25. Shadow

Sienna


Die nächsten beiden Tage vergingen wie im Flug. Samstag traf ich mich mit Gwenny zum Shoppen, wobei ich zum ersten Mal Baby Bekleidung anschaute. Die winzigen Strampler faszinierten mich ungemein, ebenso die kleinen Söckchen und Mützchen. Da ich noch nicht wusste, welches Geschlecht das Baby haben würde, konnte ich mich auch nicht auf eine Farbe festlegen, was die Kleidung betraf. Doch nur alleine das Anschauen machte Spaß.

„Sieh nur, wie winzig der ist!", rief ich entzückt, als ich einen hellblauen Strampler in die Höhe hielt, um diesen Gwenny zu präsentieren.

Meine beste Freundin schmunzelte breit.

„Du solltest dein Gesicht sehen, Sienna. Es ist so anders, so weich und mütterlich. Das bin ich gar nicht von dir gewöhnt, aber ich finde es toll", ließ sich mich wissen.

„Findest du wirklich?" Leicht verwirrt blickte ich zu Gwenny, die ihr hellblondes Haar heute zu einem Zopf geflochten trug, was ihr erstaunlich gut stand.

Wir beide gingen gerade neue Wege, was unser äußeres Erscheinungsbild betraf, wobei sich diese Tatsache in meinem Fall eher zwangsläufig gestaltete. Heute kaufte ich zum ersten Mal weite Shirts, Blusen und zwei Hosen, welche sich unendlich dehnten. Bald durfte ich meiner guten Figur ade sagen.

Gwenny hingegen erstand ein neues Parfum, da ihr altes ein Geschenk von Tony war und sie verständlicherweise nicht mehr an ihn erinnerte werde wollte. Zum Abschluss unseres erfolgreichen Shopping Trips kehrten wir in einem gemütlichen Café ein und verdrückten Erdbeertorte mit Schlagsahne.

Während ich den Kuchen genüsslich in mich hineinschaufelte, kehrten meine Gedanken zu Rosie zurück. Ich durfte mit niemandem über diese Begegnung sprechen, dies hatte sie mir deutlich zu verstehen gegeben. Also musste ich auch Gwenny gegenüber schweigen, was sich als nicht gerade einfach herausstellte; vor allem nicht, als sie nachhakte, wie ich denn nun weiter vorzugehen gedachte.

„Ich glaube, ich werde erst Mal eine Pause einlegen und mich ausruhen", erklärte ich, ohne ihr in die Augen zu schauen. „Das Ganze ist nämlich ziemlich anstrengend für mich und ich möchte dem Baby nicht schaden, verstehst du?"

„Ja, natürlich. Ich habe mich sowieso schon gewundert, wie du das alles schaffst", erwiderte meine Freundin leicht besorgt.

„Es zehrt auf jeden Fall an meinen Nerven", entgegnete ich.

Diese Aussage traf hundert Prozent zu, denn seit ich mit Rosie gesprochen hatte, wurde ich von Tag zu Tag unruhiger. Ständig kontrollierte ich das Display meines Handys, aus Angst, ich könnte ihre Nachricht verpassen. Dabei wusste ich nicht einmal, ob Rosies Mitteilung positiv oder negativ ausfallen würde, was meine Ungeduld jedoch ins Unermessliche steigerte.

Ich hatte nicht leiseste Ahnung, in welcher Verbindung Rosie zum obersten Chef des Präsidiums stand. Denn nur über ihn würde ich Dinge in Erfahrung bringen können. Dies hatte Inspektor Woodsen von vorherein klar gemacht. Vielleicht stand sie dem obersten Boss in irgendeiner Art und Weise nahe, zum Beispiel als Schwester, wer wusste das schon? In solch einem Fall stiegen meine Chancen, etwas über Fionn in Erfahrung zu bringen, beträchtlich.

Meine Spekulationen brachten mich beinahe an den Rand des Wahnsinns und wenn ich nicht am Sonntag eine Einladung zum Mittagessen bei Seth und Harvey erhalten hätte, wäre ich vermutlich total durchgedreht. Die beiden lenkten mich erfolgreich ab, indem sie das Gespräch auf Kinderwagen und Babykleidung brachten. Seit dem gestrigen Tag konnte ich sehr gut mitreden, was diese Thematik anging.

