22. First Attempt

Sienna


Es war viertel vor elf, als Gwenny und ich endlich in meiner Wohnung eintrafen. Obwohl ich hundemüde war, konnte ich nicht schlafen. Stattdessen setzte ich mich mit meinem Laptop ins Wohnzimmer und suchte die Adresse des Polizeireviers in Hackney heraus. Gleich Morgen wollte ich dort vorbeischauen, um vielleicht einen Hinweis bezüglich Fionns Verschwinden zu erhalten.

„Soll ich morgen mitkommen?", bot Gwenny an.

„Ich weiß nicht. Vielleicht ist es besser, wenn ich alleine hingehe, verstehst du?", antwortete ich zögernd. „Immerhin ist das eine Sache zwischen Fionn und mir und ich denke einfach, je mehr Leute dort aufkreuzen, umso weniger sind die Beamten geneigt, mir Auskünfte zu erteilen."

„Damit könntest du allerdings Recht haben. Aber vielleicht kann ich dich trotzdem begleiten und in einem Café in der Nähe auf dich warten", meinte Gwenny.

Lächelnd erwiderte ich: „Ja, das klingt gut. So machen wir es."

Anschließend umarmte ich sie fest. „Du bist einfach die Beste, weißt du das?", flüsterte ich ihr ins Ohr. „Ich wüsste gar nicht, was ich ohne dich täte."

„Unsinn. Ohne mich würdest du nicht in dieser Situation stecken, Sienna. Schließlich stammte der Vorschlag, den Black Room aufzusuchen von mir. Und ehrlich gesagt fühlte ich mich ziemlich schuldig an der ganzen Sache", gestand meine beste Freundin kleinlaut.

„Das ist totaler Blödsinn!", entgegnete ich heftig. „Ich bin erwachsen, ich hätte wissen müssen, dass Kondome reißen oder platzen können, und mir war der Umstand bekannt, dass ich keine Pille nehme. Fionn hingegen wusste das nicht. Er wird..., er wird bestimmt mächtig sauer auf mich sein, sollte er es jemals erfahren."

Verzweiflung stieg in mir aus, als ich die nächsten Worte aussprach: „Vorausgesetzt ich finde ihn irgendwann in diesem Leben."

Gwennys herzliche Umarmung spendete ein wenig Trost in diesem traurigen Moment. Hoffentlich würde ich morgen, auf dem Polizeirevier, etwas über Fionn erfahren. Seufzend löste ich mich wieder von Gwenny, deren blaue Augen ein wenig müde wirkten. Kein Wunder, denn auch sie hatte ihren Kummer noch lange nicht überwunden. Wie egoistisch war ich eigentlich, dass ich mich die ganze Zeit nur um mich selbst kümmerte? Das sollte sich schleunigst ändern.

„Hast du noch was von Tony gehört?", fragte ich und schaute Gwenny aufmerksam in die Augen.

„Er müllt mich täglich mit E-Mails zu, die ich gekonnt ignoriere", erwiderte meine Freundin.

„Du hast nicht eine einzige davon gelesen?"

„Doch, aber ich antworte ihm nicht darauf. Zudem steht immer das Gleiche drin. Wie sehr es ihm leidtut und, dass ich ihm doch verzeihen soll, weil er mich über alles liebt."

Kopfschüttelnd ging ich in die Küche, um noch etwas Saft aus dem Kühlschrank zu holen.

„Was denkt er sich denn dabei? Das hätte er sich früher überlegen sollen", empörte ich mich über Tonys Verhalten.

„Dieser Ansicht bin ich auch", kam es prompt von Gwenny, die mir in die Küche gefolgt war du nun im Türrahmen stand.

Lächelnd betrachtete ich ihre gute Figur. In dieser Hinsicht standen wir uns in nichts nach, doch bald würde ich außer Konkurrenz laufen, was das betraf. Ich wartete förmlich darauf, dass die Kilos bald explodierten, denn das Baby wuchs nun täglich heran. Heute begann die achte Schwangerschaftswoche und als wir wenige Minuten später gemeinsam auf dem Sofa saßen, lag die Broschüre meiner Frauenärztin auf meinem Schoß, in welcher ich nun aufmerksam las.

