19. Temporary Fix
AD an DA: „Der Boss braucht sofort frische Boxershorts für unseren neuen Patienten."
DA an AD: „Und was habe ich damit zu tun?"
AD an DA: „Du bist unser Newbie, der muss immer herhalten. Also rück eine aus deinem Besitz raus."
DA an AD: „Leck mich!"
AD an DA: „Ich hatte schon immer den Verdacht, dass du auf der anderen Seite stehst."
DA an AD: „Du bist dämlich, das tue ich nicht, verdammt! Aber ok, ich mache es, weil mir nichts anderes übrigbleibt."
AD an DA: „Braver Newbie, du darfst dir auch die Farbe aussuchen."
DA an AD: „Dann nehme ich meine rote."
AD an DA: „Hahaha, doch die andere Seite."
DA an AD: „ Leck mich zweimal! Over and out!"
AD an DA: „..."
Fionn
Schlagartig erwachte ich durch die grausamen Schmerzen, welche sich vehement durch meinen Brustkorb zogen. Es fühlte sich an, als hätte ein Elefant darauf gesessen und meinen Oberkörper eingequetscht. Jede Bewegung verursachte Stiche, sowie ein immenses Druckgefühl in meiner Brust. Was zum Teufel war passiert?
Mühsam öffnete ich die Augen, um festzustellen, dass ich mich an einem unbekannten Ort befand. In diesem Raum war ich definitiv noch nie gewesen, eine Erkenntnis, die mich dazu trieb, zu rekonstruieren, was sich zugetragen haben mochte.
Vage erinnerte ich mich daran, dass bei meinem Bentley während der Fahrt die Bremsen versagten und ich in einen Zaun hineingefahren war. Gott sei Dank hatte ich auf der Rückreise von Holyhead nach London die Landstraße benutzt, denn auf der Autobahn wäre der Unfall vermutlich nicht so glimpflich verlaufen. Die nächste Erinnerung, die zurückkehrte, war, dass ich in einem Krankenhaus landete. Und plötzlich hielt ich den Atem an.
Sienna.
Sie war in diesem Hospital gewesen, um mich zu besuchen. Im ersten Moment wusste ich nicht, ob ich das nur geträumt hatte, oder ob es sich tatsächlich um die Realität handelte. Doch je intensiver ich mich erinnerte, desto klarer wurde, dass Siennas Anwesenheit keinesfalls einem Traum entsprang. Ich hatte sie leibhaftig vor mir gesehen, ihr langen, dunkelroten Haare, die hübschen blauen Augen, die schlanke Erscheinung und ich hatte ihre wundervolle Stimme gehört. Sie wollte morgen wiederkommen.
Morgen?
Welcher Tag war heute und warum lag ich nicht mehr im Krankenhaus? Der Raum, in dem ich mich befand, wirkte wie ein gemütliches Wohnzimmer, das konnte ich selbst im gedämpften Licht wahrnehmen, welches eine angenehme Atmosphäre verbreitete. Mein Blick fiel auf einen antiken, dunkelgebeizten Holzschrank, sowie auf zwei bequem wirkende, mit dunkelrotem Stoff bezogene Sessel. Ich selbst ruhte auf einer Couch, zugedeckt bis zum Hals und trug glücklicherweise keines dieser ätzenden Krankenhaushemden mehr. Daran konnte ich mich komischerweise ziemlich genau erinnern. Ich hasste diese Dinger wie die Pest, da sie hinten offen waren und im Bett sowieso immer verrutschten.
Stöhnend vor Schmerzen setzte ich mich vorsichtig auf, um meinen Körper zu betrachten. Man hatte mich in ein weißes Shirt, sowie in eine graue Jogginghose gesteckt, welche bestimmt drei Nummern zu groß war, wenn man sich an der Weite orientierte. Dafür stimmte die Beinlänge nicht, denn dort fehlten etliche Zentimeter. Wem immer dieses Teil gehörte, er konnte nur klein und dick sein, das stand fest. Außer dem Pflaster auf meiner Stirn konnte ich keine anderen Verbände oder gar Wunden entdecken, was mich förmlich dazu zwang, den nächsten Schritt in Angriff zu nehmen.