„Ich habe so einen süßen Strampelanzug gesehen, aber ich kann leider noch nichts kaufen", sagte ich ein wenig schmollend.

„Warum denn nicht?", erkundigte sich Harvey sofort.

„Wegen der Farbe."

Seth kreuzte die Arme vor seiner breiten, durchtrainierten Brust, um seine Meinung kundzutun.

„Also wenn du mich fragst, ist das mit den Farben sowieso reiner Humbug. Schau dir Harvey an, der besitzt einen Schniedel und trägt trotzdem Rosa."

Sofort prustete ich los. „Ja, aber er übernimmt bei euch eindeutig den weiblichen Part."

„Pah, ich bin genauso männlich wie Seth", ereiferte sich Harvey. „Ich rasiere mich jeden Tag, habe eine tiefe Stimme und wie er schon sagte, ich bin untenrum gut ausgestattet."

Verzweifelt rollte ich meine Augen, doch wenn ich geglaubt hatte, nun mit dem Reden dran zu sein, täuschte ich mich gewaltig, denn Seth brachte seinen Abschlusskommentar.

„Gelb geht immer, das ist neutral und passt somit für Jungs und Mädchen."

Dagegen konnte ich nichts anbringen, denn es stimmte wirklich. Vielleicht sollte ich in Erwägung ziehen, demnächst einen gelben Strampler zu kaufen, um meinem inneren Drang nachzugeben, das erste Kleidungsstück für mein Baby selbst zu erwerben.

„Wie willst du denn jetzt weiter vorgehen?", erkundigte sich Seth plötzlich.

Da ich genau wusste, wovon er sprach, entgegnete ich ruhig: „Im Moment brauche ich etwas Ruhe. Es war anstrengend, die ganze Zeit im Polizeipräsidium abzuhängen. Am Freitag bin ich dort eingeschlafen und eine Frau hat mich dann nach draußen begleitet, da die Sprechzeiten bereits um waren."

Seth umarmte mich kurz, als er sagte: „Mach mir keinen Kummer. Du solltest dich wirklich zwischendurch gut ausruhen und das Baby nicht gefährden."

„Eben und genau deshalb werde ich meine letzte Urlaubswoche genießen. Vielleicht fällt mir in dieser Zeit noch ein anderer Plan ein."

„Du könntest einen Brief an den Boss des Präsidiums schreiben, mit dem Vermerk, persönlich und streng vertraulich. Dann darf ihn auch seine Sekretärin nicht öffnen", schlug mein Bruder vor.

Warum war er nicht schon früher auf diese Idee gekommen? Nun war es zu spät, denn ich wollte mich eher auf Rosie verlassen. Mein Bauchgefühl sagte mir, dass ich auf diese Art und Weise mehr Erfolg haben würde, weswegen ich diesem Plan eher vertraute.

Nach einem entspannten Nachmittag bei Seth und Harvey kehrte ich wieder zurück in meine Wohnung. Im Prinzip lagen jetzt noch sieben freie Tage vor mir, bevor mein Urlaub zu Ende ging. Meine Überlegungen, was ich mit der zur Verfügung stehenden Zeit anfangen sollte, endeten schließlich bei der Vorstellung, jeden Tag etwas anderes zu unternehmen.

Ich wollte an der Themse in Greenwich spazieren gehen, zur Tower Bridge fahren, um dort ein Eis zu essen und wenigstens einmal den Zoo besuchen, da die Wettervorhersage für die kommende Woche recht positiv ausfiel. Außerdem plante ich den Greenwich Park seit langer Zeit mal wieder zu besuchen. Dieser lag auf einem Hügel und bot einen fantastischen Blick über London. Dafür, dass ich ganz in der Nähe der hübschen Grünanlage wohnte, hielt ich mich viel zu selten dort auf. Vielleicht fiel deshalb als erstes meine Wahl zugunsten des Parks aus, als ich am Montag aufstand, um festzustellen, dass die Sonne sich am Himmel zeigte.

Als ich durch die botanische Anlage spazierte, dachte ich zum ersten Mal daran, wie es sich wohl anfühlte, einen Kinderwagen vor sich herzuschieben und hier entlang zu laufen. Dies würde der ideale Platz sein, um frische Luft zu tanken und das Baby keinen Abgasen auszusetzen, denn die großen, breiten Wege im Greenwich Park waren nur den Fußgängern vorbehalten.

