45. Mysterious

Fionn


Die nächsten beiden Wochen vergingen wie im Flug. Stets hatten Sienna und ich etwas anderes zu tun. Nach der Untersuchung durch die Gynäkologin statten wir dem Krankenhaus am nächsten Tag einen Besuch ab.

Dieses gefiel uns wirklich sehr gut, alles wirkte modern und das Personal war äußerst zuvorkommend. Man legte uns ans Herz einen Kurs zu besuchen, in welchem die angehenden Eltern auf all das vorbereitet wurden, was nach und auch während der Geburt auf sie zukommen würde.

Natürlich meldeten wir uns dafür an, denn wir wollten beide für die Zukunft gerüstet sein. Das war auch dringend nötig, denn keiner von uns beiden hatte jemals ein Baby gewickelt. Zudem erfuhren wir im Teil, in welchem es um die Geburtsvorbereitungen ging, wie anstrengend dies werden würde.

Sienna sah dem ziemlich gelassen entgegen, während ich mir bereits jetzt Gedanken um alles machte. Aber schließlich hatten das schon genügend andere Paare vor uns durchgestanden, also musste es irgendwie zu schaffen sein.

Der Kurs war jedoch nicht die einzige neue Sache, die ich anging, sondern ebenso den Besuch einer Shooting Ranch, gemeinsam mit Kyle. Wir hatten uns einen Samstagnachmittag dafür ausgesucht, denn er erklärte mir, dass es sonntags dort viel zu voll sei.

Inzwischen hatte ich nach der Firma gegoogelt, für welche er und Avril arbeiteten, weil es mich einfach interessierte. Tatsächlich befanden sich vier Filialen des großen Unternehmens in Großbritannien, etwas, was mir gänzlich unbekannt gewesen war. Aber nun wusste ich dies.

Kyle erklärte, dass es für Avril und ihn keinen festen Tag gäbe, an welchem sie im Büro auftauchen mussten. Dies hinge jeweils von den entsprechenden Arbeiten ab. Wenn man es nüchtern betrachtete, würde auch ich zukünftig eine Menge Zeit hinter meinem Schreibtisch zuhause verbringen. Dort arbeitete ich sämtliche Predigten aus, bevor die Gemeinde diese zu hören bekam.

Ein wenig aufgeregt war ich ja schon, wenn ich an meinen neuen Arbeitsplatz dachte. Deshalb wollte ich am Sonntag zuvor in die Kirche gehen, um dem Gottesdienst beizuwohnen und mich dem Pfarrer vorstellen, der in Kürze seiner Pension entgegen sah.

Aber am heutigen Tag hieß es zunächst die Schießkünste testen. Natürlich zeigte sich Sienna nicht gerade begeistert darüber, dass ich mir eine Waffe zugelegt hatte.

„Musste das wirklich sein, Fionn?", fragte sie leicht irritiert.

„Ja, Baby, es musste sein. Ich habe keine Lust, falls die Mafia uns doch eines Tages unerwartet finden sollte, schutzlos dazustehen."

„Du würdest auf einen Menschen schießen?"

„Wenn dieser dir, unserem Kind oder mir nach dem Leben trachtet, dann würde ich es vermutlich tun."

„Dann ist die Pistole also nur für den Notfall gedacht?"

„Natürlich, was dachtest du denn? Aber ich muss schießen üben, ich habe das noch nie praktiziert und Kyle hilft mir dabei. Deswegen werden wir nachher zu einer Shooting Ranch fahren", erklärte ich.

„Kyle? Hat er auch eine Waffe?"

„Ja."

„Oh." Mehr sagte Sienna nicht dazu.

Allerdings versuchte ich sie zu beruhigen. „Baby, wir sind hier in den USA, also sozusagen im wilden Westen. Da ist so ein Ding praktisch Bestandteil eines jeden Haushaltes."

Ihr Seufzen war nicht zu überhören. „Na ja, ich werde mich daran gewöhnen, aber bitte halte sie unter Verschluss."

„Das werde ich."

Als ich ihr einen Kuss auf die Lippen hauchte, spürte ich ihr kleines Lächeln.