Als ich versuchte aufzustehen, wurde mein gesamter Brustkorb erneut von den heimtückischen, gemeinen Schmerzattacken heimgesucht. Außerdem stellte sich leichter Schwindel ein. Da ich jedoch ziemlich durstig war und sich außer mir niemand in diesem Zimmer aufhielt, sah ich mich gezwungen, auf Entdeckungsreise zu gehen, egal wie problematisch sich diese gestaltete. Kaum stand ich auf meinen Beinen, setzte ein ekelhaftes Pochen in meinem Schädel ein. So, als ob jemand ständig mit einem kleinen Hammer dagegen schlug.
„Scheiße", murmelte ich und fasste mir an die Stirn.
Dort klebte in großes Pflaster, welches ich jedoch nicht abreißen wollte. Wer wusste schon, was dann zum Vorschein kam? Irgendjemand hatte sich während der letzten Stunden oder sogar Tage um mein Wohlergehen gekümmert und diese Person musste irgendwann hier auftauchen. Aber so lange konnte ich nicht warten, bis dahin würde ich vermutlich verdurstet sein.
Unter Aufbietung meiner gesamten Kraft, sowie der angeborenen Ignoranz bezüglich jeglicher Schmerzen, gelang es mir schließlich die Tür zu erreichen, welche ich nun vorsichtig öffnete.
Neugierig spähte ich in den kleinen Flur, von welchem drei Türen abgingen. Ich entschied mich für die erste und landete prompt in einem Badezimmer. Da ich jedoch keinen Drang verspürte, dieses benutzen zu müssen, schloss ich die Tür wieder, um zur nächsten zu gehen. Dabei tastete ich mich an der Wand entlang, denn ich fühlte mich noch immer etwas wackelig auf den Beinen. Irgendetwas sagte mir, dass es sich bei dem zweiten Raum um eine Küche handelte, in welcher ganz sicher Getränke vorzufinden waren.
Zwei Sekunden später stellte ich grinsend fest, dass mein Gefühl mich nicht im Stich gelassen hatte. Zwar zeichnete sich die Küche durch eine ausgesprochen spartanische Einrichtung aus, doch die drei Wasserflaschen auf der langen Arbeitsplatte waren weiß Gott nicht zu übersehen. Den Umstand nach einem Glas zu suchen, ersparte ich mir, denn ich trank gleich aus der Flasche.
Es tat gut, das kühle Nass im Mund zu spüren und gleich darauf die Trockenheit in meiner Kehle zu bekämpfen. Mit einem erleichterten Seufzen stellte ich die Falsche kurz ab, als ich plötzlich ein Geräusch vernahm. Jemand drang in die Wohnung ein, ich hörte deutlich den Schlüssel, der ins Schloss der Eingangstür gesteckt und herumgedreht wurde. Panisch blickte ich mich um. Was oder wer würde mich gleich erwarten?
Mit klopfendem Herzen starrte ich wie gelähmt in Richtung Flur, um kurz darauf Schritte zu vernehmen. Die Person lief in einem äußerst gemütlichen Tempo durch die Wohnung und als ich einen überraschten Ausruf vernahm, wurde mir ziemlich schnell klar, dass mein Verschwinden aus dem Wohnzimmer bemerkt worden war.
„Wo zum Teufel steckt der Kerl?", hörte ich eine tiefe Stimme, die sich jetzt unaufhaltsam näherte, genau wie die Schritte.
Anstatt einen Laut von mir zu geben, stand ich wie angewurzelt in der Küche und schaute mich nach einem Gegenstand um, den ich notfalls zur Verteidigung nutzen konnte. Außer einem großen Küchenmesser, welches sich in der nächstbesten Schublade befand, entdeckte ich jedoch keine geeignete Waffe. Immerhin besser als nichts, zumindest sah ich die Sache so.
Fest umklammerte ich den schwarzen Griff des scharfen Messers, als die Küchentür aufgestoßen wurde und ein kleiner, dicklicher Mann zum Vorschein kam. Die Jogginghose gehörte ihm, das wurde mir im Bruchteil dieser Sekunde bewusst.
„Was zum Teufel tust du ja, Junge? Steck um Gottes Willen das Messer weg und leg dich wieder hin! Du hast eine verdammte Gehirnerschütterung, kapierst du das?", entfuhr es dem Mann ungehalten.