Ich genoss die milde Frühlingsluft an diesem Tag und als ich am späten Nachmittag zurück nach Hause kehrte, fühlte ich mich besser, als noch vor einigen Tagen. Trotzdem gelang es mir nicht, die Nervosität abzuschütteln, welche mich jedes Mal befiel, wenn das Handy einen Laut von sich gab. Ich wartete auf eine Nachricht von Rosie, rechnete aber nicht damit, dass diese so schnell eintreffen würde.

Am Abend telefonierte ich noch mit Gwenny, der es inzwischen auch ein wenig besser ging. Ich musste mich schwer zusammenreißen, um Rosie nicht zu erwähnen, doch es klappte irgendwie.

Den Dienstag verbrachte ich damit, den Zoo zu besuchen. Auch dort war ich schon lange nicht mehr gewesen, eine Tatsache, die mich zum Nachdenken anregte. London hatte so viel zu bieten und ich nutzte die Möglichkeiten in der Vergangenheit einfach nicht, weil ich meine Arbeit zu sehr in den Vordergrund stellte. Erst jetzt begriff ich, wie unwichtig diese eigentlich im Vergleich zu anderen Dingen erschien. Die Schwangerschaft krempelte mein Leben total um und ließ mich spüren, dass ich nun neue Wege gehen würde. Unweigerlich musste ich an Fionns Satz denken, den er einst zu mir gesagt hatte.

„Was ist, wenn Gott etwas anderes für dich vorgesehen hat?"

Damals hatte ich ihn beinahe ausgelacht und mich gegen diese Vorstellung gewehrt, doch heute betrachtete ich vieles aus einem anderen Blickwinkel. Ein Kind großzuziehen war eine so viel größere und schönere Aufgabe, als sich nur der beruflichen Karriere zu widmen. Eine immense Verantwortung lastete nun auf meinen Schultern, doch ich wollte mich dieser stellen.

Jedes Mal, wenn im Zoo eine Frau oder Familie mit Kinderwagen an mir vorbeilief, bildete sich ein Lächeln auf meinem Gesicht. Bald würde auch ich ein Baby durch die Gegend kutschieren.

Als ich meine Schritte zum Elefantengehege lenkte, hatte ich plötzlich das Gefühl, beobachtet zu werden. Schnell drehte ich mich um, konnte jedoch keine verdächtige Person ausmachen. Wahrscheinlich bildete ich mir das nur ein. Trotzdem blieb ich wachsam, denn ich wurde den beklemmenden Gedanken, dass mich jemand verfolgte nicht los.

Normalerweise war ich kein Angsthase, doch seit sich das Baby in meinem Bauch befand, reagierte ich in manchen Situationen anders als früher. Das musste der angeborene Beschützerinstinkt einer Mutter sein und ich war stolz, diesen zu besitzen.

Von den Elefanten lief ich weiter zu den Raubtieren, welche mich schon immer schwer beeindruckten. Ihr scharfen Reißzähne und ihre Art sich anzuschleichen eroberte mein Herz bereits im Kindesalter. Zum Schluss schaute ich noch am Affengehege vorbei, was meine Lachmuskeln gewaltig strapazierte.

Nach diesem überaus erfolgreichen Zoobesuch beschloss ich, der Oxford Street noch einen Besuch abzustatten, um in meinem bevorzugten Coffee Shop einen Kakao zu trinken. Als ich dort in der Schlange stand und feststellte, dass alle Sitzplätze belegt waren, entschloss ich mich kurzerhand für die to-go Variante der heißen Flüssigkeit. Dazu genehmigte ich mir noch einen Muffin.

Nachdem ich beides bezahlt und den Muffin, sowie die Geldbörse in der Handtasche verstaut hatte, lief ich mit dem Becher in Richtung Ausgang. Bevor ich diesen jedoch erreichte, wurde die Tür aufgestoßen und ein junger Mann, bekleidet mit einem schwarzen Mantel, einem komischen schwarzen Hut, Schal und Sonnenbrille, stolperte mir entgegen. Fast wären wir zusammengeprallt, ich konnte gerade noch stehenbleiben.

„Kannst du nicht aufpassen?", fauchte ich beinahe schon panisch.

