33. Suffering
Sienna
Im ersten Moment glaubte ich zu träumen, als ich Fionns Worte hörte, deren Sinn sich erst langsam in meinem Kopf ausbreitete. Er konvertierte zur evangelischen Kirche, gab seinen Glauben für mich und unser Kind auf. Das war ein absoluter Liebesbeweis, mehr noch, es zeigte mir, dass er sich vollkommen mit der neuen Situation auseinandergesetzt und in gewisser Weise identifiziert hatte. Ich konnte bei ihm sein, er wollte mich mitnehmen.
Schluchzend fiel ich ihm um den Hals, unfähig sprechen, stattdessen küsste ich ihn unentwegt, um meine Freude auszudrücken. Ich spürte seine Hände, die zärtlich über mein Haar streichelten, mir zu verstehen gaben, dass er immer für mich da sein würde, egal, was die Zukunft für uns brachte.
„Fionn", schluchzte ich, „ich liebe dich."
„Ich dich auch, Baby."
Seine Lippen berührten zärtlich mein Gesicht, brachten mein Lächeln hervor und ließen mein Herz tanzen.
„Alles wird gut, Baby", murmelte er. „Du gehörst zu mir und unser Kind ebenfalls."
Als er mit dem Handrücken sanft über die kleine Wölbung meines Bauches streichelte, begann ich innerlich vor Freude zu taumeln.
Meine Mühe, meine Hartnäckigkeit und meine Liebe wurden nun belohnt. Fionn wollte mich als Teil seines neuen Lebens, dieser Tag hätte nicht schöner sein können. Ungeachtet der Tatsache, dass wir uns schon sehr bald wieder trennen mussten, schwebten wir beide gerade auf Wolke Nummer sieben.
„Wie geht es unserem Baby?", erkundigte er sich und schob mein Shirt ein Stück nach oben.
„Ausgezeichnet, nehme ich an. Nächsten Montag habe ich wieder einen Termin bei meiner Frauenärztin", ließ ich ihn wissen.
„Ok." Schmunzelnd beugte Fionn sich ein Stück nach unten, um einen kleinen Kuss auf meinem Bauch zu platzieren. „Hallo Baby, hier ist mal wieder dein Daddy. Hast du mich vermisst?", flüsterte er, was mich zu einem Lachen animierte.
Nach wie vor fand ich es einfach zu süß, wenn er auf meinen Bauch blickte und mit dem kleinen Wesen sprach, welches darin heranwuchs – unser Kind.
Manchmal fiel es mir noch immer schwer zu glauben, dass wir in einigen Monaten Eltern sein würden, doch ich war mir sicher, dass wir auch dies meistern konnten. Aufregende Tage in jeglicher Hinsicht lagen vor uns, das war auf jeden Fall gewiss. Bevor wir richtig aus unserer Blubberblase herauskamen, läutete es an der Tür.
„Das ist Alistair", seufzte Fionn mit einem Blick auf die Uhr.
Eine Stunde war wirklich schnell vergangen, jetzt hieß es erneut Abschied nehmen. Aber am heutigen Tag würde es viel leichter sein, als Vorgestern. Die Ungewissheit, ob ich ihn jemals wiedersehen durfte, gab es nicht mehr.
Nachdem Fionn die Tür geöffnet hatte, trat Alistair ein.
„Nun, ihr beiden, ihr wisst, dass ich euch nur sehr ungern trenne, aber wir müssen los."
Er nickte mir aufmunternd zu, worauf ich mich seufzend von der Couch erhob, um meine Jacke anzuziehen. Als ich mich von Fionn verabschiedete, flüsterte er mir ins Ohr: „Hab keine Angst, Alistair wird sich um alles kümmern. Du kannst ihm total vertrauen, er tut schon das Richtige."
„Das weiß ich", wisperte ich zurück, bevor unsere Lippen sich zu einem nicht enden wollenden Kuss verbanden.
Zumindest so lange, bis Alistair mahnte: „Genug jetzt, Kinder. Sienna, wir müssen los."
Seufzend löste ich mich von Fionn, schaute ein letztes Mal in seine blauen Augen und warf ihm eine Kusshand zu, als ich nach draußen ging. Langsam brach die Dunkelheit herein und wir hatten noch ein gutes Stück zu fahren, bevor wir den Flughafen erreichten. Aber ich war bester Laune, als Alistair die engen, kurvenreichen Straßen mit einer gewissen Eleganz nahm. Er war ein unglaublich guter Autofahrer, dies stellte ich wiederholt fest.
