30. Heart or Soul
Niall
Etwas kitzelte meine Nase, als ich am Morgen erwachte. Langsam schlug ich nach zweimaligem Blinzeln meine Augen auf und blickte auf eine dunkelrote Haarsträhne, die zu Sienna gehörte.
Mit einem Schlag war ich hellwach.
Mein Puls beschleunigte, während sich ein Lächeln auf meinem Gesicht ausbreitete. Noch immer konnte ich es nicht glauben, dass sie mich gefunden hatte. Wie viel Ausdauer und Kraft musste sie aufgebracht haben, um das alles durchzustehen – vor allem in ihrem Zustand.
Die Tatsache, dass ich Vater wurde, brachte mich noch immer komplett durcheinander. Ein Teil von mir freute sich wahnsinnig darüber, der andere wusste jedoch nicht, wie ich das alles bewältigen sollte. Meine Zukunft lag jetzt noch mehr im Dunkeln als bisher. Und doch befand sich ein Licht neben mir: Sienna.
Staunend betrachtete ich ihr hübsches Gesicht, die natürlich geschwungenen Augenbrauen, ihre Lippen und die süße Nase. Hoffentlich würde das Kind nach ihr kommen. Für einen Moment schloss ich meine Augen und ließ die letzte Nacht Revue passieren.
Mit ihr zu schlafen hatte sich vollkommen anders angefühlt, als damals im Black Room. Vielleicht lag es an der Schwangerschaft, vielleicht auch daran, dass wir uns hatten anschauen können. Es war auf jeden Fall ein unglaublich schönes Gefühl, ihr so nahe sein zu dürfen.
Die Versuchung, einen Kuss auf ihrer Stirn zu platzieren wurde riesengroß und schließlich erlag ich dieser. Sie war so eine wunderschöne aber vor allem liebenswerte Frau. Kaum trafen meine Lippen auf ihre zarte Haut, begann sie sich zu bewegen.
„Niall?", hörte ich sie murmeln.
„Ja, Baby, ich bin hier."
Vorsichtig strich ich eine der langen Haarsträhnen aus ihrem Gesicht, was Sienna mit einem Lächeln quittierte. Mit halbgeschlossenen Augen wisperte sie ein „Guten Morgen", worauf ich ihr einen Kuss auf die Wange hauchte.
„Den wünsche ich dir auch. Hast du gut geschlafen?"
„Ja, wunderbar. Und du?"
„Bestens."
Siena rückte näher an mich heran und gab mir so zu verstehen, dass sie kuscheln wollte, wovon ich natürlich nicht abgeneigt war. Als sie in meinen Armen lag, begann sie zu reden.
„Ich hatte gestern solche Angst, dass du das Baby ablehnen würdest", gestand sie freimütig.
„Dachtest du wirklich, ich würde das tun?"
„Ich war mir nicht sicher, immerhin ist es in einem Swinger Club entstanden."
Langsam und vorsichtig ließ ich eine Hand über ihren Bauch wandern, was ihr prompt ein Lächeln entlockte.
„Es ist mir egal, wo es entstanden ist, denn es ist unser Baby", erklärte ich mit Nachdruck.
Um meiner Aussage noch mehr Gewicht zu verleihen, hob ich kurz die Bettdecke an und flüsterte grinsend: „Hey, kleines Baby, hörst du mich? Ich bin's, dein Daddy."
„Es ist so süß, wenn du mit dem Baby sprichst, Niall", kam es leise von der wunderbaren Frau, die noch immer in meinem Arm lag.
Wir konnten uns einfach nicht voneinander lösen, doch als mein Magen plötzlich laut und deutlich zu knurren begann, lachte Sienna.
„Da hat wohl jemand Hunger, oder?", meinte sie.
„Ja, du etwa nicht?"
„Doch, vor allem jetzt, da die morgendlichen Übelattacken mich nicht mehr heimsuchen, genieße ich das Frühstücken wieder."
Seufzend murmelte ich: „Es tut mir leid, dass ich dafür verantwortlich war."
„Oh, das könntest du ganz schnell wieder gutmachen, indem du ein köstliches Frühstück zubereitest", ließ sie mich wissen.
Nach wie vor liebte ich ihren Humor, der meinem sehr ähnelte.
„Dein Wunsch ist mir Befehl", antwortete ich deshalb, bevor wir uns anschickten, das Bett zu verlassen.