Ich duzte ihn einfach, da er sich etwa in meinem Alter befand und nahm auch kein Blatt vor den Mund, denn jeder, der meinem Bauch zu nahe kam, stellte eine potenzielle Gefahr für mich, und vor allem für das Baby dar. Auch er schien erschrocken zu sein, denn er entschuldigte sich sofort.

„Es tut mir sehr leid. Ist alles in Ordnung mit dir?", stammelte er verlegen.

„Ja, Gott sei Dank ist nichts passiert."

Kopfschüttelnd ging ich weiter, verließ den Coffee Shop und suchte mir ein ruhiges Plätzchen in einer Nische zwischen zwei Häusern, um den Kakao in kleinen Schlucken zu trinken. Dabei bemerkte ich, wie meine Hände zitterten und mein Herz zu rasen begann.

Dieser Tag war wirklich merkwürdig. Zuerst hatte ich das Gefühl im Zoo verfolgt zu werden und nun rannte mich so ein Volltrottel beinahe über den Haufen. Früher hätten mich solche Dinge nicht im Mindesten aufgeregt, doch seit ich die Verantwortung für das Kind in mir trug, spürte ich die täglichen Veränderungen in mir. Es handelte sich dabei nicht um Launen, sondern einfach um den natürlichen Instinkt des Beschützens.

Für heute hatte ich wirklich genug Stress auf mich genommen und deshalb beschloss ich, nach Hause zu fahren. Morgen stand der Besuch der Tower Bridge, inklusive Eis essen auf meinem Programm. Da ich meine Aktivitäten stets in die Nachmittagsstunden legte, weil die Übelkeit sich dann verabschiedet hatte, würde auch der morgige Tag schnell vergehen.

Am Abend starrte ich stundenlang auf das Display meines Handys, in der Hoffnung, dass Rosie sich melden würde, doch nichts geschah. Der Mittwoch nahte, bald würde diese Woche zu Ende sein und ich wusste nicht, wie lange ich diese nervenaufreibende Ungewissheit ertragen konnte, ohne durchzudrehen.

Müde lehnte ich mich in das Sofakissen zurück und schlief prompt ein. Mitten in der Nacht erwachte ich wieder, suchte mit halbgeschlossenen Augen mein Bett auf, um sofort wieder in einen tiefen Schlaf zu versinken. Meine Energiereserven waren auf dem untersten Level angekommen, obwohl ich täglich frisches Obst und Gemüse zu mir nahm. Dazu trank ich Fruchtsäfte, sowie in Wasser aufgelöste Kalzium- und Magnesiumtabletten, da die Frauenärztin mir dazu riet. Eine Schwangerschaft gestaltete sich sehr viel anstrengender, als ich es jemals vermutete.

Um mir die Zeit am Vormittag zu vertreiben, las ich in der Schwangerschaftsbroschüre, welche zu meiner eigenen Bibel mutierte. Jeden Satz sog ich begierig auf. Mittlerweile befand ich mich in der elften Schwangerschaftswoche und hatte nicht wirklich zugenommen. Doch das schien durchaus normal zu sein.

Die Bildung der Augenlieder des Babys erfolgte, das Skelett begann zu verknöchern und die Finger und Zehen, die noch zusammengewachsen waren, trennten sich und traten einzeln hervor; an Händen und Füßen wuchsen die ersten Nägel. Ebenso bildeten sich auch an den Finger- und Zehenkuppen die unverwechselbaren Linien heraus.

Ich staunte, in welch frühem Stadium all diese Dinge geschahen, es fühlte sich an, wie ein Wunderwerk der Natur; und das war es auch. Am Ende dieser Woche würde der Fetus bereits eine Größe von ungefähr 4,3 Zentimeter erreicht haben. Somit war er gegenüber der letzten Woche beträchtlich gewachsen. Bevor ich weiterlesen konnte, ergriff die Übelkeit von mir Besitz, was mich schleunigst ins Bad stürmen ließ. Gut, dass ich mit meinen Unternehmungen stets bis zur Mittagszeit wartete.

Einige Stunden später genoss ich die Sonnenstrahlen auf der Tower Bridge, die schon erstaunlich viel Kraft besaßen. Sie wärmten meinen Rücken, als ich über die Brücke schlenderte, was das Laufen sehr angenehm werden ließ, denn ein ziemlich heftiger Wind blies an diesem Tag durch die Luft. Da ich jedoch warm angezogen war, störte dies nicht sonderlich.

