23. New Identity

Fionn


Gelangweilt lümmelte ich auf dem Sofa herum und wartete, dass Alistair endlich zurückkehren würde. Es war stinklangweilig ohne ihn, denn ich durfte noch immer kein Fernsehschauen, nicht lesen und mich auch ansonsten nicht großartig betätigen.

Die Gehirnerschütterung sollte schließlich gut auskuriert werden. Meine Gitarre und auch meine Bibel fehlten mit wirklich sehr, was die Langeweile noch schlimmer gestaltete. Letztere würde Alistair bestimmt vor mir in Sicherheit bringen, damit ich nicht heimlich darin las.

Als ich mich ein wenig zur Seite drehte, spürte ich die Schmerzen im Brustkorb, welche noch immer vorhanden waren. Alistair hatte mir prophezeit, dass diese länger anhalten würden und er schien richtig damit zu liegen.

Seufzend steckte ich mir eine Handvoll Erdnüsse in den Mund, die mein neuer Ziehvater für mich besorgt hatte, weil ich danach verlangte. Überhaupt kümmerte er sich hervorragend um mein Wohlergehen. Er bekochte mich, besorgte frische Unterwäsche (dieses Mal jedoch neu verpackte) und versprach mir, dass ich heute den Großteil meiner Klamotten erhalten würde.

Ich konnte es gar nicht erwarten, wieder meine eigenen Sachen anzuziehen, denn ständig in einer Jogginghose herumzulaufen, die mindestens drei Nummer zu groß war, strengte doch sehr an. Stets lief ich Gefahr, diese zu verlieren, wenn ich mal aufstand, um aufs stille Örtchen zu verschwinden. Aber damit würde bald Schluss sein. Eigentlich sollte Alistair nicht mehr allzu lange wegbleiben, da er bereits seit ungefähr zwei Stunden durch Abwesenheit glänzte.

Gerade als ich die Erdnüsse heruntergeschluckt hatte, hörte ich, wie jemand die Tür aufschloss.

„Ich bin's Junge, du kannst das Messer ruhig stecken lassen", rief Alistair durch den Flur.

Es klang, als ob er schnaufte.

„Kann ich dir mit irgendwas helfen?", fragte ich.

„Nein, du wirst mit deinem Hintern unter der Decke bleiben. Deine Gehirnerschütterung ist noch nicht auskuriert", kam es sofort und ziemlich energisch zurück.

Entgegen seiner Aufforderung, erhob ich mich langsam vom Sofa, schlenderte in den Flur und beobachtete, wie mein Ziehvater sich an einer Kiste zu schaffen machte.

„Hier sind deine Klamotten drin. Im Auto steht noch eine und deine Gitarre liegt auf dem Rücksitz", erklärte er.

Sofort begannen meine Augen zu stahlen. „Super, dann habe ich zumindest ein wenig Beschäftigung."

„Was denn? Bin ich dir zu langweilig", zog Alistair mich auf, was mich zu einem Lachen animierte.

„Nein, aber es tut gut, zwischendurch mal ein bisschen Gitarre zu spielen."

„Ja, vielleicht kannst du mir nach dem Abendessen etwas vorklimpern", ließ Alistair grinsend verlauten.

Bevor er noch etwas sagen konnte, öffnete ich die Kiste, um sogleich darin herumzuwühlen. Shirts, Boxershorts, Jeans und Pullover kamen zum Vorschein. Im Gegensatz zu manchen Gleichaltrigen besaß ich relativ wenig Kleidungstücke, was jedoch mit meinem Beruf, oder besser gesagt mit meinem Studium in Zusammenhang stand. Unter dem Gewand trug ich nur schwarze Kleidung und nur für die restliche Zeitspanne etwas buntere, wenngleich auch keine ausgefallenen, schrillen Sachen, sondern eher sportlich.

Nachdem Alistair alles nach oben gebracht hatte, legte ich die Bibel auf den Tisch im Wohnzimmer und begann darin zu blättern. Sofort traf mich sein strafender Blick.

„Du sollst dich ausruhen, mein Junge. Sonst muss ich dir wirklich noch den Hintern versohlen", lautete sein Spruch, der jedoch nur ein müdes Grinsen bei mir bewirkte.

„Wo sind eigentlich meine Lehrbücher?", erkundigte ich mich.