„Gwenny, hast du gewusst, dass in der achten Schwangerschaftswoche bereits alle inneren Organe am richtigen Platz sind?", fragte ich aufgeregt.

„Nein, davon hatte ich keine Ahnung", gab meine beste Freundin zu und beugte sich nun interessiert über die Broschüre.

„Ihr winziges Baby ist von einer dünnen, mit Flüssigkeit gefüllten Membran umgeben. Eine schützende Umgebung, die ihm Bewegungsfreiheit lässt, Erschütterungen und Druck jedoch abfedert. In dieser Schwangerschaftswoche entwickeln sich die Zehen, Miniaturfinger sind bereits zu erkennen", las sie laut vor.

„Wow, das ist toll! Es kriegt jetzt Zehen und Finger!", meinte ich enthusiastisch. „Aber es ist noch immer so winzig, am Ende der Woche gerade mal 16 Millimeter."

„Das sind 1,6 Zentimeter, das ist viel größer als beim letzten Mal", kam es von Gwenny.

„Das stimmt allerdings. Ach, ich kann das gar nicht fassen, dass es so schnell geht."

Noch immer empfand ich es als ein Wunder, dass ein kleiner Mensch in mir heranwuchs. Die Veränderungen meines Körpers zeigten mir zudem täglich, dass etwas anders war. Mein Busen spannte und war wahnsinnig berührungsempfindlich, abgesehen von der morgendlichen Übelkeit bekam ich auch tagsüber nicht viel herunter, wenn es um das Essen ging. Deswegen hatte ich auch noch nicht wirklich zugenommen. Natürlich freute ich mich, dass meine Hosen noch passten, aber lange würde das sicher nicht mehr der Fall sein.

„Am Montag in zwei Wochen habe ich wieder einen Kontrolltermin bei meiner Frauenärztin", sagte ich seufzend.

Dann würde ich bereits in der zehnten Schwangerschaftswoche sein. Die ersten zwölf Wochen bezeichnete man als die kritischsten und ehrlich gesagt war ich froh, wenn diese vorbei sein würden. Auch wenn ich es mir noch nicht richtig vorstellen konnte, in naher Zukunft Mutter zu sein, wäre es für mich nie in Frage gekommen, die Schwangerschaft abzubrechen.

„Ich glaube, ich gehe jetzt ins Bett", sagte ich, nachdem ich die Broschüre zugeklappt und auf dem Wohnzimmertisch platziert hatte.

„Das werde ich auch tun", ließ Gwenny sofort verlauten.

Zu zweit kuschelten wir uns in mein Queen Size Bett, um ins Reich der Träume zu versinken.

In dieser Nacht schlief ich jedoch wahnsinnig schlecht, wurde immer wieder zwischendurch wach, weil ich von Fionn träumte. Als das Läuten der Türglocke mich am nächsten Morgen aus dem Tiefschlaf holte, konnte ich mich aber kaum noch an den verworrenen Traum erinnern.

„Wer zur Hölle ist das denn?", murmelte Gwenny verschlafen, während ich die Füße aus dem Bett schwang.

„Das werden wir gleich feststellen." Mit diesen Worten schlüpfte ich in meine Hausschuhe, die vor dem Bett standen und lief dann zur Wohnungstür. Als ich durch den Spion schaute, traf mich fast der Schlag, denn ich blickte in Tonys unrasiertes Gesicht.

„Oh mein Gott, das ist Tony", flüsterte ich, da Gwenny inzwischen an mich herangetreten war. „Was machen wir denn jetzt?"

Meine beste Freundin nahm mir jegliche Entscheidung ab, indem sie die Tür mit einem Ruck öffnete, um ihrem Ex-Verlobten ins Gesicht zu schmettern: „Was willst du denn hier?"

