28. Moment of truth
Sienna
Seit meinem Treffen mit Mr Anonym dachte ich an nichts anderes mehr, als Fionn hoffentlich bald sehen zu können. Es lag jedoch in seinem Ermessen, ob dies wirklich geschehen würde. Aber ich gab die Hoffnung nicht auf. Wenn ich diese verlor, konnte ich mich gleich selbst beerdigen.
Obwohl es mir sehr schwer fiel, auf eine Nachricht von Mr Anonym zu warten, versuchte ich so gut es ging, die Zeit herumzukriegen. Dabei half es natürlich, dass mein Urlaub vorbei war und ich wieder der Arbeit nachging.
Wie zu erwarten, stapelte sich diese auf meinem Schreibtisch, als ich am Montagmoren das Büro betrat. Vieles war liegengeblieben, trotzdem läutete ich um punkt sechs Uhr den Feierabend ein. Ich machte mich schon lange nicht mehr verrückt, denn die Gesundheit meines Kindes war mir wichtiger als der ganze Bürokram.
Am Ende der Woche würde der Fetus 15 Gramm wiegen und ungefähr 5,2 Zentimeter groß sein. Mittlerweile hatte ich ein Kilo zugenommen und die ständige Müdigkeit verschwand wie von selbst. Selbst die morgendlichen Übelkeitsattacken blieben aus, worüber ich unglaublich dankbar war. Ich fühlte mich wesentlich besser als zu Beginn der Schwangerschaft und sah auch demnach auch.
Selbst mein Boss machte mir ein Kompliment, als er mich nach meinem dreiwöchigen Urlaub im Büro begrüßte. „Du siehst wirklich gut erholt aus, Sienna. Ich glaube, der Urlaub hat dir gut getan", lauteten seine Worte, welche mich schmunzeln ließen.
Schon sehr bald würde er erfahren, was Sache war. Anfang nächster Woche wollte ich mit der Wahrheit herausrücken, die bestimmt alle im Büro schockieren würde. Sienna Roberts, die Karrierefrau, erwartete ein Baby. Wer der Vater war, ging natürlich keinen etwas an und da ich mein Privatleben in der Vergangenheit strikt aus dem beruflichen Alltag ausgeklammert hatte, würden auch keine Fragen in dieser Hinsicht aufkommen.
Konzentriert erledigte ich meine Arbeit während der nächsten Tage, was mir ein großes Lob durch unseren Boss einbrachte. Noch vor wenigen Monaten hätte mich dies, sinnbildlich gesprochen, zu einem Sprung durch die Decke animiert, doch heute ließ es mich so gut wie kalt. Der Beruf spielte schon lange nicht mehr die erste Geige in meinem Leben.
Am Mittwoch traf ich mich mit Gwenny zum Mittagessen in unserem Stammlokal, eine Zusammenkunft, die ziemlich lustig verlief. Unter anderem berichtete sie über das Kuchenessen bei Seth und Harvey.
„Alexander war auch da."
„Das weiß ich", erwiderte ich grinsend. „Hat er dich gut unterhalten?"
„Oh ja, er ist so witzig, ehrlich."
„Ich weiß. Und er ist kein Schleimer, obwohl er jede Menge Geld, sowie eine der erfolgreichsten Kunstgalerien Londons besitzt", konnte ich mir nicht verkneifen zu sagen.
„Das weiß ich längst, Sienna. Und falls das eine Anspielung auf Tony sein sollte, dürftest du eigentlich am besten wissen, dass ich mit diesem Idioten abgeschlossen habe."
„Ja, Gott sei Dank hast du das getan", entgegnete ich lachend und tauchte meine Gabel in den Salat.
„Dir scheint es viel besser zu gehen", stellte Gwenny erfreut fest.
Als ich lächelte, senkte sie ihre Stimme, um zu fragen: „Hast du eigentlich noch etwas in Puncto Fionn unternommen?"
„Ich habe den Brief noch nicht geschrieben, da ich noch keine richtige Muse dazu hatte", log ich ohne rot zu werden. „Dabei darf mir nämlich kein Fehler unterlaufen", setzte ich noch hinzu.