„Die sind in Sicherheit, aber du bekommst sie erst, wenn dein Kopf wieder ok ist und wir unser neues Domizil bezogen haben."

Mein abgrundtiefes Seufzen beeindruckte Alistair keineswegs. So sehr ich ihn auch löcherte, er verriet nicht, wohin die nächste Reise uns führte. Natürlich verstand ich, dass es dabei größtenteils um meine Sicherheit ging, aber er hätte mir wenigstens einen Hinweis geben können.

Wie versprochen, spielte ich Alistair nach dem Abendessen etwas auf meiner Gitarre vor. Er schien schwer beeindruckt von meinen Künsten zu sein, denn er applaudierte sogar. Vielleicht wollte er mich auch nur ein wenig aufmuntern.

Der restliche Abend verging, ohne dass ich irgendwelche Neuigkeiten erfahren hätte, zumindest so lange, bis Alistairs Handy plötzlich eine eingegangene Nachricht ankündigte. Mittlerweile kannte ich den Ton ziemlich genau, den das Gerät dabei von sich gab. Es handelte sich dabei um die Melodie des Songs „We will rock you" der Gruppe Queen.

Alistairs Gesicht verzog sich zu einem breiten Grinsen, als er zu lesen begann.

„Na, wer sagt es denn. Wir können ja auch mal gute Nachrichten erhalten, oder? Dein Auto wurde nicht manipuliert, Junge. Es war einfach nur das Versagen der Bremsen durch zu wenig Bremsflüssigkeit."

Ein erleichtertes Aufatmen entrang meiner Kehle, gleichzeitig fiel mir ein, dass ich dies wohl mir selbst zuzuschreiben hatte, denn die Inspektion des Wagens war längst überfällig gewesen. Ich jedoch hatte nichts anderes als den Swinger Club im Sinn gehabt, wenn ich nicht gerade studierte, oder Dienst in der Kirche tat. Fast hätte ich diese Leichtfertigkeit mit meinem Leben bezahlt. Allerdings fragte ich mich nun, welches wohl die schlimmere Alternative war, denn ich hatte keinen blassen Schimmer, was noch alles auf mich zukommen würde.

Aber nicht nur dies nagte an mir, der Gedanke an Sienna schlich sich immer wieder in meinen Kopf. Ich konnte sie nicht vergessen, obwohl ich es musste. Der erotische und gleichzeitig süße Klang ihrer Stimme verfolgte mich selbst im Schlaf.

Manchmal träumte ich von ihr, wie wir uns im Black Room trafen, nur, dass sie jetzt ein Gesicht hatte, welches ich selbst in der Dunkelheit erkannte. Ich fühlte ihre Lippen auf meinen, ihren warmen, weichen Körper, der sich unter mir bewegte, um später dann in meinen Armen zu liegen.

Als ich am Sonntagmorgen nach einem solchen Traum erwachte, fand ich mich im ersten Moment überhaupt nicht zurecht. Alles um mich herum fühlte sich so merkwürdig, so unreal an. So, als sei der Black Room die eigentliche Welt und dies hier der Traum.

Schweiß stand auf meiner Stirn und mein Herz klopfte wie wahnsinnig, als ich realisierte, dass ich noch immer auf dem Sofa in einer Wohnung lag, von der ich nicht einmal wusste, wo sie sich genau befand. Alistair schlief grundsätzlich im Nebenzimmer und er schnarchte fürchterlich. So schlimm, dass ich nicht wieder einschlafen konnte, sondern aufstand, um das Bad aufzusuchen.

Nachher würden wir über meinen zukünftigen Beruf reden, das hatte Alistair mir gestern bereits angedroht. Seltsamerweise stellte sich für mich nie die Frage, ob ich das Priestertum aufgeben und vielleicht etwas anderes machen wollte.

In der Kirche fühlte ich mich zuhause, ich konnte es kaum erwarten, endlich ein richtiger Priester zu sein, um der Gemeinde zu predigen. Mit Sicherheit hätte Siennas Anwesenheit meine Entscheidung beeinflusst, doch da sie nicht hier war, gab es nichts zu zweifeln. Und morgen, wenn ich meine nächste Reise antreten würde, entfernte ich mich noch weiter von ihr, immer weiter, vielleicht bis an das andere Ende der Welt.