„Ich dachte mir, dass du bei Sienna bist, da du zuhause nicht aufmachst und..., ich wollte mit dir reden. Kann ich vielleicht reinkommen?", stotterte er unbeholfen.

So kannte ich den schleimigen Macho gar nicht.

„Ich kann nicht bestimmen, ob du hier reindarfst, denn es ist Siennas Wohnung", erklärte Gwenny in einem sehr bestimmten Tonfall.

Als ich ihm zunickte, trat das armselige Würstchen in den Flur. Vielleicht war es besser, wenn die beiden ihre Streitigkeiten nicht im Treppenhaus austrugen und vermutlich würde Tony es endlich einsehen, wenn Gwenny ihm noch einmal in aller Deutlichkeit zu verstehen gab, dass es aus und vorbei war. Notfalls würde ich ihr Rückendeckung geben, zudem besaß ich hier das Hausrecht. Wenn er mir blöd kam, konnte ich ihn einfach auf die Straße setzen.

„Gwenny, es tut mir alles so furchtbar leid", hörte ich Tony sagen. „Bitte verzeih' mir doch, es war... ein Ausrutscher."

Um der Diskussion aus dem Weg zu gehen, verzog ich mich schleunigst in die Küche. Dort konnte ich trotzdem jedes Wort hören und notfalls eingreifen. Während ich den Tee zubereitete, lauschte ich der Konversation der beiden.

„Nein, Tony! Mir reicht es. Wir sind noch nicht einmal verheiratet und du betrügst mich mit einer anderen? Was soll das erst werden, wenn wir länger zusammen sind? Ich habe keine Lust auf ein solches Leben. Ich möchte einen Mann, der zu mir steht und keinen der sich der nächstbesten Schlampe an den Hals wirft, wenn seine Frau gerade nicht in der Nähe ist! Hast du das verstanden?"

Ich konnte mir bildlich vorstellen, wie Gwenny ihre Hände in die Hüften stemmte, als sie ihm das an den Kopf warf. Innerlich applaudierte ich, äußerlich blieb ich ruhig, obwohl sich ein zufriedenes Grinsen auf meinen Lippen bildete. Am liebsten hätte ich laut losgelacht, weil Tony plötzlich ganz kleinlaut wurde.

„Bitte, Gwenny, was soll ich denn jetzt ohne dich tun?"

Es fiel mir schwer, das Gewinsel mit anzuhören. Nie hätte ich gedacht, dass er solch ein Jammerlappen war, der nun sinnbildlich gesprochen auf den Knien herumrutschte, um Gwenny um Verzeihung zu bitten. Solche Männer waren in meinen Augen einfach das Letzte. Ich wollte einen richtigen Kerl, der Stärke zeigte und nicht so ein Schlappschwanz wie Tony.

Bevor ich dazu kam, die Tassen aus dem Schrank zu räumen, spürte ich die Übelkeit in mir aufsteigen. Schnurstracks lief ich ins Bad, an Gwenny und Tony vorbei. Aus den Augenwinkeln nahm ich wahr, dass Letzterer mir erstaunt hinterherstarrte. Keine Sekunde zu früh erreichte ich das Bad, um den Inhalt meines Magens zu entleeren. Anschließend spülte ich meinen Mund aus und lehnte mich erschöpft gegen die Tür. Hoffentlich hörte das bald auf.

Als ich in den Flur zurückkehrte war Tony verschwunden.

„Ich hoffe, er taucht nie wieder auf", schniefte Gwenny entnervt.

Beruhigend legte ich einen Arm um ihre Schulter. „Und wenn, dann lassen wir ihn beim nächsten Mal gar nicht erst hinein."

„Mich würde interessieren, wie er überhaupt ins Haus gelangen konnte", meinte Gwenny.

„Vermutlich hat jemand die Haustür geöffnet, als er davorstand", gab ich zur Antwort, denn anders konnte ich es mir nicht erklären.