Als ich das andere Ufer der Themse erreichte, lenkte ich meine Schritte gezielt zu dem kleinen Stand, welcher das beste Softeis Londons anbot. Ich liebte dieses Eis über alles und heute hatte ich richtig Heißhunger drauf. Natürlich schrieb ich dies meiner Schwangerschaft zu, um eine gute Entschuldigung zu haben, weil ich gleich zwei Portionen verdrückte.

Hin und wieder schaute ich mich um, ob mir jemand folgte. Seit dem Besuch im Zoo wurde ich das komische Gefühl einfach nicht los, dass sich jemand an meine Fersen geheftet hatte. Doch so gründlich ich auch die Gegend betrachtete, ich konnte keinen verdächtigen Menschen ausmachen. Vielleicht bildete ich mir alles nur ein, weil ich Angst um mein Baby hatte.

Nachdem ich die Tower Bridge erneut überquert hatte, lief ich zur nächsten U-Bahn Station, um zu Seth und Harvey zu fahren. Sie hatten mich zum Abendessen eingeladen, wozu ich niemals nein sagen würde. Harvey kochte einfach fantastisch, außerdem tat es gut, ein wenig Gesellschaft zu haben. Obwohl ich nicht allzu viele Neuigkeiten, bis auf meine Ausflüge zu berichten hatte, wurde es ein ziemlich lustiger Abend, der recht schnell verging. Wir redeten über Babywäsche und Kinderwagen, Spielsachen und Babynahrung. Harvey schien sich bereits genauestens informiert zu haben, ab wann ein Kind feste Nahrung zu sich nehmen durfte. Ich sah es schon kommen: Er würde das Baby total verwöhnen.

Zwischendurch warf ich stets einen Blick auf mein Handy, wenn ich mich unbeobachtet fühlte, aber leider meldete sich Rosie nicht. Vielleicht würde es ewig dauern, bis sie etwas herausgefunden hatte, oder einen Kontakt herstellen konnte. Schließlich wusste ich rein gar nichts über ihre Tätigkeit innerhalb des Polizeipräsidiums, aber komischerweise vertraute ich ihr von der ersten Sekunde an. Sie strahlte eine unglaubliche Ruhe, gepaart mit Mütterlichkeit aus, was mich immens beruhigte. Und obwohl ich nicht wusste, ob ihre Nachricht positiv ausfallen würde, sah ich dieser doch mit einem gewissen Hoffnungsschimmer entgegen.

Das Einzige, was mich belastete, war die Tatsache, dass ich weder Seth und Harvey, noch Gwenny gegenüber irgendetwas bezüglich Rosie verraten durfte. Noch nie hatte ich meiner Familie oder besten Freundin die wirklich wichtigen Dinge verschwiegen. Aber jetzt musste ich es tun. Es führte kein Weg daran vorbei, wenn ich Fionn finden wollten. Und er wurde immer wichtiger für mich, je länger ich auf ihn verzichtete, was wahrscheinlich in Zusammenhang mit der fortschreitenden Schwangerschaft stand.

Freitags traf ich mich mit Gwenny zum Abendessen in einem chinesischen Restaurant. Wir beide liebten die asiatische Küche, aber das Sushi für mich zurzeit nicht in Frage kam, blieben wir beim Chinesen, anstatt beim Japaner hängen.

„Erzähl mal, was hast du in dieser Woche außer deinem Zoobesuch unternommen?", erkundigte sich meine beste Freundin beim Essen.

„Ich war im Greenwich Park spazieren, ich hatte ganz vergessen, wie wundervoll es dort ist", erzählte ich voller Begeisterung. „Und heute bin ich an der Themse entlang gelaufen. Gestern war ich mit dem Wassertaxi unterwegs und vorgestern an der Tower Bridge."

„Wow, das hört sich wirklich nach Urlaub an. Diese Dinge hast du schon seit Jahren nicht mehr getan, Sienna."

„Ja, weil mir die Arbeit wichtiger war. Aber das wird sich nun ändern."

„Ich würde sagen, es hat sich schon geändert", meinte Gwenny trocken, was mich zum Lachen animierte.

Allerdings verging mir dieses, als sie ihre nächste Frage an mich richtete.