Innerlich fühlte mich total schlecht, als ich diese Sätze aussprach. Noch immer empfand ich es als traurig, meine beste Freundin anlügen zu müssen, doch mir blieb keine andere Wahl. Der Weg, den ich nun gehen musste, klammerte all die Menschen aus, die mir am Herzen lagen. Aber da Fionn gerade die oberste Priorität in meinem Leben besaß, sah ich mich außerstande, irgendein Risiko einzugehen, indem ich Dinge ausplauderte, die nur für mich bestimmt waren.
Nach dem Essen verabschiedeten wir uns herzlich voneinander, mit dem Versprechen, baldigst zu telefonieren. Seit Gwenny Single und ich ohne Liebhaber war, hatten wir beide nun Zeit im Überfluss. Und da Mr Anonym mir deutlich zu verstehen gegeben hatte, dass ich vor Ende dieser Woche nichts von ihm hören würde, rechnete ich vor dem Wochenende keinesfalls mit einem Anruf oder einer Nachricht. Allerdings sollte ich mich in dieser Hinsicht täuschen.
Es war Donnerstagabend, sieben Uhr, als mein Handy sich plötzlich meldete. Ich war gerade dabei, mein Abendessen zuzubereiten und hetzte nun aus der Küche ins Wohnzimmer, da ich das Handy dort auf dem Tisch hatte liegen lassen. Als ich den Namen Anonym aufleuchten sah, begann mein Herz automatisch zu rasen.
„Hallo, hier ist Sienna", meldete ich mich nervös.
Verständlicherweise waren meine Nerven zum Zerreißen gespannt.
„Hallo, Sienna", meldete sich die bekannte Stimme des kleinen, dicken Mannes.
Ich erkannte diese sofort wieder.
„Ich würde mich gerne heute noch mit Ihnen treffen. Schaffen Sie es gegen acht Uhr an der O2 Arena zu sein?"
„Ja, das schaffe ich", stieß ich hervor.
Mein Puls beschleunigte gerade ins Unermessliche, da ich ahnte, dass er mit Fionn gesprochen hatte.
„Gut, ich werde dort am Haupteingang auf Sie warten. Also bis dann."
Keuchend rannte ich durch die Wohnung, ich war so aufgeregt, dass ich fast das Essen vergaß. Meine Jogginghose landete auf dem Boden, ebenso das Sweatshirt. Schnell schlüpfte ich in eine der neuen, dehnbaren Jeanshosen und streifte ein schwarzes Shirt mit langen Ärmeln über. Anschließend rannte ich ins Bad, um meine Haare durchzubürsten.
Hektische rote Flecken zeichneten sich deutlich auf meinem Gesicht ab, was mich wissen ließ, wie sehr mich das Ganze aufregte. Ohne Appetit würgte ich das Abendessen hinunter und trank dazu ein großes Glas Multivitaminsaft.
Gegen viertel vor acht zog ich meine Sneakers, sowie eine sportliche Jacke über, schnappte meine Handtasche und machte mich auf den Weg zur O2 Arena. Noch nie zuvor spürte ich ein derart beklemmendes Gefühl in meiner Brust. Heute würde ich erfahren, wie meine Zukunft aussah. Ob ich darauf hoffen konnte, Fionn jemals wieder zu sehen.
Meine Hände waren eiskalt und mein Puls überhöht, als ich das Ziel vor meinen Augen erblickte: Den Haupteingang des großen, runden Gebäudes, in welchem beinahe jeden Tag Konzerte stattfanden. Auch heute strömten Menschenmengen hinein, die mir die Sicht auf den Eingang erschwerten. Trotzdem setzte ich meine entschlossen Schritte fort. Mr Anonym war aufgrund seiner geringen Körpergröße leider sehr schwer auszumachen, doch er entdeckte mich sofort. Bevor ich mich versah, kam er aus der Menge auf mich zugelaufen, schritt an mir vorbei und raunte mir ein freundliches „Bitte folgen Sie mir", zu.
Das tat ich ohne Umschweife, bis wir vor einem großen, schwarzen Wagen stehenblieben, welcher im Bereich, der für die Taxis vorgesehen war, parkte. Galant hielt Mr Anonym einer der hinteren Türen für mich auf, damit ich zuerst einsteigen konnte, bevor er sich zu mir gesellte.
