35. Ministerial

Fionn


Nachdem wir uns von dem ersten Schrecken erholt hatten, versuchten Sienna und ich unsere verbleibende Zeit so gut wie möglich zu genießen. Alistair brachte uns nach Ballinskelligs und verschwand gleich darauf mit dem Hinweis, dass er am Sonntag gegen fünf Uhr nachmittags wiederkommen würde, um uns beide abzuholen.

Es war mir sogar lieber, einen Tag eher nach London reisen zu dürfen, somit musste ich den Sonntagabend nicht alleine im Haus verbringen. Doch Sienna würde mir trotzdem fehlen, denn unsere räumliche Trennung, sobald wir in London eintrafen, war leider unumgänglich. Daran dachten wir beide jedoch im Augenblick nicht.

Kaum befanden wir uns alleine im Haus, nahmen wir unsere Plätze auf dem Sofa vor dem Kamin ein, wo Sienna sich sofort in meine Arme kuschelte. Seit gestern durfte sie sich meine Frau nennen – das fühlte sich noch immer surreal an, aber gleichzeitig auch unsagbar toll.

Immer wieder betrachteten wir gegenseitig unsere Eheringe und konnten es beide nicht so richtig fassen, dass wir nun verheiratet waren. Was meine Eltern wohl dazu gesagt hätten? Und meine Großmutter? Es tat mir unendlich leid, dass ich meiner Familie diese Dinge hatte vorenthalten müssen, so, wie mein restliches Leben auch. Vermutlich würden sie nie erfahren, dass sie ein Enkelkind hatten, was mich ziemlich traurig machte. Aber da musste ich jetzt durch. Ich hatte mich für diesen Weg entschieden.

„Was denkst du? Schaffen wir es?", holte Siennas leise Stimme mich aus meinen Gedanken, als sie in meine Augen blickte.

„Ja, wir schaffen es", erwiderte ich mit fester Stimme.

Es blieb unausgesprochen, was wir damit meinten, doch das verstanden wir beide auch ohne zusätzliche Worte. Wir konnten nicht wissen, ob es ein Leben lang zwischen uns gut gehen würde, geschweige denn, was in den nächsten Jahren bezüglich der Mafia alles auf uns zukommen würde. Uns blieb jedoch nichts anderes übrig, als das Beste daraus zu machen. Gott sei Dank war unsere Liebe im Moment stark genug, alles zu überstehen, selbst die ständigen Trennungen.

Viel zu schnell gingen der Abend und auch die Nacht in Irland vorüber, welche wir sehr genossen. Es war definitiv anders mit Sienna in einem normalen Raum Sex zu haben, als im Black Room, obwohl dieser natürlich seinen Reiz besaß. Aber wir waren so ineinander verliebt, dass wir den anderen ständig anschauen wollten. Außerdem war es mir lieber und sicherer sie beobachten zu können, zumindest während der Schwangerschaft. Ihr Gesichtsausdruck ließ mich wissen, ob es ihr dabei gut oder schlecht ging und dies erachtete ich als äußerst wichtig. Siennas Wohlbefinden stand für mich an oberste Priorität, selbst wenn ich dabei zurückstecken musste.

Trotzdem, oder vielleicht gerade deswegen, fühlte es sich so toll an, miteinander zu schlafen und generell jede Minute miteinander zu genießen. Doch ehe wir uns versahen, stand Alistair am Sonntag mit seinem Mietwagen vor der Tür, um uns abzuholen.

„Na, wie hat das Ehepaar heute genächtigt?", erkundigte er sich mit einem Augenzwinkern.

„Danke, gut", erwiderte ich ebenso grinsend.

„Fein, dann habt ihr wohl jetzt nichts dagegen, wenn ich euch die Ringe jetzt abnehme."

„Was?!" Sienna starrte den laufenden Meterfünfzig an, als sei dieser nicht ganz bei Sinnen, doch ich konnte mir sofort denken, was es damit auf sich hatte.

Ohne zu zögern zog ich den Ring vom Finger, um diesen an Alistair zu überreichen.

