32. Decision
Niall
Sie fehlte mir unendlich.
Seit jener Minute, als Sienna das Haus verlassen hatte, vermisste ich alles von ihr. Die langen, seidigen Haare, auf welche mein Blick fiel, wenn ich am Morgen erwachte, ihr hübsches Lächeln, das sie mir bei jeder Gelegenheit schenkte, ihre sanfte, erotische Stimme, die eine Gänsehaut auf meinem Körper produzierte, den Geruch ihres Parfums, das ihre Persönlichkeit perfekt unterstrich, ebenso wie ihre Berührungen, wenn wir uns liebten.
Wir waren Eins.
Ihre Stärke brachte meine Schwäche hervor und meine starke Seite enthüllte ihre schwache. Noch niemals hatte ich solche tiefen Gefühle für jemanden empfunden, selbst für Nelly nicht. Vielleicht lag es daran, dass ich nun älter und reifer war, vielleicht spielte auch die Tatsache, dass Sienna ein Kind von mir erwartete, eine Rolle dabei.
Meine Freude darüber, Vater zu werden, wurde durch den Umstand, dass ich die ersten zwölf Wochen der Schwangerschaft verpasst hatte zwar ein wenig getrübt, doch ich hätte am liebsten jeden Menschen vor lauter Glückseligkeit umarmt. Und doch rief gerade dieses kleine Wesen, das in ihrem Bauch heranwuchs, Zweifel in mir hervor.
Ich wollte, dass es unserem Kind gut ging. Es sollte ihm an nichts mangeln, weder Liebe, noch materielle Dinge und ganz besonders Sicherheit. Letztere würden wir ihm jedoch nur bedingt geben können und ebenso Sienna. Sie war eine starke Frau, die unaufhaltsam kämpfte, um mich und um meine Liebe. Doch das brauchte sie gar nicht, denn mein Herz gehörte ihr, unwiderruflich. Daran würde sie niemals zweifeln müssen.
Es tat weh, sie gehen zu lassen, sie mit dieser Ungewissheit im Bauch wegzuschicken, doch in jenem Moment konnte ich ihr nichts anderes sagen, als dass ich sie liebte. Ich war nicht fähig, eine Entscheidung zu treffen, so lange Sienna sich in meiner Nähe aufhielt. Das musste ich in aller Stille tun.
Aus diesem Grund trat ich meine Joggingrunde an diesem Montag noch vor dem Morgengrauen an. Während ich mir buchstäblich die Seele aus dem Leib rannte, standen meine Gedanken nicht still. Sie drehten sich nur um Sienna und um das ungeborene Kind.
Wenn ich meinem Herzen folgte, kannte ich den Pfad bereits, doch mein Kopf und meine Seele mischten sich noch immer ein. Selbst wenn ich mich für Sienna und das Kind entschied, welchen Weg sollte ich dann in beruflicher Hinsicht einschlagen?
Ausgepowert kam ich an den Ruinen in Rekordzeit zum Stehen und legte dort eine Pause ein. Dunkelheit herrschte um mich herum, da der Sonnenaufgang noch auf sich warten ließ.
Schwer atmend ließ ich mich am Boden nieder, holte meine Trinkflasche hervor, um die Flüssigkeit gierig aufzunehmen. Meine Kehle fühlte sich nach diesem Gewaltmarsch wie ausgetrocknet an und mein Puls normalisierte sich nur langsam. Das Brennen in meinen Augen rührte nicht nur von der Anstrengung, sondern auch von meinem innerlichen Befinden her.
Niemand konnte mir bei dieser Entscheidung helfen, trotzdem hätte ich mich gerne bei irgendjemandem ausgeheult, lediglich um meinen Kummer loszuwerden. Insgeheim schickte ich ein Stoßgebet gen Himmel, dass Gott mir einen Tipp geben sollte, doch dieser hielt sich eher bedeckt, was die Sache anging. Kein Wunder, so oft wie ich in der Vergangenheit gesündigt hatte, konnte ich auch keinerlei Hilfe erwarten.
