26. Third Step

Sienna


„Morgen, drei Uhr nachmittags, Entenfüttern, Duck Island, im St. James Park."

Insgesamt las ich diese Nachricht fünfmal, um mich zu vergewissern, dass ich nicht einem Traum zum Opfer fiel. Doch die Zeilen blieben real. Obwohl sie keine Unterschrift trugen, ging ich fest davon aus, dass sie von Rosie stammten. Logischerweise wurde der Absender als Anonym angezeigt, da ich ihre Telefonnummer nicht kannte. Aber wer sonst, außer Rosie, sollte mir solch eine Mitteilung schicken?

Aufgeregt ging ich in meinem Wohnzimmer auf und ab. Gerade jetzt hätte ich dringend jemanden zum Reden gebraucht, aber genau das durfte ich nicht tun. Auf der einen Seite fiel eine tonnenschwere Last von mir, weil ich fest daran glaubte, dass Rosie positive Nachrichten für mich haben würde, auf der anderen Seite hatte ich Angst, da mich niemand auf diesem Weg begleiten konnte. Vollkommen auf mich alleine gestellt, harrte ich nun der Dinge, die da kamen.

Verständlicherweise schlief in jener Nacht sehr unruhig, wurde zwischendurch immer wieder wach und schaute auf das Handy, ob die Nachricht noch vorhanden war. Nicht, dass ich dies doch nur geträumt hatte. Doch die Zeilen blieben bestehen, ebenso der Name Anonym in der Kontaktliste. Trotz des Schlafdefizites erwachte ich am Morgen gegen neun Uhr, mit klopfendem Herzen und der Gewissheit, dass ich heute auf Rosie treffen würde.

Ohne Hast erhob ich mich aus dem Bett, zog die Gardinen zurück und blickte auf einen strahlendblauen Himmel. Solche Tage waren selten in London, doch hin und wieder tauchten sie auf und verwandelten die Stadt in eine wunderschöne, entzückende Metropole. Ich liebte London über alles, das wurde mir mit jedem Tag mehr bewusst. Seufzend schlenderte ich in die Küche, um Tee zuzubereiten. Noch immer brachte ich am Morgen keinen Bissen hinunter, das war erst gegen Mittag möglich und deshalb blieb es bei zwei Tassen Früchtetee.

Als ich aus der Dusche zurückkehrte, meldete sich Gwenny telefonisch bei mir.

„Hey, Sienna, ich wollte dich fragen, was du heute so vorhast", plapperte sie drauflos.

„Ähm, ich, - also mir geht es heute nicht so gut", stammelte ich hastig.

„Wirklich? Oh nein! Das tut mir echt leid! Ich wollte dich fragen, ob wir uns treffen können, das Wetter ist nämlich gigantisch."

„Das habe ich bereits bemerkt", erklärte ich mit klopfendem Herzen.

Es tat unglaublich weh, seine beste Freundin anlügen zu müssen, aber niemand durfte erfahren, dass ich mich mit einer Frau namens Rosie traf, die hoffentlich mit Informationen bezüglich Fionn herausrücken würde. Gwennys nächster Satz beförderte mich allerdings beinahe rücklings auf das Sofa.

„Soll ich vielleicht bei dir vorbeikommen?"

Jetzt musste ich schnell und vor allem klug reagieren.

„Nein, nein, genieße du nur die Sonne. Es reicht doch, wenn ich zuhause bleiben muss", versuchte ich sie zu beschwichtigen.

„Bist du dir sicher? Wir könnten eine bisschen reden, Tee trinken oder einen Film schauen."

Meine beste Freundin war genauso hartnäckig wie ich, wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hatte. Und heute sollte dies wohl der Besuch sein, welchen sie mir abzustatten gedachte. Da ich mein Treffen mit Rosie bereits stark gefährdet sah, griff ich nun zu einer absoluten Notlüge.

„Gwenny, ich will mich heute echt nur ausruhen. Kein Besuch, keine Filme, denn ich werde vermutlich einen ausgedehnten Mittagsschlaf machen und später einige Unterlagen sortieren. Das hatte ich mir schon lange vorgenommen und durch die ganze Sache mit Fionn ist es immer liegengeblieben."

Diese Ausrede schien wirklich zu ziehen, denn Gwenny sagte: „Ok, dann will ich dich nicht stören. Aber solltest du doch noch Lust verspüren..."

