40. Unscheduled
Sienna
Nervös schritt ich in meinem Wohnzimmer auf und ab. Vor gut einer halben Stunde hatte ich einen Anruf von Alistair erhalten, dass er in zwanzig Minuten hier sein würde, um mich abzuholen. Da er bis jetzt immer pünktlich gewesen war, was Verabredungen anging, machte ich mir langsam Sorgen. Hoffentlich war nichts Unvorhergesehenes passiert.
Meine innere Unruhe übertrug sich auf das Baby in meinem Bauch, denn es begann wie wild zu strampeln.
„Hey, immer mit der Ruhe", murmelte ich sanft, in der Hoffnung, das kleine Wesen auf diese Art und Weise beruhigen zu können.
Doch es nützte nichts, die Bewegungen hörten nicht auf. Seufzend lief ich zum Fenster, um einen Blick auf die Straße zu werfen. Als ich einen weißen SUV einparken sah, aus dem kurze Zeit später ein kleiner, dicklicher Mann ausstieg, begann mein Herz schneller zu klopfen. Endlich war Alistair da.
Mit einem Ruck zog ich die Gardinen zu, drehte mich auf der eigenen Achse und lief in Richtung Flur, wo mein Koffer, sowie das Handgepäck standen. Jetzt begann mein neues Leben.
Als die Türglocke läutete, betätigte ich den elektrischen Öffner für die Haustür und riss meine Wohnungstür ein Stück auf. Alistair hatte mich angewiesen zunächst in meinem Apartment zu bleiben, da ich meinen Koffer sowieso nicht nach unten tragen durfte. Ungeduldig trat ich von einem Fuß auf den anderen, während seine Schritte im Treppenhaus erklangen. Sie kamen immer näher und bewirkten, dass mein Puls beschleunigte.
Ich wusste nicht, was ich erwartete hatte, aber auf keinen Fall, dass er solch ein ernstes Gesicht machen würde, wie er dies im Moment tat. Bevor ich es richtig realisierte, drängte er mich in den Flur zurück und schloss die Tür hinter sich.
Mich beschlich sofort ein ungutes Gefühl.
„Was ist los?", fragte ich verwirrt.
„Setzen Sie sich erstmal."
Ohne ein weiteres Wort zu sagen, führte er mich in das Wohnzimmer, wo wir uns nebeneinander auf dem Sofa niederließen. Dort begann er zu sprechen.
„Sienna, ich muss Ihnen etwas sagen."
Augenblicklich spürte ich, wie meine Augen sich mit Tränen füllten. In dieser Sekunde wusste ich, dass etwas geschehen war. Langsam griff Alistair nach meinen Händen und drückte diese leicht.
„Ist Fionn..., ist...." Weiter kam ich nicht, denn ich begann hemmungslos zu schluchzen, da ich mit dem Schlimmsten rechnete. Alistairs nächste Worte ließen mich komplett zittern.
„Wir wissen im Moment nicht, wo Fionn ist. Er ist verschwunden."
„W...Was? Verschwunden?", hauchte ich.
„Ja. Aber nicht nur er, sondern auch einer meiner Mitarbeiter ist unauffindbar."
„Oh mein Gott!" Verzweifelt entzog ich Alistair meine Hände und schlug diese vor das Gesicht. „Das kann nicht wahr sein! Bitte sagen Sie mir, dass das nicht wahr ist", flüsterte ich mit bebender Stimme.
Irgendwie hatte ich die Hoffnung, gleich aus diesem unsinnigen Traum zu erwachen und mich in meinem Bett vorzufinden, doch leider trat dieser Wunsch nicht ein. Mit zitternden Händen griff ich nach dem Papiertaschentuch, das Alistair mir reichte und wischte die Tränen aus meinen Augen.
„Was genau ist denn passiert?", erkundigte ich mich anschließend, den Blick auf sein Gesicht gerichtet.
Seufzend lehnte er sich auf dem Sofa zurück, bevor er zu einer Erklärung ansetzte.
