A New Hope

Das Schicksal trieb mich an jenem Abend im Jahre 1928 hinaus, zuerst auf die Straße, wo ich versuchte, einen klaren Kopf zu bekommen, doch dann weiter zum Stadtpark. Ich musste das Risiko eingehen, mich dort mit einem anderen Mann heimlich und anonym zu vergnügen oder verrückt werden. Verrückt wegen des unstillbaren verbotenen Verlangens in meinen Lenden. Mein Ruf, meine Zukunft, mein Leben – alles war mir egal. Meine Schritte verrieten meine Eile. Erst als ich mich dem gewissen Ort im Park näherte, gewann mein Verstand vorübergehend die Kontrolle zurück: Nicht zu schnell, du verrätst dich sonst! Dann sah ich ihn. Er stand unter der Laterne mit der schwach glimmenden Glühbirne, wie zuvor. Seine Silhouette war unverkennbar. Groß, breite Schultern, den Kragen des Mantels hochgeklappt und mit Zigarette im Mundwinkel. Ich hätte ihn überall erkannt, doch dieser Park mit seinen dichten Hecken und den schlecht beleuchteten Wegen war der Treffpunkt für Männer wie mich und ihn. Hier fragten wir nicht nach Namen. Es zählte nur der flüchtige Augenblick unter der Brücke, hinter dem Baum, an der Mauer oder im Dickicht. Damals war es das verbotene Paradies. Auch er erkannte mich bereits von weitem, hob seine Hand zu einem kurzen, lässigen Gruß und selbst im schlechten Licht der Laterne sah ich ihn lächeln. Oh, diese Lippen! „Du", sagte er nur und der Klang seiner Stimme ließ mich erwartungsvoll beben. Dann ging alles wie von selbst. Meine Hand in seiner. Halb zog ich ihn, halb schob er mich. Ob uns jemand beobachtete? Möglich. Wir konnten nur hoffen, dass jeder andere, der sich hier des nachts herumtrieb, das gleiche Ziel hatte wie wir: Sex. Verboten, riskant, aber so köstlich, so unbeschreiblich ...

Wir drängten uns durch die hohen Büsche mit blühendem, duftenden Hibiskus und fanden ein Plätzchen im Gras, wo uns niemand beobachten würde. Wir brauchten keine Worte, unsere Gesten, unsere Leiber sprachen für uns. Im Nu hatten wir auf der kühlen Erde ein Lager aus unseren abgelegten Mänteln geschaffen, auf dem wir uns wälzten, wir keuchten vor Verlangen, rieben uns aneinander, unsere Hände und Münder suchten nach den gewissen Stellen, wo sie die Lust des anderen befeuerten. Er knabberte an meinem Ohrläppchen, ich strich ihm über den festen Po, sein Atem in meiner Halsbeuge, meine Erektion gepresst an seinen Unterleib, seine gierigen, heißen Handflächen unter meinem Hemd, meine Zunge an seinem Hals. Da war diese kleine Tätowierung, die mir schon zuvor aufgefallen war. Ganz schlicht, eine feine dunkle Linie, der Buchstabe „J". In meiner Fantasie hatte ich mir vorgestellt, dass dieser vielleicht zu einer vergangenen Liebe gehörte, oder womöglich seinen eigenen Namen abkürzte. Johann, Joachim, Justus, Jakob ... Ob er ahnte, wie sehr ich mir ein wenig Vertrautheit wünschte?

Es war keine Zeit, länger darüber nachzudenken, denn unser Vorspiel wurde fordernder und mein Verstand verabschiedete sich. Wir begannen, uns gegenseitig die verbliebenen Kleider abzustreifen. Erst die Hemden, dann in aller Eile die Schuhe und Hosen. Keine Ahnung, wie wir später alles wiederfinden wollten und in welchem Zustand die Kleider dann wären. Voll Gras, gerissen? Jeder Ermittler der Sittenpolizei könnte erkennen, was wir getan hatten. Aber dafür mussten sie uns erst kriegen ...