Sofort fiel ich ihr ins Wort. „Dann melde ich mich bei dir, versprochen."

Nachdem wir das Telefonat beendet hatten, atmete ich erleichtert auf. Diese Hürde hatte ich erfolgreich genommen, hoffentlich folgten nicht noch weitere. Doch die halbe Welt schien sich heute gegen mich verschworen zu haben, denn kaum legte ich das Handy zur Seite, meldete es sich erneut. Dieses Mal war es Harvey, der mich sprechen wollte.

„Hey, Schätzchen, wie geht es dir?", flötete er ins Telefon.

„Danke gut, ich bin nur müde", baute ich bereits vor.

„Das ist aber schade. Seth und ich wollten dich nämlich nachher zu Kaffee und Kuchen einladen. Wenn du später auf dem Sofa einschlafen solltest, ist das für uns auch kein Problem, das weißt du ja."

Langsam traten Tränen in meine Augen. Ich musste all die Menschen, die mir etwas bedeuteten anlügen, um eine Spur zu verfolgen. Die Spur, zu dem Vater meines Kindes, in den ich hoffnungslos verliebt war. Eigentlich sollte diese Tatsache normal sein, aber in diesem Fall mutete es schon reichlich grotesk an. Auch Harvey kam eine Abfuhr, obwohl es mir in der Seele wehtat, vor allem, als er erwähnte, dass er Schokoladenkuchen gebacken hätte. Für meinen absoluten Lieblingskuchen ließ ich ansonsten immer alles liegen und stehen. Aber heute musste ich darauf verzichten.

„Weißt du was, Harvey? Lade doch Gwenny ein. Sie wollte heute unbedingt etwas mit mir unternehmen, aber ich musste ihr aus den gleichen Gründen eine Absage erteilen, wie ich es jetzt bei dir tue. Bestimmt würde sie sich bestimmt freuen, euch zu sehen."

Glücklicherweise ging Harvey sofort auf meinen Vorschlag ein, was mein schlechtes Gewissen ein wenig schmälerte. Als er dann noch erwähnte, dass Alexander Rossi ebenfalls mit von der Partie sei, klang das ganz nach einem perfekten Nachmittag. Gwenny würde sich bestimmt köstlich amüsieren und ich gönnte ihr durchaus den leckeren Schokoladenkuchen, obgleich ich selbst gerne ein Stück davon gegessen hätte. Zum Glück erbarmte sich Harvey, der meine Neigungen, was die Gaumenfreuden anging, durchaus kannte.

„Weißt du was, Zuckerpuppe? Ich hebe dir ein Stück Kuchen auf. Du kannst es ja morgen nach der Arbeit bei uns abholen."

„Das ist eine super Idee!"

Angesichts der Tatsache, dass Canada Water fast auf meinem Heimweg lag, wollte ich diesen kleinen Umweg gerne in Kauf nehmen, um meiner Sucht nach süßen Speisen zu frönen.

„Also dann bis morgen, Schätzchen."

„Bis morgen, Harvey."

Nach dieser überaus kurzen Verabschiedung seufzte ich erleichtert auf. Jetzt stand dem Treffen mit Rosie im St. James Park absolut nichts mehr im Weg. Doch vorher aß ich zu Mittag und machte mich anschließend ein wenig zurecht. Ein dezentes Make-up sollte reichen, um meine Blässe zu überdecken, ebenso brachte ich meine Haare etwas in Schwung, indem ich sie kurz mit einem Lockenstab bearbeitete. Ich wollte ordentlich aussehen, wenn ich Rosie gegenübertrat, denn bei unserem letzten Treffen hatte sie mich in einem eher jämmerlichen Zustand zu Gesicht bekommen.

Um viertel nach zwei trat ich schließlich den Weg zur U-Bahn an, um pünktlich im St. James Park zu sein. Je näher ich meinem Ziel kam, desto nervöser wurde ich. Ich hatte keine Ahnung, was Rosie mir sagen würde, ob es überhaupt positive Nachrichten waren, oder eher nicht. Doch ich wollte die Hoffnung nicht aufgeben, dass ich etwas über Fionn erfahren würde.