„Rühreier?", rief ich ihr über die Schulter zu, als ich aus dem Schlafzimmer marschierte.
„Ja, das klingt gut."
Gemeinsam mit einer hübschen Frau, die man liebte, den Tag zu beginnen, war zwar nichts Neues für mich, doch diese Gegebenheit lag so lange zurück, dass ich schon fast nicht mehr wusste, wie es sich anfühlte.
Um es auf den Punkt zu bringen: Mein Herz quoll vor Freude fast über, als wir zusammen am Esstisch saßen, um das Frühstück zu vertilgen. Ich genoss jede Sekunde davon und wünschte mir, die Zeit einfach anhalten zu können, denn morgen würde Sienna wieder nach Hause fahren.
Schnell verdrängte ich diesen trüben Gedanken wieder, um meine volle Aufmerksamkeit auf die junge Frau zu lenken, welche das Frühstück wirklich zu genießen schien.
„Die Rühreier sind spitze, Niall", lobte sie, worauf ich lässig sagte: „Du solltest mal die von Alistair probieren, die sind noch viel besser."
„Er hat für dich gekocht?"
„Ja, als ich meine Gehirnerschütterung auskurieren musste."
Obwohl wir gestern viel miteinander geredet hatten, wusste Sienna längst nicht alles. Da ich mir nicht sicher war, wie viel ich ihr erzählen wollte und durfte, hüllte ich mich bezüglich der Mafia ziemlich in Schweigen. Ansonsten würde Alistair mir nämlich den Kopf abreißen.
„Ich mag Alistair", sagte sie lächelnd. „Er wirkt so väterlich."
„Das stimmt allerdings", gab ich zu.
Im Moment sah ich wirklich eine Vaterfigur in ihm, zumal ich meine richtige Familie vermutlich nie wieder sehen würde. Somit klammerte ich mich mental und psychisch an den laufenden Meterfünfzig, der einen ausgezeichneten Job verrichtete. Vor allem setzte er die Prioritäten richtig.
Seine Maßnahme, Sienna und mich zusammenzubringen, damit wir Dinge klären konnten, war enorm wichtig. Aber es machte meine Entscheidung keineswegs einfacher. Ich liebte sie, das konnte ich nicht abstreiten, aber ich sah auch die ständige Gefahr, in welcher ich schwebte.
Jeder, der mir nahe stand, würde automatisch zu einem Angriffsziel der Mafia mutieren, sollte diese mich eines Tages ausfindig machen. Wenn ich mich heute für sie und das Kind entschied, setzte ich die beiden einer großen Bedrohung aus.
„Meinst du, wir könnten nachher ein bisschen spazieren gehen?", holte Siennas sanfte Stimme mich aus meinen Gedanken.
„Ich weiß nicht", antwortete ich zögernd.
In der Tat hatte Alistair mir diesbezüglich keinerlei Anweisungen erteilt. Durfte ich mit Sienna im Ort gesehen werden oder nicht?
„Ich werde Alistair fragen", schlug ich deshalb vor und griff sogleich nach meinem Handy.
Wie zu erwarten, meldete er sich sofort.
„Hallo Junge, ist alles in Ordnung bei euch?", erkundigte er sich interessiert.
„Ähm, ja, soweit schon."
„Gut, hast du deinen ersten Schock inzwischen überwunden?"
Offensichtlich spielte er mit dieser Aussage auf Siennas Schwangerschaft an.
„Allerdings habe ich das", erklärte ich ruhig, obwohl mein Herz wie wild schlug, als ich nur an das Zauberwort dachte.
„Fein, was kann ich dann für dich tun?", wollte Alistair wissen.
Als ich mein Anliegen vortrug, vernahm ich sein lautes Lachen
„Geh ruhig mit ihr nach draußen, genießt die frische Luft, denn das wird euch beiden gut tun. Du bist nach wie vor so sicher wie in Abrahams Schoß."
„Ok, das machen wir und danke."
Ich konnte Alistairs Grinsen förmlich spüren, als er antwortete: „Bitte, keine Ursache, mein Junge. Macht euch noch eine schöne Zeit, ich bin morgen gegen sechs Uhr da, um Sienna abzuholen."