Für einem Moment schloss ich meine Augen, atmete tief ein und aus und versuchte alles um mich herum zu vergessen. Doch plötzlich wurde die Stille durch ein Geräusch unterbrochen, welches mich sofort in Alarmbereitschaft versetzte. Schritte näherten sich, ließen mich aufspringen und herumfahren.
„Hey, warum so schreckhaft, Niall?"
Harry grinste breit, als er sich näherte und ich atmete erleichtert auf.
„Guten Morgen, Harry. Na, so früh schon auf den Beinen?"
„Zwangsläufig", erwiderte er mit einem Augenzwinkern.
Es war mir ein Rätsel, wie jemand rund um die Uhr wach sein konnte, denn dies musste der Fall sein, da er mich ständig beschattete.
„Sag mal, schläfst du eigentlich irgendwann mal?", erkundigte ich mich neugierig. „Oder bist du auf Crystal Meth?"
Sein schallendes Lachen drang durch die Dunkelheit. „Nein, Niall, denn Drogen sind in unserem Job verboten."
„Ok, dann verrate mir dein Geheimnis. Hast du vielleicht einen Doppelgänger?", mutmaßte ich, worauf er sich erneut vor Lachen ausschüttete.
„Auch das nicht. Die Lösung liegt eigentlich klar auf der Hand. Das Haus, in dem du wohnst, ist verwanzt. Demnach kriege ich immer, sobald du auch nur einen Schritt nach draußen gehst, ein Signal auf mein Handy gesendet. Und das ist so laut, dass ich garantiert wach werde."
Entsetzt starrte ich ihn an. „Du verarschst mich doch, oder?"
Als er seinen Kopf mit ernster Miene schüttelte, wurde mir klar, dass ich keine Privatsphäre mehr besaß- zumindest nicht im Moment. Mein Gesicht überzog sich mit einer flammenden Röte, als ich an das Wochenende mit Sienna dachte. Was davon hatte Harry mitbekommen?
Ein wenig verlegen räusperte ich mich, um dann zu fragen: „Ist das komplette Haus verwanzt, oder nur der Eingang?"
„Sagen wir es so; jeder Raum, in welchen man von außen eindringen könnte, um sicher zu gehen, dass man dich nicht überfällt und vielleicht sogar umbringt."
„Scheiße", entfuhr es mir, worauf Harry mir auf die Schulter klopfte, um dann zu sagen: „Mach dir keinen Kopf, Niall. Ich habe vorletzte Nacht geschlafen wie ein Murmeltier und die Nacht davor ebenfalls."
Mir fiel ein Stein vom Herzen, als er das aussprach.
„Da bin ich aber froh", konnte ich mir nicht verkneifen zu sagen.
Harry musterte mich gründlich, holte plötzlich ein Zigarillo aus seiner Jackentasche, welches er anzündete und meinte: „Also, wo liegt dein Problem? Willst du reden? Das erleichtert manchmal, weißt du."
Überrascht schaute ich zu ihm und stellte mir berechtigterweise die Frage, wie viel er von der ganzen Sache mit Sienna wusste. Ob Alistair seinen Mitarbeitern jegliche Einzelheiten anvertraute? Ich war mir nicht sicher und deshalb sprach ich leise: „Was weißt du denn darüber? Hat Alistair dir gegenüber irgendetwas verlauten lassen?"
Langsam blies er den Rauch aus seiner Nase, bevor er zu einer Antwort ansetzte.
„Alistair hat uns, also dem Team, erzählt, dass du Besuch von einer Frau bekommst, die du in einem Swinger Club kennengelernt hast. Ich durfte sie in London zeitweise überwachen. Wir mussten sicher gehen, dass sie eine weiße Weste hat. Außerdem hat er uns gesagt, dass es sein könnte, dass sie ebenfalls im Zeugenschutzprogramm aufgenommen wird, aber auch, dass die Entscheidung letztendlich bei dir läge."
