43. Together

Sienna


Es fühlte sich komisch an zu wissen, dass ich England bald verlassen würde; vielleicht für immer. Die Erinnerungen der letzten Jahre zogen an meinem inneren Auge vorüber wie ein Film, der nicht zu stoppen war. Seth, Harvey und Gwenny, mein Job, London, die Stadt, die ich nahezu vergötterte. Niemals hätte ich mir vorstellten können, das alles freiwillig aufzugehen. Und doch tat ich es nun; für einen Mann, den ich über alles liebte und für unser ungeborenes Kind.

Als Alistair mir vorhin mitteile, dass ich morgen fliegen würde, machte mein Herz einen Freudensprung, denn ich sehnte mich nach Fionn. Die Tatsache, dass er gut angekommen war, und unser neues Heim wohl sehr schön fand, beruhigte mich ein wenig. Trotzdem konnte ich nicht einschlafen und wartete auf den nächsten Morgen.

Rosie und Alistair zu verlassen, brachte ebenfalls ein mulmiges Gefühl in meiner Magengegend hervor. Beide waren unglaublich nette, liebenswerte Menschen, die ich ins Herz geschlossen hatte. Dies schien absolut auf Gegenseitigkeit zu beruhen, denn sie umsorgten mich wie eine Tochter. Während der letzten Tage kümmerten sie sich wirklich rührend um mich. Nicht nur um mein leibliches Wohl, sondern auch um das seelische.

Vor allem Rosie wusste haargenau, wie sehr ich unter der Trennung von Fionn litt und dass ich es kaum erwarten konnte, ihn zu sehen. Oftmals nahm sie mich einfach in ihre Arme, wenn sie bemerkte, dass ich heimlich ein paar Tränen vergoss. Alistair hingegen heiterte mich mit seinen Sprüchen auf, wenn er nicht gerade dienstlich unterwegs war. Was immer er auch noch zu tun hatte, er sprach niemals darüber. Bis zum heutigen Abend. Während des Essens hatte er verlauten lassen, dass der Drogenring in London nun gesprengt sei und die Mafia sich darauf gefasst machen könnte, dass ihre Aktivitäten in ganz Europa jetzt unter die Lupe genommen wurden.

„Denen geht der Arsch auf Grundeis", lautete seine Aussage. „Aber sie werden es nicht so einfach hinnehmen. Und genau deshalb ist es für Sie der perfekte Zeitpunkt zu verschwinden. Flughäfen zu kontrollieren steht im Moment nicht an oberster Priorität der Liste, welche die Mafia nun abarbeitet."

Es beruhigte mich halbwegs, dass Alistair es so sah. Trotzdem war der Weg zum Flughafen am nächsten Morgen für mich kein Zuckerschlecken. Nach einem tränenreichen Abschied und aufmunternden Worten von Rosie „Du wirst das schon schaffen, Kindchen", saß ich ziemlich angespannt in Alistairs Wagen.

Obwohl er mir immer wieder versicherte, dass seine Mitarbeiter ständig auf der Hut seien und uns praktisch zum Flughafen geleiteten, konnte ich nicht frei atmen. Dies war erst möglich, als wir sämtliche Passkontrollen hinter uns gebracht hatten. Alistair begleitete mich bis zu meinem Abfluggate. Dort drückte er mir einen kleinen Umschlag in die Hand.

„Sie können ihn öffnen, wenn Sie im Flugzeug sitzen", sagte er schmunzelnd, als er mein überraschtes Gesicht bemerkte.

„Ok, dann werde ich das tun."

Sorgsam verstaute ich das weiße Papier in meiner Handtasche und betrachtete lächelnd meinen Ehering. Alistair hatte mir diesen heute Morgen ausgehändigt, bevor wir uns auf den Weg zum Flughafen machten. Außerdem bekam ich meinen neuen Ausweis, Reisepass und sogar einen Mutterpass, ausgestellt auf den Namen Brenda Edwards. Er sah haargenau aus wie mein Alter, alle Daten waren peinlichst genau übernommen worden. Alistairs Team schien es wirklich drauf zu haben, wenn es darum ging, eine neue Identität für jemanden zu schaffen.

„Ich werde die Briefe am Freitag übergeben", ließ Alistair mich wissen.