Trotz der harschen Worte konnte ich deutlich die Besorgnis aus seiner Stimme heraushören. Bevor ich mich dazu entschloss, das Messer aus der Hand zu legen, stellte ich eine Frage.
„Wer sind Sie und wo bin ich hier?"
Der kleine dicke Mann, - ich schätzte ihn auf etwa Ende fünfzig, Anfang sechzig -, verzog sein Gesicht zu einem lustigen Grinsen, als er antwortete: „Ich bin Alistair und du bist hier in Sicherheit, würde ich behaupten."
„Alistair?", wiederholte ich.
Dieser Name sagte mir rein gar nichts und während ich noch überlegte, ob ich ihn vielleicht auf einem Polizeirevier gesehen hatte, ließ er bereits den nächsten Spruch los.
„Ja, Alistair, mit diesem Namen bin ich getauft worden. Ich persönlich hätte mir ja gerne einen anderen ausgesucht, einen der was hermacht, aber meine Mutter wollte es so. Immerhin ist mein Nachname ganz annehmbar, Alistair Kirkland passt doch gut, oder nicht?"
Noch immer starrte ich ihn an, während mein Mund auf und zu klappte. Mir hatte es gelinde gesagt die Sprache verschlagen, da ich seinen Humor bewunderte. Und Alistair setzte noch eins obendrauf, indem er sagte: „Du brauchst keine Angst zu haben, ich tue dir nichts, also steck gefälligst das Messer weg, oder soll ich dir den Hintern versohlen?"
„Nein, danke, kein Bedarf", erwiderte ich und ließ das Messer sinken, um es anschließend wieder in der Schublade zu verstauen.
„So ist es besser", hörte ich Alistair zufrieden sagen, bevor er mich eingehend musterte.
„Bist du ok? Du solltest dich wieder hinlegen, denn deine Gehirnerschütterung muss auskuriert werde, bevor wir uns auf die Reise begeben."
„Welche Reise?", fragte ich verwirrt.
Ich wusste noch nicht einmal, wie ich hierhergekommen war, geschweige denn, wo genau ich mich befand und dieser kleine, komische Kerl faselte bereits von der nächsten Reise.
„Das erzähle ich dir später, wir haben schließlich noch genügend Zeit totzuschlagen. Aber jetzt mich ich erstmal den Einkauf verstauen."
Geschäftig wuselte er in der Küche umher und begann den weißen Kühlschrank, der rechts neben der Tür stand, mit Lebensmitteln zu füllen. Während ich ihm dabei zuschaute, beäugte ich ihn neugierig.
Er trug eine Halbglatze und an den Seiten braune, kurze Haare, die mit einzelnen grauen durchzogen waren. Seine geringe Körpergröße und Form standen im Gegensatz zu seinem sehr sicheren Auftreten, sowie seiner Flinkheit, die er an den Tag legte. Binnen kürzester Zeit waren die beiden Einkaufstüten geleert und er wandte sich wieder an mich.
„Du solltest dich hinlegen, Junge. Hast du Hunger? Ich koche uns was zu essen, oder möchtest du lieber einen Tee?"
Seine braunen Augen schauten freundlich zu mir und mir wurde jetzt erst richtig bewusst, dass ich von ihm nichts zu befürchten hatte.
„Du bist hier in Sicherheit."
Seine vorangegangenen Worte zogen erneut durch mein Gedächtnis und ich fragte mich plötzlich, ob Inspektor Parker hinter all dem steckte. Obwohl ich die Aussage noch nicht unterschrieben hatte, schien es relevant zu sein, für meine Sicherheit zu sorgen. Die Frage, die sich mir stellte, war jedoch, wieso ausgerechnet jetzt?
Bevor ich dazu kam, Alistair dahingehend zu löchern, verfrachtete dieser mich zurück ins Wohnzimmer, auf die Couch, da mir plötzlich schwindelig wurde und ich mich krampfhaft an der Küchenarbeitsplatte festhielt.
„Immer diese jungen Leute, die glauben alles besser zu wissen", murmelte er, als er mich zudeckte.
Grummelnd lag ich unter der Decke, gleichzeitig begann mein Magen zu knurren.