„Na super", murmelte ich und fuhr mir durch die Haare.
„Was? Ich finde nichts dabei in einen Swinger Club zu gehen, ich habe das selbst schon ausprobiert."
„Echt? In welchem warst du?", erkundigte ich mich interessiert.
„Der hieß Eden. Aber da gab es keinen Black Room."
Warum nur überraschte es mich nicht, dass Harry selbst darüber Bescheid wusste? Dementsprechend schockierte mich seine Frage nicht im Mindesten.
„Wie ist es da drin so? Ist es nicht gruselig, weil man nichts sieht?"
Grinsend erwiderte ich: „Nein, ist sehr aufregend, vorausgesetzt du gerätst an die richtige Frau."
„So eine wie Sienna?"
„Ja."
„Verstehe, ihr habt euch also ineinander verliebt und du überlegst, ob du sie mitnehmen sollst."
„Ganz so einfach ist es nicht", seufzte ich. „Sie ist schwanger von mir."
„Auch das ist mir bekannt." Harry machte ein betretenes Gesicht. „Und du willst nach wie vor als katholischer Priester arbeiten, richtig?"
Ich raufte mir die Haare, bevor ich sagte: „Es ist alles so kompliziert, aber ich weiß, dass ich sie wirklich liebe."
Wie ein Wasserfall kamen die nächsten Sätze aus meinem Mund. Ich brannte förmlich darauf, mir alles von der Seele reden zu können und Harry entpuppte sich als ein enorm guter Zuhörer. Er stellte keine dummen Zwischenfragen, sondern ließ mich ausreden, so lange, bis ich fertig war. Bis er alle meine Ängste und Sorgen kannte.
„Ok, ich verstehe", kam es von ihm, nachdem ich meine Erzählung beendet hatte und gedankenverloren in den Himmel blickte, der langsam durch die aufgehende Sonne erhellt wurde.
Warum konnte mein Leben nicht so sein, wie dieser wundervolle Morgen? Farbenfroh, ruhig, mit der Aussicht auf einen schönen Tag. Meine Zukunft hingegen führte in einen dunklen Raum, aus dem es kein Entkommen gab.
„Weißt du, Niall", versuchte Harry mir seinen Standpunkt klarzumachen, „eine hundertprozentige Sicherheit, dass alles in deinem Leben glatt läuft, hast du nirgendwo. Ob du nun in einem Zeugenschutzprogramm bist oder nicht, es könnte jedem jederzeit und überall etwas zustoßen. Selbst wenn du dich gegen Sienna und das Kind entscheidest, ist nicht gewährleistet, dass sie zum Beispiel nie einen Autounfall oder sonstiges erleiden werden."
„Aber die Wahrscheinlichkeit, dass ihnen etwas zustößt, wenn die Mafia mich finden sollte, ist höher."
Er schüttelte seinen Kopf. „Das stimmt nicht, wenn man es prozentual gesehen betrachtet und dann existiert noch immer das Wörtchen wenn. Die Wahrscheinlichkeit bei einem Autounfall ums Leben zu kommen ist höher, als durch eine Kugel der Drogenmafia zu sterben, wenn du dich in einem Zeugenschutzprogramm befindest."
Skeptisch blickte ich zu Harry. „Bist du dir sicher?"
„Absolut, du kannst Alistair fragen, wenn du mir nicht glaubst."
Seine Worte regten mich zum Nachdenken an. Als ich in die aufgehende Sonne blickte, sah ich zum ersten Mal seit langer Zeit einen Lichtstrahl im Dunkel meiner Zukunft. Vielleicht sollte ich das Risiko wirklich eingehen. Aber wenn ich es tat, dann musste eine Lösung bezüglich meines Berufes her. Dies blieb unausweichlich.