„Wie geht es Ihnen, Sienna?", erkundigte er sich, als wir Ballinskelligs hinter uns gelassen hatten.
„Ich glaube, ich habe mich lange nicht mehr so gut gefühlt, obwohl sich jetzt natürlich viele Fragen auftun", erwiderte ich ehrlich.
„Das kann ich mir denken. Sie können mich ruhig löchern", meinte er schmunzelnd, was ich mir natürlich nicht zweimal sagen ließ.
„Wie geht es denn jetzt weiter?", erkundigte ich mich neugierig.
„Nun zuerst kommt die langweilige, formelle Sache. Fionn muss eine Unterschrift leisten, mit welcher er bestätigt, dass Sie mit in das Zeugenschutzprogramm aufgenommen werden und Sie, Sienna, müssen im Gegenzug mit ihrer Unterschrift bekunden, dass Sie dies gerne möchten."
Das klang durchaus einleuchtend.
„Ich werde die entsprechenden Schriftstücke gleich morgen aus dem Präsidium holen, damit dies so schnell wie möglich in die Wege geleitet werden kann", fuhr Alistair mit seiner Erklärung fort. „Währenddessen haben Sie Zeit, sich Gedanken um ihren neuen Vornamen zu machen, sowie den Berufswunsch. Allerdings sehe ich kein Problem, warum Sie nicht ihren Status als Unternehmensberaterin beibehalten sollten."
„Ja, das würde ich gerne", erwiderte ich. „Also meinen Beruf beibehalten."
„Gut, dann werden wir den Lebenslauf und die Zeugnisse dahingehend anpassen."
„Sie sagten, ich dürfte mir einen Vornamen aussuchen. Und was ist mit dem Nachnamen?"
Alistair stieß ein kurzes Lachen aus. „Den Nachnamen, meine Liebe, haben Sie schon, denn Sie werden mit Fionn, oder besser gesagt mit James, verheiratet sein. Also heißen Sie zukünftig Edwards."
„Verheiratet?" Ungläubig starrte ich ihn an.
„Ja, denn ein evangelischer Pfarrer mit einem unehelichen Kind macht sich nicht so gut."
„Aber..., werden wir wirklich heiraten?"
„Ja, Sie müssen vor dem Standesamt vorsprechen. Wir besorgen Ihnen eine neue Geburtsurkunde und für die brauchen wir dann einen Nachnamen, den Sie sich aussuchen können. Aber dieser wird dann nicht mehr von Bedeutung sein."
„Verstehe ich das richtig, dass Fionn und ich heiraten müssen?", vergewisserte ich mich nochmals.
„Ja, in diesem Fall muss es sein."
Alistair bedachte mich mit einem nachdenklichen Blick.
„Würden Sie ihn denn nicht heiraten wollen? Also wenn Sie nicht im Zeugenschutz wären?"
Das Herz schlug wie wild in meiner Brust, als ich antwortete: „Ich weiß es nicht, darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht. Für mich ist ein Trauschein nicht ausschlaggebend, wenn man sich liebt. Und man muss auch nicht unbedingt verheiratet sein, um ein Kind gemeinsam großzuziehen. Meine Eltern ließen sich scheiden, als ich dreizehn war. Seitdem lebte ich in einem Internat, sah sie nur hin und wieder. Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn sie nie geheiratet hätten."
„Verstehe. Nicht jeder ist so vom Glück begünstigt wie ich und meine Frau. Wir sind seit über dreißig Jahren verheiratet", erklärte er lächelnd und mit einem gewissen Stolz.
Ich fand das unglaublich süß und liebenswert und es erinnerte mich daran, dass ich ihm noch eine Frage stellen wollte.
„Heißt Ihre Frau zufällig Rosie?"
Jetzt lachte Alistair laut auf. „Ja, sie heißt Rosie."
„Dann war das also ihre Frau, die ich im Präsidium getroffen habe?"
„So sieht es aus. Allerdings arbeitet Rosie als ganz normale Polizistin. Natürlich ist ihr geläufig, dass ich in Sachen Zeugenschutz unterwegs bin, aber sie kennt die Namen und sonstige Dinge meiner Klienten nicht. Ich bin aus allen Wolken gefallen, als sie an besagtem Abend nach Hause kam und mir den Namen Fionn Ryan an den Kopf knallte. Im ersten Augenblick dachte ich ernsthaft, wir hätten ein Leck im Präsidium."