Zu meiner großen Überraschung trug er heute einen schwarzen Hut, einen schwarzen Anzug, sowie ein weißes Hemd. In meinen Augen passte auch dieses Outfit ausgesprochen gut zu ihm, obwohl der Strohhut keineswegs übel an ihm ausgesehen hatte. Zwischen dem Fahrer und uns befand sich eine Trennscheibe, die verhinderte, dass jemand unser Gespräch belauschen konnte. Als der Wagen sich in Bewegung setzte, begann er zu sprechen.
„Guten Abend, Sienna. Es tut mir leid, dass ich so kurzfristig hierher bestellt habe, aber es ging nicht anders."
„Das..., ist schon ok", erwiderte ich noch immer mit klopfendem Herzen.
Verzweifelt versuchte ich das Zittern meiner Beine zu ignorieren und mich auf seine nächsten Worte zu konzentrieren.
„Ich will es kurz machen und Sie gar nicht lange auf die Folter spannen. Er hat ja gesagt, er möchte Sie sehen."
Mir fiel ein Stein vom Herzen und meine Stimme war nur noch ein heiseres Flüstern. „Oh mein Gott, ich fasse es nicht."
Obwohl ich versuchte die Freudentränen zurückzuhalten, gelang es mir nicht. Sie strömten einer Sturmflut gleich aus meinen Augen, tropften auf meine Arme und auf meinen Schoss, so lange, bis Mr Anonym mir ein Papiertaschentuch reichte. Dankend nahm ich es an, putzte meine Nase und trocknete meinen zahlreichen Tränen.
„Geht es jetzt besser?", erkundigte sich mein Gesprächspartner fürsorglich, was ich zuerst mit einem Nicken beantwortete, bevor ich zum Sprechen ansetzte.
„Ja, viel besser, jetzt, da ich weiß, dass ich ihn sehen werde."
„Das ist schön."
Er lächelte mich an, streckte mir seine Hand entgegen und sagte: „Ab heute nennen Sie mich bitte Alistair."
Als ich seine warme Hand ergriff, fühlte ich mich plötzlich gut aufgehoben. Er wirkte so väterlich, eine Eigenschaft, die mein Herz erwärmte.
„Nun denn, wir haben nicht viel Zeit, denn wir begeben uns morgen schon auf die Reise", plapperte er weiter.
„Morgen schon?!" Die Überraschung war total auf meiner Seite.
„Ja, denn morgen ist Freitag. Da Sie arbeiten müssen, dachte ich, das Wochenende würde gut passen. Morgen, gleich nach Feierabend geht es los und am Sonntagabend werden wir wieder zurückkehren", klärte er mich auf.
Bei dem Versuch einen Freudenschrei zu unterdrücken, scheiterte ich kläglich.
„Das ist so toll!", jubelte ich überwältigt. „Ich kann es immer noch nicht fassen."
Alistair grinste verschmitzt drein und zwinkerte mir zu.
„Das glaube ich Ihnen gerne, Sienna. Um nochmal zur Sache zu kommen. Packen Sie am besten gleich eine kleine Reisetasche mit allem, was sie übers Wochenende so benötigen, dann ersparen Sie sich morgen den Stress."
„Das werde ich auf jeden Fall machen! Ich kann es gar nicht erwarten, bis es losgeht", gab ich ehrlich zu.
„Verständlich. Wir fliegen übrigens, also halten Sie Ihren Pass bereit."
Erstaunt blickte ich zu Alistair.
„Wir fliegen? Wie lange denn?"
Doch wie immer verschwieg er die wesentlichen Dinge.
„Das werden Sie dann schon feststellen", lautete seine Antwort, begleitet durch ein väterliches Grinsen.
„Sie werden morgen von einer schwarzen Limousine von zu Hause abgeholt. Machen Sie bitte um drei Uhr Feierabend, denn der Wagen wird um vier bereitstehen. Dann können Sie sich noch ein wenig frisch machen. Wir fliegen von London City aus und ich werde sie bereits am Flughafen erwarten. Machen Sie sich keine Sorgen, der Fahrer weiß, wo er anhalten muss, damit wir uns nicht verfehlen."
Jede Information sog ich begierig auf. Es würde kein Problem sein, das Büro gegen drei Uhr zu verlassen, also sollte alles glatt laufen. Trotzdem tauchte eine noch sehr wichtige Frage in meinem Kopf auf, welche ich sogleich formulierte.
„Weiß Fionn, dass ich schwanger bin?"