„Ich habe Hunger", gestand ich freimütig, worauf Alistair zu grinsen begann.
„Sehr schön, dann koche ich uns was Gutes. Du bleibst so lange liegen, hast du das verstanden?"
„Ja", erwiderte ich nur, schloss meine Augen und gab mich meinen Wunschträumen hin.
Sienna tauchte in meinem Kopf auf, verführerisch, geheimnisvoll und sexy. Mit was für einer tollen Frau hatte ich die Stunden im Black Room verbracht. Davon konnten andere Männer nur träumen.
Schlagartig mischte sich mein rationelles Denken ein. Woher wusste Sienna, in welchem Krankenhaus ich lag? Wie konnte sie überhaupt wissen, dass mir dieser Unfall zugestoßen war? Trudy war die einzige Person, die das Krankenhaus davon in Kenntnis gesetzt hatte. Aber wo bestand die Verbindung zwischen Sienna und Trudy?
Das viele Denken bereitete mir Kopfzerbrechen und letztendlich führte es erneut zu einer Kopfschmerzattacke. Außerdem plagten mich nach wie vor die brutalen Schmerzen in der Brust, die deutlich machten, dass ich auf jeden Fall mehr als eine Gehirnerschütterung abbekommen hatte. Vielleicht sollte ich Alistair danach fragen, er konnte mit Sicherheit eine Auskunft dahingehend erteilen.
Kaum hatte ich diesen Gedanken zu Ende gesponnen, öffnete sich die Tür und der kleine, dicke Mann betrat das Zimmer. In seinen Händen hielt er zwei große Suppentassen, welche er sogleich auf dem Tisch vor dem Sofa abstellte.
„Die Löffel bringe ich gleich und auch etwas zu trinken", erklärte er freundlich, bevor er den Raum flink wie ein Wiesel verließ.
Der Duft der Suppe stieg in meine Nase und machte mir den Mund wässrig. Es entzog sich meiner Kenntnis, wann ich zum letzten Mal feste Nahrung zu mir genommen hatte, aber ich tippte auf die Gaststätte, die zwischen Birmingham und Oxford lag und in welcher ich den leckersten Eintopf aller Zeiten vertilgt hatte.
Als Alistair endlich mit den Löffeln auftauchte, war ich bereits nahezu am Verhungern. Ohne ein Wort zu sagen, griff ich nach der Suppentasse und begann die heiße Flüssigkeit vorsichtig in mich hineinzuschaufeln. Die Hühnersuppe schmeckte wirklich hervorragend und es blieb nicht ein Tropfen davon in der Tasse zurück. Entspannt lehnte ich mich in das große, weiche Kissen, nachdem ich die Tasse auf dem Tisch abgestellt hatte, und richtete eine Frage an Alistair.
„Warum bin ich hier? Hat es etwas mit Inspektor Parker und meiner Aussage zu tun?"
Augenblicklich schlug Alistair sich gegen die Stirn.
„Das hätte ich fast völlig vergessen, vor lauter Essen kochen! Du musst den Wisch noch unterschreiben. Parker hat ihn mir zukommen lassen."
Er wühlte in einer großen, braunen Ledermappe, welche neben seinem Sessel auf dem Boden lag und förderte schließlich einige Unterlagen daraus zutage.
„Hier haben wir es. Auf Seite zwei wird dein Autogramm verlangt. Es ist nur eine Formsache, denn das andere haben wir bereits in die Wege geleitet."
„Was bitte ist das Andere?", erkundigte ich mich neugierig.
„Das Zeugenschutzprogramm. Parker hat mich wissen lassen, dass er dich gründlich darüber informiert hat, als du bei ihm antanzen musstest."
Für eine Sekunde schloss ich meine Augen und atmete tief durch. Obwohl ich mich bereits in Irland dazu entschlossen hatte, diese Aussage zu unterschreiben und somit in das Zeugenschutzprogramm zu treten, war es doch ein Schock, sich jetzt mittendrin zu befinden. In eine Sache verstrickt zu sein, die nun mein ganzes Leben auf den Kopf stellte, war schon eine harte Nummer.
Ich schluckte, als mir bewusst wurde, was nun auf mich zukam und Alistair, der meine Gedanken zu erraten schien, begann plötzlich zu sprechen.