„Danke, Harry, unser Gespräch hat mir sehr geholfen." Mit diesen Worten klopfte ich ihm auf die Schulter, drehte mich um und setzte meine Joggingrunde fort.
Ich wusste, dass er mir bis zum Haus folgen würde und schloss mit einem komischen Gefühl im Bauch die verwanzte Tür auf, als ich dort eintraf. Ohne Umweg führten meine Schritte mich ins Badezimmer, wo ich unter die Dusche sprang. Das Wasser löste eine gewisse Energie in mir aus.
Ich wollte nicht mehr das bemitleidenswerte Opfer spielen. An einer neuen Zukunft zu bauen war nun mein Ziel. Harry hatte Recht. Es gab nirgends auf der Welt einen Ort, an welchem man sicher vor Gefahren war. Man konnte nur versuchen, diese zu minimieren.
Natürlich lag es nicht in meiner Hand, ob die Mafia mich jemals finden würde oder nicht, aber ebenso wenig war ich dazu in der Lage, auf Sienna und das Kind zu achten, wenn die beiden sich am anderen Ende der Erde aufhielten.
Bevor ich jedoch die endgültige Entscheidung verkünden würde, wollte ich meinen anderen Plan verfolgen – den Berufswunsch. Sienna war bereit, alles für mich aufzugeben, nun musste ich ebenfalls meinen Teil dazu beitragen, damit unsere gemeinsame Zukunft funktionierte. Ich musste ein Opfer bringen.
Schnell bereitete ich nach dem Duschen und Anziehen das Frühstück zu und während ich Toast und Spiegeleier verdrückte, schaute ich auf das Display des aufgeklappten Laptops. Konzentriert suchte ich nach einer ganz bestimmten Adresse. Dort wollte ich direkt nach dem Frühstück hinfahren und wenn ich Glück hatte, konnte ich noch am heutigen Tag ein Gespräch führen.
Bis nach Cork lagen zweieinhalb Stunden Fahrt vor mir, die mir jedoch nicht das Geringste ausmachten. Nicht für das, was ich vorhatte, dafür war kein Weg zu weit. Es musste nur klappen, so wie ich es mir vorstellte.
Laut Alistair durfte ich zwar nicht in meinem Heimatort aufkreuzen, aber er hatte nichts dahingehend verlauten lassen, dass ich anderen Gegenden fernbleiben musste. Ich konnte nur hoffen, dass Harry, der mir sicher folgen würde, seinen Wagen vollgetankt hatte, denn bei meinem zeigte die Tanknadel einen fast vollen Level an. Schade, dass wir nicht miteinander telefonieren konnten, dann hätte ich ihm einen Tipp gegeben.
Seufzend startete ich das Auto und fuhr los in Richtung Cork. Da ich nicht wusste, wo die Kirche sich befand, denn so gut kannte ich mich in der zweitgrößten Stadt Irlands nicht aus, nutzte ich die Navigation als Hilfe.
Die Straßen waren an diesem Tag nicht allzu stark befahren, somit kam ich relativ gut durch. Hin und wieder warf ich einen Blick in den Rückspiegel, um zu sehen, ob Harry mich auch nicht verlor. Bis zum jetzigen Zeitpunkt machte er seine Sache jedoch hervorragend. Ich hätte nicht einmal bemerkt, dass ich verfolgt wurde, wenn mir der schwarze Wagen nicht so vertraut wäre wie dessen Fahrer selbst. Trotzdem hielt er stets einen entsprechenden Abstand ein, was mich manchmal schmunzeln ließ.
Nach knapp zweieinhalb Stunden Autofahrt erreichte ich schließlich die Stadt und nach weiteren zwanzig Minuten parkte ich den Wagen vor der Kirche. Wie zu erwarten war das Gotteshaus geöffnet, ich brauchte nur den großen Knauf an der wuchtigen Tür herumzudrehen und trat ein.