„Bei der Verhandlung lief soweit alles glatt. Nachdem Fionn seine Aussage gemacht hatte, mussten wir noch eine Weile warten, bis der Richter mich wissen ließ, dass wir gehen könnten. Als wir aus dem Gebäude traten, trennten wir uns wie geplant. Fionn stieg in den gepanzerten Bentley, welchen Norman, mein Fahrer und Mädchen für alles, steuerte. Ich hingegen ließ mich zu meinem SUV bringen. Der Plan sah vor, dass ich direkt zu Ihnen kommen sollte, um Sie zum Flughafen zu bringen, während Norman mit Fionn ohne Umweg dorthin fahren sollte. Norman kannte unseren Treffpunkt genau."
Er machte eine kurze Pause und atmete tief durch, was mich wissen ließ, dass die Situation nicht spurlos an ihm vorüberging.
„Ich hatte gerade mit Ihnen telefoniert, da bekam ich einen Anruf von einem meiner Mitarbeiter. Sie sind immer vor Ort, wenn eine Gerichtsverhandlung für einen unserer Klienten ansteht, um die Gegend zu sichern. Denn man kann nie wissen, was die Leute vorhaben. Mein Mitarbeiter informierte mich, dass Norman und Fionn verfolgt wurden und er sich mit seinem Kollegen drangehängt hatte. Sie müssen wissen, Sienna, das mein Team für solche Fälle stets mit Waffen ausgerüstet ist. Es gelang meinen beiden Jungs, die Reifen des Wagens, welcher den Bentley verfolgte, platt zu schießen. Daraufhin verunglückte das Auto der Mafia. Es rammte das Heck des Bentleys, bevor es sich überschlug."
„Oh mein Gott", sagte ich und wartete darauf, dass Alistair weitersprach.
Das tat er auch, sogar mit ziemlich ruhiger Stimme.
„Unsere Kollegen von der Polizei waren sofort vor Ort. Sie sperrten das Gelände um den Van der Mafia ab und verhafteten die beiden Insassen umgehend. Währenddessen begab sich einer meiner beiden Mitarbeiter zum Bentley, um nach Fionn und Norman zu schauen. Das Einzige, was ich Ihnen jetzt noch sagen kann, ist, dass Norman alleine zu meinem anderen Mitarbeiter lief, um diesen davon in Kenntnis zu setzen, dass Fionn aus wohl dem Wagen verschwunden ist, während er aufgrund seiner Kopfverletzung kurz weggetreten war. Weiterhin erklärte er, dass der andere Mitarbeiter sich auf die Suche nach Fionn gemacht habe."
„Er hat ihn nicht gefunden, richtig?", fragte ich und spürte, wie erneut Tränen aus meinen Augen hervorquollen.
Zu meiner Überraschung fiel Alistairs Antwort komplett anders aus als erwartet.
„Das wissen wir nicht, Sienna, denn mein Mitarbeiter ist ebenfalls verschwunden. Wir können ihn nicht auf seinem Handy erreichen und Fionn ist ebenfalls nicht greifbar, wobei es dafür eine einfache Erklärung gibt. Sein Handy lag nämlich im Bentley, Norman hat es unter dem vorderen Sitz entdeckt. Er muss es bei dem Aufprall verloren haben. Allerdings entzieht es sich unserer Kenntnis, warum mein Mitarbeiter die Gespräche nicht entgegennimmt. Wir haben mindestens schon hundert Mal versucht, den Kontakt mit ihm herzustellen und können uns eigentlich nur zusammenreimen, dass er sich in einem Funkloch befindet, im günstigsten Fall mit Fionn zusammen."
Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, so geschockt war ich. Stumm saß ich einfach nur da, schaute auf meine Hände und wartete darauf, dass dieser Albtraum verging. Doch Alistairs Stimme ließ mich wissen, dass wir uns in der Realität befanden, in einer sehr grausamen sogar.
„Sie kommen jetzt mit mir, Sienna."
„Wohin denn?" Automatisch kam die Frage über meine Lippen. Wo sollte ich denn bleiben, jetzt da Fionn unauffindbar war und der Plan, heute gemeinsam unsere neue Zukunft zu beginnen, im Eimer.
„Ich werde Sie in Sicherheit bringen."
Was er damit meinte, wusste ich nicht genau, doch ich war nicht motiviert genug, um Fragen zu stellen. Ohne einen Ton zu sagen, ließ ich mich aus dem Apartment führen und trabte mit hängendem Kopf neben Alistair her, der meinen Koffer die Treppen nach unten trug.