„Ich weiß, dass das nicht einfach für dich ist, mein Junge. Und vermutlich schwirren tausende von Fragen in deinem Kopf herum, deswegen fange ich mal von vorne an. Aber zuerst gieße ich mir einen Whiskey ein, du hast doch nichts dagegen?"
Dies schien mehr eine Feststellung, als eine Frage zu sein, welche ich dennoch nicht unbeantwortet ließ.
„Nein, ich habe nichts dagegen, aber ich hätte auch gerne einen."
Meine Idee, die Schmerzen dadurch zu betäuben, wurde augenblicklich durch Alistair zunichte gemacht.
„Das geht nicht, mein Junge. Du musst nachher deine Medizin nehmen und die verträgt sich nicht mit Alkohol."
„Welche Medizin?"
„Schmerzmittel, damit du heute Nacht wenigstens schlafen kannst", erwiderte der Gartenzwerg, bevor er sich anschickte, eine Flasche Whiskey aus dem mittleren Fach des großen, antiken Schranks herauszuholen.
„Und wenn ich die Schmerzmittel durch Alkohol ersetze?", versuchte ich ihn umzustimmen, was Alistair mit einem Seufzen quittierte.
„Also gut, wir machen einen Deal", schlug er vor. „Du darfst einen Whiskey trinken und die Medizin weglassen. Sollte dies allerdings nicht funktionieren, weil du dich heute Nacht vor Schmerzen auf der Couch wälzt, wird es morgen wieder anders ablaufen."
Damit konnte ich mich durchaus anfreunden, denn ich hielt nicht allzu viel von Präparaten, die medizinische Inhaltsstoffe auswiesen. Ich war Ire und wir heilten uns entweder selbst, oder durch die Natur. Dinge wie Kamille-, oder Salbeitee waren mir ebenso geläufig wie Umschläge aus frischen Zwiebeln. In meinem ganzen Leben hatte ich erst einmal ein Antibiotikum zu mir genommen und Besuche bei einem Arzt erfolgten nur in Notfällen. Deshalb war ich Alistair unglaublich dankbar, dass er sich auf diesen Deal einließ.
Als wir beide zwei Gläser Whiskey mit reichlich Eiswürfeln vor uns stehen hatten, begann der kleine Dicke zu reden.
„Ich will ehrlich zu dir sein, mein Junge. Wir haben Grund zur Annahme, dass die Bremsen deines Wagens manipuliert wurden. Es ist absolut naheliegend, dass dies die Ursache des Unfalls ist. Im Moment wird das noch überprüft, aber ich musste schnell handeln, denn wenn so etwas passiert, darf man keine Zeit verlieren. Nachdem Inspektor Parker, mit dem ich seit einiger Zeit wegen dir in Verbindung stehe, Kenntnis darüber erlangte, dass du einen Autounfall hattest, informierte er mich sofort über die Sachlage. Ich habe Code Red ausgesprochen und das war's. Seitdem bin ich für dich verantwortlich."
„Code Red?" Ein wenig verständnislos blickte ich mein Gegenüber an, der genüsslich an seinem Whiskey nippte.
Nachdem er das Glas wieder abgestellt hatte, entgegnete er: „Code Red bedeutet die höchste Alarmstufe, also Gefahr im Verzug. Davon wird im Moment noch ausgegangen."
„Denken Sie, dass..."
Alistair unterbrach mich sofort. „Das Sie kannst du dir sparen, Junge. Du wirst mich duzen, ok? Auch wenn ich dein Dad sein könnte."
„Ok, also denkst du, dass dies mit meiner Aussage in Zusammenhang steht?"
„Wenn sich die Befürchtung der Manipulation als richtig herausstellt, dann schon. Trotzdem wirst du in diesem Zeugenschutzprogramm bleiben. Man hat inzwischen alle deine Daten gelöscht, du bist quasi für unsere Gesellschaft nicht mehr existent. Verstehst du das? Fionn Ryan gibt es nicht mehr."
Die Stille, welche sich nun im Raum ausbreitete, ließ mich erschaudern.
Nun war es amtlich. Ich würde nie wieder nach Irland zurückkehren und die Menschen, die ich liebte, sehen können. Meine Eltern, meine Großmutter, Onkel, Tanten, Cousins, Cousinen, Trudy, meine Mitstudenten, unseren Priester und Sienna.