Da meine beste Freundin noch immer wie Espenlaub zitterte, machte ich einen Vorschlag.

„Hör zu, Gwenny. Ich werde nachher alleine zum Polizeirevier fahren. Du bleibst hier und ruhst dich aus. Wenn jemand klingelt, machst du einfach nicht auf, denn ich besitze ja einen Schlüssel, ok?"

Als ich ihr einen Kuss auf die Wange hauchte, flüsterte sie leise: „Ok. Aber pass auf dich auf."

„Mir passiert schon nichts, keine Sorge."

Auch heute verzichtete ich auf das Frühstück und trank nur eine Tasse Tee, während Gwenny eine kleine Schüssel Cornflakes, sowie zwei Scheiben Toast mit Butter und Marmelade verschlang.

„Wann willst du denn los?", erkundigte sie sich.

„Sobald ich geduscht und angezogen bin."

Noch immer wusste ich nicht, genau, was ich der Polizei erzählen würde. Auf keinen Fall wollte ich preisgeben, dass Fionn und ich uns in einem Black Room kennengelernt hatten. Vermutlich würde man mich dann sowieso auslachen oder mein Anliegen in Frage stellen.

Warum musste unsere Gesellschaft auch nur so spießig sein? Nach wie vor fand ich nichts Schlimmes dabei, einen Swinger Club aufzusuchen, es war auf jeden Fall besser, als so zu verfahren wie Tony. Er betrog seine Verlobte, weil ihm eine Frau nicht genug zu sein schien.

Während ich unter der Dusche stand, gingen mir diese Gedanken durch den Kopf. Sie sprangen von Tony zu Fionn. Wie anders er doch war. Wie aufmerksam, liebenswürdig, doch keineswegs schleimig. Er konnte sehr dominant sein, aber ebenso einfühlsam.

Jede Stunde mit ihm zeichnete sich durch unterschiedliche Vorgehensweisen aus, wenn er mich verführte, oder sich von mir verführen ließ. Es wurde nie langweilig mit ihm und ich konnte mir auch nicht vorstellen, dass dies in der Zukunft irgendwann eingetreten wäre. Sicher kannte man sich mit der Zeit besser, doch gerade diese Vertrautheit machte das Besondere zwischen uns aus. Fionn war der erste Mann, in dessen Armen ich hatte weinen können; abgesehen von Seth, meinem Bruder. Aber das zählte nicht, da er zur Familie gehörte.

„Gwenny, ich bin dann fertig und mache mich auf den Weg, ok?"

Mit Jeans, Stiefeln und einem Mantel bekleidet, stand ich vor meiner besten Freundin, die sich auf dem Sofa niedergelassen hatte, um in einer Zeitschrift zu blättern.

„Du hast dich aber schick gemacht!" sagte sie lächelnd.

„Ja, du weißt, was wir gelernt haben. Kleider machen Leute. Und je besser du angezogen bist, desto eher hört man dir zu."

„Das stimmt allerdings."

Sie erhob sich, um mich zu umarmen und mir einen Kuss auf die Wange zu drücken.

„Ich wünsche dir viel Erfolg, Sienna."

„Danke, das kann ich brauchen."

Zehn Minuten später stand ich an der U-Bahn Haltestelle und wartete, bis der Zug einfuhr. Den Weg nach Hackney hatte ich mir genau eingeprägt. Je nachdem, wie mein Besuch auf dem Polizeirevier verlief, würde ich anschließend vielleicht noch einmal bei Fionns Haus in Harrow vorbeischauen.

Meine Nerven lagen blank, als ich die U-Bahn in Hackney verließ und den Weg zum Polizeirevier einschlug. Zu diesem Zweck benutzte ich mein Handy als Navigationshilfe. Dies klappte hervorragend, denn zehn Minuten später traf ich vor dem Gebäude ein, dessen Schild an der Hauswand unmissverständlich klar machte, dass hier die Polizei zuhause war.