Ich wusste nicht, welches Ziel Alistair für mich ausgesucht hatte, noch war mir bekannt, wie lange ich dort bleiben konnte. Vielleicht würde ich nie wieder in Frieden leben können, aber mir blieb immer noch die Möglichkeit, in einem Kloster unterzutauchen. Dort würde die Mafia mich niemals finden.

Soweit mochte ich im Moment jedoch nicht denken. Ich versuchte, alles so gut wie möglich positiv zu sehen, obwohl mir dies natürlich sehr schwer fiel.

Als ich frisch geduscht das Badezimmer verließ, war Alistair bereits aufgestanden. Fröhlich pfiff er ein Lied vor sich hin, während er in der Küche für unser Frühstück sorgte.

„Guten Morgen, Junge, hast du gut geschlafen?", erkundigte er sich freundlich, als ich die Küche betrat.

„Na ja, du hast so laut geschnarcht, dass ich nicht wieder einschlafen konnte", entgegnete ich wahrheitsgetreu, worauf Alistair zu lachen begann.

„Darüber beschwert sich meine Frau auch immer", meinte er.

Als ich vor einigen Tagen erfahren hatte, dass er seit mehr als dreißig Jahren verheiratet war, versuchte ich mir ständig seine Frau vorzustellen. Sie musste eine Zwergin sein, oder er stand auf Riesen. Sienna hätte ihm mit ihren Eins Achtundsechzig auf den Kopf spucken können. Sie besaß die ideale Körpergröße für mich, das fiel mir gerade auf.

In jenem Moment wünschte ich mir, sie bei mir haben zu können, gemeinsam mit ihr zu frühstücken, über Dinge zu lachen, die wir lustig fanden. Leider würde es niemals dazu kommen und das machte mich unendlich depressiv.

„Du weißt, worüber wir heute sprechen müssen?", begann Alistair seine Rede, nachdem wir das Frühstück beendet hatten und wieder gemeinsam im Wohnzimmer saßen, dessen hochgezogene Jalousien heute zum ersten Mal ein wenig Tageslicht in den Raum fielen ließen. Aufgrund meiner Gehirnerschütterung hatte ich nämlich im Halbdunkel liegen müssen, da dies angeblich den Heilungsprozess förderte. Zumindest verkaufte Alistair mir das so, dessen Augen sich nun erwartungsvoll auf mein Gesicht richteten.

Jetzt musste ich etwas sagen. „Also", begann ich, „ich habe mir überlegt, den Beruf nicht zu wechseln. Ich möchte weiterhin katholischer Priester werden."

Mein Gegenüber nickte, als er sagte: „Gut, dann werde ich das so an meine Jungs und Mädels weitergeben. Sie beschaffen alle Unterlagen, die wir benötigen. Du wirst allerdings dann ein bereits geweihter Priester sein, also mit abgeschlossenem Studium. Wir werden deinen Lebenslauf dahingehend anpassen und auch alle Dokumente zeitgerecht ausstellen, damit alles lückenlos nachvollziehbar ist. Sobald die Unterlagen vorliegen, werde ich beginnen, Kontakte zu knüpfen, damit du in deiner neuen Heimat so bald wie möglich einen Job bekommst. Allerdings dürfte das nicht allzu schwierig sein, denn katholische Priester sind ziemlich gefragt, egal, in welchem Teil der Erde du dich aufhältst. Heutzutage will ja keiner mehr auf das Vögeln verzichten, deswegen sterben die Pfaffen aus."

Insgeheim war ich sehr froh, dass Alistair sich um alles kümmerte, doch die Tatsache, dass ich nun die Priesterweihe nicht mitmachen würde, ärgerte mich doch sehr. Aber man konnte nicht alles haben und die nervigen Prüfungen blieben mir somit gänzlich erspart. Also hatte die ganze Sache auch etwas Gutes, was ich nicht außer Acht lassen sollte.

„Danke, dass du das für mich machst", erwiderte ich.

„Ich bitte dich, das ist mein Job, Junge."

Mit geschlossenen Augen lehnte ich mich in das Sofakissen zurück, als ich Alistairs Stimme vernahm.