Als ich die U-Bahn nach dreißig Minuten Fahrt an der Zielhaltestelle verließ, spürte ich, wie meine Beine zitterten. Hoffentlich schaffte ich es bis zum Park ohne zusammenzubrechen. Innerlich mobilisierte ich alle meine Kräfte, setzte einen Fuß vor den anderen und dachte an Fionn. Ich musste ihn finden, ich musste einfach!

Endlich kam ich im Bereich Duck Island an, dort wurden die Enten gefüttert. Da ich etwas zu früh war, ging ich nicht davon aus, dass Rosie bereits wartete. Bei näherem Umsehen konnte ich sie auch nirgends bemerken und deswegen setzte ich mich auf eine der unbesetzten Bänke, während ich meine Augen über den Teich wandern ließ, auf welchem die Enten schwammen. Kaum flogen die ersten Brotkummen, watschelten sie an Land und machten sich gierig über das Futter her.

Da ich das Federvieh sehr interessiert beobachtete, bekam ich zunächst gar nicht mit, dass sich ein Mann neben zu mir auf die Bank setzte. Erst als dieser einige Brotkrummen zu den Vögeln warf, bemerkte ich ihn. Er war klein und von dicklicher Gestalt, trug eine beige Hose, ein weißes Hemd und darüber eine dunkelblaue Strickjacke. Das Auffälligste waren jedoch seine Sonnenbrille, mit den runden Gläsern und sein Strohhut, der ziemlich lustig wirkte, aber perfekt zu ihm passte.

„Gierige, kleine Biester", sagte er lächelnd und warf erneut eine Handvoll Brotkrummen in Richtung der Enten.

Unweigerlich musste ich schmunzeln.

„Warum füttern Sie sie dann, wenn sie so gierig sind?", meinte ich lachend.

Es machte Spaß den Vögeln zuzuschauen, die unaufhörlich schnatterten, während jeder versuchte, die meisten Brotkrummen aufzupicken. Der Mann lachte nun ebenfalls und legte einige Brotkrummen neben sich auf die Bank.

„Kommen Sie, versuchen Sie es. Werfen Sie den Enten ihr Futter zu", sagte er und grinste.

Gehorsam griff ich nach den Brotresten und schmiss diese in die Menge der Enten, welche sich sofort darauf stürzten. Das Geschnatter wurde lauter, was mich zu einem Lachen animierte. Doch innerhalb der nächsten Sekunde wurde ich wieder ernst. Nervös blickte ich auf meine Armbanduhr, um festzustellen, dass es bereits zehn nach drei war. Als ich mich umschaute, war von Rosie weit und breit nichts zu sehen. Vielleicht hatte sie sich verspätet. Der Mann neben mir schien meine Unsicherheit zu bemerken, denn er schaute plötzlich zu mir, schmunzelte und sagte: „Sie warten auf jemanden, nicht?"

„Ähm, ja." Mein Herz schlug immer schneller, mein Mund wurde trocken, und ich bekam keinen weiteren Ton heraus.

Warum tauchte Rosie nicht auf? Hatte sie mich etwa vergessen? Oder stammte diese Nachricht gar von jemand anderem? Ich war versucht aufzustehen und wegzugehen, doch der kleine, dickliche Mann sprach plötzlich zu mir.

„Bleiben Sie sitzen, Sienna. Ich bin der, auf den Sie warten."

Das Blut pulsierte so stark durch meine Adern, dass ich glaubte ohnmächtig zu werden. Rosie hatte jemanden geschickt, der mir hoffentlich helfen würde, das begriff ich ihn jenem Moment.

Seine Stimme klang neutral, als er ein „Lassen Sie uns noch ein wenig warten, bis es ruhiger wird", losließ, was ich mit einem Nicken beantwortete.

Noch befanden sich einige Menschen auf Duck Island, um das Federvieh zu füttern, und ich konnte nur hoffen, dass diese bald verschwanden. Währenddessen warf ich immer wieder Brotkrummen in Richtung der Enten, so lange bis die Tüte vor Leere gähnte.

„Alles all", seufzte ich, was mein Banknachbar mit einem Grinsen quittierte.

„Das Futter ist weg und langsam leert es sich", erwiderte er leise, was mein Herz dazu brachte, schneller zu schlagen.

Es raste so sehr, dass sich Schweiß auf meiner Stirn bildete und meine Hände zu zittern begannen. Der Mann schien dies zu bemerken, denn er legte plötzlich eine Hand auf meinen Arm und sagte: „Entspannen Sie sich, ich werde Sie nicht fressen."