Das Läuten der Türglocke unterbrach unsere traute Zweisamkeit und mit einem raschen Blick auf die Uhr stellte ich fest, dass es sich bestimmt um Kyle handeln musste. Damit lag ich absolut richtig.

„Hey, James, alles klar?", erkundigte er sich, als ihm öffnete.

„Ja, und bei dir?"

„Alles super. Bis du schon aufgeregt?"

„Es geht."

Nachdem Kyle und Sienna sich durch eine Umarmung begrüßt hatten, wurde es auch schon Zeit zu gehen.

„Bis später Schatz", sagte sie. „Und viel Spaß beim Schießen. Ich hoffe, du kriegst es hin." Das hoffte ich auch.

Heute fuhren wir zur Abwechslung mit meinem Wagen, welcher Kyle ausgesprochen gut gefiel.

„Willst du dir einen ähnlichen kaufen?", erkundigte er sich, als ich jammerte, weil ich den Ford Ende nächster Woche bereits wieder abgeben musste.

„Ja, wollen wir. Wir schauen am Montag nochmal nach einem Auto."

„Wenn ihr möchtet, können wir gerne mitkommen. Wir werden erst wieder am Mittwoch ins Büro fahren", lautete sein Angebot.

„Ich werde es meiner Frau vorschlagen", erwiderte ich grinsend, denn ich konnte mir bereits denken, wie ihre Antwort ausfallen würde. Da wir inzwischen mit Kyle und Avril richtig warm geworden waren, hatte Sienna sicher nichts dagegen.

Gut gelaunt steuerte ich den Wagen in Richtung Shooting Ranch. Es erübrigte sich zu erwähnen, dass ich bereits auf dem Weg dorthin die Hosen voll hatte. Waffen flößten mir seit jeher großen Respekt ein und ich hätte nie gedacht, dass mal an den Punkt gelangen würde, mir freiwillig eine zuzulegen. Aber jetzt war es passiert und aufgrund der Umstände, die mein Leben schlagartig änderten, auch verständlich.

Die Shooting Ranch, die Kyle auserkoren hatte, damit ich meine ersten Versuche starten konnte, befand sich sogar in Oceanside, unweit des kleinen, ortsansässigen Flughafens.

Die Fahrt bis zu unserem Ziel dauerte nicht einmal eine halbe Stunde.

Dort angekommen, mussten wir uns kurz ausweisen und unsere Kreditkarten vorlegen, bevor wir überhaupt die Halle betreten durften, in welcher das Training abgehalten wurde. Ein Instructor führte uns hinein und wies uns an, den Gehörschutz, sowie eine Brille aufzuziehen.

Mit klopfendem Herzen stand ich nun da und wusste nicht so recht, wie ich es angehen sollte, auf die Scheibe zu zielen, die in etwa zehn Metern Entfernung stand. Für einen Anfänger wie mich, war es ziemlich schwierig, die Mitte der Schießscheibe zu treffen. Kyle hingegen erledigte dies mit Leichtigkeit.

„Ich mache es dir vor, James und dann erkläre ich dir, wie du die Pistole richtig halten musst", sagte er, bevor er loslegte.

Mit offenem Mund verfolgte ich, wie mein Nachbar alle zehn Schuss mühelos in den innersten Kreis der Zielscheibe ballerte. So, als sei dies die leichteste Übung der Welt.

Wenn man ihm so zuschaute, schien es nicht besonders schwer zu sein und so machte ich mich daran, mein Glück zu versuchen.

Nachdem Kyle mir erklärt hatte, wie ich das Ding am besten hielt und wie ich zu zielen hatte, startete ich den ersten Versuch. Es war jämmerlich. Zwar traf ich die Scheibe, doch der Schuss landete weit von der Mitte entfernt, im äußersten Kreis sozusagen.

„Komm schon, nochmal, James!", trieb Kyle mich an. „Das geht besser!"

Doch so einfach, wie ich es mir vorgestellt hatte, war es bei weitem nicht. Es gelang mir nicht mal annährend, die Kugeln in den Bereich der Mitte zu befördern. Erst beim dritten Durchgang wurde es langsam besser. Kyles Zielscheiben waren in der Mitte komplett zerfetzt, während sich bei meinen die Löcher überall verstreuten.