„Du bekommst heute Abend deinen neuen Ausweis, ich muss deswegen später noch mal kurz außer Haus. Aber du hast ja jetzt deine Gitarre, mit der du die Langeweile bekämpfen kannst."

Sofort schossen die unterschiedlichsten Empfindungen durch meine Seele. Ein neuer Ausweis bedeutete einen neuen Namen, eine neue Identität, ein neues Leben. Alles andere wurde ausgelöscht, jedoch nicht meine Erinnerungen; die konnte mir niemand nehmen.

Es fühlte sich schmerzlich an daran zu denken, meine Vergangenheit nun hinter mir zu lassen, so, als hätte es diese nie gegeben, als wäre ich den Menschen und Momenten, die mich prägten, nie begegnet.

Ich schluckte, weil ich mit den Tränen kämpfte und kam mir ziemlich hilflos vor. Eigentlich war ich nie ein Jammerlappen gewesen, doch das, was ich gerade durchmachte, riss ein gewaltiges Loch in mein Herz. Eine klaffende Wunde, die so tief war, dass ich hätte schreien können.

Doch kein Laut kam über meine Lippen und keine Träne aus meinen Augen. Ich blieb stumm und lauschte nur den Regungen meines Herzens. Es sehnte sich nach Sienna, dieser wunderbaren Frau, die mich wahrscheinlich hätte sehr glücklich machen können. Aber ich wollte es nicht zulassen, aus Angst, sie verlieren zu können, so wie ich Nelly damals verlor.

Vielleicht würde Sienna jetzt sogar bei mir sein, wenn ich ihr meine Liebe gestanden hätte. Aber dann wäre auch ihr Leben vollkommen anders, dann hätte auch sie von allem Abschied nehmen müssen.

Es waren Träumereien, denen ich mich gerade hingab, denn ich wusste nicht einmal, ob sie überhaupt etwas für mich empfand, oder ob ich mir all das nur einbildete. Außerdem wollte ich meinen Beruf als Priester nicht aufgeben. Anfangs schien es nur die perfekte Lösung zu sein, um der Liebe aus dem Weg zu gehen, doch je länger ich studierte und je mehr ich in der Kirche arbeitete, desto stärker fühlte ich mich dazu berufen.

Zudem war es müßig, darüber nachzudenken, denn es änderte absolut nichts an den Gegebenheiten. Morgen würde ich an einen anderen Ort gebracht werden, womit die Dinge ihren Lauf nahmen. Fionn Ryan existierte nicht mehr, sondern nur noch James Edwards, ein Name, an welchen ich mich in der Zukunft gewöhnen musste. Da Alistair mich jedoch immer mit „Junge" anredete, würde das noch eine ganze Weile dauern.

Es war acht Uhr abends, als Alistair das Apartment erneut verließ, um eine halbe Stunde später wieder zurückzukehren. Ohne einen Ton zu sagen, drückte er mir einen Ausweis in die Hand.

Ich starrte auf das Bild, welches Alistair vorgestern mit einer Profikamera aufgenommen hatte. Mein Gesicht wurde durch eine Brille, deren Gläser keine Sehstärke enthielten, geziert. Alistair meinte, ich sollte mein Äußeres ein wenig verändern und die Idee mit der Brille fand ich gar nicht so schlecht. Um ehrlich zu sein, stand sie mir gut, wenngleich es auch ungewohnt war, sich damit zu sehen.

Außer meinem neuen Ausweis hatte Alistair noch zwei funkelnagelneue Koffer einer sehr bekannten Marke besorgt.

„Guck nicht so, mein Junge, wir müssen ja unsere Kleidung und all das irgendwie verstauen, ohne dass es auffällt!", erklärte er, als er meinen komischen Blick bemerkte. „Wie können doch nicht mit zwei Kisten durch die Gegend fahren!"

Seine Aussage ließ mich vermuten, dass wir das Land verlassen würden und zumindest eine Grenzkontrolle passierten. Denn nur innerhalb Solcher bestand die Möglichkeit, dass unser Gepäck unter die Lupe genommen wurde.

„Wann geht es denn los?", richtete ich meine Frage an Alistair, der gerade eine Banane schälte.

„Morgen Abend um acht. Wir sollten uns tagsüber gründlich ausschlafen, um fit zu sein, wenn wir aufbrechen. Obwohl du dich während der Fahrt ausruhen darfst."