Er brauchte mir nicht zu sagen, um welche Schriftstücke es sich handelte, das wusste ich automatisch und es trieb einen Pfahl in mein Herz. Sie würden weinen, es spürte es. Verzweifelt lenkte ich meine Gedanken in eine andere Richtung. Fionn. In einigen Stunden würde uns nichts mehr trennen.

Als der Flug nach San Diego aufgerufen wurde, hieß es Abschied nehmen. Gleichzeitig erhoben Alistair und ich uns von unseren Plätzen. Sein Lächeln, welches er mir schenkte, wirkte väterlich und liebevoll.

„Ich wünschen Ihnen alles Gute, passen Sie auf sich auf und bringen Sie das Baby gut zur Welt. Ihr Gatte soll mich bitte anrufen, wenn Sie wohlbehalten in Kalifornien eingetroffen sind. Und ich möchte auch informiert werden, wenn das Baby da ist."

„Das werden wir ganz sicher tun", versprach ich und schaute in seine wachen, braunen Augen.

Meine Kehle schnürte sich langsam zu, denn es fiel mir schwerer als erwartet, dem Mann Lebwohl zu sagen, der letztendlich den Kontakt zu Fionn und mir herstellte, damit ich eine Chance hatte, ihm in sein neues Leben zu folgen.

„Danke für alles", wisperte ich unter Tränen, als wir uns umarmten.

„Bitte, gern geschehen."

Er reichte mir plötzlich ein Papiertaschentuch, mit welchem ich meine Augen trocknete.

„Auf Wiedersehen, Alistair", flüsterte ich und wollte mich umdrehen.

Doch er hielt mich kurz zurück. „Das wünschen Sie sich nicht wirklich, Sienna", sagte er leise. „Denn wenn Sie mich jemals wiedersehen sollten, bedeutet das, dass die Mafia Ihnen auf die Spur gekommen ist."

Dann drehte er sich um und verschwand. Ich schaute ihm so lange hinterher, bis nichts mehr von ihm zu sehen war, was angesichts seiner geringen Körpergröße recht schnell vonstattenging. Mit klopfendem Herzen trat ich den Weg in das große Flugzeug an, wissend, dass genau jetzt mein neues Leben begann.

Neugierig, wie ich war, öffnete ich den Briefumschlag von Alistair unmittelbar nach dem Start der Maschine. Verschiedene Dinge kamen zum Vorschein, unter anderem die Adresse einer Frauenärztin, ansässig in Oceanside, Kalifornien, meinem neuen Heimatort. Ebenso waren der Name, sowie die Adresse eines Krankenhauses auf dem Zettel vermerkt. Er hatte wirklich an alles gedacht, das musste man Alistair lassen.

Zufrieden steckte ich den Papierkram wieder zurück in die Tasche, blickte auf die Uhr und zählte die Stunden bis zu meiner Ankunft in San Diego. Mit jeder Minute näherte ich mich Fionn, mit jeder Stunde wurde ich ungeduldiger und als es endlich soweit war, dass das Flugzeug zur Landung ansetzte, wurde ich immer hibbeliger.

Das Baby hatte zwischendurch geschlafen, war aber nun jedoch wach und bewegte sich munter umher. Vorsichtig legte ich die Hände auf meinen Bauch und murmelte leise: „Gleich sind wir bei deinem Daddy."

Passkontrolle, Gepäckausgabe, die Dinge, welche ich noch hinter mich bringen musste, bevor ich Fionn endlich sehen würde, zogen sich wie Kaugummi dahin. Gott sei Dank war mir jemand beim Hochwuchten des Koffers vom Gepäckband behilflich, denn meine Schwangerschaft war jetzt kaum noch zu übersehen.

Als ich nach gefühlten zwei Stunden am Ausgang angekommen war, schritt ich mit rasendem Herzen durch die Tür. Meine Augen suchten nach ihm und als ich Fionn entdeckte, gab es kein Halten mehr. Wir stürzen aufeinander zu und fielen uns freudestrahlend in die Arme.

„Oh Gott, Baby, ich bin so froh, dass du hier bist."

Seine raue und gleichzeitig zärtliche Stimme bewirkte, dass sich meine komplette innere Anspannung löste. Augenblicklich begann ich zu weinen. Vor lauter Glück, dass wir uns endlich hatten und hoffentlich nie wieder getrennt sein würden.