„Hier, ich hoffe, du passt gut darauf auf."

„Das werde ich, mein Junge. Wenn es an der Zeit ist, bekommst du ihn wieder."

Ein wenig zögerlich streifte Sienna nun ihren rotgoldenen Ehering ab.

„Ich gebe ihn nicht gerne her, damit das klar ist", sagte sie, worauf Alistair entgegnete: „Es ist ja nur für eine gewisse Zeit. Zumindest so lange ihr beiden zwischen London und Irland hin- und herreist. Sobald ihr an euren zukünftigen Bestimmungsort gebracht werdet, und nur noch unter euren neuen Namen lebt, dürft ihr die Ringe tragen."

Jedem sollte klar sein, dass unsere Eheschließung momentan nicht nach außen getragen werden durfte, zumindest so lange nicht, bis wir auf sicheren Pfaden wandelten.

Nachdem Alistair die Ringe an sich genommen hatte, liefen wir zu dritt zum Auto. Gerade als ich mich fragte, was Dustin wohl im Augenblick machte, bemerkte ich den schwarzen Wagen in einiger Entfernung stehen. Schmunzelnd stieg ich ins Auto und als der laufende Meterfünfzig sagte: „Warum grinst du denn so?", lachte ich kurz auf.

„Ich bin einfach glücklich, ok?"

Er musste nicht wissen, dass einer seiner Mitarbeiter und ich uns diverse Male über den Weg gelaufen waren. Und obwohl Dustin ein bisschen tollpatschig wirkte, fühlte ich mich trotzdem unter seiner Bewachung sicher.

Kaum hatte ich mich angeschnallt, lehnte Sienna ihren Kopf an meine Schulter, eine Geste, die ein wundervolles Gefühl in mir aufsteigen ließ. Sie vertraute mir, nichts anderes hatte ich mir gewünscht. Die bösen Geister meiner Vergangenheit entfernten sich immer weiter – ich wurde wieder der Mann, der ich einst gewesen war. Selbstbewusst, und mit dem Willen meine Frau beschützen zu wollen.

Als ich ihre Hand ergriff, verschränkten sich unsere Finger sofort miteinander und obwohl wir unsere Ringe nicht trugen, wussten wir doch, dass wir zusammengehörten.

Ihr Atem steifte meine Wange, ich drehte meinen Kopf in ihre Richtung und dann berührten sich unsere Lippen kurzzeitig; ganz sachte und vorsichtig, bevor sie sich wieder voneinander lösten.

„Geht es dir gut?", flüsterte ich.

„Ja, und dir?"

„Wenn du bei mir bist, geht es mir immer super, Baby."

Sienna seufzte kurz. „Leider müssen wir uns schon bald wieder trennen und ich weiß nicht, wann ich dich wieder in Irland besuchen darf."

Alistair, der unser Gespräch wohl mitbekommen hatte, mischte sich nun ein.

„Ich würde sagen in zwei Wochen, ihr zwei Turteltäubchen."

Wie auf Kommando begannen wir synchron zu lachen.

„Das ist ja schon bald", meinte Sienna erfreut.

Für manch einen wäre dies sicher eine unerträgliche lange Zeit, doch wir beide waren schließlich ganz andere Dinge gewöhnt. Sienna hatte Wochen nach mir gesucht, ohne Aussicht auf Erfolg, da steckten wir vierzehn Tage Abstinenz locker weg, zumal sicher war, dass wir uns dann wirklich sehen konnten. Es sei denn, es passierte etwas Außergewöhnliches, was alle Pläne zunichtemachen würde, was ich jedoch nicht hoffen wollte.

Seit sie fest an meiner Seite war, dachte ich positiv. Alles würde in Ordnung kommen und so laufen, wie Alistair es von langer Hand geplant hatte. Ich verließ mich in jeglicher Hinsicht auf ihn, denn er hatte bisher jegliche Dinge in die richtigen Bahnen gelenkt.