„Ich kann auch fahren!", gab ich empört zurück, worauf er jedoch antwortete: „Nicht, so lange du nicht hundertprozentig fit bist."

Mit ihm war einfach nicht zu verhandeln, was solche Dinge betraf, das stellte ich immer wieder aufs Neue fest. Jedoch handelte es sich bei Alistair um einen äußerst angenehmen und witzigen Zeitgenossen. Wir hatten diese Woche unglaublich viel Spaß gehabt, redeten über Sport, insbesondere Fußball und einmal durfte ich ihm sogar in der Küche beim Kochen assistieren.

„Vermisst deine Frau dich eigentlich nicht?", erkundigte ich mich verwundert, als Alistair erklärte, dass er mir zwischendurch immer für einige Tage in meinem neuen Domizil Gesellschaft leisten würde.

„Ach, vermissen tut sie mich schon, aber da dies mein Job ist, kommt sie ganz gut damit klar. Außerdem kommt es nicht jeden Monat vor, dass wir jemanden ins Zeugenschutzprogramm nehmen", erklärte der kleine Dicke grinsend.

Für einen kurzen Moment schloss ich meine Augen. Es musste toll sein, eine Frau an seiner Seite zu haben, die alles in Kauf nahm, was mit dem Job zusammenhing. Sogleich stellte sich mir eine Frage. Hätte Sienna es hingenommen, nie offiziell mit mir zusammen sein zu können?

Sofort verwarf ich diesen Gedanken wieder, denn er brachte sowieso nichts. Eigentlich sollte die Affäre mit Sienna für mich längst Geschichte sein, doch das Problem war, dass ich diese schon lange nicht mehr als eine Affäre betrachtete. Sienna bedeutete mir etwas, ich hätte gerne unendlich viel Zeit mit ihr verbracht – bis in alle Ewigkeit. Doch dies war uns leider nicht vergönnt.

Als ich in dieser Nacht auf dem Sofa lag, wünschte ich mir, sie noch ein einziges Mal im Black Room haben zu können.

Der nächste Tag begann mit leichtem Nieselregen, sowie einem üppigen Frühstück, zubereitet vom Chefkoch, Alistair Kirkland, persönlich. Seine Rühreier führten mich regelmäßig in Versuchung, noch eine Portion zu essen, obwohl sich das Sättigungsgefühl bereits in meinem Magen ausbreitete. Doch es gefiel ihm, wenn er mich bekochen durfte und somit würdigte ich Alistairs Rühreier gebührend, indem ich noch eine zweite, nicht minder große Portion davon verdrückte.

Direkt nach dem Frühstück begannen wir mit dem Kofferpacken, wobei ich nicht alles in einen unterbekam, was ich lautstark kundtat.

„Immer mit der Ruhe, mein Junge. Den Rest bringe ich dir später vorbei. Nimm das mit, was du am liebsten hast, ok?", beruhigte mein Ziehvater mich.

Es gelang mir schließlich, eine gute Auswahl zu treffen, mit der ich leben konnte. Meine Fleecejacke würde ich nachher anziehen, ebenso die wind- und wasserdichte Regenjacke darüber. Festes Schuhwerk blieb unerlässlich und somit war ich für jegliches Wetter gerüstet. Utensilien wie Zahnbürste, Rasierer und dergleichen befanden sich ebenfalls bereits in meinem Koffer. Auch Alistair packte fleißig Dinge ein, wobei ich noch einen Teil seines Koffers mitbenutzen durfte. Ich drückte ihm meine Joggingschuhe in die Hand, welche er ohne zu zögern darin verstaute. Letztendlich hatten wir gegen Mittag alles fertig gepackt und konnten uns am Nachmittag noch einige Stunden aufs Ohr hauen. Da ich keine Ahnung hatte, wie lange wir unterwegs sein würden, kostete ich das Schlafen bis zur letzten Minute aus.

Es war sechs Uhr abends, als Alistair mich weckte. „Wir essen jetzt gemütlich, machen hier ein bisschen Ordnung und dann geht es los", erklärte er, als ich mich von der Couch erhob, um ins Badezimmer zu gehen.