Der Gedanken an Letztere ließ mich innerlich fast zusammenbrechen, denn ich hatte mich aufrichtig in sie verliebt. Es ging nicht nur um den Sex im Swinger Club, zwischen uns spielte sich viel mehr ab. Umso schlimmer war die Tatsache, dass ich sie nie wieder sehen würde, nie wieder spüren, nie wieder hören. Nur ein einziges Mal hatte ich sie zu Gesicht bekommen, aber genau diese Begegnung, die mir noch immer wie ein Traum erschien, brannte sich in mein Herz.
„Ich habe gelesen, du warst Theologiestudent und wolltest Priester werden", riss Alistairs Stimme mich aus meinen Gedanken.
„Ja, das stimmt", entgegnete ich matt.
„Gut, dann nehme ich an, dass du keine Freundin, Verlobte oder Ehefrau und Kinder hast, die wir mit ins Zeugenschutzprogramm aufnehmen müssen", fuhr er fort.
Für einen Moment schloss ich meine Augen. Sienna war die einzige Person, die ich gebeten hätte, mit mir zu kommen, wenn wir fest zusammen gewesen wären. Aber unter den gegebenen Umständen konnte ich das nicht tun. Es war nicht angemessen, so sehr ich es mir auch wünschte.
Sie sah vielleicht nur einen netten Zeitvertreib in mir, und nicht den Mann ihres Lebens für den sie alles aufgeben würde. Alles, was sie besaß – so, wie ich es tun musste. Dazu verdammt, die Sache alleine durchzustehen, fühlte ich mich logischerweise am Boden zerstört. Außer Alistair hatte ich ab jetzt keine einzige Bezugsperson mehr.
„Nein, es gibt niemanden", murmelte ich resigniert und kippten im Anschluss den Whiskey auf Ex hinunter.
„Langsam Junge, mehr als einen gibt es heute nicht", kam es prompt von Alistair, dessen braune Augen mich aufmerksam musterten. „Bist du ok?", wollte er wissen.
„Na ja, in Anbetracht dessen, dass ich gerade nicht existiere geht es mir ausnehmend gut", erwiderte ich sarkastisch, worauf er ein Seufzen ausstieß.
„Ich weiß, das ist nicht einfach, aber du bist nicht der Erste, mit dem ich sowas durchziehe. Das ist quasi mein Beruf."
„Leuten aus dem Zeugenschutzprogramm zu helfen?"
„Ja, und dementsprechend brauchst du keine Angst zu haben, wir bekommen das alles hin. Du kriegst einen neuen Namen, einen neuen Pass, eine neue Vergangenheit, einen neuen Beruf, falls gewünscht, und eine neue Heimat."
„Alles, außer einer neuen Familie und neuen Freunden", meinte ich resigniert.
„Die kommen mit der Zeit. Du wirst dich an deine neue Umgebung gewöhnen und dich auch mit einigen Leuten anfreunden. In der Zwischenzeit erhältst du jegliche Hilfe, die du brauchst. Und wer sagt dir, dass du in deinem neuen Leben keine Familie gründen kannst? Es sei denn, du möchtest den Beruf nicht wechseln und doch ein katholischer Priester werden."
Alistairs Redeschwall rumorte gewaltig vor den Kopf. Ich konnte noch immer Priester werden und war nicht gezwungen, einen anderen Beruf zu wählen.
„Das mit dem Beruf überlege ich mir noch, oder muss ich das sofort entscheiden?", fragte ich.
Alistair schüttelte seinen Kopf. „Wir haben noch ein bisschen Zeit. Es dauert, bis du deine Aussage beim Richter machen musst, wobei wir damit so viel in der Hand haben, um die kolumbianische Drogenmafia hochzunehmen. Wir werden den Drogenring in England sprengen und uns dann nach und nach den Rest vornehmen."
Meine Atmung beschleunigte, als ich an den Mann dachte, der in meinen Armen gestorben war und der mir alles Wichtige gebeichtet hatte. Er wollte seine Seele reinwaschen und lieferte mir damit gleichzeitig unglaubliche Hinweise für die Polizei. Da ich ein gutes Gedächtnis besaß, behielt ich alle Informationen im Kopf und konnte eine präzise Aussage machen.