Viel zu schnell ging die Fahrt zum Flughafen Kerry vorüber und ebenso der Flug. Als der Learjet in London zur Landung ansetzte, konnte ich es kaum glauben, dass ich mich in wenigen Minuten von meiner Frau verabschieden musste. Alistair, der stets vorausdachte, raunte uns noch im Flugzeug zu: „Am besten ihr nehmt hier drin voneinander Abschied, man sollte euch so wenig wie möglich zusammen sehen, wenn ihr euch in London aufhaltet. Hier herrscht automatisch Code Red."

Das taten wir sogar sehr ausgiebig, selbst von dem Baby nahm ich Abschied, indem ich Siennas Bauch küsste und wisperte: „Tschau, Baby, du hörst mich wieder in zwei Wochen, sei schön brav und ärgere deine Mami nicht."

Anschließen kam Sienna an die Reihe. Vorsichtig fuhren meine Finger durch ihr langes Haar, bevor ich mich anschickte sie zu küssen. Und zwar richtig, wie es sich für einen Mann gehörte, der seine Frau liebte. Es war mir egal, was Alistair von uns dachte, als Sienna und ich wie die Kletten aneinander klebten, weil wir uns einfach nicht trennen konnten, doch irgendwann ließ ich sie los, löste meine Lippen von ihren und wisperte: „Mach's gut, Baby, wir sehen uns."

Ich schaute ihr hinterher, beobachtete, wie Alistair sie zu einem großen schwarzen Wagen brachte, in welchen sie einstieg und der recht schnell meinen Blicken entschwand. Bevor ich mich versah, war der laufende Meterfünfzig zurückgekehrt.

„Nun denn, mein Junge, lass uns gehen, der nächste Wagen wartet schon", meinte er grinsend.

Als ich die Gangway nach unten schritt, machte ich einen hellen dunkelgrauen Bentley aus, welcher am Rand des Rollfelds parkte. Alistair führte mich direkt dorthin und gesellte sich zu mir auf die Rückbank. Die nächsten Minuten verbrachten wir schweigen nebeneinander, doch als der Wagen an einer großen Kreuzung abbog, begann er zu sprechen.

„Du weißt, wo du heute übernachten wirst, mein Junge, oder?"

„Ich nehme an, in der gleichen Wohnung, in der ich meine Gehirnerschütterung halbwegs auskurieren durfte."

„Exakt."

Ich konnte nicht abstreiten, dass eine gewisse Nervosität in mir aufkam, als wir durch London fuhren. Hier irgendwo hausten Mitglieder der Mafia, welche mir sofort nach dem Leben trachten würden, sobald ich meine Aussage vor Gericht abgegeben hatte. Aber morgen musste ich zunächst die Gegenüberstellung hinter mich bringen.

Verständlicherweise schlief ich in dieser Nacht nicht besonders gut, wobei hier die unterschiedlichsten Gründe eine Rolle spielten. Erstens die Umgebung, zweitens, die ständigen Gedanken an morgen und drittens die Tatsache, dass Sienna mir wirklich fehlte. Die vergangenen beiden Nächte waren einfach wunderschön gewesen und ich brannte darauf, sie bald wieder sehen zu dürfen.

Obwohl ich gehofft hatte, dass man den Mörder jenes Mannes, der in meinen Armen gestorben war, so schnell wie möglich finden würde, machte sich nun ein komisches Gefühl in meinem Innersten breit. Das Wort Gegenüberstellung machte mich nervös. Dabei würden die infrage kommenden Täter mich gar nicht wahrnehmen. Ich befand mich während dieser Zeit hinter einem sogenannten Einwegspiegel, so dass der Täter mich nicht sehen konnte.

Alistair hatte mir das alles bereits zur Genüge erklärt, trotzdem war ich mehr als nur nervös, als ich am Montagmorgen das Präsidium durch einen der hinteren Eingänge betrat. Auch hier ließ man äußerste Vorsicht walten und Alistair war der einzige, der mich begleitete. Er kannte das Präsidium wie seine Westentasche, wusste wo sich die Schleichwege befanden, damit wir dem normalen Publikum ausweichen konnten und brachte mich sicher zu jenem Raum, in welchem bereits Inspektor Parker auf uns wartete.