Unser Zeitplan wurde strikt eingehalten, denn es war punkt acht, als wir das Apartment verließen, um in Alistairs Wagen, einen weißen SUV, zu steigen. Ich durfte ihm nicht einmal beim Einladen der Koffer behilflich sein, was mich ziemlich wütend machte. Dagegen unternehmen konnte ich jedoch nichts.

Seufzend nahm ich meinen Platz auf dem Beifahrersitz ein und wartete bis Alistair sich auf dem Fahrersitz niederließ. Als er meinen zweifelnden Blick bemerkte, sagte er: „Keine Sorge, ich kann das Gaspedal und die Bremse erreichen. Nur mit der Kupplung würde es Probleme geben, aber deswegen fahre ich ein Automatikgetriebe."

Dieser Typ konnte wahrhaftig Gedanken lesen, was mich breit grinsen ließ.

Kaum bog der Wagen um die Ecke und fuhr an die nächste Kreuzung, wusste ich, wo wir uns befanden, zumindest, was die Stadt anging. Ich war die ganze Zeit in London, in einem der südlichen Stadtteile untergebracht gewesen.

Meine Neugierde wohin die Reise uns wohl führte, stieg in dieser Sekunde ins Unermessliche, doch Alistair blieb nach wie vor stumm, wenn es darum ging. Während ich den Weg anhand der Beschilderung verfolgte, plapperte er munter drauflos.

„Wann hast du das letzte Mal Urlaub gemacht, Junge? Ist es schon lange her?"

„Das liegt wirklich schon eine ganze Weile zurück", gab ich zu und verfolgte weiterhin die Schilder.

Wir fuhren gerade in Richtung Bristol und ich hatte nach wie vor keine Ahnung, wie Alistairs weiterer Reiseplan aussah. Von Bristol aus ging es nach Cardiff und von dort aus nach Swansea. Wir befanden uns nun in Wales, es war stockdunkel draußen und ich versuchte herauszufinden, was als nächstes Ziel in Frage kam. Mir fiel nur Pembroke ein, ein Ort an der Küste. Dort legten die Fähren nach Irland ab.

„Alistair?"

„Ja, mein Junge?"

„Bringst du mich nach Irland?"

Sein Schmunzeln ließ mich wissen, dass ich absolut ins Schwarze getroffen hatte.

„Aber wieso ausgerechnet Irland? Das ist meine Heimat! Dort bin ich geboren."

„Ja und? Warum sollte es nicht nach Irland gehen? Was hast du gegen deine alte Heimat einzuwenden?"

„Könnte man mich dort nicht sofort finden?"

„Wenn man deine Identität aufdecken würde, könnte man dich überall finden, aber glaube mir, auf die Idee, dass du gerade in deiner alten Heimat bist, kommt so schnell keiner. Zudem wirst du ja nicht in der gleichen Gegend sein wie früher und du wirst nicht ewig dort bleiben, nur so lange, bis du deine Aussage beim Richter gemacht hast."

„Das ist ausgebufft."

„Stimmt."

Ein wenig aufgeregt rutschte ich auf meinem Sitz hin und her. Ich wollte unbedingt wissen, in welchem Teil der grünen Insel ich für einige Zeit bleiben würde. Dass die Fähre in Rosslare anlegte, war mir durchaus bekannt, aber wie würde es von dort aus weitergehen?

Alistair, der meine Unsicherheit zu bemerken schien, sagte nur: „Du wirst im Süden Irlands wohnen, ok? Mehr verrate ich noch nicht."

Der Süden war wunderschön, ich liebte das Meer und hoffte, dass es von meinem neuen Domizil aus gut zu erreichen war. Vielleicht konnte ich sogar am Strand joggen gehen.

Um kurz nach Mitternacht erreichten wir den Hafen von Pembroke und reihten uns in die kleine Schlange ein, welche sich bereits vor der Fähre gebildet hatte. Zu dieser Uhrzeit reisten nicht unbedingt viele Leute nach Irland, sodass sich unsere Wartezeit in Grenzen hielt. Ein Beamter blieb neben unserem Wagen stehen und als Alistair das Fenster herunterließ, fragte er nach unseren Ausweisen und den Fahrzeugpapieren. Prompt geriet ich ins Schwitzen. Hoffentlich ging alles gut.