Stille empfing mich. Diese breitete sich auf meiner Seele aus, lockte mich weiter einzutreten und bis zur Kanzel zu laufen. Von dort aus wurden die Predigten gehalten. Die Versuchung in mir wurde plötzlich riesengroß und wie von unsichtbarer Hand geführt, stieg ich die Stufen hinauf. Als ich oben stand und auf die leeren Bänke schaute, stellte ich mir vor, wie es sich wohl anfühlte, zur Kirchengemeinde zu sprechen. Es war mein sehnlichster Wunsch, dies eines Tages zu tun.
Ein lautes Räuspern ließ mich urplötzlich zusammenfahren und meinen Puls ins Unermessliche beschleunigen.
„Kann ich dir helfen, mein Sohn?"
Die Stimme des Mannes, der aus dem Nichts aufgetaucht war, klang keineswegs böse, sondern eher überrascht.
„Ähm, ich..., also ich..."
„Was hältst du davon, wenn du zunächst die Kanzel verlässt? Dann können wir uns besser unterhalten, nicht wahr?"
Gehorsam folgte ich seinem Vorschlag, noch immer mit klopfendem Herzen. Unten angekommen, reichte der Mann mir seine Hand.
„Ich bin Patrick und mit wem habe ich die Ehre?"
„Ich bin James." Es tat weh, ihn anlügen zu müssen, doch so lautete mein neuer Name. „James Edwards."
„Freut mich, dich kennenzulernen, James. Sag, möchtest du gerne Pfarrer werden, oder warum hat es dir die Kanzel so sehr angetan?"
Seine braunen Augen, die mich beinahe schon schelmisch musterten, erinnerten mich irgendwie an Alistair.
„Es tut mir leid, wenn ich gegen die Regel verstoßen habe, aber ich befinde mich im Moment in einer sehr außergewöhnlichen Situation", erklärte ich nach einem tiefen Durchatmen. „Und ja, ich möchte gerne Pfarrer werden."
„Dann sollten wir uns unterhalten."
Unser Gespräch dauerte mehr als zwei Stunden und er zeigte Verständnis für meine Situation. Das Zeugenschutzprogramm blieb zwar mein Geheimnis, denn dies tat nicht wirklich etwas zur Sache. Ausschlaggebend war der Punkt, dass ich mich in eine Frau verliebt hatte, die ein Kind von mir erwartete und mit der ich in Zukunft zusammenleben wollte.
„James, du warst so offen und ehrlich zu mir. Wenn du das wirklich tun möchtest, wird es kein großes Problem geben. Es ist lediglich erforderlich, dass du drei Seminare besuchst, dann ist alles vollzogen. Diese finden hier in Cork statt, ich kann dir die Termine gleich aufschreiben. Allerdings müsstest du deine Austrittserklärung mitbringen."
„Das dürfte kein Problem sein."
Alistair würde sich vermutlich die verbliebenen Haare raufen, wenn ich ihn dermaßen beschäftigte, denn er musste die gewünschten Dokumente für mich auftreiben.
„Also, James, dann sehen wir uns am Dienstag nächste Woche", verabschiedete sich Pfarrer Patrick von mir.
„Ja, das tun wir."
Mit einem unglaublich guten Gefühl, sowie erleichtertem Herzen verließ ich die Kirche, um zu meinem Wagen zurückzukehren. Harry parkte in einiger Entfernung, aber dennoch in Sichtweite. Bevor ich die Tür öffnete, nickte ich ihm kurz zu. Nun würden wir gemeinsam die Rückfahrt antreten.
In Ballinskelligs angekommen, bestand meine erste Tat darin, Alistair anzurufen, der sich auch sogleich meldete.
„Na, mein Junge. Wie geht es dir heute?"
„Hast du Sienna gut nach Hause gebracht?", lautete meine Gegenfrage, worauf er antwortete: „Natürlich. Aber sie war am Boden zerstört. Darum hoffe ich für dich, dass du eine Entscheidung treffen konntest. Ob gut oder schlecht, sei dahingestellt. Aber sie hat es verdient, ein Statement zu bekommen."