„Alter Schwede!", entfuhr es mir. „Du schießt ja wie ein Profi!"

Ich war wirklich platt und kriegte mich gar nicht mehr ein. Da wir nun eine kurze Pause einlegten, welche wir im Foyer der Halle, am Getränkestand verbrachten, plauderten wir ein wenig.

„Sag mal, warum kannst du so gut schießen?", fragte ich neugierig.

„Ach weißt du, ich tue das seit meinem achtzehnten Lebensjahr. Mein Vater ist in einem Schützenverein und da wurde ich natürlich ebenfalls Mitglied. Um es nicht zu verlernen, besuche ich hier regelmäßig die Shooting Ranch", erzählte er grinsend.

„Aber so gut wie du hat keiner hier geschossen", stellte ich fest, worauf er nur mit den Schultern zuckte.

„Ich bin eben ein Naturtalent, das war ich schon immer."

Da er dabei lachte, konnte ich ihm diese Bemerkung nicht einmal übel nehmen oder es als angeberisch abtun, denn Kyle hatte es wirklich drauf. Als wir unsere Getränke gelehrt hatten, klopfte er mir auf die Schultern und sagte: „Auf zum zweiten Teil, James. Schlappmachen gilt hier nicht."

Grummelnd folgte ich ihm in Richtung Halle, wo wir alsbald unsere Plätze wieder einnahmen, um erneut loszulegen. Kyle war einfach unschlagbar. Es ging mir nicht in den Kopf, wie jemand so gut schießen konnte. Nicht eine Kugel verfehlte ihr Ziel. An der Waffe konnte es wohl kaum liegen, denn er benutzte die gleiche wie ich. Immerhin wurden meine Ergebnisse ein wenig besser, aber gut fühlte ich mich trotzdem nicht. Im Vergleich zu Kyle wirkte ich wie der reinste Stümper. Obwohl er mir versicherte, dass ich Fortschritte machen würde, waren diese für mich kaum ersichtlich.

Am Ende des Trainings hatte ich sechzig Kugeln verballert. Wenn ich das Ganze noch neunmal durchzog, würden das bereits sechshundert Schuss sein, die von tausend fehlten. Langsam wurde mir klar, warum Kyle darauf bestand, dass ich diese Mengen an Munition kaufte. Mit dreimal üben war es hier nämlich nicht getan.

Seufzend packte ich meine Pistole in den kleinen Koffer, welchen ich als Zubehör beim Kauf gleich miterworben hatte und folgte Kyle nach draußen.

„Hör mal, so schlecht war das gar nicht für einen Anfänger. Zum Schluss hast du sogar die inneren Ringe getroffen."

„Du musst mich nicht aufmuntern", erklärte ich grinsend. „Ich weiß, was ich im Vergleich zu dir, für eine Null bin. Aber es kann nur besser werden."

„Das auf jeden Fall."

Obwohl ich Kyle wirklich nicht lange kannte, hatte ich jetzt schon das Gefühl, so etwas wie einen guten Kumpel in ihm gefunden zu haben.

Zuhause wurden wir freudestrahlend von unseren beiden Frauen empfangen, die auf unserer Terrasse saßen und plauderten. Ich freute mich für Sienna, dass auch sie die Zeit mit jemandem in ihrem Alter verbringen konnte, wenn ich durch Abwesenheit glänzte. Und Avril war wirklich ein Schatz, so liebenswürdig und freundlich, wobei das keineswegs aufgesetzt wirkte. Kurzerhand beschlossen wir nochmals ein Barbecue zu veranstalten, da jeder noch genügend Fleisch und Salate im Kühlschrank gebunkert hatte. In Kalifornien ließ es sich wirklich gut leben und wenn nicht der permanente Gedanke an das Zeugenschutzprogramm gewesen wäre, würde ich mir noch immer wie in einem Traum vorkommen. Sommer, Sonne, Strand – es fühlte sich fast wie Urlaub an.