An diesem Abend ahnte ich noch nicht, wie sehr sich mein Leben dadurch ändern würde. Doch nun besaß ich zumindest eine vage Vorstellung, von jenen Dingen, die mir in naher Zukunft blühen würden. Im Moment war ich ein namenloses Wesen, dessen weiterer Lebensweg noch im Dunkeln lag.
Ein Lebensweg ohne die Aussicht, Sienna jemals wieder zu sehen.
Warum waren wir uns nicht schon früher begegnet? Vielleicht hätten sich dann von beiden Seiten so starke Gefühle aufgebaut, dass wir uns diese gegenseitig gestanden hätten und sie bereit gewesen wäre, mit mir zu kommen. Andererseits nagte noch immer die Vergangenheit an mir. Ich wollte nicht noch einmal eine Frau verlieren, so wie Nelly.
Vermutlich sollte ich meinen neuen Lebensweg ohne eine Partnerin an meiner Seite beschreiten. Das Zeugenschutzprogramm klang zwar sicher, aber wer sagte mir, dass die kolumbianische Drogenmafia mich nicht irgendwann finden und niedermetzeln würde? Dieser Gefahr wollte ich niemanden aussetzen, es reichte, dass ich mein zukünftiges Leben in Angst und Schrecken verbringen musste.
„Wo sind eigentlich meine Sachen?", fragte ich mit einem Blick auf Alistair.
„Wenn du deine Klamotten meinst, die kriegst du morgen wieder. Ich habe sie waschen lassen, denn durch den Unfall waren sie verdreckt."
Das klang einleuchtend.
„Und wie sieht es mit meinem Handy aus?"
„Machst du Witze? Du wirst dein Handy nicht wieder bekommen, wir haben es vernichtet. Du darfst mit niemandem aus der Vergangenheit Kontakt aufnehmen und keiner darf dich anrufen. Dein neues Smartphone ist schon bestellt, allerdings wird sich darin vorerst nur ein Kontakt befinden und das ist meiner."
Der laufende Meterfünfzig sprach mit aller Deutlichkeit zu mir. Alistair gab mir unmissverständlich zu verstehen, dass ich wirklich nichts mehr aus meiner Vergangenheit behalten würde.
„Oh, und noch was, mein Kontakt ist unter Anonym eingespeichert. Nicht, dass du dich wunderst. Ich besitze auch jedes Mal eine andere Nummer, wenn ich dich, oder du mich anrufen solltest."
„Ich vermute, aus Sicherheitsgründen?"
„Ganz genau. Du bist clever, das wird vieles einfacher machen", schmunzelte er.
Seufzend ließ ich mich in das Kissen zurücksinken, was sofort wieder eine kleine Schmerzattacke zur Folge hatte. Zwar nicht so schlimm, wie noch vor einigen Stunden, doch es reichte, um mich daran zu erinnern, dass ich Alistair nach meinen Verletzungen fragen wollte.
„Warum habe ich ständig diese Schmerzen in meinem Brustkorb?", erkundigte ich mich.
„Du hast jede Menge Prellungen im Brustkorb, Junge. Und die fühlen sich schlimmer an, als so mancher Bruch. Leider wirst du das noch einige Wochen ertragen müssen, denn so etwas ist hartnäckig. Aber es ist nicht lebensgefährlich, sieh es positiv."
Diese Aussage beruhigte mich zumindest einigermaßen. Als ich die Decke anstarrte, sprach ich die nächste Frage aus.
„Wie lange werde ich hierbleiben müssen?"
„Du meinst, in dieser Wohnung?"
„Ja."
„Ungefähr eine Woche, für benutzen das hier als Temporary Fix."
„Als was?"
„Temporary Fix, eine Übergangslösung. Danach wirst du an einen anderen Ort verfrachtet, bis du die Aussage vor dem Richter gemacht hast. Und erst dann werden wir dich an deinen eigentlichen Bestimmungsort bringen. In der Zwischenzeit beschaffen wir alle Unterlagen, die wir für dein neues Leben benötigen. Hast du irgendeinen besonderen Wunsch für deinen Vornamen? Dieser darf natürlich nichts mit deiner Vergangenheit zu tun haben."