Ich musste selbst lachen, so drollig brachte er das hervor.
„Alistair, du weißt, ich mische mich nie in deine beruflichen Dinge ein, aber du musst etwas tun- das waren ihre Worte. Ich kann mich noch haargenau daran erinnern. Dann erzählte Sie von Ihnen, Sienna."
Er bedachte mich mit einem väterlichen Blick, der eine warme Welle in meinem Innersten produzierte. Fionn hatte definitiv recht: Ich konnte Alistair in jeglicher Hinsicht vertrauen.
„Was haben Sie damals gedacht?", wollte ich wissen.
„Dass unser Klient es faustdick hinter den Ohren hat", kam es wie aus der Pistole geschossen von meinem Sitznachbarn. „Aber ich musste Sie erst unter die Lupe nehmen, deswegen hat es ein paar Tage gedauert, bis wir uns kennenlernten."
Plötzlich war ich mir sicher, dass Dustin mich in London observiert hatte. Dunkel erinnerte ich mich an den jungen Mann, mit welchem ich in einem Coffee Shop zusammengestoßen war. Wenn ich es mir recht überlegte, besaß dieser Ähnlichkeit mit Alistairs Mitarbeiter. Doch diese Begebenheit wollte ich auf keinen Fall erwähnen, denn ich hatte nicht vor, dem sympathischen jungen Agenten zu schaden.
Spontan wanderten meine Gedankengänge von Dustin zu Fionn.
„Weiß Fionn das mit der Hochzeit?", erkundigte ich mich neugierig bei Alistair.
„Ich gehe davon aus, dass ihm das bewusst ist und wenn nicht, werde ich ihn nochmals darauf hinweisen. Es würde keinen guten Eindruck machen, wenn er sich um einen Posten als evangelischer Pfarrer bewirbt und ein uneheliches Kind vorweisen kann."
„Das verstehe ich."
Tausend Fragen schwirrten plötzlich in meinem Kopf umher, nicht nur die Hochzeitsformalitäten betreffend, sondern mein zukünftiges Leben.
„Werde ich auch nach Irland gebracht, Alistair?"
Er zögerte mit seiner Antwort, was mich nervös werden ließ.
„Normalerweise würde ich sagen ja, aber da Sie schwanger sind, möchte ich kein Risiko eingehen."
„Was hat das denn mit meiner Schwangerschaft zu tun?", fragte ich ein wenig verblüfft.
„Ganz einfach. Sobald Sie in Irland wohnen, unter einem neuen Namen, müssten Sie sich einen neuen Frauenarzt suchen. Dieser würde natürlich sofort die Unterlagen des vorherigen Arztes haben wollen, was unmöglich wird. Sie dürfen Ihren alten Namen niemals preisgeben, habe ich mich klar genug ausgedrückt?"
Als ich unter Tränen nickte, sagte Alistair: „Wir müssen erst alles neu beschaffen, dann können Sie zu Fionn."
„Und in der Zwischenzeit?"
„Dürfen Sie ihn hin und wieder besuchen."
Seine Aussage beruhigte mich ein bisschen, wenngleich der Zustand auch nicht optimal war. Trotzdem zauberte die Aussicht darauf, Fionn ab und zu sehen zu können, ein Lächeln auf mein Gesicht.
„Weiß man schon, wann die Verhandlung stattfinden wird?", wollte ich anschließend wissen.
„Nein." Alistair schüttelte dabei seinen Kopf. „Leider nicht. Aber wir werden sofort in Kenntnis gesetzt, sobald der Termin feststeht."
„Dann wird sich im Moment noch nichts in meinem Leben ändern?", fragte ich und ließ meinen Blick in die Dunkelheit wandern, welche inzwischen über das Land hereingebrochen war.
„Nein, im Augenblick nicht. Es wird schwer werden für Sie, denn Sie dürfen niemandem etwas sagen, Sienna."
„Ich weiß." Ein Seufzen kam über meine Lippen. „Werde ich meine Familie und meine beste Freundin jemals wiedersehen?"
„Wenn Sie eines Tages wieder in ihr altes Leben zurückkehren, dann schon."
„Und in der Zwischenzeit?" Hoffnungsvoll schaute ich ihn an, doch seine nächsten Sätze ließen mich wissen, dass solche Dinge gut überdacht werden mussten.