Alistair schüttelte seinen Kopf. „Nein, ich wollte es Ihnen überlassen, ihm das zu sagen. Schließlich ist dies eine Sache zwischen euch beiden. Wenn er sich freilich stur gestellt hätte, dann hätte ich es ihm an den Kopf geknallt. Aber er war fast so zahm wie ein Lamm, als er hörte, dass ich Sie zu ihm bringen möchte."
Unsicherheit stieg in mir auf „Und wenn er deswegen sauer auf mich ist? Immerhin wusste er nicht, dass ich die Pille nicht vertrage."
„Fionn hat jederzeit die Möglichkeit mich zu kontaktieren. Wenn er also nicht mehr mit Ihnen reden will, oder Sie nicht mehr mit ihm, werde ich Sie abholen und nach Hause bringen, so einfach ist das", erklärte er mit ernster Stimme.
Ich wollte nicht hoffen, dass es so ausging. Mein sehnlichster Wunsch war, dass er sich über diese Nachricht freuen würde, so, wie ich mich auf das Baby freute. Es brauchte nur eine Frage seinerseits, und ich würde mit ihm gehen – bis ans Ende der Welt. Diese Tatsache wurde mir in jenem Moment klarer denn je. Ich liebte ihn und ich war bereit, alles für ihn aufzugeben.
Meinen Job, meine Heimat, mein Leben. Seth, Harvey und Gwenny, die Menschen, die mir am nächsten standen. Doch keiner der drei würde jemals den Vater meines Kindes ersetzen. Ich begriff, dass sich alles ändern konnte, wenn ich mich für Fionn entschied. Denn die Frage, ob er sich auch für mich entscheiden würde, blieb nach wie vor offen.
Als der Wagen mich um kurz nach halb zehn fast vor meiner Haustür absetzte, schaute ich Alistair lange an.
„Ich danke Ihnen für alles", wisperte ich leise.
„Nicht dafür. Das ist schon ok."
Ein warmer Händedruck zwischen uns beendete das Treffen. Beschwingt sprang ich aus dem Taxi, um schleunigst ins Haus zu laufen. Ich war so aufgeregt, dass ich an nichts anderes mehr denken konnte. Morgen würde ich Fionn endlich sehen und ihm sagen können, dass ich sein Kind unter meinem Herzen trug.
Ein wenig mulmig wurde mir schon dabei zumute, doch ich hoffte, dass es gut ausgehen würde. Fionn war so ein liebenswerter Mensch, der Wärme und Herzlichkeit ausstrahlte. Immer wieder erinnerte ich mich an unsere Begegnung im Krankenhaus, als wir uns zum ersten Mal wirklich sehen konnten. Er hatte gelächelt und mich „Baby" genannt, so wie einst im Black Room.
Wie gerne wollte ich für immer diesen Kosenamen behalten, morgens von ihm angesprochen werden, wenn wir zusammen im Bett lagen und erwachten. Für einen Moment schloss ich meine Augen. Wie sollte das alles funktionieren? Alistair hatte mir schließlich zu verstehen gegeben, dass Fionn nach wie vor den Beruf eines Priester ausüben wollte. Aber vielleicht würde das Baby seine Entscheidung beeinflussen, darauf konnte ich nur hoffen. Ansonsten zerbrach mein Traum von einer Familie, bestehend aus Fionn, dem Baby und meiner Wenigkeit, in tausend Scherben.
Alistairs Rat befolgend begann ich sofort meine kleine Reisetasche zu packen. Unterwäsche, Schlafanzug, Shirts, eine Strickjacke, sowie eine der neuen Jeans landeten darin. Außerdem platzierte ich bereits den Kulturbeutel neben das Waschbecken, damit ich morgen solche Dinge wie Zahnpasta und Zahnbürste nicht vergaß.
Nachdem alles soweit gerichtet war, legte ich mich ins Bett und versuchte einzuschlafen. Ich scheiterte kläglich, denn meine Gedanken standen nicht still. Immer wieder tauchte das Szenario in meinem Kopf auf, dass Fionn das Baby, und somit auch mich, ablehnen würde. Es zerstörte sein Leben, zumindest was die berufliche Laufbahn anging.
Ich sollte mir wirklich dahingehend keine allzu großen Hoffnungen machen und einfach nur froh sein, dass er die Bereitschaft zeigte, mich treffen zu wollen. Vielleicht würde es trotz des Zeugenschutzprogramms die Möglichkeit geben, in Kontakt zu bleiben, da uns ein Kind miteinander verband. Alistair konnte sich absolut sicher sein, dass ich bezüglich Fionn und seines Verbleibs, nichts ausplaudern würde.