Fionns Lippen pressten sich sachte gegen meine, während er mich fest umschlungen hielt. Lediglich der Baby Bauch war dafür verantwortlich, dass ein wenig Abstand zwischen uns herrschte. Ich genoss es, einfach nur dazustehen und in dieser liebevollen Geste zu versinken, als gäbe es nur uns beide auf dieser Welt.

„Ich liebe dich", wisperte ich, als wir den Kuss nach einer gefühlten Ewigkeit unterbrachen.

„Ich liebe dich auch. Und ich bin so froh, dass ich euch beide nun hier habe."

Zärtlich streichelte er über meinen Bauch, was mich zu einem Lachen animierte.

„Es ist wach", sagte ich. „Ich glaube, es hat gespürt, dass wir auf dem Weg zu dir waren."

„Dann wollen wir es nicht enttäuschen. Hallo Baby, Daddy ist hier."

Als diese Worte aus seinem Mund kam, schmolz ich schon wieder fast dahin. Er hatte mir unendlich gefehlt. All diese liebevollen Kleinigkeiten – ich hatte sie total vermisst.

Fionn lächelte mich kurz an, bevor er nach meinem Koffer griff. „Lass uns zum Auto gehen, damit wir schnellstmöglich nach Hause kommen."

Während wir in Richtung Parkhaus liefen, warf er hin und wieder einen Blick auf meinen Bauch.

„Ist er schon wieder größer geworden?"

„Ich weiß es nicht", seufzte ich. „Aber eines weiß ich umso besser. Ich schwitze wie verrückt."

Im Gegensatz zu ihm trug ich eine lange Hose.

„Ich musste mich auch erst an das schöne Wetter hier gewöhnen aber bereits nach einem Tag konnte ich es mir nicht mehr wegdenken", erklärte mein Mann schmunzelnd.

Staunend betrachtete ich kurze Zeit später den großen Wagen, welchen Fionn öffnete, um mein Gepäck zu verstauen.

„Hui, der ist aber schick."

„Es ist leider nicht unserer, wir müssen ihn bald wieder abgeben und vorher einen neuen kaufen."

„Ich darf mitentscheiden, welches Auto wir kriegen?"

„Natürlich! Du musst ja auch damit mit fahren!", lautete seine klare Antwort.

Während ich das angenehme Zirkulieren der Klimaanlage genoss, sagte ich: „Ich glaube, wir müssen eine To-Do-Liste anfertigen, sobald wir zuhause sind."

Die Fahrt nach Oceanside verging wie im Flug und als Fionn vor dem Haus parkte, war ich bereits bestens über alles informiert. Die englischen Nachbarn, die in unserem Alter waren und zudem recht nett zu sein schienen, waren mir ebenso bekannt wie die alte Dame von schräg gegenüber, die sich heute Morgen beschwerte, weil Kyle, der Engländer, die Musikanlage seines Wagens zu laut aufdrehte.

Ich war furchtbar gespannt auf unsere Nachbarn und als Fionn erwähnte, dass er das junge Paar morgen Nachmittag zum Barbecue eingeladen hätte, konnte ich es kaum erwarten, mit ihnen zu sprechen. Ich wollte mich nicht einigeln, denn wir sollten so normal und unauffällig wie möglich leben. So, dass niemand unsere falsche Identität bemerkte.

Beim Rundgang durch das Haus fühlte ich mich sofort wohl und als Fionn mich in unser Schlafzimmer führte, erlag ich beinahe der Versuchung, mich einfach auf das Bett fallen zu lassen, um zu dösen. Aber er hielt mich erfolgreich davon ab, was auch gut war, denn so gewöhnte ich mich schneller an die Zeitverschiebung. Dies würde einige Tage dauern, ich kannte es noch von meinem Trip nach New York. Immerhin hielt ich bis zehn Uhr abends durch, dann musste Fionn mich ins Bett tragen. Das Letzte, an was ich mich erinnerte war, dass mir die Augen zufielen, während ich überglücklich in seinem Arm lag.

Dafür wurde ich am nächsten Morgen in aller Frühe wach und startete nochmals einen Rundgang durch das Haus. Alles war still und dunkel, denn bis zum Sonnenaufgang würde noch eine Stunde vergehen. Eine ganze Weile blickte ich in den Raum, der das Kinderzimmer werden würde und ließ dieses auf mich wirken. Wie würde es wohl sein, wenn unser Baby endlich darin lag?