„Verstehen Sie mich nicht falsch, Sienna. Wir bieten jedem Klienten die Möglichkeit an, seine Familie oder enge Freunde von Zeit zu Zeit zu sehen, falls er das möchte. Aber in diesem Fall ist es so, dass äußerste Vorsicht geboten ist. Ich habe es Fionn bereits erklärt. Jedes Treffen birgt Risiken, dass man ihn findet, obwohl wir die schärfsten Vorsichtsmaßen treffen, die es nur gibt. Fionn hat sich dagegen entschieden, jemanden aus seinem alten Leben sehen zu wollen. Und er wird Sie vermutlich bitten, das Gleiche zu tun, um ihr Leben und auch das ihres Kindes nicht unnötig zu gefährden."
Automatisch gingen meine Hände zu meinem Bauch. Das Kind hatte oberste Priorität und deshalb würde ich wohl ebenfalls auf diese Treffen verzichten, so schwer es mir auch in der Zukunft fallen würde. Ich konnte das Leben unseres Kindes und auch Fionns nicht aufs Spiel setzen, weil ich mich egoistisch verhielt und Seth, Harvey und Gwenny sehen wollte.
„Ich verstehe", murmelte ich leise, mit gesenktem Kopf. „Ich glaube, es ist besser, wenn ich es so wie Fionn handhabe."
Alistairs Blick sagte mir, dass er mit meiner Entscheidung zufrieden war, aber auch, dass er mich zutiefst bedauerte.
Der Rest der Fahrt verlief ruhig, ohne große Konversation. Einmal legten wir einen kurzen Zwischenstopp ein, weil meine Blase zu drücken begann und kauften bei dieser Gelegenheit ein wenig Proviant.
Anschließend ging es weiter nach Cork, dessen kleiner Flughafen mir inzwischen ans Herz gewachsen war. Dort stand der Privatjet schon bereit, in welchem Alistair und ich unser Plätze nebeneinander einnahmen. In nicht ganz einer Stunde würden wir wieder in London sein; ich, alleine zuhause, mit meinen Gedanken bei Fionn und der Aussicht, ihn hoffentlich bald wieder sehen zu dürfen.
Müde schloss ich meine Augen und ehe ich mich versah, wanderte ich ins Reich der Träume. Erst kurz vor der Landung erwachte ich wieder, weil ich einen leichten Druck auf den Ohren spürte.
„Na, gut geschlafen, Sienna?", erkundigte sich Alistair grinsend, als ich zu ihm schaute.
„Ja, das habe ich."
„Wir sind gleich in London und Sie werden wie beim letzten Mal von einem Wagen nach Hause gebracht", gab er mir zu verstehen, was ich mit einem Nicken, sowie einem Lächeln zur Kenntnis nahm.
Als er mir einen Pfefferminzkaugummi reichte, nahm ich diesen dankend an. Kauend blickte ich auf die Lichter meiner Heimatstadt, welche nun in mein Blickfeld gerieten, da das Flugzeug gerade eine Schleife flog. Wie lange würde ich noch hier wohnen und wo würden wir dann leben?
Fragen über Fragen türmten sich nach wie vor in mir auf, aber ich wusste, dass es sinnlos war, Alistair zu beknien, eine Auskunft dahingehend zu erteilen. Er durfte das zu diesem Zeitpunkt ganz sicher nicht preisgeben.
Als Alistair mich zu der Limousine geleitete, welche mich gleich nach Greenwich bringen würde, sagte er: „Ich melde mich bei Ihnen, sobald es Neuigkeiten gibt. Schlafen Sie gut, Sienna."
„Danke, Sie auch und würden Sie Ihrer Frau noch etwas ausrichten?", erwiderte ich.
„Klar."
„Sagen Sie ihr, dass sie ein Engel ist und ich mich ganz herzlich bedanke."
„Wird gemacht."
Mit einem Lächeln schloss er die Autotür hinter mir, nachdem ich meinen Platz auf der Rückbank eingenommen hatte. Ein Teil von mir fühlte sich gerade unglaublich erleichtert, doch der andere Teil drehte beinahe durch.
In nicht allzu ferner Zukunft hieß es Abschied nehmen von Seth, Harvey und Gwenny. Alleine der Gedanke daran trieb eine Tränenflut in meine Augen. Verzweifelt suchte ich nach einem Taschentuch und als ich dieses endlich gefunden hatte, trocknete ich meine nassen Wangen, bevor ich geräuschvoll meine Nase putzte.