Die Zeit verrann, während ich mich im Bett hin und her wälzte. Als ich auf die Uhr schaute, zeigte diese halb zwei in der Nacht und ich hatte noch keine Sekunde geschlafen. Morgen stand mir ein überaus anstrengender Tag bevor und deshalb beschloss ich, zu meinem altbewährten Schlafmittel zu greifen, nämlich Filme anzuschauen.
Zwei Minuten später lag ich in einer Kuscheldecke eingemummelt auf dem Sofa im Wohnzimmer, während der Fernseher lief. Es dauerte keine Viertelstunde, da wurden meine Augenlider schwer und senkten sich herab.
Als ich am nächsten Morgen durch die Weckfunktion des Handys erwachte, lief gerade der Abspann einer Dokumentation. Obwohl ich nur fünf Stunden geschlafen hatte, fühlte ich mich frisch und ausgeruht. Das Adrenalin schoss förmlich durch meinen Körper, als ich mich erhob, um den Tag anzugehen. Wie sehr sehnte ich bereits jetzt den Feierabend herbei, aber leider wurde meine Geduld bis dahin noch einige Male strapaziert.
Es fühlte sich an wie eine Erlösung, als die Zeiger meiner Armbanduhr endlich auf drei Uhr rückten und ich somit gehen konnte. Nachdem ich den noch im Büro verbleibenden Kollegen noch ein schönes Wochenende gewünscht hatte, beeilte ich mich zur U-Bahn Station zu gelangen. Erleichtert atmete ich auf, als ich gegen kurz vor halb vier die Tür zu meiner Wohnung aufschloss. Schnell zog ich mich um, deponierte den Kulturbeutel in der Reisetasche und vertilgte eine Banane, bevor ich den Trip ins Ungewisse startete. Als ich aus der Haustür trat, stand bereits die angekündigte Limousine auf der Straße.
„Zum Flughafen London City, bitte", wies ich den Fahrer an, der vielsagend lächelte.
Für einen Moment war es mir vollkommen entfallen, dass er genau wusste, wo er mich abzuliefern hatte, aber nun fiel es mir wieder ein.
Regen tropfte gegen die Scheiben des Wagens, der seinen Weg zum Flughafen fortsetzte. Wohin würde diese Reise mich führen und was würde mich dort erwarten? Meine aufkommende Nervosität bewirkte, dass ich andauernd mit dem Reißverschluss meiner Jacke spielte. Hoffentlich ging diese Fahrt bald zu Ende.
Als das Gebäude des Flughafens endlich vor meinen Augen auftauchte, atmete ich halbwegs erleichtert auf. Zu meiner großen Überraschung stoppte der Wagen nicht vor einem der Eingänge, sondern umfuhr das Gebäude, bis er schließlich in der Nähe eines Privatjets parkte. Die Gangway war bereits heruntergelassen und ich erblickte, Alistair, der grinsend auf mich zukam.
„Hallo, Sienna, geht es Ihnen gut?", begrüßte er mich freundlich.
„Ja, ich bin nur ein bisschen nervös."
„Ich vermute, das wird sich auch nicht so schnell geben", entgegnete er, bevor er nach meiner Reisetasche griff.
„Aber", wollte ich protestieren, doch Alistair schüttelte energisch seinen Kopf.
„Es kommt nicht in Frage, dass Sie die Tasche tragen", erklärte er bestimmt.
Seufzend gab ich mich geschlagen und trabte neben ihm her, bis wir schließlich die Gangway erreichten. Noch immer hatte ich keine Ahnung, wohin die Reise ging. Im Moment war ich auch eher damit beschäftigt, das luxuriöse Innere des Privatjets in Augenschein zu nehmen. Schließlich flog ich zum ersten Mal in solch einem Teil.
Nachdem Alistair und ich unsere Plätze eingenommen hatten, schnallte ich mich an und wartete einfach ab. Es dauerte gar nicht lange, bis der Pilot die Startfreigabe anforderte und in diesem Zusammenhang fiel der Name unseres Ziels: Cork.
„Wir fliegen nach Irland?", fragte ich erstaunt.
„Ja. Waren Sie schon einmal dort?"