Es dauerte gar nicht lange, da leistete Fionn mir Gesellschaft. Er konnte wohl auch nicht mehr schlafen. Vorsichtig küsste er meinen Nacken und als ich zu kichern begann, hob er mich einfach hoch und trug mich in die Küche. Ehe wir uns versahen, saßen wir gemeinsam am Frühstückstisch.

„Ich kann es noch immer nicht richtig glauben, dass wir jetzt zusammenleben", sagte Fionn und häufte eine Portion Rühreier auf meinen Teller.

„Ehrlich gesagt, ich auch nicht. Aber ich denke, wir werden uns recht schnell daran gewöhnen."

„Ja, Baby, das werden wir."

Immer wieder schaute ich ihn an, ließ seine Gesichtszüge auf mich wirken, die mir inzwischen so vertraut waren, als ob ich ihn schon jahrelang kennen würde. Das Grübchen in seinem Kinn fand ich nach wie vor sehr sexy, es machte ihn unglaublich anziehend.

Dagegen kam ich mir mit meinem langsam immer dicker werdenden Bauch ziemlich unattraktiv vor. Doch Fionn bewies mir mal wieder das Gegenteil, indem er seine Hände auf meinem Bauch platzierte, um zu sagen: „Du bist die schönste Frau der Welt, Sienna und ich liebe deinen Baby Bauch über alles."

„Apropos Baby Bauch", begann ich, „ich sollte vielleicht morgen bei der Frauenärztin anrufen, deren Adresse Alistair mir hat zukommen lassen", worauf Fionn nickte und sagte: „Und dieses Mal werde ich dabei sein, wenn du einen Termin hast, verlass dich drauf."

Der Tag verging wie im Flug. Nach dem Frühstück schrieben wir tatsächlich eine To-Do-Liste und platzierten diese mit Magneten am Kühlschrank. Dort liefen wir in regelmäßigen Abständen vorbei und somit konnte nichts in Vergessenheit geraten.

Anschließend durchforstete ich den Kühlschrank und stellte fest, dass die Beilagen für das heutige Barbecue mit unseren Nachbarn fehlten.

„Fionn, wir sollten Einkaufen fahren", rief ich meinem Mann über die Schulter zu.

„Warum denn? Ich habe doch alles besorgt."

„Nicht so ganz. Fleisch ist genug da aber es mangelt an Salat und Maiskolben."

„Ok, dann auf zum Walmart."

Ich hatte noch nie so einen großen Supermarkt gesehen, selbst in New York nicht. Aber das lag vermutlich daran, dass wir damals stets in einem Hotel wohnten und somit nicht selbst kochten. Einmal hatte wir einen kleineren Supermarkt am Union Square aufgesucht, doch dieser konnte keineswegs mit dem Walmart in Oceanside konkurrieren. Zuerst kam ich mir völlig verloren vor, doch Fionn schien immerhin zu wissen, wo sich Obst und Gemüse befanden. Trotzdem verging jede Menge Zeit, da ich sämtliche Gänge des großen Ladens inspizierte.

Nachdem wir die Einkäufe getätigt hatten, fuhren wir auf direktem Weg nach Hause. Außer den Küchenrollen ließ Fionn mich nichts tragen, was mich fürchterlich wurmte.

„Ich bin nur schwanger und nicht krank!", empörte ich mich.

Bevor er etwas darauf sagen konnte, hörte ich eine Stimme von der Seite.

„Das mag ja sein, aber ich kann genauso gut helfen."

Als ich mich umdrehte, erblickte ich einen jungen Mann, etwa in unserem Alter. Seinem Akzent nach zu urteilen handelte es sich um den Engländer.

Unaufgefordert streckte er mir seine Hand entgegen.

„Ich bin Kyle."

„Freut mich, dich kennenzulernen, ich bin Brenda, James' Frau."

Gott, ich kam mir so dumm vor, diese beiden Namen auszusprechen.

„Das dachte ich mir fast."