Den letzten Satz verdrängte ich einfach, denn ich lebte nur für die kommenden Stunden mit ihr; der Frau, die mein Kind unter ihrem Herzen trug. Kam es mir nur so vor, oder machte die Schwangerschaft sie noch schöner, als ich Sienna in Erinnerung hatte? Ich konnte mich nicht sattsehen an ihren hübschen Augen und dem liebevollen Lächeln, welches sie mir schenkte, als ich ihr Alistairs Entscheidung mitteilte.
„Das ist echt cool. Gibt es etwas Besonders hier in der Gegend?", erkundigte sie sich interessiert.
Ich antwortete mit einer Gegenfrage, begleitet durch ein schelmisches Grinsen.
„Magst du Schokolade?"
„Und wie!"
Keine zehn Minuten später befanden wir uns auf dem Weg zur Schokoladenfabrik. Wir hatten den Wagen genommen, da es ein Stück bergauf ging und außerdem zum Laufen zu weit war. Glücklicherweise streckte die Sonne am heutigen Tag ihre Fühler durch die kleinen Wolken aus, welche sich am blauen Himmel zeigten, sodass wir mit dem perfekten Ausflugswetter beschenkt wurden.
„Irland ist wunderschön, das habe ich gestern schon festgestellt", ließ Sienna verlauten, während ich den Wagen durch die engen Straßen steuerte.
Als ich kurz zu ihr schaute, bemerkte ich, dass sie ihre Hände locker auf dem Bauch platziert hatte. Binnen Sekunden bildete sich ein Lächeln auf meinem Gesicht. Sie würde eine gute, liebevolle Mutter werden. Ich brauchte mir niemals Sorgen um unser Kind zu machen.
Unsere Blicke trafen sich und wir begannen automatisch synchron zu grinsen. Für Außenstehende wirkten wir bestimmt wie ein ganz normales Liebespaar, das einen Wochenendausflug unternahm, nichts weiter. Niemand ahnte auch nur im Entferntesten, was wir beide gerade durchmachten und bereits hinter uns hatten. Aber genau deswegen genossen wir die gemeinsame Zeit vielleicht intensiver als andere Menschen dies taten.
„Du solltest mich heute nicht mit Niall anreden, wenn wir gleich aussteigen", wies ich Sienna an.
„Und wie soll ich dich nennen?"
„Mein neuer Name lautet James. James Edwards."
„Wer hat sich denn das ausgedacht?"
„Ich. James ist doch cool, oder?"
„Na ja, mir gefällt Niall besser, weil er nicht so häufig vorkommt", entgegnete sie schmunzelnd.
„Sobald wir wieder zuhause sind, kannst du mich wieder mit Niall ansprechen."
„Dein Wunsch ist mir Befehl, aber du darfst weiterhin Baby zu mir sagen", meinte sie lachend, was mich zu einem Grinsen animierte.
„Ok, Baby", hauchte ich in ihre Richtung, worauf Sienna mir eine Kusshand zuwarf.
An der Schokoladenfabrik angekommen, die sich in einem Familienbesitz befand und mit dem Slogan warb, am Ende der Welt zu liegen, stellte ich den Wagen auf dem großzügig angelegten Parkplatz ab. Von dort besaß man einen wundervollen Blick auf das Meer.
Sienna stieß ein lautes „Wow, ist das toll aus!", als sie ihre Augen über die Landschaft wandern ließ.
„Schön, dass dir Irland gefällt", sagte ich zufrieden und griff nach ihrer Hand.
Unsere Finger verschränkten sich automatisch miteinander und ließen sich erst los, als wir die Glastür passierten. Da der Eintritt kostenlos war, gingen wir direkt durch zu dem Platz, an welchem man die fantastisch schmeckenden Köstlichkeiten probieren konnte.
Insgesamt testeten wir zehn unterschiedliche Sorten, sowie Arten, angefangen von normalen Tafeln bis hin zu Schokoladen Drops. Und natürlich probierten wir die heiße Schokolade, welche es im dazugehörigen Café gegen ein geringes Entgelt zu kaufen gab. Anschließend besuchten wir den Shop, der wirklich alles enthielt, was man sich nur wünschen konnte. Als Sienna vor einem Regal stehenblieb, um die Auslagen intensiv zu betrachten, gesellte ich mich zu ihr.
„Sieh mal, hier gibt es Präsente zur Geburt der Babys", stieß sie entzückt hervor.
„In hellblau und rosa", setzte ich unnötigerweise hinzu, was sie mit einem kurzen Seufzen quittierte.