Umgehend stiegen wir in den SUV und als ich mich anschnallte, sagte er: „Nicht aufgeben, ich bin sicher, es wendet sich alles zum Guten."
„Ihre Nerven hätte ich gerne", murmelte ich.
Mir war kalt, schlecht und ich hatte das Gefühl, jeden Augenblick zusammenzubrechen. Innerlich tat ich dies bereits, doch äußerlich zeigte ich mich gefasst. Seltsamerweise fing das Baby an Ruhe zu halten. Vermutlich war es müde und schlief. Kein Wunder, bei der ganzen Anstrengung, die derzeit durch meinen Körper floss.
Mit dem Kopf gegen die Scheibe des Beifahrerfensters gelehnt, verfolgte ich die Fahrt durch London. Fionn. Was er jetzt wohl machte? Ob es ihm gut ging und ob Alistairs Mitarbeiter ihn gefunden hatte? Unzählige Fragen formten sich in meinem Kopf und die Angstgefühle schnürten mir langsam die Kehle zu. Es konnte doch nicht sein, dass jetzt, wo alles vorbei war, die Sache komplett aus dem Ruder lief. Das war nicht fair.
„Wenn das dein Plan ist, lieber Gott, dann weiß ich nicht, was du vorhast", murmelte ich leise vor mich hin.
Dann fielen mir die Augen zu und ich versank in einen tiefen Schlaf.
Als ich meine Lider wieder öffnete, stoppte Alistair den Wagen vor einer Einfahrt. Benommen, wie ich noch immer war, hatte ich überhaupt nicht mitbekommen, in welche Richtung es uns verschlug. Ich hätte noch nicht einmal sagen können, ob wir uns noch in London befanden.
„Bitte aussteigen, wir sind da."
Seufzend kam ich der Aufforderung nach und schälte mich aus dem SUV. Dieser parkte vor einem netten Einfamilienhaus. Selbst von außen wirkte das Gebäude sehr wohnlich, wie ich überrascht feststellte.
„Kommen Sie, Sienna, hier entlang."
Alistair ging voraus und ich folgte ihm auf den Fersen. An der Haustür angekommen, kramte er einen Schlüsselbund aus seiner Hosentasche und stieß die weiße Pforte auf.
„Treten Sie ein und fühlen Sie sich wie zuhause. Meine Frau hat bereits etwas zu Essen gekocht."
„Ihre Frau?"
„Ja, Rosie. Ich habe sie von unterwegs aus angerufen, während Sie geschlafen haben."
Endlich würde ich mich bedanken können, für all das, was sie mir im Prinzip ermöglicht hatte. Ich durfte mit Fionn sprechen, ihn etliche Male in Irland besuchen, wir heirateten und sahen einer gemeinsamen Zukunft entgegen. Zumindest hatte ich das bis vor wenigen Stunden getan. Aber nun war ich mir nicht mehr so sicher, ob das alles stattfinden würde.
Aufgeregt betrat ich das Wohnzimmer, in welches Alistair mich nun geleitete.
„Rosie? Sienna und ich sind hier", rief er, bevor ich mich genauer in dem gemütlichen Raum umschauen konnte.
Kurz darauf kam Rosie hereingelaufen und ging ohne Umschweife auf mich zu. Sie gab mir eine herzliche Umarmung und sagte: „Ich freue mich, dich zu sehen, mein Kind. Wie geht es dir? Was macht das Baby?"
Überrumpelt von ihrer Freundlichkeit, stand ich im ersten Moment nur da, ohne einen Ton zu sprechen. Dann jedoch fasste ich mich.
„Dem Baby geht es gut und endlich kann ich mich für alles bedanken. Danke, dass..."
Ich konnte den Satz nicht mehr zu Ende bringen, denn die Sintflut an Tränen, welche aus meinen Augen stürzten, verhinderte dies erfolgreich. Rosie nahm mich einfach in ihre Arme und streichelte beruhigend über meinen Rücken.
„Ist ja gut, wir sind für dich da, Sienna."
Es tat so gut, in ihren Arme zu weinen, einfach alles herauszulassen. Ich fühlte mich, als würden Alistair und Rosie mich in ihre Familie aufnehmen, so liebevoll gingen die beiden im Augenblick mit mir um.