Ohne Zeit zu verlieren schnappte er sich einige der zahlreichen Tüten, um diese ins Haus zu tragen. Ich folgte ihm und Fionn auf den Fersen, damit ich wenigstens die Einkäufe in den Schränken verstauen konnte. Nachdem die beiden Männer alles hineingetragen hatten, verabschiedete sich Kyle mit folgenden Worten: „Wir sehen uns nachher beim Barbecue. Nochmals vielen Dank für die Einladung."

„Nichts zu danken", erwiderte Fionn grinsend.

„Er ist nett", sagte ich, nachdem Kyle wieder verschwunden war.

„Ja und seine Freundin ebenso."

„Ich freue mich wirklich, dass wir so nette Nachbarn haben, wir hätten es schlimmer treffen können", stellte ich erleichtert fest.

Pünktlich um sechzehn Uhr standen Kyle und seine Freundin vor unserer Tür, welche ich öffnete. Nach einer kurzen Begrüßung traten die beiden ein. Avril war wirklich hübsch, das musste ich zugeben. Und ich schaute neidisch auf ihre schlanke Taille. Neben ihr kam ich mir im Moment unglaublich fett vor, aber dies war nun mal nicht zu ändern.

„Es sieht genauso aus wie unser Haus, nicht wahr, Kyle?", meinte sie lächelnd, während wir in Richtung Terrasse liefen.

„Ja, diese beiden Häuser sind die reinsten Zwillinge, das kann man schon von außen erkennen", erwiderte ich.

Als wir uns um den großen Tisch unter dem Sonnendach versammelt hatten, stießen wir zunächst an. Ich mit Apfelsaft, Avril mit Wein und Fionn und Kyle mit Bier.

„Also, erzählt mal, was arbeitet ihr eigentlich so?", begann ich die Konversation.

„Avril und ich sind beide im Bereich Wireless und Software Technologie tätig. Das ermöglicht es uns, von zu Hause aus zu arbeiten."

„Ja, wir müssen nur einmal pro Woche ins Büro", fügte Avril hinzu, bevor sie an ihrem Weinglas nippte.

„Das ist echt cool. Ich wünschte, man hätte das in der Unternehmensberatung auch machen können", warf ich seufzend ein.

„Du bist in der Unternehmensberatung unterwegs?" erkundigte sich Kyle interessiert.

„Ja, also ich war es. Im Moment gehe ich nicht arbeiten und ich glaube, bevor das Baby kommt, wird das auch nichts mehr. Und danach bleibe ich sowieso erstmal einige Zeit zuhause."

„Das kann ich gut verstehen, wann ist es denn soweit?", fragte Avril lächelnd mit einem Blick auf meinen Bauch.

„Anfang November."

„Bis dahin habt ihr euch hier locker eingewöhnt", kam es von Kyle.

„Darauf stoßen wir jetzt an!" Fionn hob sein Getränk in die Höhe und wir anderen taten es ihm gleich.

Während die Männer sich am Grill zu schaffen machten, unterhielten wir Frauen uns ganz gepflegt.

„Wisst ihr schon, was es wird?" Avril deutete auf meinen Bauch.

„Nein, aber ich werde morgen einen Termin bei der Frauenärztin vereinbaren und dann lassen wir es uns sagen", erklärte ich. „Vielleicht kennst du sie ja. Sie heißt Dr. Sumners."

„Echt? Da gehe ich auch hin!"

„Ist sie gut?"

„Ja, auf jeden Fall."

Sie nippte erneut an ihrem Weinglas, bevor sie eine Frage an mich richtete.

„Kyle hat mir erzählt, dass James ein evangelischer Pfarrer ist. Wo habt ihr euch denn kennengelernt?"

Ich räusperte mich kurz, denn jetzt musste ich mir schleunigst etwas einfallen lassen.

„Ähm, das war im letzten Jahr in London, in einem Pub", log ich, ohne rot zu werden. „Seine blauen Augen sind mir sofort aufgefallen."

„Das glaube ich dir aufs Wort."

„Wie lange bist du denn schon mit Kyle zusammen? Und wo habt ihr euch kennengelernt?"

„Wir sind erst seit einem halben Jahr zusammen und haben sind uns quasi bei der Arbeit über den Weg gelaufen."

„Und ihr konntet beide ohne Probleme versetzt werden?"

„Ja, das war kein Thema."

Da das Baby sich gerade zu bewegen begann, legte ich die Hände auf meinen Bauch, was Fionn aus dem Augenwinkel erkennen konnte.