„Wie willst du denn jetzt weiter vorgehen. Also was deine Suche nach Fionn betrifft?"

Ich schluckte kurz, bevor ich zu einer Antwort ansetzte.

„Also ich habe mir überlegt, dass ich Seths Vorschlag aufgreifen werde. Er meinte, ich sollte vielleicht einen Brief an den Leiter des Präsidiums schreiben und mit dem Vermerk persönlich und streng vertraulich versehen. Dann würde auch niemand das Schriftstück öffnen dürfen."

„Das stimmt wohl und ich finde die Idee spitze!"

„Seth hat immer extrem gute Ideen", erklärte ich grinsend. Gleichzeitig schlug mein Herz so schnell, dass mir fast schwindelig wurde. Vermutlich weil ich meine beste Freundin gerade eiskalt angelogen hatte. Aber da führte kein Weg daran vorbei. Ich musste es tun, wenn ich die Chance, die Rosie mir bot, nutzen wollte.

Nach dem Essen suchten Gwenny und ich noch kurz ein Pub auf, wobei ich nur Limonade trank, was mir schon ein bisschen wehtat. Doch für das Baby nahm ich alles auf mich, sogar den Verzicht auf Alkohol.

„Hören wir morgen voneinander?", fragte Gwenny, als wir uns an der U-Bahn Station verabschiedeten.

„Ja, sicher, ich rufe dich an, sobald die morgendliche Übelkeit sich verzogen hat, ok?"

„Tu das und komm gut nach Hause, Sienna."

„Du auch, Gwenny."

Wir verabschiedeten uns mit einem Kuss auf die Wange, bevor unsere Wege sich endgültig trennten.

Als ich an diesem Abend noch kurz auf dem Sofa saß, um ein wenig zur Ruhe zu kommen, holte ich das Ultraschall Bild meines Nachwuchses hervor, platzierte es auf dem Tisch und legte das Handy daneben. Anschließend öffnete ich die Bilddateien und suchte nach Fionns Foto. Da legen sie nun nebeneinander, die beiden Menschen, die mir am wichtigsten waren. Obwohl ich Fionn erst seit relativ kurzer Zeit kannte, spürte ich diese besondere Beziehung zwischen uns. Es fühlte sich an, als hätten wir uns in diesem Black Room treffen sollen, als sei es uns vorherbestimmt. Wenn es wirklich einen Gott gab, dann hatte er seine Finger dabei gehörig im Spiel.

Während ich mich bettfertig herrichtete, stellte ich einen Plan für den morgigen Tag auf. Ich wollte eine Kirche besuchen, aber nicht irgendeine, sondern die katholische Kirche in Harrow, weil ich davon ausging, dass Fionn dort seinen Dienst verrichtet hatte. Es ging mir nicht darum, etwas in Erfahrung zu bringen, sondern einfach nur den Ort zu sehen, an welchem er seine Tätigkeit als angehender Priester ausgeübt hatte. Vielleicht würde es mich beruhigen, dort zu sein.

Am Samstagnachmittag, nachdem ich mit Gwenny telefoniert hatte, setzte ich meinen Plan in die Tat um. Mit der U-Bahn gelangte ich nach Harrow, wobei ich mir tunlichst verkniff, Fionns Haus aufzusuchen. Es tat einfach weh zu wissen, dass er dieses verlieren würde, wenn nicht gar schon verloren hatte.

Also schlug ich den direkten Weg zur Kirche ein, welchen ich bereits aus dem Internet herausgesucht hatte. Wie immer leistete mein Handy als Navigationshilfe einen hervorragenden Dienst.

Als ich vor der Kirche eintraf, blieb ich zunächst stehen, um das beeindruckende Gebäude auf mich wirken zu lassen. Ich war mir fast sicher, dass Fionn hier gearbeitet hatte, denn eine unbeschreibliche Macht forderte mich auf, den Weg bis zu diesem Gotteshaus zu gehen, um es dann zu betreten. Die Tür war geöffnet, ich brauchte nur durchzugehen.