„Sie können heute in Maggies Zimmer schlafen", erklärte Alistair. „Aber jetzt essen wir erstmal, denn ich habe Hunger. Und wenn ich Hunger habe, kann ich nicht richtig denken."
„Aber..., wenn Fionn bald auftauchen sollte, können wir doch immer noch fliegen, oder nicht?"
Alistair schüttelte seinen Kopf. „Heute fliegt keiner von euch beiden irgendwo hin. Das ist viel zu gefährlich, der Boden in London ist im Moment verdammt heiß. Sie bleiben hier und schlafen im Zimmer unserer Tochter."
„Ist Maggie denn nicht da?", erkundigte ich mich schüchtern.
„Nein, sie kommt nur ab und zu vorbei. Manchmal an den Wochenenden und natürlich über Weihnachten und Ostern. Sie studiert, wissen Sie. Und da möchte man nicht unbedingt seine Zeit mit den alten Eltern verbringen."
Alistair lachte kurz, nachdem er das ausgesprochen hatte. „Aber wenn sie mal hier ist, dann raubt sie mir ab und zu den letzten Nerv."
Als ich sein breites Lächeln sah, wusste ich, dass er das nicht ernst meinte. Bestimmt liebte er seine Tochter von Herzen.
„Lasst es euch schmecken", vernahmen wir Rosies Stimme, die nun nach Messer und Gabel griff.
In der Tat hatte ich selten solch ein gutes Roastbeef gegessen. Es war genauso, wie ich es mochte, zartrosa. Rosies Kochkünste konnten wirklich mühelos mit Harveys konkurrieren, sie brauchte sich keineswegs zu verstecken. Meine innere Anspannung trat ein wenig in den Hintergrund, als Rosie eine Unterhaltung mit mir begann.
„Weißt du schon, was es wird?", erkundigte sie sich, den Blick auf meinen Baby Bauch gerichtet.
„Nein, ich habe ich mir noch nicht sagen lassen, weil Fionn bisher nicht bei den Untersuchungen anwesend sein konnte", erwiderte ich.
Rosie nickte. „Das verstehe ich. Ich habe damals auch gewartet, bis Alistair mal Zeit hatte. Er war schon immer viel unterwegs, wenn es um seinen Job ging."
„Das stimmt wohl", seufzte Rosies Gatte und lächelte sogleich. „Und ich dachte immer, wenn ich mal älter bin, würde es besser werden. Aber da hatte ich mich wohl getäuscht."
„Nun ja", sagte ich. „Früher habe ich mich auch in meine Arbeit reingekniet, aber seit ich schwanger bin, achte ich eher auf meine Gesundheit."
„Das ist auch wichtig", stimmte Rosie mir sofort zu. „Du willst doch sicher zuhause bleiben, wenn das Kind auf der Welt ist, oder?"
„Eigentlich schon, denn ich denke, das ist enorm wichtig, zumindest, wenn es noch so klein ist."
„Ja. Ich war auch daheim, als Maggie noch jünger war. Es hat mir nicht geschadet und ihr auch nicht."
Als sie mir zuzwinkerte, musste ich lachen; zum ersten Mal an diesem Abend und dass, obwohl mir überhaupt nicht danach zumute war. Aber Rosie konnte mich aufheitern, einfach so. Mit ihrer mütterlichen Art und ihrem Humor, den ich sehr mochte.
„Tja", begann Alistair, „ich kann mich nicht nur mit meiner Tochter herumschlagen, sondern auch noch mit meinen Jungs und Mädels auf der Arbeit. Es sind zwar extrem gute Leute, doch unser Newbie braucht noch den letzten Schliff."
Warum nur hatte ich das Gefühl, dass er gerade von Dustin sprach? Vielleicht war er es auch, der nach Fionn gesucht hatte, das würde zumindest so einiges erklären, denn Dustin zog Katastrophen nahezu magisch an.
„Na ja, bis jetzt haben wir jeden Newbie so hingekriegt, wie wir das wollten", meinte er dann, mit einem breiten Grinsen auf den Lippen.
Nachdem wir das Essen beendet hatten, half ich Rosie den Tisch abzuräumen, obwohl sie protestierte.