Der Ansturm an Gefühlen, welcher sich in mir ausbreitete war kaum zu bewältigen. Fionn hatte sich für mich entschieden. Er wechselte seinen Glauben, damit wir zusammen leben und in der Lage waren, unser Kind großzuziehen. Das Ganze klang noch immer so unglaublich, dass ich glaubte, zu träumen.
Erst als ich die Limousine verließ, die direkt vor dem Hauseingang zu meinem Apartment stoppte, realisierte ich langsam, was gerade passierte. Sienna Roberts würde bald nicht mehr existieren. Mein zukünftiger Name lautete Edwards, doch welchen Vornamen sollte ich wählen? Vielleicht war es gut Fionn ein Mitspracherecht einzuräumen, andererseits würde diese Entscheidung vermutlich gar nicht bis zu unserem nächsten Treffen warten können. Noch entzog es sich meiner Kenntnis, wann er mich wieder in seine Arme schließen durfte.
Ein wenig fröstelnd zog ich den Schlüsselbund aus meiner Handtasche hervor und schloss die Haustür auf. Die Nächte in London waren Ende April noch immer kühl, deshalb beeilte ich mich ins Treppenhaus zu gelangen. Normalerweise schaute ich mir diese Umgebung nie an, da ich seit zwei Jahren hier lebte und alles in – und auswendig kannte. Aber am heutigen Tag betrachtete ich alles differenziert. Dies war die längste Zeit das Haus gewesen, in welchem ich wohnte. Schon sehr bald würde ein anderer mein schmuckes Apartment beziehen und den seitlichen Ausblick auf die Themse genießen.
In meiner Wohnung angekommen, atmete ich erleichtert auf, zog Jacke und Schuhe aus und marschierte in die Küche, um ein Glas Wasser einzuschenken, welches ich gierig trank. Anschließend stellte ich das Gefäß in die Spülmaschine und wanderte Richtung Bad, um mich bettfertig herzurichten. Es war ein langer Tag, der hinter mir lag und obwohl ich frühzeitig aus dem Büro verschwunden war, fühlte ich mich sehr müde. Kein Wunder, die Reise nach Irland und zurück hatte einige Stunden in Anspruch genommen, welche nun ihren Tribut forderten. Als ich mich unter die Decke legte, galt mein letzter Gedanke Fionn. Ob er sich wohl genauso einsam fühlte wie ich gerade?
Der nächste Tag brachte haufenweise Arbeit im Büro, sowie Anrufe von Seth und Gwenny. Beide hatte ich seit mehreren Tagen nicht mehr gesehen und nur sehr kurz gesprochen. Gwenny brannte darauf, sich mit mir zum Mittagessentreffen, um zu erfahren, wie es in Brighton gewesen war und Seth wollte mich für das kommende Wochenende zum Brunchen einladen. Ich behielt mir vor, ihm später Bescheid zu geben, ob ich kommen wollte, denn in meinem Hinterkopf befanden sich stets Alistairs Worte: „Sie dürfen Fionn hin und wieder besuchen."
Den Mann zu sehen, den ich liebte hatte oberste Priorität, alles andere musste dahinter zurückstehen. Falls die Möglichkeit bestand, am nächsten Wochenende nach Irland zu reisen, würde mir eine gute Ausrede einfallen müssen, denn Brunchen bei Seth und Harvey ließ ich mir fast nie entgehen.
Die Verabredung mit Gwenny hingehen, ließ sich ohne Probleme in meinem Terminkalender unterbringen.
Wir trafen uns am Donnerstag zum Mittagessen in unserem Stammlokal und als sie mich zur Begrüßung umarmte, hätte ich sie am liebsten gar nicht mehr losgelassen.
„Wie geht es dir? Du siehst gut aus, Sienna!", stellte sie erfreut fest, nachdem sie mich von oben bis unten gemustert hatte.
„Danke, mir geht es auch sehr gut", erwiderte ich lächelnd.
Diese Aussage entsprach jedoch nur zum Teil der Wahrheit, denn die Aussicht darauf, dass die Tage mit meiner besten Freundin ab jetzt gezählt waren, machte mir doch schwer zu schaffen.
Gwennys nächste Frage trug nicht dazu bei, dass meine Gedanken positiver wurden.
„Wie war es denn in Brighton? Erzähl doch mal!"