Es lag eine ganze Weile zurück, seit wir uns zum letzten Mal begegnet waren und das erste was er tat, war, sich nach meinem Befinden zu erkundigen.

„Wie geht es Ihnen?"

„Danke, gut", erwiderte ich einsilbig.

Mein Herz schlug bis zum Hals und kleine Schweißperlen bildeten sich auf meiner Stirn, als er sagte: „Fein, dann können wir ja loslegen."

Plötzlich wurde es dunkel im Raum und ziemlich still. Beklommen blickte ich nach vorne, um auf fünf Männer zu schauen, die nebeneinander standen und jeweils eine Tafel mit einer Nummer darauf in ihrer Hand hielten.

„Du brauchst keine Angst zu haben, mein Junge, die können dich nicht sehen", redete Alistair beruhigend auf mich ein. In gewisser Weise war ich ihm sehr dankbar dafür, denn ich wurde tatsächlich ein wenig entspannter und nahm die Männer, welche für mich gut sichtbar waren, unter die Lupe. Ich konnte jede Unebenheit in den Gesichtern erkennen.

„Lassen Sie sich Zeit", sprach Inspektor Parker mich an. „Wir haben keine Eile. Wichtig ist nur, dass Sie sich absolut sicher sind."

Das war ich. Niemals würde ich das Gesicht des Mannes vergessen, der die Waffe zog und auf den anderen feuerte. Zwar besaßen alle diese Männer Narben, doch die des Täters, sowie seine eiskalten Augen, hatten sich dermaßen in mein Gedächtnis eingebrannt, dass es keinen Zweifel gab.

Als ich das Gesicht jenes Mannes blickte, spielten sich die Szenen des verhängnisvollen Abends automatisch in meinem Gedächtnis ab. Der Streit, die Schüsse, und überall Blut. Mir wurde heute noch regelmäßig schlecht, wenn ich mich daran erinnerte, so, wie im Augenblick. Ich schluckte und versuchte ruhig zu atmen, bevor ich zu einer Antwort ansetzte.

„Nummer zwei", erklärte ich nun in einem überraschend bestimmten Tonfall, sodass Inspektor Parker erstaunt aufschaute.

„Sicher?"

„Ja, absolut."

„Gut. Sie können ihre Aussage nämlich nicht mehr revidieren."

„Das brauche ich auch nicht", erklärte ich selbstsicher.

Die plötzliche Gelassenheit, die mich überkam, ließ sogar Alistair kurz aufschauen, bevor er mich freundlich anlächelte.

„Fein, dann sind wir fast fertig, mein Junge. Du musst nur noch deine Aussage unterschreiben."

Das tat ich sogleich, als Inspektor Parker mir den Wisch unter die Nase hielt. Das Komische für mich war die Tatsache, dass ich hier mit meinem richtigen Namen, Fionn Ryan, unterschreiben musste und nicht mit James Edwards.

Auch bei Gericht würde man mich mit meinem alten Namen aufrufen, denn die gegnerischen Anwälte und Angeklagten würden sich ebenfalls im Gerichtssaal befinden. Wenn mein neuer Name dort ans Licht kam, war ich geliefert. Doch das passierte nicht, da niemand diesen kannte. Niemand außer Alistair und seinen Mitarbeitern. Selbst Inspektor Parker wusste nicht, unter welchem Namen ich später durch die Weltgeschichte geisterte, so viel hatte Alistair mir nämlich verraten. Vermutlich wollte er damit verdeutlichen, wie hoch die Sicherheitsvorkehrungen bezüglich des Zeugenschutzes angesetzt waren, was ich wohlwollend verinnerlichte.

Nachdem ich die Aussage unterschrieben und mich von Inspektor Parker verabschiedet hatte, brachen Alistair und ich unverzüglich auf. Wie zuvor verließen wir das Gebäude durch den hinteren Ausgang, vor welchem bereits ein Wagen für uns bereitstand. Ohne Zeitverzögerung fuhren wir zum Flughafen und bestiegen den Learjet, der in Richtung Dublin flog. Jedes Mal eine andere Route, Alistair setzte auch hier die Prioritäten richtig, soweit ich das beurteilen konnte.