Natürlich hatte ich mir inzwischen einige Sätze zurechtgelegt, doch ob meine Strategie auch Erfolg haben würde, blieb abzuwarten. Nach einem tiefen Atemzug und mit zitternden Beinen öffnete ich die Eingangstür, um durch einen kleinen Flur zu laufen, an dessen Ende sich ebenfalls eine Tür befand. Diese besaß ein kleines Fenster. Als ich zaghaft anklopfte, zeigte sich das Gesicht eines Beamten, der einfach nur fragte: „Sie wünschen bitte?"

Ich brauchte zwei Sekunden, um mich zu fassen, dann antwortete ich: „Ich benötige eine Auskunft bezüglich einer Person, die verschwunden ist."

Der Beamte starrte mich an, als sei ich geistesgestört.

„Miss, wir sind hier nicht das Einwohnermeldeamt", antwortete er kopfschüttelnd.

Ok, dann musste ich wohl auf die harte Tour vorgehen.

„Könnte ich bitte Ihren Vorgesetzten sprechen?"

Jetzt lachte der Mann laut auf, was mich ziemlich wütend machte, da ich noch immer höflich geblieben war.

„Mein Boss hat andere Dinge zu tun, als sich um so etwas zu kümmern. Wie gesagt, suchen die das Einwohnermeldeamt auf", erklärte der unverschämte Schnösel.

„Nein", sagte ich scharf. „Es geht hier um jemanden, der vermutlich in ein Zeugenschutzprogramm aufgenommen wurde und ich glaube kaum, dass das Einwohnermeldeamt in diesem Fall die richtige Adresse für eine Auskunft ist!"

Der Beamte zog seine Augenbrauen ein Stück nach oben, bevor er mit ironisch klingender Stimme sagte: „Tut mir leid, wir geben keinerlei Auskünfte an die Presse."

Wie kam er denn jetzt darauf?

„Hören Sie, ich bin nicht von der Presse", beteuerte ich, um mich dann gleich danach aufs Betteln zu verlegen.

„Es ist sehr wichtig für mich, diese Person zu finden. Es geht dabei um rein private Interessen, mehr nicht. Bitte lassen mich mit ihrem Boss sprechen."

Ich musste wohl ziemlich überzeugend gewirkt haben, denn der Beamte seufzte kurz und erwiderte: „Warten Sie hier."

Dann drehte er sich um und verschwand meinen Blicken. Bange Minuten des Wartens vergingen, die mir wie eine Ewigkeit vorkamen. Nervös trat ich von einem Fuß auf den anderen, hatte das kleine Fenster der Tür immer im Blick, um nichts zu verpassen. Nach gefühlten zehn Minuten tauchte erneut der komische Beamte auf, mit welchem ich bereits gesprochen hatte.

„Mein Boss empfängt Sie kurz, aber zuerst brauche ich Ihren Namen.

„Ich heiße Sienna Roberts", gab ich erleichtert zur Antwort. „Und danke, dass sie sich solche Mühe machen."

„Normalerweise tue ich das nicht und ich weiß nicht, wie Sie mich dazu gebracht haben, aber lassen wir das", entgegnete er, während er ein Formular ausfüllte, welches ich dann unterschreiben musste.

Anschließend öffnete er die Tür, winkte mich durch und führte mich zu einer Treppe, die in den ersten Stock führte. Dort wurde ich in ein kleines Büro geleitet, in welchem ein bärtiger, großer Mann hinter einem Schreibtisch saß. Seine grauen Haare wirkten schüttern und er trug eine Brille mit kleinen, eckigen Gläsern auf der Nase.

„Miss Roberts", begrüßte er mich und reichte mir kurz die Hand, bevor er mir mit einer Geste zu verstehen gab, dass ich Platz nehmen sollte.

Kaum saß ich auf dem Stuhl vor dem Schreibtisch, wies er seinen Untergebenen an, den Raum zu verlassen, was dieser umgehend tat.