Darüber hatte ich mir zum jetzigen Zeitpunkt noch keine Gedanken gemacht.
„Ich weiß nicht", erwiderte ich deshalb unschlüssig.
„Na ja, du kannst es dir noch eine Woche überlegen."
Alistair erhob sich aus seinem Sessel, dessen hohe Lehne gerade noch seinen Kopf hervorschauen ließ, als er dahinter stand, und öffnete eine Balkontür, die ich erst jetzt wahrnahm.
„Wo gehst du hin?", fragte ich sofort.
„Eine rauchen wieso?"
Als er mein Gesicht bemerkte, begann er zu seufzen. „Nikotinentzug, hm?"
„Ja."
„Na gut, Mittlerweile ist es dunkel draußen, aber ich gebe dir trotzdem etwas zur Tarnung."
Er wuselte aus dem Zimmer, um eine Minute später mit einer Sonnenbrille, einem Beanie, sowie einer Jacke zurückzukehren.
„Zieh das über, ich möchte nicht, dass du dich erkältest. Das wäre nicht gut."
Wie zu erwarten war die Jacke etwas kurz, jedoch viel zu weit. Dafür fand ich die Sonnenbrille ziemlich cool.
„Steht mir, oder?", witzelte ich, als ich neben Alistair auf den Balkon trat, um eine Zigarette anzuzünden.
„Sieht ganz nett an dir aus." Alistair nahm einen tiefen Zug und blickte auf die Straße, die vor dem Haus entlang ging.
Wir befanden uns in einer Stadt, ich wusste nur nicht, ob es sich um London handelte. Wahrscheinlich machte es auch keinen Sinn, Alistair danach zu fragen, er würde mir sowieso nur wieder antworten, dass ich in Sicherheit sei. Da meine Blase zunehmend zu drücken begann, rauchte ich die Zigarette schnell zu Ende, um sie anschließend im Aschenbecher zu platzieren, welcher auf der Fensterbank stand und murmelte: „Ich muss mal auf die Toilette."
„Erste Tür links, wenn du den Flur rausgehst."
„Ich weiß."
Nachdenklich zog ich ab und als ich auf dem stillen Örtchen angekommen war, bemerkte ich zu meiner Überraschung, dass ich rote, leicht verwaschene Boxershorts trug. Solch ein Kleidungsstück besaß ich definitiv nicht, was mich ein wenig unruhig werden ließ. Aber Alistair gehörte sie auf keinen Fall, dafür war sie zu klein. Ich hasste es, fremde Unterwäsche zu tragen und dieser Farbton machte mich zudem auch noch aggressiv.
„Wem zum Teufel gehören die roten, hässlichen Boxershorts?", motzte ich, als ich kurze Zeit später wieder das Wohnzimmer betrat, wo Alistair sich inzwischen in einem der großen Sessel niedergelassen hatte.
Der Angesprochene lächelte vielsagend. „Das wird wohl für immer ein Geheimnis bleiben."
„Ich will hoffen, dass der Typ keine Schwuchtel ist", brummte, bevor ich die Decke zurückschlug, um mich endgültig hinzulegen und nach diesem anstrengenden Tag in meinen wohlverdienten Schlaf zu sinken. Es war mir egal, was Alistair tat, denn meine Augen fielen sofort zu. Kurz bevor ich einschlief, tauchte Sienna in meinem Kopf auf. Ich liebte sie und ich würde sie nie vergessen, egal, wohin mich mein neues Leben führte.
Und die gefühlten tausend Fragen, welche noch immer in meinem Kopf herumschwirrten, würde ich Alistair morgen stellen. Allen voran die Wichtigste; ob ich jemals wieder in mein altes Leben zurückkehren konnte.
_______________
Nun ist es amtlich, Fionn ist in einem Zeugenschutzprogramm.
Mögt ihr Alistair? Wie ist euer erster Eindruck von ihm? Ihr müsst ihn euch ungefähr wie Danny De Vito vorstellen, so klein und rund.
Ob Fionn wohl in Zukunft mit all dem klarkommt? Was denkt ihr?
Und wie glaubt ihr, geht es mit Sienna weiter?
Danke für euren Support! Ihr seid mega lieb!
LG, Ambi xxx
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top