Er brachte dies so ulkig hervor, dass ich prompt schmunzeln musste, obwohl mir eigentlich gar nicht danach zumute war.

„Na geht, doch", meinte er grinsend, knüllte die leere Futtertüte zusammen und warf sie anschließend gekonnt in den Papierkorb, welcher sich auf der anderen Seite der Bank befand.

Ich war noch immer viel zu schockiert und aufgeregt, um ein Gespräch beginnen zu können, deshalb wartete ich einfach ab. Und mein Banknachbar enttäuschte mich nicht. Geschickt startete er eine Unterhaltung, zu welcher ich unweigerlich etwas beitragen musste.

„Sie sind schwanger, habe ich mir sagen lassen. In welcher Woche befinden Sie sich denn?"

„Ich bin gerade in die zwölfte Woche gekommen", antwortete ich leise und schaute auf meine Fußspitzen, mit welchen ich vor lauter Nervosität kleine imaginäre Kreise auf den Boden malte.

„Geht es Ihnen gut? Ist alles soweit in Ordnung?"

„Ja. Bitte sagen Sie mir, ob..."

Er unterbrach mich sofort.

„Die Fragen stelle ich, Sienna. Ich werde Sie wissen lassen, wann Sie an der Reihe sind, ok?"

Die Art, wie er diesen Satz von sich gab, ließ darauf schließen, dass er es gewöhnt war, Menschen zu führen. Mein Boss reagierte ähnlich, wenn man sich mit ihm in einem Gespräch befand, welches er zu leiten pflegte. Er ließ sich niemals beirren und das tat dieser Mann auch nicht. Er mochte klein, dicklich und lustig erscheinen, aber er besaß ein ausgeprägtes Selbstbewusstsein, gepaart mit Intelligenz, sowie der Eigenschaft, die Herrschaft über das Gespräch zu behalten. Wenn ich etwas erfahren wollte, würden wir nach seinen Regeln spielen, das war mir durchaus bewusst.

„Sie können mich alles fragen", nuschelte ich leise, meinen Blick noch immer auf den Boden heftend.

„Oh, ich werde Sie alles fragen, machen Sie sich darum keine Gedanken", lautete seine Antwort, bevor er ein Kaugummipäckchen aus seiner Hosentasche zog.

„Auch einen?" Er hielt dieses direkt vor meine Nase, sodass ich sehen konnte, dass es sich dabei um Pfefferminzkaufgummis handelte, welche ich abgöttisch liebte. Deswegen griff ich zu. „Danke."

„Bitte."

Entspannt lehnte er sich auf der Bank zurück, blickte gen Himmel und stellte seine nächste Frage.

„Sie sind sich hundert Prozent sicher, dass er der Vater ist?"

Es war unmissverständlich, dass er von Fionn sprach, was mein Herz automatisch höher schlagen ließ.

„Ja, das bin ich. Ich habe mit keinem anderen Mann geschlafen. Seit Monaten nicht", brachte ich hervor.

„Gut." Er nickte zufrieden, bevor er fortfuhr. „Wie haben Sie sich kennengelernt und wann?"

Obwohl ich davon ausging, dass ihm der Umstand unserer Treffen bereits bekannt war, antwortete ich darauf.

„Das war am elften Dezember letzten Jahres, im Black Room eines Swinger Clubs. Er heißt The Secret, Sie können sich gerne die Homepage anschauen."

„Das habe ich bereits getan und ich muss sagen, ich bin durchaus neugierig, was diesen Black Room angeht. Sieht man da wirklich nichts?"

Überrascht starrte ich ihn an. Ich hatte alles erwartet, aber nicht, dass er mich jetzt über den Black Room ausfragte.

„Ähm, ja, also ich meine, man sieht wirklich gar nichts."

„Interessant." Lächelnd kreuzte er seine Arme vor der Brust, um dann zu sagen: „Erzählen Sie mir bitte davon."

„Was?!" Entsetzt starrte ich ihn an, da ich im ersten Moment annahm, dass er tatsächlich Einzelheiten bezüglich unserer Dates erfahren wollte. Doch er durchschaute meine Gedanken sofort.

„Nicht das, ich meine, wie es sich generell anfühlt, nichts zu sehen und sich auf den Rest der Sinne verlassen zu müssen", entgegnete er schmunzelnd, was mich erleichtert aufatmen ließ.