„Nun, Miss Roberts, ich bin Kommissar Lennings. In welcher Angelegenheit wünschen Sie mich zu sprechen?"

Natürlich ging ich davon aus, dass sein Kollegin ihn bereits über den Inhalt unseres Gesprächs informiert hatte, aber Kommissar Lennings wollte dies wohl noch einmal von mir persönlich hören. Da ich nun zum Leiter der Polizeistation vorgedrungen war, brauchte ich auch mit Informationen nicht zu geizen.

Ohne zu zögern holte ich mein Handy aus der Tasche und suchte nach dem Link des Zeitungsartikels, welchen Seth für mich herausgesucht hatte. Von diesem hatte ich sogar einen Screenshot angefertigt und öffnete diesen nun, damit der Kommissar sogleich im Bilde war.

„Es geht um diesen Mord", erklärte ich, als ich ihm das Handy über den Tisch reichte.

Während er den Screenshot studierte, setzte ich zu weiteren Erklärungen an.

„Ich habe die Befürchtung, dass dieser Zeuge, der in diesem Artikel erwähnt wird, genau der Mann ist, den ich verzweifelt suche."

Der Kommissar blieb gelassen. „Und wie kommen Sie darauf, dass er in ein Zeugenschutzprogramm aufgenommen wurde?", lautete seine Frage.

Nun musste ich Farbe bekennen.

„Weil er einen Autounfall hatte und ich ihn im Krankenhaus besucht habe. Als ich am nächsten Tag dort vorbeischaute, sagte man mir, dass niemand mit dem Namen Fionn Ryan dort jemals gelegen hätte. Ich habe ihn mit meinen eigenen Augen gesehen, das müssen Sie mir glauben."

Der Kommissar räusperte ich, bevor er antwortete: „Finden Sie das nicht ein bisschen weit hergeholt? Ich meine, könnte es nicht sein, dass man Ihnen einfach keine Auskunft über seinen weiteren Verbleib geben wollte, weil sie vermutlich nicht mit ihm verwandt sind?", äußerte er seine Gedanken.

Jetzt saß ich in der Falle. Wenn ich Seth nicht in die Pfanne hauen wollte, musste ich die Sache ziemlich klug formulieren. Zum Glück fiel mir jedoch eine gute Ausrede ein.

„Ich kenne jemanden, der in diesem Krankenhaus arbeitet. Derjenige hat die Daten im Computer für mich überprüft und festgestellt, dass Mr Ryans Daten alle gelöscht wurden. Das kann doch kein Zufall sein, oder?"

Kommissar Lennings überreichte mir das Handy wieder und sagte: „Ich glaube, ich kann Ihnen in dieser Angelegenheit nicht helfen, Miss Roberts. Natürlich kann ich mich an diesen Mordfall erinnern, aber er wurde von uns direkt an das oberste Polizei Headquarter weitergeleitet. Zudem bin ich nicht befugt, Ihnen irgendwelche Auskünfte zu geben."

Nun spielte ich meinen letzten Trumpf aus.

„Auch nicht, wenn ich von diesem Mann schwanger bin?"

Meine Hoffnungen wurden binnen Sekunden zunichte gemacht, als der Kommissar antwortete: „Auch dann nicht. Wir haben unsere Vorschriften."

Ich spürte, wie meine Augen sich mit Tränen füllten, dabei wollte ich nicht weinen. Mit aller Gewalt versuchte ich, diese zurückzuhalten, doch es gelang mir nicht.

„Hören Sie, Miss Roberts, alle Unterlage bezüglich des Mordfalls befinden sich nun im Headquarter. Der einige Tipp, den ich Ihnen geben kann ist, dort nachzufragen. Auch wenn die Aussichten auf Erfolg wohl eher gering sind."

Vorsichtig trocknete ich meine Tränen mit einem Papiertaschentuch, bevor ich mich langsam erhob.

„Trotzdem vielen Dank", murmelte ich, bevor ich mit zitternden Beinen zur Tür ging.