„Ich weiß leider noch nicht, was es wird", sagte sie bedauernd.
„Ab wann kann man das denn feststellen?", erkundigte ich mich neugierig.
„Ungefähr ab der vierzehnten Woche", lautete ihre Antwort, die mein Herz schneller schlagen ließ.
„Das ist ja schon bald", sagte ich erfreut.
Zu meiner Überraschung antwortete Sienna. „Ja, aber ich werde es mir nicht sagen lassen."
„Was? Warum denn nicht?"
„Weil du nicht dabei sein kannst."
Dieser Satz ließ mich ein wenig nachdenklich und ziemlich traurig werden. Ich hatte bereits die ersten zwölf Wochen ihrer Schwangerschaft verpasst. Eine Zeitspanne, in welcher sie mich wahrscheinlich mehr gebraucht hätte, als jeden anderen Menschen. Und nun würde ich wieder nicht da sein, wenn aufregende Dinge bezüglich der Entwicklung des Babys passierten.
In Augenblicken wie diesen wurde mir bewusst, dass ich Sienna wirklich liebte. Dass es nicht nur der fantastische Sex war, der uns verband, sondern ganz andere, viel wichtigere, tiefgründige Dinge. Während ich noch über ihren letzten Satz nachdachte, schlenderte sie weiter, um erneut vor einem Regal stehen zu bleiben.
„Oh Gott, das muss ich mir als Andenken mitnehmen!"
Kaum hörte ich ihre Worte und sah, wohin ihr Blick sich richtete, fragte ich: „Welche willst du? Weiß mit schwarzen Punkten, hellbraun mit dunkelbraunem Muster, weiß mit roten Punkten oder dunkelbraun mit hellbraunem Muster?"
„Hm, ich glaube, ich nehme den weißen Schuh mit den schwarzen Punkten", kam es zurück.
„Gut, aber ich möchte ihn dir schenken."
Vorsichtig nahm ich einen der Schokoladenpumps aus dem Regal und ging damit zur Kasse. Dort erstand ich außerdem eine Packung Schokoladendrops mit Erdbeergeschmack, sowie fünf Tafeln Schokolade. Sienna konnte es kaum erwarten, sich über die Naschereien herzumachen.
Bereits während der Rückfahrt öffnete sie eine der Tafeln und begann genießerisch zu essen, wobei sie mir vorsichtig ein Stück in den Mund schob, da ich meine Hände nicht vom Lenkrad nehmen wollte. Wir benahmen uns so ungezwungen, lachten und scherzten, als sei dies ein ganz normaler Tag. Doch er bedeutete alles für mich.
Ich war Alistair unglaublich dankbar, dass er Sienna zu mir gebracht hatte und uns somit die Chance gab, miteinander zu sprechen, zu lachen und generell eine wunderschöne Zeit miteinander zu verbringen. Und ich bewunderte die wunderschöne Frau an meiner Seite, die nicht aufgegeben hatte, nach mir zu suchen. Ihr gebührte meine ganzer Respekt, sowie meine Liebe.
Herzflattern, das war es, was sie in mir auslöste, ebenso das Gefühl plötzlich Berge versetzen zu können.
„Niall?"
„Ja, Sienna?"
„Können wir bitte an den Strand fahren oder laufen? Ich möchte ihn so gerne aus der Nähe sehen", bat sie mich.
„Aber sicher, das ist kein Problem. Möchtest du vielleicht die Ruinen betrachten, zu denen ich immer jogge?"
„Das klingt gut aber wir müssten vorher noch kurz irgendwo anhalten, wo es eine Toilette gibt. Weißt du, es ist schrecklich, seit ich schwanger bin, muss ich ständig", entschuldigte sie sich, was mich zu einem Grinsen animierte.
„Die Tankstellte ist gleich um die Ecke, ok?"
„Das ist super!"
Während ich auf Sienna wartete, zündete ich mir eine Zigarette an. Als ich den Kopf anhob, tauchte plötzlich eine bekannte Gestalt in meinem Blickfeld auf. Harry grinste mich aus der Entfernung an und zwinkerte mir kurz zu. Ich zwinkerte zurück, was ihn dazu veranlasste, auf mich zuzugehen.
„Heißer Feger", flüsterte er leise.
„Oh ja, das ist sie."
„Ich habe euch die ganze Zeit im Auge, du brauchst also keine Angst zu haben", bemerkte er.