„Ja, die habe ich getroffen. Vor gut drei Stunden wurde alles perfekt."
„Aha, dann lass mal hören."
Ich wünschte, ich hätte sein Gesicht sehen können, als ich ihm von meinem Vorhaben berichtete. Sein lautes Schnaufen ließ mich allerdings wissen, dass er sich so etwas in der Richtung vorgestellt haben musste.
„Ok, mein Junge, ich habe mir beinahe schon gedacht, dass es darauf hinauslaufen würde. Wie schnell brauchst du diese Unterlagen?"
„Bis nächste Woche Montag, denn am Dienstag besuche ich das erste Seminar."
„Gut, dann werde ich mich sofort darum kümmern", versprach Alistair. „Ich wünsche dir noch..."
„Stopp, nicht so schnell", unterbrach ich ihn. „Ich bin noch nicht fertig."
„Was gibt es denn doch?"
„Ich möchte es Sienna gerne persönlich sagen."
Für eine Sekunde herrschte Stille am anderen Ende der Leitung. Dann polterte Alistair los. „Und wie hast du dir das vorgestellt?"
„Indem du sie nach Irland bringst oder mich nach England. Suche es dir aus."
Endlich hatte ich meinen Kampfgeist wiedergefunden und stellte die Bedingungen, welche mein Leben wieder in die richtige Spur brachten.
„Das ist ja wohl..."
Zum ersten Mal, seit ich ihn kannte, war der laufende Meterfünfzig sprachlos. Jedoch hielt dies nur für eine kurze Zeit an, dann war seine Stimme laut und deutlich zu vernehmen.
„Du wirst auf gar keinen Fall nach England reisen! Erst, wenn der Richter dich sehen will."
Meine Antwort erfolgte prompt. „Dann musst du sie wohl herbringen."
Er brummte etwas vor sich hin, was ich nicht richtig verstand, aber um ehrlich zu sein, war es mir egal, wie er das nun bewerkstelligen würde. Hauptsache ich konnte Sienna meine Entscheidung persönlich mitteilen, alles andere würde ich nämlich nicht hinnehmen.
„Also gut, mir bleibt wohl nichts anderes übrig. Du hörst von mir."
Ich besaß tatsächlich die Frechheit zu fragen: „Und wann?", was Alistair mit einem „Sobald ich mit ihr gesprochen habe", beantwortete.
Es erübrigte sich zu erwähnen, dass ich den ganzen Tag wie auf heißen Kohlen saß und mein Handy immer in Reich- und vor allem in Hörweite lag. Ich wollte Alistairs Anruf auf keinen Fall verpassen.
Nach einer gefühlten Ewigkeit, es war bereits sieben Uhr am Abend, klingelte das Telefon. Mit einem Satz hechtete ich zum Tisch und wäre beinahe noch gestolpert. Ich konnte mich gerade noch festhalten. Schwungvoll griff ich nach dem Handy und meldete mich.
„Hallo, Alistair, gibt es Neuigkeiten?"
„Hallo, mein Junge, ja, die gibt es. Ich habe mit ihr gesprochen und ihr gesagt, dass du sie noch einmal sehen möchtest. Wir werden morgen Abend zu dir kommen. Allerdings nur für eine Stunde, denn sie muss wieder zurück nach London. Sonst fällt es auf."
„Gott sei Dank!" Ein erleichtertes Schnaufen entwich meiner Kehle. In diesem Moment war ich überglücklich und konnte es kaum erwarten, Sienna zu sehen, und wenn es nur für diese eine Stunde sein würde.
„Ok, also bis morgen und halte die Ohren steif", verabschiedete sich Alistair von mir.