„Miss Roberts?"

Ich drehte mich noch einmal um. „Ja, Kommissar Lennings?"

Er schaute mich durchdringend an, als er sagte: „Ich wünsche Ihnen viel Glück bei Ihrer Suche."

Warum nur hatte ich das Gefühl, dass er diese als ziemlich erfolglos ansah?

Als ich wenige Minuten später auf der Straße, vor dem Polizeirevier in Hackney stand, beschloss ich, nochmals nach Harrow zu fahren. Ab Montag würde ich nämlich wieder arbeiten gehen, was mein Zeitfenster für solche Dinge unweigerlich um ein Vielfaches schmälerte. Vorher rief ich jedoch bei Gwenny an, damit sie sich keine Sorgen machte, weil ich so lange unterwegs war.

„Hey, Süße, ich bin's", meldete ich mich.

„Hey, Sienna. Und? Hast du was herausgefunden?"

Seufzend antwortete ich: „Leider so gut wie gar nichts, außer, dass sämtliche Unterlagen dieses Mordfalls betreffend, an das Polizei Headquarter weitergeleitet wurden. Ich werde dort in den nächsten Tagen vorbeischauen."

„Das tut mir echt leid für dich. Hast du den Polizisten denn nicht erzählt, dass du schwanger bist?", erkundigte sich Gwenny bestürzt.

„Doch und daraufhin bekam ich nur die Information mit dem Headquarter."

„Du musst unbedingt dorthin gehen!", redete Gwenny auf mich ein.

„Das tue ich, aber jetzt fahre ich erstmal nach Harrow", entgegnete ich, noch immer leicht schockiert, weil sich die Suche nach Fionn wohl sehr viel schwieriger gestaltete, als angenommen.

„Ok, soll ich uns nachher was zu Essen kochen? Du könntest mich anrufen, wenn du auf dem Heimweg bist, dann ist das Esse fertig, wenn du hier eintriffst", schlug Gwenny vor.

„Das wäre super! Ich hätte Lust auf Pancakes", kam es von mir.

„Kein Problem, Süße."

Nach diesem Satz beendeten wir unser Telefonat. Wie in Trance lief ich zur U-Bahn Station und als der Zug einfuhr und ich einstieg, hatte ich das Gefühl in einen schwarzen Raum zu fallen. Alles wurde verschluckt. Meine Zukunft, meine Vergangenheit, meine Liebe. Alles was übrig blieb, war ein seltsamer Gedankenstrang, der mich überall hinführte, nur nicht zu einer Lösung. Egal in welche Richtung ich dachte, ich kam niemals an. Doch ich würde nicht aufgeben. Ich war schwanger von Fionn und ich wollte ihn unter allen Umständen finden. Niemand konnte mir verwehren, den Vater meines Kindes ausfindig zu machen. Ich besaß jegliches Recht, ihn so lange zu suchen, wie es mir beliebte.

Es dauerte eine ganze Weile, bis ich in Harrow eintraf, denn die beiden Stadtteile lagen nicht gerade nahe beieinander. Die Strecke von der U-Bahn Haltestelle bis zu Fionns Haus war mir bereits so vertraut, dass ich mir einbildete, irgendwann hier leben zu dürfen, leben zu wollen, mit ihm und unserem Kind in seinem Haus.

Traurig blickte ich auf den kleinen Vorgarten und das verlassene Haus. Noch immer war das Tor verschlossen, ebenso die Fensterläden. Es tat weh hier zu stehen und sich an ihn zu erinnern. Langsam schloss ich meine Augen und kurze Zeit später befand ich mich im Black Room. Ich wollte wieder dorthin zurück, zu Fionn; seine Umarmungen spüren, seine Lippen fühlen und seine Stimme hören, die sich bis in jede noch so kleine Faser meines Herzens eingebrannt hatte.

Als ich meine Augen wieder öffnete, wurde mir eines bewusst: Ich würde niemals aufgeben, nicht so lange ich lebte.

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