Prolog
Die Schatten tanzten um das junge Mädchen, das eilig durch die leeren Flure des großen Schlosses hastete. Vor einer kahlen Wand im 7. Stock stoppte sie schließlich, bevor sie dreimal davor auf- und abging. Sogleich glitt die Wand zur Seite und sie huschte – nicht ohne sich noch einmal zu vergewissern, dass man sie nicht gesehen hatte – hindurch.
Der Junge mit den blonden Haaren und dem für ihn üblichen schwarzen Anzug wartete schon auf sie. Sobald sie den eigens für solche Treffen erschaffenen Raum betrat, sprang er vom Sofa auf und lief ihr entgegen. Doch anstatt sich, wie erwartet, in seine Arme zu werfen und ihn mit einem sanften Kuss zu begrüßen, wie sie es sonst immer tat, stieß sie ihn von sich und zog ihren Zauberstab.
„Wie konntest du nur, Draco?!", schrie sie und er wich geschockt zurück, die Augen ungläubig auf ihren Zauberstab gerichtet. „Er hat dir vertraut und du hast ihn verraten! Du warst sein Schüler, bei Merlins Bart." Tränen sammelten sich in ihren Augen und als sie diese ungeduldig wegwischte, erwachte Draco aus seiner Starre und nutzte diesen winzigen Moment, um vorzuspringen und sie in seine Arme zu ziehen.
Sein Verstand schrie ihn an, sie zuerst zu entwaffnen, doch sein Körper sehnte sich viel zu sehr nach ihr. Es war schon so lange her, dass er sie in seinen Armen gehalten hatte. Fünf Tage, wenn man es nicht gewöhnt war, konnten eine lange Zeit sein.
Er spürte ihren Widerstand, wie sie ihre schmalen Hände gegen seine Brust stemmte, aber sie richtete ihren Zauberstab nicht noch Mal auf ihn.
„Verstehst du nicht, Love? Ich musste das tun und..." Seine Stimme brach von Wort zu Wort mehr, bis sie schließlich verstummte. Er atmete tief durch, bevor er weitersprach: „Er... der dunkle Lord hat gedroht, Mum etwas anzutun, wenn ich den Auftrag nicht ausführen würde, weil sie doch kein Todesser ist und... ich konnte das einfach nicht zulassen! Versteh mich, bitte Hermine!"
Das Mädchen schluckte. Sie war noch immer wütend, regelrecht entsetzt, weil er das alles vor ihr geheim gehalten hatte, aber sie verstand tatsächlich. Für ihre Familie würde sie bis zum Äußersten gehen, nur um sie zu schützen. Sie verzieh ihm nicht, dass er Dumbledore verraten hatte, aber sie wusste, dass er ihn nicht umgebracht hatte. Nicht weil Harry es ihr voller Hass auf Snape und Draco erzählt hatte, sondern weil sie wusste, dass Draco niemals in der Lage sein würde, jemanden zu töten.
Nicht Dumbledore, nicht Harry, nicht Luna, nicht Neville - und auch nicht sie, Hermine. Dafür war er viel zu gut, dass wusste sie.
Schließlich ließ sie sich gegen seine harte Brust sinken und schlang die Arme um ihn. Wie ein kleiner Affe klammerte sie sich an ihm und beide hofften in diesem Moment, den jeweils anderen niemals wieder loslassen zu müssen. Doch schließlich war Draco es, der sich aus der Umarmung befreite, wenn auch nur um ihr einen sanften Kuss auf die Lippen zu hauchen und sie zum Sofa herüber zu führen. Er ließ sich auf das dunkelgrüne Samt sinken, dass ihm so familiär erschien und zog sie mit sich.
Er grinste über ihren Versuch sich aufzurichten und schlang einen Arm fester um sie, bis sie sich schließlich ebenfalls fallen ließ. Sie hob die Beine auf das Sofa und legte ihren Kopf in seinem Schoß ab, eine fast gewöhnliche Situation zwischen den beiden. Die meisten Nächte verbrachten sie so und manchmal beschwerte sich sein Rücken morgens darüber, weil er im Sitzen schlief, aber ihr verschlafenes Gesicht beim Aufwachen zu sehen, machte alle wett.
Nur heute nicht.
Heute durfte er nicht einschlafen. Seit Tagen hatte er einen Plan ausgetüftelt, der seine Aufmerksamkeit von Professor Dumbledore abgelenkt hatte. Schon als letzte Woche seine Tante und ihre Anhänger - oder die des dunklen Lords, je nachdem wie man es betrachtete - ins Schloss gelangt waren und auf dem Weg durch Hogwarts Flure grundsätzlich vermehrt Schüler aus dem Haus Gryffindor und im Besonderen Muggelgeborene umgebracht oder zumindest verletzt hatten.