„Also, es ist toll", schwärmte ich ihm vor. „Es ist eine total andere Welt. Man sieht quasi mit seinen anderen Sinnen, mit den Ohren und den Händen und vielleicht auch mit der Nase", erklärte ich.

Gleichzeitig wanderten meine Gedanken in den Black Room. Als ich meine Augen für einen Moment schloss, konnte ich Fionns Hände spüren, die mich zärtlich streichelten. Niemals würde ich vergessen, welche Empfindungen seine Berührungen in mir hervorgerufen hatten. Und in diesem Augenblick wünschte ich mir das alles zurück. Unser Leben im Black Room, unsere Gespräche, den Sex, das Kuscheln, den Geruch seines Aftershaves, der mich betörte, seine Lippen, die mich zärtlich verwöhnten und seine Stimme, die rau und zärtlich zugleich in meinen Ohren erklang. Doch die nächsten Worte meines Gesprächspartners führten mich zurück in die Realität.

„Aber wenn Sie ihn nicht sehen konnten, dann wissen Sie ja gar nicht, wie er aussieht."

„Ich weiß, wie er aussieht, ich habe ihn im Krankenhaus besucht."

Der Mann nahm seine Sonnenbrille ab, sodass ich seine braunen, wachen Augen sehen konnte, die mich nun eindringlich musterten.

„Erzählen Sie mir, wie es dazu kam. Wie Sie herausgefunden haben, dass er im Krankenhaus liegt. Und" – er starrte mich nochmals durchdringend an – „wie oft sie sich in diesem Black Room getroffen haben."

Ich atmete einmal tief durch, bevor ich zu sprechen begann.

„Das erste Mal wie gesagt, am elften Dezember. Insgesamt haben wir uns dreizehn Mal dort gesehen, also ich meine..."

„Schon klar, also Sie haben dreizehn Stunden dort verbracht und sind währenddessen schwanger geworden."

„Ja, ich habe auch eine Vermutung, wann es passiert ist. Ich denke, bei unserem zehnten Mal, als wir eine Flasche Sekt als Überraschungsgeschenk bekamen. Wir waren beide beschwipst und in der Dunkelheit sieht man nicht, ob ein Kondom Risse hat."

„Verstehe, ist ja auch ein bisschen schwierig."

„Und dann kam dieser Freitag, als ich vergeblich auf ihn wartete. Ich blieb die ganze Zeit im Black Room, weil ich hoffte, dass er noch kommen würde, aber das tat er nicht", fuhr ich mit meiner Erzählung fort, was der Mann mit einem Nicken zur Kenntnis nahm.

„Ich bat den Swinger Club um Rückruf, falls er sich melden sollte, aber sie hörten nichts von ihm. Und dann..., also dann stellte ich Anfang März fest, dass ich schwanger war... Ab diesem Zeitpunkt habe ich begonnen, nach ihm zu suchen."

Der Mann blickte kurz in den Himmel, als er gelassen feststellte: „Sie sind ziemlich weit vorgedrungen mit ihren Ermittlungen, wenn ich das mal so bemerken darf. Und es interessiert mich brennend, wie sie das geschafft haben.."

Der Kloß in meinem Hals wurde dicker. Ich konnte Seth nicht verraten, man würde ihn anklagen und einsperren. Doch mein Gesprächspartner ließ nicht locker.

„Wenn Sie nicht reden, kann ich Ihnen nicht helfen, ok?"

Verzweifelt krallte ich meine Finger in meine Oberschenkel. Was sollte ich nur tun? Mir blieb nichts anderes übrig, als zu reden, wenn ich etwas in Erfahrung bringen wollte. Nach einem kurzen Seufzen begann ich zu erzählen.

„Jemand, den ich gut kenne, hat sich in das Computersystem des Swinger Clubs eingehackt und Fionns Adresse herausgefunden. Am nächsten Tag bin ich hingefahren, aber es war nur seine Haushälterin oder Putzfrau da, die mir sagte, dass er nach Irland gefahren sei. Als ich zwei Tage später wieder vorbeischaute, erzählte sie mir, dass er einen Unfall gebaut hätte und im Krankenhaus in Oxford liegen würde. Dort habe ich ihn dann besucht."