„Das dachte ich mir schon."
Aus dem Augenwinkel nahm ich wahr, dass Sienna aus dem Gebäude trat.
„Achtung, sie kommt", warnte ich Harry, da dieser mit dem Rücken zu ihr stand.
„Alles gut, gib mir einfach Feuer."
Schnell holte ich mein Feuerzeug wieder hervor und reichte es ihm. In aller Seelenruhe zündete sich der Lockenkopf ein Zigarillo an, bevor er das Feuerzeug wieder an mich übergab.
„Danke."
„Bitte."
Sienna, die unsere letzten Worte hörte, lächelte als ich fragte: „Alles erledigt, können wir fahren?"
„Ja, James."
James; sie machte ihre Sache ausgesprochen gut, Alistair wäre bestimmt vor Stolz geplatzt.
Während Harry sich langsam vom Wagen entfernte, stiegen wir beide ein, um kurz darauf loszufahren. Wie besprochen schlug ich den Weg zu den Ruinen ein. Das letzte Stück mussten wir allerdings zu Fuß zurücklegen, was jedoch zu keiner großen Anstrengung führte, da sich ein ebener Pfad vor unseren Augen auftat, als wir den Wagen verließen, der an der Straße parkte.
„Die Ruinen sehen toll aus", schwärmte Sienna.
„Ich jogge normalerweise jeden Morgen dorthin", erklärte ich lächelnd, worauf sie ihre Arme plötzlich um meinen Nacken legte.
„Und warum hast du es heute Morgen ausfallen lassen?", fragte sie mit neckisch klingender Stimme.
„Lass mich überlegen. Ich glaube, da lag eine hübsche Frau in meinem Bett, die kuscheln wollte, was ich ihr nicht verwehren konnte", erwiderte ich schmunzelnd.
„Ja wie jetzt? Eine hübsche Frau? Du wirst mir untreu!", scherzte sie.
Ohne darüber nachzudenken, zog ich sie ganz nahe zu mir heran, um dann meine Lippen auf ihre zu legen. Wir versanken in einem tiefen Kuss, der nicht enden wollte. Fest hielten wir uns umschlungen, während der Wind über unsere Köpfe hinweg blies. Es fühlte sich an wie ein magischer Moment, der nicht vergehen wollte. Die Unendlichkeit, gefangen in einem Wochenende.
Mehrere Minuten standen wir einfach nur da, ohne ein Wort zu reden, während unsere Lippen sich immer wieder berührten.
„Baby", flüsterte ich leise und nach einer gefühlten Ewigkeit. „Lass uns nach Hause fahren."
Als Sienna sich von mir löste und meine Hand ergriff, sah ich das Heck eines schwarzen Wagens, der hinter einem Felsen parkte. Harry war immer in meiner Nähe, egal, was ich tat. In mich hineingrinsend legte ich mit Sienna den Weg zu meinem Auto zurück. Zum Glück konnte Harry nicht beobachten, was wir im Haus trieben.
Kaum hatte ich die Tür aufgeschlossen, stürzte Sienna ins Gäste Bad, weil ihre Blase wieder zu drücken begann. Derweil suchte ich die Küche auf und durchforstete den Kühlschrank. Am gestrigen Tag hatte ich genügend eingekauft, sodass ich mich in der glücklichen Lage sah, ein köstliches Mahl für uns zubereiten zu können. Sienna ging mir dabei zur Hand und während wir die Zutaten klein schnippelten, begannen wir eine Unterhaltung.
„Was hast du eigentlich deiner Familie und deinen Freunden gesagt, wo du am Wochenende bist?", fragte ich nach.
„Ich habe ihnen erzählt, dass ich eine alte Freundin in Brighton besuche", erklärte Sienna seufzend. „Da niemand außer mir, ihre Adresse und Telefonnummer kennt, kann auch keiner dort anrufen. Gestern habe ich Seth und auch Gwenny eine Nachricht geschickt, dass ich gut angekommen bin und seitdem habe ich meine Ruhe."
Mir war aufgefallen, dass sie ihr Handy hin und wieder checkte, was ja auch normal war und zudem in diesem Fall mehr als nur verständlich. Siennas Besuch in Irland musste unter allen Umständen geheim bleiben.
„Fällt es dir schwer zu lügen?", erkundigte ich mich.
„Ja, das tut es. Ich liebe meine Familie, weißt du."