Jeder einzelne Satz entsprang einer Lüge. „Ach, es war ganz schön, Paula mal wieder zu sehen. Wir waren shoppen, sind am Strand spazieren gegangen und haben uns lange unterhalten."
Ich sah Gwenny nicht an, sondern tat so, als würde ich mich in die Speisekarte vertiefen. Ihr nächster Satz trug nicht dazu bei, dass ich mich besser fühlte.
„Hast du ihr von deiner Schwangerschaft erzählt?"
„Nein."
Langsam klappte ich die Speisekarte wieder zu. „Ich möchte das nicht breittreten, jedenfalls jetzt noch nicht. Paula wird es noch früh genug erfahren."
„Da hast du allerdings recht", stimmte meine beste Freundin mir zu.
Im Moment glich mein Leben einer Straße, die in einem zickzack Muster verlief; möglichst allem ausweichen, was mich verraten könnte. Bisher meisterte ich das noch recht gut, aber wie lange würde ich diesem Druck standhalten können?
Schnell lenkte ich das Thema auf meine Schwangerschaft, indem ich sagte: „Am Montag habe ich wieder einen Termin bei meiner Frauenärztin. Ich bin schon so gespannt, wie deutlich man das Baby dann auf dem Ultraschall erkennen kann."
Gott sei Dank sprang Gwenny sofort darauf an und die restliche Konversation drehte sich um meinen Nachwuchs.
Nur einmal wurde mir kurz heiß, als sie eine Frage an mich richtete.
„Hast du den Brief an das Präsidium eigentlich inzwischen geschrieben?"
Und wieder log ich ohne rot zu werden. „Ja, und sogar abgeschickt. Jetzt heißt es warten."
Dass die Mühlen der Justiz langsam mahlten, war allgemein bekannt und somit konnte ich mich fein herausreden, dass die Antwort auf sich warten lassen würde.
„Was machst du denn am Wochenende?" erkundigte sich Gwenny anschließend.
„Ich bin am Sonntag bei Seth und Harvey zum Brunchen eingeladen", erwiderte ich wahrheitsgetreu.
„Da wünsche ich dir viel Spaß und grüße die beiden bitte von mir."
„Das mache ich."
Um nicht unhöflich zu sein, erkundigte ich mich bei meiner Freundin, wie ihre Wochenendpläne aussahen, was sie mit einem: „Ich werde zu meinen Eltern fahren und sie endlich über Tony aufklären", beantwortete.
Erstaunt schaute ich in Gwennys Augen. „Du hast ihnen noch nichts gesagt?"
„Ich konnte es nicht, Sienna. Ich war einfach noch zu fertig und zu verletzt. Aber nun geht es wieder aufwärts."
„Das freut mich zu hören."
Langsam griff Gwenny nach meiner Hand. „Bitte versprich mir, dass wir immer füreinander da sein werden, egal, was passiert."
So schlecht wie in jener Sekunde hatte ich mich schon lange nicht mehr gefühlt. Ich musste sie erneut anlügen, meine beste Freundin, mit der ich bisher durch dick und dünn gegangen war. Irgendwann würde ich nicht mehr für sie da sein, irgendwann verschwand ich aus ihrem Leben, so wie sie aus meinem. Es tat weh, daran zu denken, doch ich musste in jenem Moment stark sein; für Fionn, für das ungeborene Kind und für mich selbst.
Unsere Verabschiedung fiel an diesem Tag sehr herzlich und länger aus als gewöhnlich.
„Du bist die Beste, Sienna", flüsterte Gwenny mir ins Ohr, als sie mich an sich drückte.
„Du auch", wisperte ich und hatte Mühe, meine Tränen zurückzuhalten.
„Ich rufe dich an, ok?", sagte ich, bevor unsere Wege sich endgültig trennten.
„Mach das."
Ich schaute ihr so lange nach, bis sie um die Ecke verschwand und erinnerte mich gleichzeitig an ein Gespräch, welches wir vor einigen Monaten geführt hatten. Gwennys damalige Worte lauteten: „Vielleicht findest du irgendwann einen Mann, für den du bis an das Ende der Welt ziehen würdest."
Diesen hatte ich in Fionn gefunden, daran gab es keinen Zweifel.
Als ich nach meinem Arbeitstag am Abend zuhause eintraf, fühlte ich mich wie zerschlagen. Viele Dinge, die meine Lebensänderung betrafen, wurden mir erst jetzt richtig bewusst.