Die Erinnerung daran wühlte jede Menge Gefühle in mir auf und brachte mich prompt zum Weinen. Ohne dass ich es zu verhindern vermochte, rannen Tränen über meine Wangen. Trotzdem redete ich weiter, wenngleich meine Stimme auch nur noch aus einem heiseren Flüstern bestand.

„Als ich am nächsten Tag wieder vorbeischaute, erhielt ich die Auskunft, dass Fionn niemals in diesem Krankenhaus gelegen hätte. Dann..., habe ich die Person nochmals um Hilfe gebeten. Er hat sich in das System des Krankenhauscomputers eingehackt und festgestellt, dass alle Daten gelöscht wurden."

Der Mann reichte mir ein Papiertaschentuch, bevor er die nächste Frage stellte.

„Wer ist diese Person, die Ihnen geholfen hat? Steht Sie Ihnen nahe? Also Freund oder Familie?"

Stumm saß ich da, während meine Beine zitterten. Ich hatte noch niemals in meinem Leben solche Angst gehabt.

„Kommen Sie, ich werde denjenigen nicht anzeigen. Das verspreche ich Ihnen. Sie können es mir ruhig erzählen, Sienna."

„Warum wollen Sie es wissen, wenn Sie ihn nicht anzeigen werden?", schoss es aus mir heraus.

Seine Antwort erfolgte blitzartig und machte mir bewusst, dass es hier nur um eine reine Vorsichtsmaßnahme handelte.

„Ich möchte lediglich sicher gehen, dass sie nicht in kriminellen Kreisen verkehren, von denen wir nichts wissen, Sienna. Das ist alles."

Diese Zweifel konnte ich bedenkenlos ausräumen.

„Das tue ich nicht. Derjenige ist mein Bruder, Seth Roberts. Er ist Computerspezialist und besitzt eine eigene Firma."

„Verstehe. Dann besteht ja kein Grund zur Sorge."

Inzwischen hatte der Mann seine Sonnenbrille wieder aufgesetzt und lächelte mich an. Es war ein freundliches, aufmunterndes Lächeln, welches mich ahnen ließ, dass ich und auch Seth nichts zu befürchten hatten.

„Er muss gut sein in seinem Job."

„Das ist er."

Wie auf heißen Kohlen rutschte ich hin und her. Natürlich verstand ich, dass er all diese Fragen stellte, doch ich musste endlich etwas über Fionn erfahren. Dabei wollte ich zunächst nichts weiter hören, als dass es ihm gut ging. Aber der kleine, dicke Mann schien sein Pulver noch nicht verschossen zu haben, was die Fragestunde betraf.

„Ich werde Ihnen jetzt noch eine Frage stellen, Sienna. Und ich möchte, dass Sie diese absolut ehrlich beantworten, ok?"

„Das tue ich, so wie alle anderen Fragen auch", erwiderte ich, wobei der Kloß in meinem Hals dicker wurde. Was wollte er denn noch alles wissen? Ich erwartete, dass er sich nach meinem Arbeitgeber, oder etwaigen Krankheiten erkundigte, doch sein nächster Satz brachte mich innerlich zum Taumeln.

„Warum möchten Sie Fionn finden?"

„Was?!" Ich starrte ihn an, als sei er verrückt. Dann holte ich tief Luft und schmetterte ihm meine Antwort ins Gesicht.

„Ich liebe ihn, verdammt! Nur deswegen will ich ihn finden! Weil ich ihn liebe und ihm sagen möchte, dass ich ein Baby von ihm erwarte!"

Tränen strömten erneut aus meinen Augen, während ich am ganzen Leib zitterte.

„Verstehen Sie das denn nicht?", wisperte ich leise, mit gesenktem Kopf. „Ich liebe Fionn... und... ich möchte doch nur zu ihm. Ich muss ihn sehen..."

Als ich anfing zu schluchzen, griff der Mann nach meiner linken Hand, drückte diese sanft und nickte mir zu.

„Alles ist gut, Sienna. Machen Sie sich keine Sorgen."

Die Tränenflut wurde stärker, doch diese entsprang jetzt der Erleichterung, die sich in mir ausbreitete. Fionn ging es gut und dieser Mann wusste genau, wo er sich befand, da war ich mir sicher.

„Sienna, Sie sollten mir jetzt gut zuhören, ok?" Als seine Stimmer erklang, spitzte ich die Ohren, trocknete meine Tränen und richtete den Blick auf ihn.