Meine Schritte stoppten am Weihwasserbecken. Obgleich ich schon seit Ewigkeiten keinen Fuß mehr in eine Kirche gesetzt hatte, wusste ich dennoch, dass man sich als katholischer Christ mit dem Weihwasser bekreuzigte, sobald man das Gotteshaus betrat. Dies tat ich nun, bevor ich mich in eine der langen Bänke setzte, um ein wenig zu verschnaufen. Spaziergänge strengten mich in letzter Zeit ziemlich an, ein Effekt der Schwangerschaft, wie sollte es auch anders sein.

Kaum hatte ich es mir bequem gemacht, tauchte ein Priester hinter dem Altar auf. Vermutlich war er aus der Sakristei gekommen, um nach dem Rechten zu sehen. Da er jedoch nach relativ kurzer Zeit wieder verschwand, ging ich davon aus, dass meine Anwesenheit in der Kirche nicht störte. Diese füllte sich sogar zusehends, was den Anschein erweckte, dass bald ein Gottesdienst stattfand.

Es kostete mich genau zwei Sekunden, um zu entscheiden, ob ich bleiben wollte oder nicht. Ich würde es für Fionn tun, um sein Andenken in dieser Kirche zu wahren. Nie wieder konnte er hierher zurückkehren, wie sehr musste er sein altes Leben und die Menschen, die ihm nahe standen, vermissen.

Nüchtern betrachtet, war er sogar noch schlimmer dran als ich und deshalb sprach ich ein stummes Gebet für ihn.

Die Messe verging schneller als gedacht, ich trat sogar zur heiligen Kommunion an, eine Sache, die ich seit Ewigkeiten nicht mehr getan hatte. Doch heute wirkte diese befreiend auf mich. Ich war kein Kind von Traurigkeit und hatte in der Vergangenheit oftmals gegen die Gebote der Kirche verstoßen. Heute wurden mir die Sünden erlassen, meine Seele war rein, aber trotzdem hatte ich noch einen Wunsch. Vielleicht würde der Priester mir diesen erfüllen.

Geduldig wartete ich, bis die Menschen das Gotteshaus verließen, um dann nochmals in Richtung Altar zu laufen. Der Priester, der gerade im Begriff war, in Richtung Sakristei zu gehen, drehte sich nochmals kurz um. Als er mich erblickte, kam er ohne zu zögern auf mich zu.

„Kann ich Ihnen helfen, Miss?"

„Ja. Würden Sie mich und mein ungeborenes Kind bitte segnen?" Die Worte kamen einfach aus mir heraus, ohne Zweifel und ohne darüber nachzudenken. Ich wollte genau das, was ich aussprach.

Sein Lächeln wirkte gütig und beruhigend, während er den Segen erteilte. Fionn wäre bestimmt ein ebenso toller Priester geworden, denn auch er konnte die Last von den Seelen der Menschen nehmen. Er war der einzige Mann, der mich richtig zu trösten vermochte.

Mit einem enormen Glücksgefühl im Herzen verließ ich wenige Minuten später die Kirche, um den Heimweg anzutreten. Ich fühlte mich beschwingt und frei, meinem Baby ging es im Mutterleib soweit gut und alles, um was ich mich sorgte, war, eine Nachricht. Ich wusste, dass sie bald eintreffen würde, ich hatte es im Gespür. Noch nie täuschte mich mein Bauchgefühl in dieser Hinsicht.

Je näher ich meinem Apartment kam, desto nervöser wurde ich. Meine Neven waren zum Zerreißen gespannt, als ich die Tür aufschloss und in meine Wohnung lief. Schnell holte ich etwas zu trinken aus der Küche, ließ mich auf dem Sofa nieder, legte das Handy auf den Tisch und wartete.

Wie hypnotisiert starrte ich auf das Display, hoffend, dass gleich etwas passieren würde. Als ich meine beiden Hände auf den Bauch legte und meine Augen schloss, begann das Handy kurz zu vibrieren. Eine Nachricht war eingegangen und wartete darauf, gelesen zu werden. Als ich auf den Text blickte, strömten die Tränen blitzartig aus meinen Augen.

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Was mag Sienna da wohl für eine Nachricht erhalten haben?

Und glaubt ihr, sie hat es sich nur eingebildet, dass sie von jemandem beschattet wurde?

Wie fandet ihr es, dass sie die Kirche aufgesucht hat, um ihr ungeborenes Kind segnen zu lassen?

Ich danke euch allen für den Support und das ständige Feedback zu dieser Geschichte.

LG, Ambi xxx

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