Diese Nacht war die absolute Hölle für mich. Ich konnte nicht einschlafen und wälzte mich stundenlang im Bett umher. Beinahe stündlich warf ich einen Blick auf mein Handy, um zu schauen, wie spät es war.
Irgendwann im Morgengrauen versank ich in den Schlaf, aus welchem ich erst um die Mittagszeit erwachte. Somit verschob sich die morgendliche Joggingrunde in den Nachmittag, was jedoch für mich kein Problem darstellte; im Gegenteil, denn die Zeit bis zum Abend verging nun schneller.
Trotzdem mutierte ich irgendwann zu einem Nervenbündel, vor allem, da Alistair kein genaues Zeitfenster für die Ankunft mitgeteilt hatte. Um ein wenig zur Ruhe zu kommen, begann ich auf meiner Gitarre zu klimpern und aß zwischendurch nur eine Kleinigkeit. Die Nervosität und Vorfreude in mir minimierten meinen ansonsten sehr guten Appetit beträchtlich.
Um kurz nach sieben hörte ich endlich einen Wagen vorfahren, der direkt vor dem Haus parkte. Schnell sprang ich vom Sofa auf, um zur Tür zu rennen.
Als ich Sienna erblickte, die gerade aus dem Auto stieg, begann mein Herz wie wild zu schlagen. Ihre blauen Augen schauten zu mir, ängstlich und hoffnungsvoll zugleich.
Alistair war taktvoll genug, sich nach einer überaus kurzen Begrüßung, welche nur aus den Worten „Hallo, mein Junge, ich bin dann in einer Stunde wieder zurück", bestand, bevor er mit dem fahrbaren Untersatz davonbrauste. Mein Tipp war, dass er sich gleich mit Harry treffen würde, doch diesen Gedanken ließ ich nur am Rande durch meinen Kopf ziehen, denn meine komplette Aufmerksamkeit wurde nun auf Sienna gelenkt.
Wortlos schlossen wir einander in die Arme und ich spürte ihre Tränen, da meine Wange plötzlich feucht wurde.
„Nicht weinen, Baby. Ich bin so froh, dass du hier bist", flüsterte ich und führte sie anschließend ins Haus.
Im Kamin flackerte bereits das Feuer, so, wie sie es liebte. Alles sollte perfekt sein, wenn ich ihr meine Entscheidung vortrug. Kaum hatten wir uns auf dem Sofa niedergelassen, nahm ich ihre Hände, die sich ziemlich kalt anfühlten, in meine warmen. Sie sah mich an, ohne einen Ton zu sagen, gleichzeitig bemerkte ich das leichte Zittern, welches von ihrem Körper ausging.
„Sienna", sagte ich leise, noch immer in ihre Augen blickend. „Ich weiß, dass du bereit bist, alles für mich aufzugeben, was ich dir hoch anrechne. Auch mir bleiben diese Dinge nicht erspart. Ich habe einen neuen Namen, bin aber trotzdem noch ein Mann. Ich bekomme eine neue Heimat, lebe aber immer noch auf dieser Erde und", - ich holte tief Luft, um den nun wichtigsten Satz auszusprechen- „ich werde meinen Glauben ändern, aber dennoch ein Christ bleiben. Für dich und für unser Baby, damit wir zusammenleben können, ich aber weiterhin der Kirche dienen kann, als evangelischer Pfarrer. Ich liebe dich über alles und ich möchte, dass du mit mir kommst, egal, wohin es uns verschlägt."
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Endlich! Was sagt ihr dazu, dass Niall zum evangelischen Glauben konvertiert? Ich finde das ist wahre Liebe.
Ihr seid bestimmt schon gespannt auf Siennas Reaktion, obwohl man sich ja eigentlich denken kann, wie diese ausfällt. :)
Danke für den lieben Kommentare, die ihr immer hinterlasst! Ich glaube, das schreibe ich bei jedem Kapitel drunter aber ich muss es immer wieder betonen, wie sehr mich das aufbaut!
LG, Ambi xxx
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