„Denkst du, sie werden mich irgendwann finden?", erkundigte ich mich seufzend.

„Das war die falsche Frage, mein Junge", kam es prompt zurück.

„Und wie lautet die Richtige?"

„Denkst du, sie werden mich irgendwann töten."

Geschockt starrte ich Alistair an, der vielsagend grinste und mit den Schultern zuckte.

„Suchen heißt nicht gleich finden und finden bedeutet nicht gleich töten. Das solltest du immer bedenken, Junge."

„Na super", murmelte ich vor mich hin. „Wurde schon mal ein Zeuge von der Drogenmafia gefunden oder abgeknallt?"

„Weder noch. Einer musste mal aus Sicherheitsgründen umziehen, doch das hatten wir alles im Griff."

„Du kannst einem echt Mut machen, weißt du das?"

Der laufende Meterfünfzig trank einen Schluck Kaffee, bevor er antwortete. „Es muss ja nicht heißen, dass es bei dir genauso läuft. Denk doch einfach mal positiv. Die Wahrscheinlichkeit, dass man dich dort findet, wo du hinziehst, ist verschwindend gering. Denn dazu müsste deine neue Identität aufgedeckt werden."

Mich packte die Neugierde, denn ich wollte unbedingt wissen, wohin es Sienna und mich verschlagen würde und so sagte ich: „Kannst du mir bitte unseren neuen Wohnort verraten?"

Darauf bekam ich lediglich ein Kopfschütteln zur Antwort. Als ich ein abgrundtiefes Seufzen ausstieß, bequemte sich Alistair noch einen Satz hinzuzufügen, der mich allerdings wissen ließ, dass die Diskussion zu diesem Thema wohl beendet war.

„Das erfährst du erst an dem Tag deiner Abreise, mein Junge. So halte ich das immer und es wird sich nichts an dieser Vorgehensweise ändern."

Demotiviert blickte ich aus dem Fenster des Learjets, um ein „Dann eben nicht", von mir zu geben, was an Alistair jedoch abprallte wie an einer Gummiwand. Dieser Mann besaß das Gemüt eines Elefanten und Nerven wie Drahtseile. Aber dies blieb wohl in seinem Job unerlässlich, sonst konnten er, und auch seine Klienten, in diesem Falle ich, einpacken oder den Kopf in den Sand stecken.

Da ich jedoch auch weiterhin ein einigermaßen annehmbares Leben führen wollte, beugte ich mich Alistairs Anordnungen. Er kannte sich aus, würde mich nicht in Gefahr bringen und wusste, was machbar war und was nicht. Schon alleine die Tatsache, dass ich Sienna hin und wieder sehen durfte, zeigte mir, dass er ein überaus großes Herz besaß. Mir war durchaus bewusst, dass er dies nicht hätte tun müssen, sondern dass es seiner liebenswürdigen Art entsprang.

Nach einer Stunde Flug erreichten wir Dublin. Das Procedere lief wie üblich ab: Mietwagen in Empfang nehmen und in Richtung Ballinskelligs fahren. Je nach Route betrug die Strecke von hier aus allerdings zwischen viereinhalb und fünf Stunden. Zwischendurch legten wir eine Pause ein, um unsere Mägen zu füllen.

Wie immer war es sehr unterhaltsam in Alistairs Gesellschaft zu speisen. Seine väterliche Art tat mir am heutigen Tag besonders gut, denn ich brauchte in all dem Chaos jemanden, auf den ich zählen konnte.

Dank Alistair gelangte ich sicher nach Ballinskelligs, in das kleine Haus, welches mir inzwischen sogar ans Herz gewachsen war, obwohl es dies nicht sollte. In naher Zukunft würde ich all das erneut hinter mir lassen und an einem anderen Ort leben. Der einziger Lichtblick meiner Zukunft waren Sienna und unser ungeborenes Kind. Das Wissen, sie an meiner Seite zu haben, machte mich stark und beflügelte meine Energie beträchtlich.