„Kindchen, ruhe dich einfach aus."
„Ich habe im Auto geschlafen, ich bin ausgeruht", entgegnete ich und griff nach den Tellern.
Da die Küche mit einer Spülmaschine ausgestattet war, brauchten wir das Geschirr lediglich dort einzuräumen, was keine zwei Minuten dauerte. Der Hausherr hatte es sich inzwischen auf dem Sofa im Wohnzimmer gemütlich gemacht und verschicke gerade eine Textnachricht mit seinem Handy. Zu gerne hätte ich gewusst, was diese beinhaltete, doch leider sprach er kein einziges Wort, sondern starrte nur auf das Display seines Telefons. Erst als Rosie und ich uns setzten, sah er auf.
„Sei doch bitte so gut, und zeige Sienna Maggies Zimmer, Rosebud."
Grinsend registrierte ich den Kosenamen, mit welchem er seine Frau anredete. Das war einfach zu süß.
Rosie erhob sich sofort wieder, nickte mir zu und sagte: „Komm, Sienna. Ich nehme deinen Koffer und du das Handgepäck."
„Nein, Rosebud, den Koffer trage ich gleich nach oben", mischte sich Alistair sogleich ein.
Und wieder fiel mir auf, wie liebevoll er mit seiner Frau umging. Ob Fionn und ich das auch noch in dreißig Jahren tun würden? Bei dem Gedanken an ihn schluckte ich unwillkürlich. Wir wussten noch immer nicht, wo er sich aufhielt, geschweige denn, was mit ihm geschehen war. Nervös stieg ich hinter Rosie die Treppe nach oben. Gleich im ersten Zimmer rechts lag unser Ziel.
„So, da sind wir. Mach es dir gemütlich, Maggie kommt erst in zwei Wochen wieder. Ich habe das Bett vorhin frisch bezogen und gründlich durchgelüftet. Vielleicht möchtest du dir etwas Bequemes anziehen?"
Als ich nickte, lächelte Rosie mir zu und sagte: „Gut, wir sind unten und warten auf dich."
Kaum war sie aus dem Zimmer verschwunden, begann ich mich umzuschauen. Der Raum wirkte hell und freundlich. Außer einem Bett befanden sich ein Schreibtisch, ein Stuhl, ein wuchtiger Sessel, sowie ein großes Regal, vollgestopft mit Büchern darin. Es reichte vom Boden fast bis zur Decke. In dem kleinen Regal, das über dem Schreibtisch an der Wand hing, standen einige Skulpturen aus Ton. Diese zeigten den Eiffelturm, Big Ben, die Akropolis und das Kolosseum aus Rom. Maggie war bestimmt ein reisefreudiger Mensch, der ferne Länder liebte.
Dies bewies auch die Postkartensammlung, welche die Tür von Innen verzierte. Um genau zu sein, konnte man von der Tür bis auf den Griff rein gar nichts mehr erkennen. Während ich die Landschaften und Städte, die sich auf den Postkarten befanden, anschaute, durchzuckte ein Gedanke meinen Kopf. Vielleicht würden Fionn und ich an einem dieser Orte landen, vorausgesetzt, er tauchte irgendwann wieder auf.
Traurig wandte ich mich ab und ging auf meinen Koffer zu, um eine Jogginghose und ein Shirt herauszuholen. Anschließend bürstete ich kurz meine Haare durch, und marschierte dann nach unten.
Rosie und Alistair saßen einträchtig auf dem Sofa, wobei Letzterer sein Handy nicht aus den Augen ließ. Wahrscheinlich hoffte er auf eine Nachricht oder gar auf einen Anruf.
„Möchtest du etwas trinken, Sienna?", erkundigte sich die Hausherrin freundlich, worauf ich mit einem: „Ja, gerne", antwortete.
„Wasser, Apfelsaft oder etwas anderes?"
„Apfelsaft."
Seit ich schwanger war, hatte sie das zu meinem Lieblingsgetränk entwickelt.
Lächelnd bedankte ich mich, als Rosie mir das Glas überreichte und trank einen großen Schluck daraus. Gerade in diesem Moment klingelte Alistairs Handy, der wie von einer Tarantel gestochen aus seiner bequemen Sitzposition hochfuhr. Er machte sich nicht einmal die Mühe, das Zimmer zu verlassen, obwohl das Gespräch dienstlicher Natur war, wie ich sogleich feststellte.