„Nein, noch nie."
„Es ist wunderschön."
Unruhig ließ ich meine Augen zur Startbahn wandern. In wenigen Minuten würden wir uns in der Luft befinden, auf einem Flug, der mich endlich zu Fionn brachte. Aufgewühlt wie noch nie kramte ich in meiner Handtasche nach den Kaugummis, die ich jedoch nicht finden konnte. Dabei war ich mir sicher, sie eingesteckt zu haben. Zum Glück schien Alistair jedoch vorgesorgt zu haben, denn er reichte mir plötzlich ein Päckchen Pfefferminzkaugummis, aus welchem ich einen herauszog.
„Danke, Sie sind meine Rettung", seufzte ich.
Nachdem Alistair sich ebenfalls einen Kaugummi in den Mund geschoben hatte, legte er kurz eine Hand auf meinen Arm und sagte: „Machen Sie sich nicht verrückt, er wird Sie nicht fressen. Da bin ich mir sicher."
Ich war es in diesem Augenblick nicht.
Unser Flug nach Cork, der pünktlich startete, dauerte weniger als eine Stunde. Doch Alistair ließ mich sogleich wissen, dass noch eine Fahrt von zweieinhalb Stunden vor uns lag, welche wir in einem Mietwagen zurücklegten. Wir würden unser Ziel also nicht vor acht Uhr abends erreichen.
Unruhig rutschte ich auf dem Beifahrersitz hin und her, während Alistair das Auto sicher durch die engen Kurven steuerte. Da es noch hell draußen war, konnte ich mir die wundervolle Landschaft betrachten. Baumkronen, die über der Straße zusammenwuchsen und keinen Blick mehr auf den Himmel gewährten, waren ebenso vorhanden wie grüne Wiesen mit unzähligen Blumen. Beinahe an jeder Ecke entdeckte ich etwas außergewöhnlich Schönes und hätte Alistair sicher mehrmals zum Anhalten gezwungen, wenn unser Trip den Charakter einer normalen Urlaubsreise besessen hätte.
Wir passierten eine Ortschaft mit dem Namen Killarney, die ausgesprochen schön auf mich wirkte; so, wie alles, was ich bisher von Irland zu Gesicht bekommen hatte.
„Wie lange fahren wir denn noch?", erkundigte ich mich seufzend.
„Etwas über eine Stunde, warum?"
„Dann sollten wir anhalten. Ich muss mal."
Die Begleiterscheinung der Schwangerschaft, ständig die Blase entleeren zu müssen, störte gerade während solcher Unternehmungen gewaltig. Aber ich konnte es nicht ändern. Alistair nutzte die kurze Pause, um zwei Brötchen, sowie Getränke für uns zu kaufen. Als ich meinen Anteil dafür bezahlen wollte, lehnte er jedoch ab.
„Sie sind eingeladen, Sienna. Lassen Sie Ihr Geld stecken, sonst werde ich böse."
Seufzend ließ ich die Geldbörse zurück in die Handtasche gleiten und griff anschließend nach dem Brötchen, welches Alistair mir reichte. Hungrig wie ich war, vertilgte ich es binnen kürzester Zeit, während wir unaufhaltsam unserem Ziel entgegenfuhren. Noch immer blickte ich aus dem Fenster und ließ die Landschaft auf mich wirken, wobei meine Gedanken ständig zu Fionn abschweiften.
Wie würde wohl seine Reaktion auf die Mitteilung, dass er Vater wurde, ausfallen? Immer wieder malte ich mir verschiedene Szenarien aus, die mich keineswegs ruhiger werden ließen. Auch Alistair spürte meine zunehmende Nervosität, denn er sagte plötzlich: „In zwanzig Minuten sind wir da, Sienna. Ich werde Sie vor dem Haus absetzen und euch beide dann alleine lassen. Und wie gesagt, Fionn kann mich jederzeit erreichen."
Ich wollte nicht hoffen, dass die Sache mit einer vorzeitigen Abreise meinerseits aus Irland endete. Nichts wäre schöner, als ein komplettes Wochenende gemeinsam mit Fionn verbringen zu können.
Als ein Ortsschild mit dem Namen Ballinskelligs vor meinen Augen auftauchte, hörte ich Alistair sagen: „Jetzt sind wir gleich da."