In dieser Nacht beehrte mich Alistair mit seiner Gesellschaft in Ballinskelligs und endlich konnte ich mich für all das, was er für mich getan hatte, ein wenig revanchieren, indem ich das Abendessen für uns kochte. Es schien ihm sogar zu schmecken, denn er sagte, nachdem er seine Portion aufgegessen und sich den Mund mit einer Serviette abgewischt hatte: „Das war köstlich, mein Junge. Deine Frau hat großes Glück, so einen guten Koch wie dich geheiratet zu haben."

Lachend schickte ich mich an, den Tisch abzuräumen. „Ich hoffe, dass sie es in der Zukunft zu schätzen weiß."

„Ich denke schon."

Satt und zufrieden streichelte der laufende Meterfünfzig über seinen Bauch und beäugte mich, als ich eine Flasche Whiskey aus dem Schrank holte.

„Das ist eine gute Idee, mein Junge", ließ er verlauten. „Lass uns einen trinken und dann zu Bett gehen."

Irischer Whiskey zählte seit einigen Jahren zu meinen Präferenzen, was den Alkohol anging und auch Alistair mundete der edle Tropfen ausgezeichnet. Nachdem jeder von uns zwei Gläser der bernsteinfarbenen Flüssigkeit zu sich genommen hatte, erhoben wir uns, um die Betten aufzusuchen. Alistair nächtigte im Zimmer nebenan, wobei sein Schnarchen mich dieses Mal nicht allzu sehr störte, da ich ziemlich rasch ins Reich der Träume versank.

Ausgeruht stand ich am nächsten Morgen in aller Frühe auf, um meine Joggingrunde zu absolvieren, während der laufende Meterfünfzig noch im Tiefschlaf lag. Allerdings sollte ich mich in dieser Hinsicht täuschen, denn als ich nach einer Stunde zurück nach Hause kehrte (nicht ohne Dustin gewunken zu haben, der in der Nähe der Ruinen Stellung bezogen hatte), duftete es bereits nach Tee und Speck.

„Guten Morgen, mein Junge. Geh rasch duschen, es gibt gleich Rühreier", wies er mich an.

Das ließ ich mir natürlich nicht zweimal sagen, denn um ehrlich zu sein, hatte ich Alistairs Rühreier ein bisschen vermisst.

Als wir später gemeinsam am Frühstückstisch saßen, stopfte ich diese in mich hinein, als würde morgen eine Hungersnot ausbrechen. Nicht einen Krümel ließ ich übrig, was mein Ziehvater mit einem zufriedenen Grinsen registrierte.

„Das war echt bombastisch, danke, Alistair."

Nach diesen Worten schob ich den leeren Teller weg und lehnte mich im Stuhl zurück. Während der Joggingrunde hatte ich mir einige Gedanken gemacht und so kam es, dass ich eine Frage stellte.

„Wie geht es denn jetzt weiter?"

Wie aus der Pistole geschossen, erfolgte Alistairs Antwort.

„Aufgrund deiner Aussage wird der Weg zur Verhandlung beschleunigt werden können. Man wird den Ring der Mafia zuerst in London und dann europaweit versuchen zu sprengen. Mit all den Hinweisen, die du uns geliefert hast, können wir das sicher bewerkstelligen. Parallel dazu werden weltweite Fahndungslisten veröffentlicht und man wird auch gegen den Hauptsitz der Mafia in Kolumbien vorgehen. Das Drogenkartell wird also kräftig aufgemischt."

Meine Kehle schnürte sich langsam zu, als ich flüsterte: „Sie werden mich suchen, nicht wahr?"

„Ja, mein Junge. Aber du musst keine Angst haben, nur wachsam sein."

„Ist da ein Unterschied?"

„Ein sehr großer sogar. Wenn du Angst hast, wirst du deines Lebens nicht mehr froh, wenn du wachsam bist, wirst du die Welt nur mit anderen Augen betrachten, aber trotzdem ruhig schlafen können. Außerdem sind wir da, um dich zu schützen."