„Alles ok, Baby?", fragte er.

„Ja, Schatz, alles in Ordnung."

Es war wirklich die bessere Alternative, uns mit Schatz und Baby anzureden, anstatt mit James und Brenda.

„Wie heißt denn das Unternehmen, in dem ihr arbeitet?", wandte ich mich wieder Avril zu.

„Qualcomm Wireless & Software Technology. Die sind in San Diego, aber es gibt vier Filialen in England."

Wir verlegten unser Gesprächsthema nun auf das Shoppen und Dinge wie Friseur und Nagelstudio. Da ich mich hier nicht auskannte, bekam ich von Avril gute Tipps, was diese Sachen betraf. Ich musste zugeben, dass sie mir ziemlich sympathisch war, obwohl sie Gwenny niemals würde ersetzen können.

Als ich für einen Moment an meine beste Freundin dachte, wurde ich sehr traurig. Verzweifelt kämpfte ich gegen den Gedanken an, sie für immer verloren zu haben. Glücklicherweise stellte Fionn just in diesem Augenblick das fertig gegrillte Fleisch auf den Tisch, auf das wir uns stürzten, als seien wir am Verhungern. Zwischendurch plauderten wir in einer angenehmen Atmosphäre, wobei sich herauskristallisierte, dass wir alle vier ziemlich auf einer Wellenlänge schwammen.

Man konnte diesen Tag somit als erfolgreich verbuchen und ich war froh, dass bis jetzt alles problemlos verlief. Wir hätten auch Nachbarn haben können, die uns das Leben zur Hölle machten. Aber mit Kyle und Avril zu unserer Rechten ließ es sich auf jeden Fall angenehm leben.

Es fühlte sich wundervoll an, nach diesem ereignisreichen Tag zu später Stunde in Fionns Arm zu liegen und einfach nur seine Atemzüge zu spüren, sowie das sanfte Streicheln seiner Hände, die an meinem Rücken entlangwanderten. Mit geschlossenen Augen kuschelte ich ganz nahe an ihn heran, um kurz darauf in den Schlaf zu versinken.

Gleich am nächsten Tag arbeiteten wir unsere To-Do-Liste ab. Als erstes kümmerten wir uns um einen Termin bei der Frauenärztin, welcher für Donnerstag angesetzt wurde. Anschließend suchten wir im Internet nach Autohändlern, bevor wir uns mit dem Krankenhaus in Verbindung setzten. Immerhin war es nötig, sich bezüglich der Geburt zu informieren und rechtzeitig einen Termin für die Besichtigung auszumachen.

All diese Dinge lenkten mich von meiner Trauer ab, welche ich empfand, weil ich Seth, Harvey und Gwenny nie wieder sehen würde. Selbst die Tatsache, dass ich meine Eltern nicht mehr besuchen konnte, machte mir doch mehr zu schaffen, als gedacht. Aber in dem ganzen Trubel und der Eingewöhnungsphase, dachte ich nur hin und wieder daran. Alles wirkte so neu und ungewohnt, aber die Tatsache, dass Fionn sich ständig in meiner Nähe aufhielt, ließ allmählich Ruhe in meinem Innersten einkehren.

Am Nachmittag besuchten wir den ersten Autohändler. Uns beiden schwebte ein ähnlicher Wagen wie der Ford vor, in welchem wir uns ziemlich wohl fühlten. Er war geräumig, ansprechend ausgestattet und besaß diverse Extras, auf die sowohl Fionn als auch ich nicht verzichten wollten. Vor allem die Rückfahrkamera hatte es mir angetan.

Obwohl das Autohaus eine recht große Auswahl besaß, entschlossen wir uns noch bei einigen anderen Anbietern umzuschauen. Immerhin hatten wir fast noch zwei Wochen Zeit, bevor wir den Mietwagen abgeben mussten.

Aus einer Laune heraus beschlossen wir in Richtung Strand zu fahren. Auch Fionn war noch nicht dort gewesen und demnach waren wir beide mächtig gespannt darauf. Unsere Erwartungen wurden jedoch bei Weitem übertroffen.

„Oh mein Gott, ist das schön hier", stieß ich aus, als ich auf den kilometerlangen Sandstrand blickte.

Fionn nahm mich an die Hand und sagte: „Dann lass uns mal loslaufen."