Mittlerweile hatte mich meine Begierde vollends eingenommen. Seine erhitze Haut auf meiner, seine Lippen auf meinen, unser heißer Atem, der sich vermischte, gedämpftes, tiefes Stöhnen, verbotenes Verlangen. Vielleicht war es die unumstößliche Gewissheit, dass wir drauf und dran waren, eine Grenze zu überschreiten, für die uns das Zuchthaus oder Schlimmeres drohte, was uns bisher zurückgehalten hatte. Doch letzten Endes würde es vor keinem Richter einen Unterschied machen, ob wir wirklich getan hatten, was so ungeheuerlich war, oder ob wir es nur in unserer Fantasie taten. So forderte ich ihn endlich auf, sich nicht länger zurückzuhalten.

„Nimm mich ganz", brachte ich keuchend heraus und der Klang meiner Stimme, knarzend, voller Verlangen, kam mir seltsam fremd vor. Ihm schien dies zu gefallen, denn mit einem flüchtigen, aber intensiven Blick in meine Augen, wie um darin die Bestätigung meiner Worte zu finden, vergewisserte er sich ein letztes Mal, bevor er sich für den eigentlichen Akt bereit machte. Ich ließ mich erwartungsfroh ins Gras sinken und versuchte, vollkommen zu entspannen, als er sich auch schon über mich schob.

Es war atemberaubend, in jeder Hinsicht. Seine Augen verrieten seine Erregung, seine Lippen waren von unseren Küssen geschwollen, sein Haar zerzaust, die Muskeln seiner Schultern konnte ich fühlen, seine Brust bebte und schließlich spürte ich, wie sich seine pulsierende Erektion in mich hineinschob. Ich ächzte in seiner Halsbeuge, ich flüsterte ihm zu, dass es genauso gut war und er solle nicht aufhören. Ich schlang meine Arme um ihn, drängte mich ihm entgegen und sog seinen Duft ein. Herb, männlich, wie der Wald nach einem Regen im Mai. Ich wünschte, seinen Namen zu wissen, um ihn in höchster Ekstase rufen zu können, was aber unmöglich war. Ein angenehmes, prickelndes Ziehen ließ meinen Leib erschauern, doch das war nur der Anfang.

Mit einem kräftigen Schwung aus seinen Lenden begann der eigentliche Akt, das unaussprechliche Vergnügen, für das wir beide alles riskierten. Ich unterdrückte einen Aufschrei des Entzückens und spürte seine männliche Kraft tief in meinem Innern. Hart, heiß, unerbittlich. Ich suchte Halt mit den Füßen im Gras, ich wand mich unter seinen Schüben, die zu Stößen wurden. Rau, immer schneller, pulsierend, prall versenkte er seine Erektion in mir. Mein Körper reagierte im höchsten Maße. Ich rang nach Luft, das Blut rauschte in meinen Adern, ein heißes Wallen und Wogen durchzog mich, ich wimmerte, alles in mir spannte sich an.

Wie aus der Ferne hörte ich ihn stöhnen, was mich dazu brachte, ihn mit dem Blick zu fokussieren. Es wäre zu schön, wenn er mich ansähe, wenn er meinen Namen flüstern würde, wenn ... Meine verzweifelten Wünsche wurden jäh unterbrochen als er plötzlich kam und mich vollends erbeben ließ. Er japste auf, ich klammerte mich an ihn, denn noch immer stieß er mich mit kaum gebremster Kraft, was nun auch mich zum Höhepunkt brachte. Ohne Vorwarnung ergoss ich mich zwischen unseren schwitzenden, umschlungenen Leibern. Das Gefühl überschäumender Lust euphorisierte mich so sehr, dass ich alles um uns herum vergaß. Da waren nur er und ich, irgendwo im Gras, irgendwo in der Nacht, irgendwo ...

"Ich muss fort", war das Erste, was er sagte und was ich wahrnahm. Fort? Nein, er sollte nicht fort! Nicht so bald, doch seine Worte brachten mich zurück in die Realität. Wir lösten uns voneinander und beseitigten die Spuren unseres Liebesspiels eilig so gut es ging. Das war immer der schlimmste Moment, wenn die Ekstase abklang und damit erneut Angst und Schuldgefühle die Oberhand gewannen. Wir vermieden es, uns anzusehen, während wir unsere Kleidungsstücke suchten und lautlos anzogen. Es war schwer zu sagen, ob es ihm leichter fiel als mir, aber er war damit ein wenig schneller. Vielleicht gab es einen Grund dafür, denn er hatte ja gesagt, dass er fort müsste. Verpasste er einen Zug? Musste er rechtzeitig irgendwo heimkehren? Zu einer Frau? Ich wagte nicht zu fragen.