Trotzdem mussten wir nach und nach unseren Pflichten nachkommen. Für mich hieß das auf jeden Fall am Sonntag die Kirche aufsuchen und am Gottesdienst teilnehmen. Da ich bereits in Irland mehrere evangelische Messen besucht hatte und zudem durch die Seminare gut darauf vorbereitet war, hatte ich keine Mühe zu erraten, wie der Ablauf sich gestaltete. Ein wenig anders, als bei den Katholiken, jedoch nicht so, dass ich es nicht auf die Reihe kriegen würde.

Als ich mich nach dem Ende des Gottesdienstes beim Pfarrer vorstellte, zeigte sich dieser hocherfreut, seinen Nachfolger zu sehen.

„James, ich finde es toll, dass du Pfarrer geworden bist. Viele junge Leute können leider damit überhaupt nichts mehr anfangen", lauteten seine überaus wahren Worte.

Wir plauderten noch eine halbe Stunde und als ich mich verabschiedete, konnte ich es kaum erwarten, am nächsten Sonntag selbst auf der Kanzel zu stehen, um meine selbstgeschriebene Predigt vorzutragen. Doch bis dahin gab es noch andere Dinge zu tun.

Als erstes schafften wir uns ein Auto an, ähnlich unserem Mietwagen. Dabei handelte es sich um einen großen, geräumigen SUV. Er war schneeweiß und erinnerte mich an Alistairs fahrbaren Untersatz. Das nächste, was wir in Angriff nahmen, waren dem Baumarkt einen Besuch abzustatten, um uns mit Farben, Pinseln und allerlei Handwerksutensilien einzudecken. Dabei beratschlagten wir, was mit dem Kellerraum passieren sollte. Sienna war dagegen, dort ein Vorratslager einzurichten, wie Kyle und Avril dies getan hatten.

„Fionn, ich werde jeden Tag dicker und das Laufen wird demnach für mich beschwerlicher. Ich möchte nicht jedes Mal in den Keller gehen müssen, wenn ich ein Glas Gurken oder Sonstiges haben möchte", erklärte sie bestimmt.

Da ich ihrer Argumentation nichts entgegenzusetzen hatte, blieb der Raum nach wie vor ungenutzt. Vielleicht konnte ich dort meine Waffe und die Munition verstauen, welche im Moment in unserem Safe lagen, der sich im Schlafzimmer befand. Oder ich machte es wie Kyle und stellte einen Teil des Werkzeugs dort unter. Avril hatte sich nämlich lachend beschwert, dass er ihren Vorratskeller langsam aber sicher zu einer Werkstatt umräumen würde. Da jedoch zunächst andere, wichtigere Dinge anstanden, geriet der Keller in Vergessenheit.

Gemeinsam verpassten wir dem zukünftigen Kinderzimmer einen neuen Anstrich. Eine Wand wurde hellblau und der Rest mit einem hauchzarten Gelb versehen. Noch konnte Sienna sich einigermaßen gut bewegen und deshalb nutzte sie es aus, mich zu unterstützen, wo es nur ging.

Zufrieden mit unserem Werk ließen wir den Abend auf unserer Terrasse ausklingen. Sienna mit einem Glas Apfelsaft und ich mit einem Bier. „Morgen hältst du deine erste Predigt", sagte sie lächelnd und legte ihre Hand auf meine.

„Ja, und ich hoffe, ich versage nicht", erwiderte ich.

„Das wird nicht passieren, denn ich bin dein Glücksbringer", kam es prompt zurück. „Ich sitze in der ersten Reihe und höre dir zu."

„Dann sollten wir jetzt langsam schlafen gehen, denn wir müssen morgen früh aufstehen", sagte ich, bevor ich sie auf den Mund küsste.

Es wurde eine kurze Nacht für mich, denn vor lauter Aufregung erwachte ich bereits um fünf Uhr morgens. Um Sienna nicht zu wecken, suchte ich mein Arbeitszimmer auf und warf einen letzten Blick auf das Manuskript. Mein Traum ging heute in Erfüllung, ich konnte es kaum glauben. Zwischen all der Aufregung und den schrecklichen Dingen, die in mein Leben schneiten, gab es jedoch auch positive Sachen. Eine davon fand heute statt.