Zu meiner Erleichterung hatten Alistairs Angestellte wohl hervorragenden Arbeit geleistet, denn er Ausweis wurde nicht als Fälschung entlarvt. Der Beamte wünschte uns noch eine gute Reise, bevor er uns zur Fähre durchwinkte.

Auf der Fähre angekommen, durften wir den Wagen verlassen und suchten uns zwei bequeme Schlafsessel. Man konnte essen, trinken und selbst für Unterhaltung wurde gesorgt, jedoch hatte ich nur den Wunsch, so schnell wie möglich die andere Seite des Wassers zu erreichen.

Nach vier Stunden Überfahrt war es dann soweit: Die Fähre legte um viertel vor sieben in Rosslare an. Heilfroh, alles so gut überstanden zu haben, atmete ich erleichtert auf, als wir endlich mit dem Auto aus dem Hafen herausfuhren.

„So, mein Junge, ich denke, wir frühstücken jetzt erst Mal was", ließ Alistair verlauten, wobei er den Wagen zielsicher in Richtung eines kleinen Pubs steuerte, welches bereits geöffnet hatte und ein Full Irish Breakfast anbot. Darauf hatte ich jetzt wirklich Lust.

Direkt nach dem Frühstück ging es weiter in Richtung Waterfort und von dort aus nach Killarny; das lag schon im tiefsten Süden. Meine Augen wanderten über die Landschaft, während Alistair den Wagen durch kleine Ortschaften steuerte. Letztendlich lag unser Ziel in Ballinskelligs, einem wunderschönen, träumerischen Ort, direkt am Meer.

Alistair stoppte den Wagen vor einem kleinen, gemütlich wirkenden Haus und sagte: „So, mein Junge, das ist vorläufig dein neues Zuhause. Ich werde einige Tage bei dir bleiben, bis du sich eingewöhnt hast. Dann fahre ich wieder zurück nach London und besuche dich hin und wieder."

Zugegeben, mir war nicht ganz wohl bei dem Gedanken, alleine hier zu sein, doch wenn Alistair mir versicherte, dass alles ok sei, wollte ich es ihm glauben.

Das Haus besaß eine Küche, ein Gäste WC und ein gemütliches Wohnzimmer in der unteren Etage, sowie zwei Schlafzimmer und ein Bad in der oberen. In einem der Schlafzimmer stand sogar ein Doppelbett. Außerdem gab es noch eine kleine Abstellkammer, sowie eine Garage.

„Dort steht ein Wagen drin, Junge. Du kannst ihn gerne benutzen, aber wehe, du kommst auf die Idee, deinen alten Heimatort aufzusuchen, dann setzt es was", gab Alistair mir zu verstehen, als ich alles gründlich in Augenschein nahm.

„Ich bin nicht lebensmüde", entgegnete ich grinsend, worauf er mir zuzwinkerte.

Tatsächlich hatte ich nicht vor, in meinem Heimatort oder auch nur dessen Nähe aufzukreuzen. Meine Augen schweiften über die wunderschöne Landschaft und mir wurde bewusst, dass ich in einigen Wochen noch einmal Abschied von Irland nehmen durfte. Dann aber wirklich zum allerletzten Mal.

Doch bis dahin musste ich meine Zeit hier, in diesem kleinen, gemütlichen Haus verbringen, in welchem ich laut Alistair in Sicherheit war. Ich wollte hoffen, dass er sich nicht irrte.

Seufzend drehte ich mich um und kehrte ins Haus zurück. Als mein Blick auf den offenen Kamin fiel, wünschte ich mir nichts sehnlicher, als mit Sienna davor sitzen und kuscheln zu können. Aber dieser Traum würde niemals in Erfüllung gehen, denn mein Leben war nun zu einem Fluchtweg mutiert.

Ein Weg, den ich keinem anderen zumuten wollte.

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Hallo meine Lieben, hier ist das neue Update für Black Room.

Keine schönen Aussichten für Fionn, oder? Er wird in Zukunft alleine sein, dennoch sehnt er sich nach Sienna. Ich hoffe, ich konnte seine Gedanken und Gefühle einigermaßen rüberbringen.

Ich hoffe, ihr seid gespannt wie es weitergeht und bedanke mich an dieser Stelle für eure Unterstützung.

Oben findet ihr ein Bild des Wohnzimmers des Hauses, in welchem Fionn nun untergebracht ist.

LG, Ambi xxx

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