Er steuerte den Wagen noch um zwei enge Kurven und dann tauchte ein kleines, gemütlich wirkendes Haus in meinem Blickfeld auf. Mein Herz begann zu rasen, noch bevor ich das Auto verließ. Nur am Rande registrierte ich, dass Alistair meine Reistasche auslud, um diese direkt vor der Haustür abzustellen.
„Also, Sienna, ich verabschiede mich dann einstweilen von Ihnen. Drücken Sie auf die Klingel, er wird Ihnen dann schon öffnen."
Sein warmer Händedruck sollte mich eigentlich beruhigen, doch das Gegenteil trat ein. Meine Atmung beschleunigte ins Unermessliche, doch ich wartete noch, bevor ich die Klingel betätigte. Das tat ich erst, nachdem Alistair im Wagen verschwunden war und davonbrauste.
Bange Sekunden des Wartens vergingen, dann wurde die Tür mit einem Ruck geöffnet.
Der Moment, als ich in seine blauen Augen schaute machte mich sprachlos. Fionn war noch viel hübscher, als ich ihn in Erinnerung hatte. Auch er schaute mich zunächst nur an, ohne ein Wort zu sagen. Es fühlte sich an, als ob wir uns gegenseitig mit unseren Blicken abtasteten, um herauszufinden, ob der andere wirklich der Realität entsprang, oder eher einem Traum. Nach einem Augenblick, der sich anfühlte wie die eine Ewigkeit, ging Fionn einen Schritt auf mich zu und schloss mich in seiner Arme.
„Ich bin so froh, dass du hier bist, Sienna", hörte ich ihn flüstern, während er sein Gesicht in meinem Haar vergrub.
Unfähig, etwas zu erwidern, schluchzte ich leise vor mich hin. Die Anspannung der letzten Wochen löste sich automatisch, als ich die Geborgenheit spürte, die von seiner Umarmung ausging. Es war wie damals, im Black Room. Nichts schien sich seitdem zwischen uns verändert zu haben und doch musste ich ihn über etwas in Kenntnis setzen, das sein Leben von einer zur anderen Sekunde auf den Kopf stellen würde.
„Nicht weinen, Baby, alles ist gut", wisperte er in einer überaus sanften und gleichzeitig kratzigen Tonlage, die sofort eine Gänsehaut auf meinem Körper produzierte. Ebenso wie seine nächsten Worte. „Oh Gott, Sienna, ich hab dich so vermisst."
Mein innerliches Zittern verstärkte sich, obwohl oder vielleicht gerade weil er mich noch immer fest umschlungen hielt. Jetzt war es an mir, etwas zu sagen.
„Ich..., ich hab dich auch vermisst, Fionn."
„Du hast so lange nach mir gesucht."
Als er diese Worte aussprach, lösten sich unsere Körper ein wenig voneinander und wir konnten uns in die Augen schauen. Ich rang mit mir, um sein Lächeln nicht zu zerstören, das sich auf seinem hübschen Gesicht bildete, als er mich mit einem zärtlichen Blick bedachte. Aber ich musste ihm die Wahrheit sagen, die Gründe, warum ich hier, vor ihm stand.
Doch zunächst schnappte Fionn meine Tasche, um diese in das gemütliche Haus zu tragen. Ich folgte ihm auf den Fersen und als er das Gepäckstück neben dem Sofa im Wohnraum abstellte, ergriff ich meine Chance.
„Fionn", begann ich zögerlich.
„Ja, Baby?"
Tränen bildeten sich in meinen Augen, bevor die nächsten Worte über meine Lippen kamen. „Da ist etwas, was ich dir sagen muss", wisperte ich leise.
„Was denn?", fragte er unruhig, während seine blauen Augen prüfend über mein Gesicht huschten.
Ich wich seinem Blick nicht aus, sondern hielt diesem stand, und der nächste Satz, den ich nun aussprach, kostete mich meine letzten Kräfte.
„Ich bin schwanger von dir, Fionn."
Jetzt war es endlich draußen.
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Hey ihr Lieben, ich hoffe, ich konnte euch mit diesem neuen Update erfreuen.
Was glaubt ihr, wird Fionn nun tun? Wie wird er reagieren?
Konntet ihr Siennas Ängste in diesem Kapitel nachvollziehen?
Vielen Dank für eure Kommentare und Votes zu dieser Geschichte. :)
LG, Ambi xxx
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