Was für ihn hieß, dass er sich Sorgen machen musste, sein Geheimnis würde auffliegen. Schon bald würde seine Familie bemerken, wie wenig er nach Hause schrieb, obwohl er doch eigentlich so oft wie möglich Bericht erstatten sollte. Es würde klar werden, dass die Informationen in seinen Briefen oft schwammig und von Grund auf falsch waren. Und dann würden sie auch bemerken, dass er Hermine immer ausließ, niemals schilderte, was sie tat, wie es seine Tante eigentlich von ihm verlangt hatte.
Sie würden es bemerken, so wie es Snape bemerkt hatte. Andererseits sollte der Professor ja auch ein besonderes Auge auf ihn haben und kontrollierte ihn seit dem Anfang des Schuljahrs fast schon zwanghaft.
Als er Draco vor zwei Wochen in sein Büro gerufen hatte, schöpfte Draco noch keinen Verdacht. Doch als er durch die Tür getreten war und Snapes Gesichtsausdruck gesehen hatte, da wusste er es. Dem Lehrer für Zaubertränke sagte man stets eine unlesbare Mine nach, aber nur wenige wussten, dass er in seinen eigenen Gemächern umso verletzbarer war. Sei es das gerahmte Foto eines rothaarigen Mädchens, das in seiner Schublade ruhte und auf das Draco nur ein einziges Mal einen flüchtigen Blick hatte werfen können. Trotzdem war sie unverkennbar, die Mutter des Jungen, der ihn am meisten hasste und dessen Hass auf Gegenseitigkeit beruhte.
Lily Potter war einmal wunderschön gewesen und er verstand nur zu gut, wie ein Mann wie Severus Snape sich hatte in sie verlieben konnte.
In gewisser Weise sah es Dracos Liebe zu Hermine sogar ganz ähnlich, wenn auch mit feinen, aber wichtigen Unterschieden. Aber er blieb stur dabei und wollte nicht auf Snapes Warnung hören, dass er sie bald verlieren würde.
Sein Unterbewusstsein hatte es gewusst, aber der Großteil seiner selbst wollte einfach nicht akzeptieren, dass ihre Liebe abermals zerstört werden sollte. Bellatrix Lestrange hatte ihn eines besseren belehrt und nun saß er hier und betrachtete das Mädchen, dessen Kopf in seinem Schoß lag. Das Mädchen, in das er sich mit Haut und Haaren verliebt hatte.
Seit ihrer ersten Begegnung, gefolgt von der schwierigen Anfangszeit zwischen ihnen. Er musste hart schlucken, wenn er nur daran dachte, was er ihr alles vorgeworfen hatte. Wertlos, dreckig; ein Schlammblut zu sein. Oh, wie falsch er doch gelegen hatte. Wie dumm.
Sich jetzt ein Leben ohne sie vorzustellen war ... unmöglich. Und doch war er soeben im Begriff genau das zu tun.
Noch einmal strich er über ihre braunen Locken, verbot es sich aber, jede einzelne Kontur ihres Gesichts nachzuzeichnen. Für das was er vorhatte, musste er sich ganz genau konzentrieren. Als er seinen Zauberstab aus der grünen Schuluniform holte, konzentrierte er sich ganz auf all die Momente, aus denen schließlich mehr geworden war.
Er sah sie vor seinem inneren Auge überrascht die Brauen zusammenziehen, als er sich damals aus Platznot neben sie in Arithmantik gesetzt hatte. Und obwohl die Anfangszeit der beiden mehr fiese Sprüche als irgendetwas sonst beinhaltet hatte, so waren sie doch irgendwie Freunde geworden und hatten die meisten Projekte zusammen erledigt. Zu gut erinnerte Draco sich an ihren ersten Kuss, als sie in einer Freistunde im vierten Schuljahr am See spazieren gegangen waren. Danach war es bergauf und bergab mit den beiden gegangen. Oft hatten sie sich wegen den kleinsten Sachen so sehr in die Haare bekommen, dass sie tagelang kein einziges Wort miteinander gewechselt hatten, nur um sich dann wieder zu versöhnen. Bilder flogen an ihm vorbei, Küsse, Umarmungen, Tränen und das sich ausbreitende Gefühl von Wärme in seinem Herzen konnte er nur unterdrücken, in dem er so fest die Zähne aufeinanderbiss, dass sein Kiefer knirschte.
Er sah auf Hermine hinab und platzierte seinen Zauberstab so, wie es in allen Büchern zu diesem Zauber beschrieben wurde. Doch dann musste er wegschauen, denn jetzt war er derjenige, dem die Tränen über die Wangen liefen. Dieser Schritt würde bedeuten, dass er sie auf ewig verlieren würde, weil sie sich schlichtweg einfach nicht mehr an seine Liebe zu ihr erinnern würde. Aber er musste es tun. Der Krieg würde kommen und sie konnte nur dann überleben, wenn er nicht mehr an ihrer Seite war. Und selbst dann würde es schwierig genug sein. Er musste sie loslassen und sie dadurch retten.
„Obliviate."
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