Der sanfte Wind, der um unsere Nasen blies, wirkte angenehm und ließ uns die Hitze allmählich vergessen. Zuerst liefen wir ein Stück im weißen Sand, bis Fionn vorschlug, den langen Steg, welcher weit in das Meer hineinragte, zu betreten. Sofort erklärte ich mich einverstanden und bereute dies auch nicht. Die Aussicht auf den großen Ozean war fantastisch und die Luft herrlich erfrischend.

„Hier könnte ich den ganzen Tag bleiben", seufzte ich, worauf Fionn lachte.

„Wir würden uns einen Sonnenbrand holen, das wäre nicht gut", meinte er.

„Damit hast du wohl Recht."

Da wir es nicht übertreiben wollten, entfernten wir uns alsbald vom Wasser, um zu unserem Wagen zurückzugehen. Ich liebte Kalifornien jetzt schon und im Moment kam ich mir wie im Urlaub vor.

Dieses gute Gefühl hielt die nächsten beiden Tage über an. Am dritten Tag, dem Donnerstag, stand der Termin bei Dr. Sumners, meiner neuen Frauenärztin auf unserer Liste. Fionn war wesentlich aufgeregter als ich, da er keine Ahnung hatte, was bezüglich der Untersuchung mit mir geschah. Zudem freute er sich wahnsinnig auf die Mitteilung, was es nun werden würde.

Letzteres ließ mich ebenfalls ungeduldig werden. Schließlich hatte ich lange genug darauf gewartet und hätte dies eigentlich bereits vor Wochen feststellen lassen können. Doch heute war ich dankbar und froh, dass ich so hartnäckig geblieben war. Jetzt kam ich in den Genuss, dieses überaus wichtige Ereignis gemeinsam mit Fionn zu erleben.

Nach einer freundlichen Begrüßung durch die Ärztin, durfte ich auf der Untersuchungsliege Platz nehmen, während sie gründlich den Mutterpass studierte. Fionn saß neben mir auf einem Stuhl und betrachtete misstrauisch die ganzen Gerätschaften.

„So, Sie wissen also noch nicht, was es wird", meinte Dr. Sumners schmunzelnd, worauf wir beide die Köpfe schüttelten.

„Mein Mann konnte bislang bei keiner Untersuchung anwesend sein, deshalb wollte ich es mir nicht sagen lassen", erklärte ich.

„Das kann ich nachvollziehen."

Vorsichtig verteilte sie das Gel auf meinem Bauch und setzte den Schallkopf an. Beinahe atemlos verfolgte ich die Bewegungen des Babys, das deutlich zu sehen war. Fionn drückte vor lauter Freude meine Hand.

„Oh Gott, es ist so toll, es zu sehen!", brachte er hervor.

„Das Es lässt sich eindeutig identifizieren. Sind Sie bereit?", sprach die Frauenärztin.

Unsere Antworten erfolgten synchron, während wir beide gespannt auf den Monitor starrten.

„Ja, das sind wir."

Und einen Herzschlaf später wussten wir, was es war. Ein Junge.

Fionn hatte vor lauter Freude Tränen in den Augen und auch ich konnte mich nur schwer beherrschen nicht loszuheulen. Denn um ehrlich zu sein hatte ich mir einen Jungen gewünscht. Einen, der so aussehen sollte wie Fionn.

Nichts schien diesen schönen Tag trüben zu können, doch als wir völlig überdreht zuhause eintrafen, fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Morgen würden Seth, Harvey und Gwenny ihre Briefe erhalten.

Ihre Herzen würden brechen, genau wie meines in diesem Augenblick, als ich daran dachte.

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Hallo meine Lieben, hier ist ein neues Update. Ich hoffe, es hat euch gefallen.

Sienna und Fionn sind nun endlich wieder vereint, lange genug hat es ja gedauert. Denkt ihr, es wird nun alles glatt laufen? Und wie lange werden Kyle und Avril ihre Fassade aufrecht erhalten können?

Seid ihr gespannt, wie Seth, Harvey und Gwenny auf Siennas Briefe reagieren werden?

Ich danke euch allen für die Votes und besonders meiner Leserin, die als einzige beim letzten Kapitel kommentiert hat. Dir gehört die Widmung dieses Kapitels.

LG, Ambi xxx

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