Die Menschen, die ich liebte, sowie meine gewohnte Umgebung würde ich verlassen, um mit einem Mann zusammenzuleben, den ich eigentlich kaum kannte. Und doch war es mein Herz, das mich unaufhaltsam zu ihm trieb. Ich konnte es kaum erwarten, ihn wieder zu sehen, seine Umarmungen zu fühlen, sein hübsches Lächeln auf mich wirken zu lassen, sowie seine Fürsorge und Liebe spüren zu können. Allerdings hatte ich noch immer keine Ahnung, wann unser nächstes Treffen stattfand, was meinen Gemütszustand praktisch zermürbte.
Nachdem ich den Kühlschrank geplündert hatte und mit einem Sandwich auf dem Sofa saß, schaltete ich den Fernseher ein, um mir die Zeit zu vertreiben. Kaum hatte ich den letzten Bissen gegessen, meldete sich das Handy. Augenblicklich beschleunigte mein Puls, als ich feststellte, dass es sich bei dem Anrufer um Alistair handelte.
„Hallo, hier spricht Sienna", meldete ich mich hektisch.
„Hallo, Sienna, wie geht es Ihnen?"
„Danke, es geht", würgte ich hervor.
Was würde er mir nun sagen? Angestrengt lauschte ich seinen nächsten Worten.
„Ich habe zwei gute Nachrichten für Sie, Sienna. Die Erste, ich habe die Formulare für Ihre Übernahme ins das Zeugenschutzprogramm vor mir liegen, die ich Fionn auf dem schnellsten Weg zukommen lassen werde."
„Das ist schön", sagte ich atemlos. „Und was ist die zweite Nachricht?"
„Die wird Ihnen vermutlich noch besser gefallen. Sie dürfen ihn von Freitag bis Sonntag nächster Woche wieder besuchen."
Fast hätte ich laut gejubelt, ich beherrschte mich gerade noch, um Alistair nicht ins Ohr zu brüllen, was sicher nicht angenehm gewesen wäre. Aber er merkte auch so, dass ich mich wahnsinnig freute.
„Danke! Es ist so schön, dass ich ihn schon so bald wieder zu ihm darf."
Gott sei Dank konnte Alistair meine Tränen nicht sehen, welche Ausdruck des unbändigen Glücksgefühls waren, das gerade in mir aufstieg. Noch eine Woche und ein Tag – dann würden Fionn und ich wieder vereint sein. Bis dahin konnte ich mir Gedanken um meinen neuen Namen machen, sowie das Brunchen bei Seth und Harvey genießen, welche ich sofort nachdem ich das Gespräch mit Alistair beendet hatte, über mein Kommen am Sonntag informierte.
Wie zu erwarten, freuten sich beide tierisch darüber und auch ich war froh, ein bisschen Zeit mit meinem Bruder und dessen Lebensgefährten verbringen zu können.
Pünktlich um elf kreuzte ich am Sonntag bei Seth und Harvey auf, die mich beide herzlich begrüßten.
„Du wirst immer hübscher, meine Zuckerpuppe", sagte Harvey.
„Hör auf zu schleimen", wies ich ihn grinsend zurecht.
Seth erkundigte sich nach meinem Befinden und streichelte sogar kurz über meinen Bauch, was ein komisches Gefühl in meinem Innersten auslöste. Zuerst hatte er sich so unmöglich benommen und nun war er wie ausgewechselt.
„Ich kann es kaum erwarten, bis das Baby da ist", sagte er und Harvey unterstrich diese Aussage mit einem Nicken, sowie den Worten: „Dann geben wir eine große Party."
Verdammt, warum wurde plötzlich alles so schwer? Jeder Satz zerriss mein Herz fast entzwei, denn weder Seth noch Harvey würden das Baby jemals zu Gesicht bekommen; eine traurige Vorstellung, die bewirkte, dass ich schnell das Bad aufsuchte um meinen Heulkrampf zu verstecken.
Bereits jetzt war ich mit meinen Nerven am Ende und die ganze Sache hatte noch nicht einmal richtig begonnen. Hoffentlich würde ich meine Entscheidung nie bereuen.
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Hallöchen ihr Lieben, ein neues Update aus Siennas Sicht.
Denkt ihr, sie könnte ihre Entscheidung irgendwann bereuen?
Leicht hat sie es im Moment ja nicht, die Arme.
Vielen Dank für eure Unterstützung bei dieser Geschichte.
LG, Ambi xxx
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