„Aber nur noch eine gewisse Zeit. Sobald ich mein neues Leben beginne, bin ich auf mich alleine gestellt", widersprach ich sofort.

Demonstrativ hob Alistair sein Handy in die Höhe.

„Ein Anruf genügt, Junge und das Gelände auf welchem du dich befindest, wird binnen kürzester Zeit von Polizeibeamten umzingelt sein."

Ich machte mir keine Gedanken um mich, sondern um Sienna und das Baby. Am heutigen Tag wurde mir erst richtig bewusst, dass wir mehr als nur zusammenhalten mussten, um diesen Weg miteinander zu gehen. Es war nur zu natürlich, dass ich weiter in die Zukunft dachte.

„Was passiert eigentlich, wenn Sienna und ich uns nicht mehr verstehen sollten?"

„Dann werdet ihr geschieden, wenn ihr das möchtet. Sie wird danach ihren alten Namen wieder annehmen und aus dem Zeugenschutzprogramm ausscheiden. Wenn sie das Kind mitnimmt, wird dieses ebenfalls in ein normales Leben zurückkehren und Siennas Namen annehmen."

„Und ich könnte es nie wieder sehen?"

„Das liegt bei dir, mein Junge, wie alles, was du bisher auch in deinem Sinne geregelt hast."

Ich diesem Moment hoffte ich einfach nur, dass ich eine solche Entscheidung nie würde treffen müssen.

Die nächsten Tage zogen sich wie Kaugummi dahin, denn ich wartete sehnsüchtig auf den zwanzigsten Mai. Dann würde ich Sienna endlich wieder sehen und in meine Arme schließen können.

Einstweilen tröstete ich mich mit dem ersten Ultraschallbild unseres Babys, welches Sienna mir vor einigen Wochen überlassen hatte. Ständig wuchs es in ihr heran, ließ ihren Bauch jedes Mal größer werden, wenn wir uns begegneten. Das Wunderwerk der Natur beeindruckte mich immens und führte letztendlich dazu, dass ich immer wieder neue Hoffnung schöpfte. Es würde alles gut gehen, so wie Alistair es prophezeite.

Als ich am Freitag von meiner morgendlichen Joggingrunde zurück ins Haus kehrte, meldete sich mein Handy. Das hektische Aufblinken von Alistairs Namen verursachte augenblicklich ein leichtes Magendrücken bei mir.

„Hallo", meldete ich mich.

„Guten Morgen, mein Junge. Ich hoffe, du sitzt gut."

Wenn ich nicht schon schwitzen würde, wie ein Pferd, das gerade einen Acker gepflügt hatte, wäre mir spätestens jetzt der kalte Schweiß ausgebrochen. Ich schluckte, bevor ich mich auf den nächsten Stuhl fallen ließ.

„Jetzt sitze ich, was gibt es denn?"

„Der Termin für die Verhandlung steht. Sie wurde für den neunundzwanzigsten Juni festgelegt. Das ist ein Mittwoch, das heißt, du wirst am Dienstag, den achtundzwanzigsten nach London reisen und anschließend nicht mehr zurück nach Irland kehren, sondern direkt im Anschluss an die Verhandlung in Richtung deines neuen Wohnsitzes reisen."

„Und Sienna?"

„Wird natürlich mit dir kommen."

Jetzt war es amtlich. Unser Leben würde sich am neunundzwanzigsten Juni grundlegend ändern. Doch das war es nicht, was mir in jenem Moment Angst einjagte, sondern diese verdammte Verhandlung.

Auge in Auge mit der Mafia.

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Hallo meine Lieben, hier ist das neue Update. Was sagt ihr dazu? Die Gegenüberstellung hat Fionn gut hinter sich gebracht, nun steht die Verhandlung an. Denkt ihr, es wird alles gut gehen?

Ich danke euch so sehr, dass ihr dran bleibt und für die lieben Kommentare und die Votes.

LG, Ambi xxx

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