Sie klang sehr traurig, was ich gut verstehen konnte.
„Und trotzdem würdest du sie aufgeben wollen?", hakte ich nach.
Langsam hob Sienna ihren Kopf, schaute in meine Augen und sagte: „Ja, Niall, das würde ich. Für dich und für unser Kind, denn ihr beiden seid das Größte und Wichtigste in meinem Leben."
Kleine Tränen rannen ihre rosigen Wangen hinab, was mich dazu veranlasste, das Messer beiseite zu legen und sie in meine Arme zu nehmen.
„Baby, ich liebe ich", wisperte ich und hauchte einen Kuss auf ihre Stirn.
Sofort klammert sie sich an mich, legte ihren Kopf an meine Schulter und flüsterte: „Ich dich auch, Niall. Du weißt gar nicht, wie sehr."
„Oh doch, das weiß ich."
Langsam löste ich mich von ihr, nur so weit, dass ich wir uns in die Augen schauen konnten.
„Es ist nur..., es ist so verdammt schwer für mich, verstehst du?"
Als ich ihren zweifelnden Blick bemerkte, seufzte ich laut, um dann zu sagen: „Wie schieben jetzt den Auflauf in den Ofen und dann reden wir, ok?"
Ihr Nicken bezeugte das Einverständnis, worauf ich die große Auflaufform schnappte, um diese im Backofen verschwinden zu lassen. Anschließend nahm ich Siennas Hand und führte sie zu der kleinen Couch vor dem Kamin, wo wir uns niederließen.
„Du solltest wissen, auf was du dich einlässt, deswegen werde ich dir jetzt erzählen, was in jener Nacht passiert ist."
Ich musste nicht explizit erwähnen, um welche Nacht oder um welches Ereignis es sich drehte; denn das war offensichtlich. Eng aneinander gekuschelt saßen wir auf dem Sofa, als ich zu sprechen begann.
„Wir hatten unsere Gewandprobe, inklusive Vortrag der ersten Predigt und ich ging mit einigen Mitstreitern nach draußen, um eine zu rauchen, als der Priester eine Pause anordnete. Ich wollte nur kurz nach meinem Auto schauen, das ich in einer Seitenstraße, die mir nicht ganz geheuer war, abgestellt hatte. Leider war kein anderer Parkplatz frei. Als ich wieder weggehen wollte, bekam ich ein Streitgespräch zwischen zwei Männern mit. Es ging um Drogen, das konnte ich sofort heraushören."
Ich machte eine kurze Pause und strich eine lange Haarsträhne aus Siennas hübschem Gesicht, welches mich aufmerksam betrachtete. Sie wartete darauf, dass ich meine Rede fortsetzte, was ich nun auch tat.
„Der Streit eskalierte und einer der beiden Männer zog plötzlich eine Waffe. Er feuerte zwei Schüsse ab, worauf ich mich instinktiv auf den Boden warf, um nicht getroffen zu werden. Dann rannte er davon. Zurück blieb das Opfer, das stark blutete. Ich lief sofort zu dem Mann und versuchte die blutenden Wunden zu versorgen, doch es war aussichtslos. Nachdem ich den ärztlichen Notdienst angerufen hatte, versuchte ich diesem Mann seine letzten Minuten zu angenehm wie möglich zu machen."
Wieder machte ich eine kleine Pause und fuhr mir mit der einen Hand durch das Haar. Es war schrecklich, diese Erinnerungen wieder hochkommen zu lassen, doch ich musste es tun, für Sienna. Damit ich sicher ging, dass wir beide die richtige Entscheidung trafen. In jenem Moment war es mir völlig egal, was Alistair dazu sagen würde. Ich setzte nun meine eigenen Prioritäten.
„Der Mann sah wohl, dass ich ein Priestergewand trug", fuhr ich fort. „Er wollte beichten. Und er begann mir schließlich alles zu erzählen. Dass er zu einem Drogenring der kolumbianischen Mafia gehörte, wo die letzte Drogenlieferung sich befand, wer sie bekommen sollte und wie die Drogen in unser Land gerieten. Er nannte wichtige Namen, Orte, Zusammenhänge. Mit meinem Wissen kann ich die gesamte Drogenmafia hochgehen lassen. Als ich meine Aussage bei der Polizei machte, wurde mir sofort das Zeugenschutzprogramm angeboten, anders wäre diese nämlich nicht verwertbar gewesen. Also ich hätte die Aussage nicht unterschreiben dürfen, ohne in dieses Programm zu gelangen. Da ich der Menschheit einen Dienst erweisen wollte, habe ich mich dazu entschlossen, diesen Weg zu gehen. Auch wenn er nun mein gesamtes Leben verändert."