„Unser Gespräch hat niemals stattgefunden. Sie dürfen mit niemanden darüber reden, haben Sie das verstanden?"

Als ich nickte, redete er weiter. „Ich will ehrlich zu Ihnen sein, Sienna. Solch einen Fall hatte ich noch nie in meiner langen, beruflichen Laufbahn. Es gab Ehepartner, Kinder, Verlobte und Lebensgefährten, die wir ins Zeugenschutzprogramm aufgenommen haben. Aber noch niemals eine Frau, die unser Klient in einem Black Room eines Swinger Clubs kennengelernt hat und die zudem noch schwanger von ihm ist. Ehrlich gesagt weiß ich nicht, wie Fionn darauf reagieren wird."

Das wusste ich auch nicht. Leichte Panik stieg in mir auf, als ich daran dachte, wie sehr ihn dies vermutlich erschüttern konnte. Hinzu kam Fionns Beruf, der vielleicht für immer zwischen uns stehen würde. Als ob der kleine, dicke Mann meine Gedanken zu erraten vermochte, sagte er plötzlich: „Sie kennen seinen Berufswunsch, Sienna und der hat sich nicht geändert."

Ich wusste nicht, was ich antworten sollte, deshalb blieb ich stumm und schaute ihn nur an.

„Fionn wird entscheiden, was passiert. Ob er Sie sehen möchte und wie es mit Ihnen weitergeht. Ich kann Ihnen nichts versprechen, Sienna, aber eines garantiere ich Ihnen. Ihr Kind wird für die Zukunft finanziell abgesichert sein, wenn es Fionns Kind ist. Wir können das durch einen Vaterschaftstest ohne Probleme feststellen."

„Aber darum geht es mir gar nicht. Ich möchte nur zu ihm und mit ihm reden", flüsterte ich mit zitternder Stimme.

„Das verstehe ich ja, aber wie bereits gesagt, es ist seine Entscheidung. Ich kann und werde ihn zu nichts zwingen. Allerdings könnte ich ein gutes Wort für Sie einlegen."

Die überaus deutliche Aussage zwang mich regelrecht in die Knie. Ich war machtlos, noch immer. Würde sich diese Situation denn niemals ändern? Alles nach was ich strebte, war, ein Gespräch mit dem Mann führen zu können, den ich liebte. War selbst das zu viel verlangt?

Als mein Gesprächspartner, dessen Namen ich noch immer nicht kannte, sich erhob, stand ich ebenfalls auf. Erst jetzt bemerkte ich, wie klein er wirklich war, sicher nicht viel größer als Eins fünfzig.

„Ich verabschiede mich nun, Sienna. Kommen Sie nicht auf die Idee, die Nummer anzurufen, unter welcher die Nachricht an Sie versendet wurde, denn ich habe jedes Mal eine neue Nummer."

„Dann bleiben Sie für mich also Mr Anonym?", erwiderte ich beinahe schon sarkastisch, worauf er jedoch mit einem Lächeln und dem Satz: „Ja, zumindest so lange, bis ich Ihnen etwas anderes sage", antwortete.

„Passen Sie gut auf das Baby auf, ich melde mich bei Ihnen, sobald ich persönlich mit Fionn gesprochen habe", setzte er noch hinzu.

Tatsächlich wagte ich es, noch eine Frage zu stellen. „Können Sie mir denn sagen, wann das ungefähr sein wird?"

Er blinzelte kurz, bevor er antwortete: „Nun ja, da er nicht gerade um die Ecke wohnt, wird es wohl ein paar Tage dauern. Rechnen Sie nicht vor Ende der Woche mit einem Lebenszeichen von mir."

Mein Gefühl hatte mich also nicht getäuscht. Fionn war bereits weit weg von hier, von mir und von unserem ungeborenen Kind. Die einzige Hoffnung, die mir blieb, war Mr Anonym, ein kleiner, dicker Kerl mit einem Strohhut.

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Hallo meine Lieben, endlich gibt es wieder ein Update.

Was sagt ihr nun zu dieser Entwicklung?

Denkt ihr, Sienna kann sich Hoffnungen machen?

Was haltet ihr von dem kleinen dicken Mann mit dem Strohhut?

Danke für euer Feedback :)

LG, Ambi xxx

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