„Gibt es etwas Neues?", fragte er atemlos.
Da ich seinen Gesprächspartner nicht hören konnte, musste ich mir den Inhalt des Telefonats mehr oder weniger zusammenreimen. Doch seine Worte waren deutlich und sprachen Bände.
„Was?! Das glaube ich jetzt nicht! Wie zur Hölle konnte das passieren?!"
Der Schlag meines Herzens beschleunigte so sehr, dass ich glaubte, jeden Moment umfallen zu müssen. Hoffentlich war Fionn nichts geschehen.
„Dieser verdammte..., mir fehlen die Worte! Das wird ein Nachspiel haben! – Was?! – Ja, für den auch, darauf kannst du Gift nehmen! – Nein, ich fahre selbst hin, um den Jungen zu holen! – Am besten lasse ich Dustin noch eine Nacht dort, damit hätte er dann seine Strafe! – Bitte? – Du wirst langsam verweichlicht! – Darüber reden wir morgen. Mach das, bye."
Als der Name Dustin fiel, fühlte ich mich eigenartigerweise erleichtert. Obwohl er so chaotisch veranlagt war, machte sich das Gefühl in mir breit, dass er Fionn gefunden hatte. Und ich täuschte mich nicht, denn Alistair begann zu sprechen, gleich nachdem er das Telefonat beendete.
„Wie haben ihn aufgelesen, Sienna. Also einer meiner Mitarbeiter. Beide sind wohlauf, Sie können demnach ganz beruhigt sein, Ihrem Fionn ist nichts passiert."
Ein Stein von der Größe eines Felsbrockens plumpste gerade von meinem Herzen. Dies war die beste Nachricht seit langem. Fionn ging es gut. Da ich jedoch nicht so ganz verstand, warum Alistair so gebrüllt hatte, wagte ich es, eine Frage an ihn zu richten.
„Können Sie mir bitte sagen, wo er sich im Moment aufhält?"
Seine Antwort ließ mich allerdings an meinem Verstand zweifeln.
„Er sitzt gerade mit einem meiner Mitarbeiter in einer Gefängniszelle."
„Was?!" Meine Kinnlade klappte nach unten und ich schnappte verzweifelt nach Luft.
„Alles ist ok, Sienna, zumindest ist er dort in Sicherheit. Ich werde ihn jetzt abholen und den Beamten, die ihn und den Newbie eingebuchtet haben, den Arsch aufreißen!"
„Kann ich vielleicht mitkommen?"
Im Bruchteil einer Sekunde wurde mir klar, wie naiv diese Frage war, denn Alistair schüttelte sofort seinen Kopf, während er mich mit einem mitleidigen Blick bedachte.
„Das geht auf gar keinen Fall. So lange ihr beiden in London seid, dürft ihr nicht zusammen gesehen werden. Wenn, dann erst am Flughafen und selbst das überlege ich mir noch, vor allem nach dem heutigen Tag."
Meine Hoffnung, Fionn nachher zu begegnen wurde mit einem Schlag zerstört. Dabei wollte ich nichts anderes, als bei ihm zu sein.
„Ich fahre jetzt, pass gut auf Sienna auf, Rosebud."
Nach diesen Worten verschwand Alistair durch die Tür und ließ uns alleine zurück. Rosie nahm mich in ihre Arme, hauchte einen Kuss auf meine Stirn und sagte: „Mach dir keine Sorgen, mein Mann richtet das schon. Es ist seine Spezialität, eine gerade Linie aus dem Chaos heraus zu schaffen."
Wenn ich an nichts mehr glaubte, aber daran ganz fest.
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Die arme Sienna hatte einige aufregende Stunden hinter sich.
Zum Glück weiß sie nun, dass Fionn nichts passiert ist.
Was glaubt ihr, wird Alistair auf dem Revier anstellen? Und wie wird die Strafe für Dustin ausfallen?
Denkt ihr, Fionn und Sienna verlassen London gemeinsam?
Danke für eure lieben Kommentare.
LG, Ambi xxx
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