Die Kirche war voll bis auf den letzten Platz, als ich diese betrat. Wie zu erwarten war jeder gekommen, um den neuen Pfarrer in Augenschein zu nehmen. Sienna saß in der ersten Reihe und zu meiner Überraschung hatten sich Kyle und Avril zu ihr gesellt. Eine unheimlich nette Geste, wie ich fand.

Es war ein erhebendes Gefühl, das liturgische Gewand überzustreifen und auf die Kanzel zu steigen, um nun die Worte zu verkünden, welche ich mir zurechtgelegt hatte. Aufmerksam hörten meine Schäfchen zu. Mein Herz wurde durch eine überaus große Freude erfüllt und als die sonntägliche Messe zu Ende ging, fühlte ich mich frei und beschwingt.

„Glückwunsch, James, deine Predigt war wundervoll", sagte Avril, nachdem Sienna mir einen Kuss auf die Wange gedrückt hatte.

„Danke, es freut mich, dass es dir gefallen hat."

Ein neues Kapitel in meinem Leben hatte begonnen, meine Arbeit als Pfarrer; und in nicht allzu langer Zeit würde auch privat ein neues Einzug halten. Nämlich dann, wenn unser Sohn geboren wurde.

Noch genossen wir unsere Zeit zu zweit, die wertvoller denn je war. Sienna an meiner Seite zu haben war ein Geschenk, eines der wertvollsten, die ich jemals erhalten hatte. Jeden Morgen neben ihr zu erwachen und jeden Abend neben ihr einzuschlafen bewirkte, dass ich ruhiger wurde.

Wir waren hier in Sicherheit.

Unser Leben unterschied sich nicht großartig von dem eines normalen Bürgers. Obwohl wir gefälschte Namen, Ausweise und Lebensläufe besaßen, fiel dies niemandem auf. Ich ging voll in meinem Beruf auf, während Sienna sich um das Haus kümmerte, in welchem noch viele Kleinigkeiten fehlten. Meistens begleitete sie Avril zum Shoppen, was mir durchaus Recht war. Denn so hatte sie jemanden bei sich, falls etwas sein sollte. Die Schwangerschaft verlief zwar nach wie vor problemlos, doch man konnte nie wissen.

Oftmals war ich außer Haus, da die Aufgabe eines Pfarrers nicht nur darin bestand, den sonntäglichen Gottesdienst zu absolvieren. Zugegeben, das machte mir am meisten Spaß, vor allem, weil die Kirche stets gut gefüllt war. Allen voran mit pubertierenden Gören, die mich anhimmelten, genau wie in London. Aber jetzt, da ich verheiratet war und bald Vater wurde, fühlte sich dies ziemlich komisch an. Trotzdem kam ich nicht umhin, mich hin und wieder mit ihnen auseinander zu setzen. Nach dem Gottesdienst lauerten sie mir oft vor der Kirche auf und warteten einen passenden Augenblick ab, vorzugsweise wenn Sienna sich gerade mit meinem Vorgänger und dessen Frau unterhielt.

„Pfarrer James, würden Sie mir etwas in mein Gesangbuch schreiben?", fragte eines der Mädchen.

„Ja, das wäre super! Bitte auch bei mir!", kam es prompt von dem nächsten weiblichen Teenager.

Überrascht schaute ich auf. „Wieso sollte ich das tun? Und was soll ich schreiben?"

„Na, Ihre Unterschrift!"

„Ihr wollt ein Autogramm? Ich bin doch kein Popstar", erwiderte ich lachend, griff jedoch nach Gesangbuch und Stift, um mich darin zu verewigen. Sie würden ja doch keine Ruhe geben und außerdem schadete ich niemandem damit.

„Dankeschön!"

„Bitteschön."

„Awww, das ist so süß!", hörte ich die Mädels im Weggehen schwärmen.

Meinetwegen war ich halt in ihren Augen süß, aber mich interessierte es viel mehr, dass Sienna mich nach wie vor heiß fand. Beinahe täglich gab sie mir zu verstehen, wie unattraktiv sie sich neben mir fühlte, weil ihr Bauch stetig heranwuchs.

„Du wirst immer heißer und ich werde immer fetter", war im Augenblick ihr Lieblingssatz, den ich jedoch niemals gelten ließ.