Schließlich verließ er unser Gebüsch als Erster. Wehmütig schaute ich auf die Äste, die sich wieder schlossen, nachdem er hindurchgegangen war und blieb noch eine kleine Weile aus Vorsicht dort, ließ ihm einen Vorsprung, was weniger verdächtig war, als wenn zwei Kerle kurz hintereinander aus einer unbeleuchteten Ecke des Parks wieder auftauchten. Dann geschah plötzlich alles blitzschnell.

Eine Pfeifensignal ertönte und gleich darauf hörte ich die Schritte mehrerer Männer in schweren Stiefeln, die herbeiliefen. Auch glaubte ich, einen Hund zu hören. Was war das, etwa eine Razzia? Ich warf mich flach auf den Boden, wagte kaum zu atmen und hoffte, sie würden nicht auf die Idee kommen, hinter die Hibiskus Sträucher zu schauen. Meine Angst hatte mich vollkommen im Griff. Ich durfte nicht verhaftet werden, es wäre das Aus, mein sogenannter Ruf ruiniert. Wie sollte ich das Zuchthaus überstehen? Das Gras unter mir fühlte sich feucht und kalt an, es roch nach Torf. Doch das Glück war bei mir, denn sie liefen weiter.

Erst als es wieder ruhig war, überfiel mich ein entsetzlicher Gedanke: Was, wenn sie ihn erwischt hatten? Entsetzen und Scham überkamen mich gleichermaßen. Warum hatte ich daran nicht gedacht? Ich hätte ihm zu Hilfe kommen müssen! Endlich hatte ich mich so weit im Griff, dass ich den Weg entlang eilte, den er genommen haben musste und auf dem sie ihn womöglich gefunden hatten. Schließlich, als ich um eine Kurve kam, sah ich etwas auf dem Kies liegen. Ein Mensch, zusammengekauert, reglos, er. Ich kniete mich zu ihm nieder, da sah ich das ganze Ausmaß der Prügel, die er eingesteckt haben musste. Verfluchte Kerle! Er hielt eine Hand schützend über den Kopf, Blut war an seinem Haar und tropfte durch seine Finger. Die Körperhaltung verriet, dass sie ihm in die Magengrube getreten hatten und wer wusste schon, wohin noch. Er röchelte leise.

„Ich bin es", sprach ich ihn vorsichtig an und legte ihm eine Hand auf die Schulter. Ganz sachte nur. „Wir können hier nicht bleiben, du kommst mit zu mir."

Woher ich den Mut und die Gewissheit nahm, wird mir immer ein Rätsel bleiben. Doch es musste sein. Keine Frage.

Er sagte nichts, doch er hatte verstanden, denn er ließ sich aufhelfen. Allein stehen konnte er nicht. Vielleicht kam das von einer Gehirnerschütterung oder von den Schmerzen.

„Es ist nicht weit, ich bin mit dem Wagen gekommen."

Und so war das. Ich legte seinen Arm über meine Schulter und wir schafften es, gemeinsam zu gehen, weil ich ihn aufrecht hielt. Ein Herr mit einem Hund, der uns entgegenkam, rümpfte nur die Nase und rief uns zu, dass es eine Schande wäre, sich so zu betrinken. Er wusste es nicht besser. Als wir an der Straße ankamen, half ich ihm, sich auf den Rücksitz meines Benz' zu legen und später wieder hinaus. Schließlich endete er auf der Couch in meinem Wohnzimmer. Ich sorgte noch dafür, dass aus der schmutzigen Kleidung herauskam, legte ihm eine Decke über und holte einen Verbandskasten aus dem Bad. Es gab in dieser Situation nur eines, nämlich das Richtige zu tun. Alles andere fand sich danach. 

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