dich lieben bis ans Ende deiner Tage, mein Engel. Und wenn deine letzte Stunde gekommen ist, wirst du nicht allein sein. Dann endlich, sterbe auch ich. Dein Tod wird mich erlösen und dann können wir für immer vereint sein."

Auf Leifs Gesicht liefen Tränen hinab. Der Seefahrer sah sie nicht, doch er konnte ihr Salz schmecken.

„Ist das alles?", fragte der Schwede, leise und tief bewegt.

„Ja, mein Engel. Das ist alles."

Der Verfluchte sagte dies, als wenn es weiter nichts wäre. Für jemanden wie ihn, waren all die Jahre wohl auch eine Kleinigkeit. Sieben, siebenundsiebzig oder siebenhundert? Leif verstand jetzt. Was wäre schon die Wartezeit seiner Lebensjahre, wenn sie danach zusammenbleiben konnten? Seine Unsicherheit und seine Zweifel verflogen, machten endlich Platz für neues Begehren und Sehnen nach körperlicher Liebe.

„Halte mich, nimm mich", hörte er sich flehen und wurde erhört.

Ihre gierigen Münder fanden sich wie von selbst und die Intensität ihrer Küsse ließ beide Männer schaudern. Ihre Zungen umtanzten sich mehr und mehr, bis es schien als kämpften sie. Immer wieder seufzten und stöhnten die Liebenden, während sich ihre Körper rieben und erhitzten. Der Mann über Leif hielt ihn mit einem Arm umfangen, mit der Hand des anderen hielt er ihn am Schopf. Sein Gewicht, sein Drängen ließen keinen Zweifel an seiner unbändigen Lust. Leif hob sich ihm entgegen und konnte es kaum mehr erwarten, bis sie sich vereinigten. Immer wieder fuhr er ihm mit seinen Händen kosend über den kräftigen Rücken und Po. Gewiss war er nicht sanft dabei. Dann, um dem stürmischen Seefahrer zu zeigen, dass er bereit war, unterbrach er ihren Kuss und raunte ihm ins Ohr. Der Mann verstand, ließ kurz von Leif ab und griff in seinem Umhang nach einer Phiole mit exotischem Öl. Dessen Duft raubte Leif den letzten Rest Verstand und ließ ihn schwindeln. Schließlich war es so weit.

Der Seefahrer mit den wilden Locken schob sich auf ihn. Lüstern und willig ließ Leif ihn zwischen seine brennenden Schenkel gleiten, zog ihn zu sich, drückte sich ihm entgegen, hielt spannungsvoll den Atem an. Im nächsten Moment kam der Schub, der seinem Liebsten ermöglichte, in ihn einzudringen. Langsam, aber Stück für Stück. Der Verfluchte ächzte wohlig, übermannt von der Hitze und Enge, die ihn umfing. Für einen Augenblick wartete er ab und gab Leif Zeit, sich an seine volle Länge zu gewöhnen. Dann setzte er mit verhaltenen, sachten Bewegungen ein. Zurück und vor, gleichmäßig, langsam steigernd. Der Schwede begann schwerer zu atmen. Ein wonniges Ziehen und Prickeln fuhr durch seinen Leib, ließ ihn sich anspannen und winden. Mit den Händen suchte er Halt an den Schultern seines Liebhabers, der fester und fester stieß und danach suchte, ihre Lippen wieder zu vereinen. Sie fanden sich, schmeckten süßer als zuvor und noch lauter ertönten die tiefen, leidenschaftlichen Seufzer, die beide Männer von sich gaben. Noch immer wurde das Liebesspiel stürmischer und wie im Rhythmus der See an einem rauen Tag ließen die Stöße des Seefahrers Wellen der Lust über ihre Körper hereinbrechen. Leif verlor bald die Orientierung, denn allzu viel war der doppelte Reiz. Er wurde gestoßen und zugleich rieb sich seine Erektion am Leib des Mannes über ihm. Er wimmerte, er wand sich, er wurde gehalten, dann, wie ein Wolkenbruch, stürzte sein Höhepunkt über ihn herein. Heiß und feucht ergoss er sich und noch bevor er sich's versah, kam auch sein Geliebter, unaufhaltsam und tief in seinem Innern.

Im selben Moment verließ Leif sämtliche Kraft und ihm war, als würden seine Sinne schwinden. Doch sogleich spürte er, wie der andere ihn noch immer hielt. Behutsam ließ er von ihm ab und legte sich neben ihm nieder, nur um ihn fast wie ein Kind an seine Brust zu ziehen. Er säuselte ihm liebevolle Kleinigkeiten ins Ohr und strich ihm beruhigend über die Seite. Noch immer ganz betört, versuchte Leif alles in sich aufzunehmen, was die Erinnerung an diese Nacht in den kommenden sieben Jahren lebendig halten würde. Den Duft des Mannes nach Salz und Liebe, die Tiefe seiner Stimme, das Gefühl seiner Haut unter den Fingern, den Schlag seines Herzens. Alles war so lebendig und echt. Leif schmiegte sich dichter an ihn und ließ es zu, dass der Seefahrer ein Stück seines Umhangs um sie zog. So küssten sie sich, ganz sachte. Und Leif schmeckte die Tränen seines verfluchten Geliebten.

Die Fackeln waren erloschen. 

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