„Du trägst unser Baby aus und das macht dich zur sexiesten Frau der Welt", flüsterte ich ihr ins Ohr.

„Ich liebe dich, Fionn", wisperte sie leise.

„Ich dich auch, Sienna."

Ungefähr acht Wochen nach unserem Eintreffen in Oceanside machte ich allerdings eine merkwürdige Entdeckung. Wie so oft hatte ich einen Termin in einer anderen Kirchengemeinde beim dortigen Pfarrer hinter mich gebracht. Bei unserer Besprechung ging es um das Kirchenfestival, welches im nächsten Jahr in Oceanside stattfand. Es würde ein riesiges Spektakel mit mehreren Gottesdiensten werden und ich freute mich schon sehr darauf.

Auf dem Rückweg zu unserem Haus traf ich die spontane Entscheidung, bei der Shooting Ranch vorbeizuschauen. Mir war gerade danach, den Schießübungen nachzugehen und da es dort die Möglichkeit gab, das gleiche Modell der Waffe zu leihen, welches sich in meinem Safe befand, stellte dies auch kein Problem dar. Ich musste mich beim Schießen nicht umstellen, nur darauf kam es an.

Als ich meinen Wagen auf dem Parkplatz abstellte, erblickte ich zu meiner großen Überraschung Kyles Auto. Da mir sein Kennzeichen geläufig war, konnte es auch keine Verwechslung sein. Das Ganze kam mir ziemlich merkwürdig vor, denn ich hatte sowohl Kyle als auch Avril heute Morgen getroffen, das sie gemeinsam nach San Diego ins Büro fahren wollten. Normalerweise kehrten sie nie vor sechs Uhr abends zurück, wenn sie dies taten.

„Komisch", murmelte ich, als ich die Shooting Ranch betrat.

Doch es sollte noch schlimmer kommen. Nicht nur Kyle stand in der Halle, um mit voller Inbrunst auf die Scheibe zu schießen, sondern auch Avril. Und sie war nicht mal schlechter als er. Langsam wurden mir die beiden unheimlich. Was zum Teufel war da los? Da ich der Sache auf den Grund gehen wollte, wartete ich, bis die beiden eine Pause einlegten, um sie dann abzufangen.

„Hallo, ihr beiden. Was macht ihr denn hier?"

Die Überraschung stand ihnen für eine Zehntelsekunde im Gesicht geschrieben, doch dann fassten sich wieder.

„Ach, es war nicht viel los im Büro. Wir haben unsere Arbeit für die kommende Woche mitgenommen und dachten, wir schauen auf dem Heimweg hier vorbei", erklärte Kyle ruhig.

Ihm hätte ich das ja noch abgenommen, aber bei seiner Freundin kamen mir dann doch erhebliche Zweifel.

„Avril, du schießt auch?", fragte ich nach, was die Angesprochene mit einem Nicken beantwortete.

„Ja, das tue ich. Kyle möchte es so. Er sagt, in den USA muss sich jeder verteidigen können, auch eine Frau."

„Aber du bist genauso gut wie er!", entfuhr es mir beinahe schon pissig.

„Ich habe einen guten Lehrer und schieße außerdem schon eine Weile. Vermutlich kommt es dir aus der Entfernung auch nur so vor. Kyle ist wesentlich besser als ich."

Sie lächelte mich freundlich an, so wie immer, und drückte mir einen Kuss auf die Wange.

„Wir sind jetzt fertig. Viel Spaß noch, James. Wir sehen uns dann zuhause", verabschiedete sich Kyle von mir.

Irgendwie kam ich mir verarscht vor.

Normalerweise hielt ich nichts davon, Leute zu bespitzeln, doch in diesem Fall konnte ich einfach nicht anders. Ich erzählte Sienna nichts von der Begegnung auf der Shooting Ranch, denn sie würde sich nur unnötige Sorgen machen. Aber ich beobachtete Kyle und Avril, so oft ich nur konnte.