Siennas schloss für eine Sekunde ihre Augen, bevor sie leise sagte: „Es tut mir so leid, Niall. Du hast so viel durchmachen müssen."
Stockend kamen die nächsten Worte aus meinem Mund.
„Der Mann..., er starb in meinen Armen... Ich sehe das noch immer vor mir... und oftmals träume ich davon... aber wenn du bei mir bist, dann denke ich an andere, schöne Dinge."
Ich musste mich zusammenreißen, um nicht zu weinen, da mich die Geschichte noch immer psychisch quälte. Als ich meine Augen schloss, fühlte ich ihre Lippen auf meinen. Sienna küsste mich so sanft und zart und doch so leidenschaftlich. Erneut flatterte mein Herz aufgeregt umher, vor allem, als sie den nächsten Satz formulierte.
„Du musst dich nicht heute entscheiden, Niall. Ich verstehe, dass du Zeit brauchst."
Als ich sie fest in meine Arme schloss, spürte ich, wie sie zitterte.
„Ist dir kalt, Baby? Soll ich das Feuer anmachen?", wisperte ich.
„Nein, nachher vielleicht. Bitte bleib bei mir und halte mich einfach nur fest."
Das leichte Beben in ihrer Stimme machte mir bewusst, dass ich gerade die verletzliche Sienna in meinen Armen hielt. Sie brauchte jemanden zum Anlehnen, ein Gefühl, dass ich ihr nur zu gerne vermitteln wollte. Ihre Schwäche brachte meine Stärke hervor und umgekehrt verhielt es sich ebenso. Wenn Sienna bei mir war, konnte auch ich mich fallen lassen und über Dinge reden, welche ich ansonsten in mich hineinfraß.
„Hattest du denn als angehender Priester keine Schweigepflicht, was das Beichtgeheimnis angeht?", fragte sie leise, ihren Kopf in meiner Halsbeuge vergraben.
„Nein, erst ab der Weihe zum Priester. Deswegen konnte ich ohne Probleme aussagen, ansonsten hätte das die Sanktionierung nach dem Kirchenstrafrecht bewirkt, sprich die Exkommunikation", klärte ich Sienna auf.
„Man hätte dich deines Amtes enthoben, richtig?"
„Ja. Konkret bedeutet das, dass ich, der verurteilte Geistliche, als Exkommunizierter keinen Gottesdienst mehr halten, keine Sakramente spenden oder empfangen und meine Ämter, sowie meine Leitungsgewalt nicht mehr hätte ausüben dürfen."
„Es ist verrückt", flüsterte sie. „Denn wenn das passierte wäre..."
„Dann wäre jetzt alles einfacher, was meinen Beruf angeht", vollendete ich ihren begonnen Satz.
Mein Herz wollte zu Sienna, doch meine Seele war mit der Kirche verbunden und somit würde ich, egal, wie ich mich entschied, immer einem inneren Konflikt ausgesetzt sein, ein Leben lang.
Herz oder Seele, Sicherheit und Verzicht auf mein Kind und eine wunderbare Frau, oder beide in meiner Nähe, umgeben durch eine ständige Bedrohung, ich wusste es in diesem Moment wirklich nicht.
Und genau dies riss mein Herz fast entzwei.
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Hallo ihr Lieben, hier kommt das versprochene Update! Ihr wisst nun, wie es in Niall aussieht, mit was er zu kämpfen hat. Ich fand es wichtig, dass Sienna und er ein entsprechendes Gespräch führen, um zu schauen, wohin die Zukunft sie führen könnte.
Ich hoffe, das Kapitel hat euch gefallen, auch wenn die Entscheidung noch immer aussteht.
Das nächste Update kommt am Freitag!
Ich wollte mich bei euch für die unzähligen Kommentar, Reads und Votes bedanken, es ist unglaublich wie ihr bei dieser Story mitfiebert! Das gibt mir so viel Auftrieb beim Schreiben! Ihr seid die wundervollsten Leser überhaupt! Danke für die mittlerweile 31,8 k Reads - das ist unfassbar!
Lots of Love,
Ambi xxx
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