Da sie jedoch eher selten aus dem Haus gingen, gestaltete sich dies als relativ schwierig. Stets hatte ich das Gefühl, dass sie warteten, bis ich wegfuhr, um dann auf Tour zu gehen. Jedenfalls deckte sich das mit Siennas Aussagen bezüglich Kyles Aktivitäten.

Nach zwei Wochen hatte ich die Schnauze gestrichen voll und mir kam eine andere Idee, um vielleicht Näheres herausfinden zu können. Zuerst suchte ich im Internet nach der Telefonnummer der Firma, bei welcher Kyle und Avril angeblich arbeiteten. Nachdem ich diese herausgefunden hatte, rief ich unter dem Vorwand dort an, einen Termin mit Kyle Waters und Avril Jones zu haben. Dabei brauchte ich, was meinen Beruf anging, nicht einmal zu lügen. Ich stellte mich ganz offiziell als ein evangelischer Pfarrer aus Oceanside vor, mit dem die beiden verabredet waren, jedoch nicht erschienen seien.

Da ich direkt von meiner Arbeitsstelle, dem Pfarramt aus anrief, konnte man meine Telefonnummer leicht zurückverfolgen. Somit kam ich auf jeden Fall seriös rüber. Die nette Dame am anderen Ende der Leitung versprach, dass ich zurückgerufen werden sollte.

Zehn Minuten später war es soweit. Und ich erhielt die Bestätigung meiner Vermutung, welche ich seit zwei Wochen mit mir umhertrug. Weder Kyle Waters noch Avril Jones waren im Unternehmen Qualcomm Wireless & Software Technology tätig. Aber für wen arbeiteten sie dann?

Ein Verdacht keimte in mir auf und ich trat schnellstmöglich den Heimweg an.

Kaum hatte ich den Wagen in der Auffahrt geparkt, lief ich mit schnellen Schritten ins Haus, ohne großartig auf meine Umgebung zu achten.

„Sienna? Bist du da? Ich muss mit dir reden!", rief ich.

„Ja, Fionn, ich bin hier und ich muss ebenfalls mit dir reden."

Ihr Gesicht wirkte unglaublich aufgewühlt und sie zitterte am ganzen Leib.

„Baby, was ist los?!" Sofort nahm ich sie in meine Arme und drückte sie zärtlich an mich, während ich einen sanften Kuss auf ihrem Haar platzierte.

„Hast du nicht gesehen, was draußen steht?", fragte sie mit bebender Stimme.

„Ähm, nein, wieso?"

Ich nahm ein wenig Abstand von ihr, damit ich in ihre Augen schauen konnte, die wirklich ängstlich dreinblickten.

„Vor dem Haus steht ein Paket. Es ist an uns interessiert aber ich kenne den Absender nicht."

Nachdenklich runzelte ich meine Stirn. „Wie ist das Paket dorthin gekommen?"

„Ich weiß es nicht. Ich bin mit Avril zum Einkaufen unterwegs gewesen und als wir zurückkamen stand es da. Zuerst bemerkte ich es gar nicht, aber dann, als Avril und Kyle nochmal wegfuhren und ich nach draußen ging, um nach der Post zu schauen..., da sah ich es."

Ihre nächsten geflüsterten Worte ließen eine Gänsehaut über meinen Körper ziehen.

„Ich glaube, man hat uns gefunden, Fionn."

„Warte", wies ich sie an und hechtete nach draußen.

Als ich das Paket in den Händen hielt, wurde mein Körper durch ein Zittern erfasst und ein Würgereiz breitete sich in meiner Kehle aus. Der Name des Absenders klang wie der eines Mitglieds der kolumbianischen Drogenmafia: Alejandro Santiago Uribe Lopez.

Mein schlimmster Albtraum erfüllte sich genau in diesem Augenblick.

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Hallo meine Lieben, endlich gibt es wieder ein Update.

Fionn ist ganz schön schlau, oder? Er hat ohne große Probleme herausgefunden, dass Kyle und Avril nicht die Personen sind, die sie vorgeben zu sein.

Denkt ihr, Sienna hat recht und die beiden wurden tatsächlich gefunden?

Ich danke euch für die Kommentare und Votes und hoffe, dass ihr noch immer Spaß beim Lesen habt.

LG, Ambi xxx

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