18. Desperation
Parker an Anonym: „Habe Meldung erhalten, dass unser Klient nach einem Unfall im Churchill Hospital in Oxford eingeliefert wurde. Wie konnte das passieren?"
Anonym an Parker: „Was?! Er ist unserem Newbie entwischt, als er die Fähre nach Irland genommen hat."
Parker an Anonym: „Mist! Ich veranlasse sofort eine Überprüfung."
Anonym an Parker: „Code Red! Eingriff unvermeidbar."
Parker an Anonym: „Habe verstanden, er gehört dir."
Anonym an Parker: „Thanks and over."
Anonym an AD: „Code Red! Lass alle antanzen!"
AD an Anonym: „Habe verstanden. Code Red!"
AD an KW/DA/CP/AJ/FH: „Code Red! Wiederhole, Code Red! Sofortiges Treffen im Headquarter!"
„Das..., das kann nicht wahr sein...", stammelte ich noch immer.
Meine Beine Zitterten und mein gesamter Körper bebte vor Aufregung, als die Krankenschwester plötzlich nach meinem Arm griff, um so zu verhindern, dass ich zusammensackte.
„Miss, setzten Sie sich erstmal auf diesen Stuhl."
Sanft drückte sich auf den blauen Stuhl, welcher an der Wand stand.
„Ich bringe Ihnen gleich ein Glas Wasser und messe ihren Blutdruck, nicht, dass Sie und hier noch zusammenklappen."
Ich war nahe daran, alles in mir drehte sich. Das alles musste ein furchtbarer Irrtum sein, der sich sicherlich noch aufklärte. Nachdem ich ein Glas Wasser getrunken hatte, begann ich zu sprechen.
„Sind Sie sich wirklich sicher, dass Fionn nicht hier ist oder war?", fragte ich leise.
Noch immer zitterten meine Hände und meine Füße fühlten sich an wie Eisklumpen. Sämtliche Energie schien aus meinem Körper zu entweichen, dabei benötigte ich diese so sehr für das Baby. Als die Schwester nickte und dies mit den Worten „Dann müsste es ja eine Akte über ihn geben und die ist nicht vorhanden", antwortete, stand ich kurz vor einem Nervenzusammenbruch.
Was lief hier bitte schief? Ich war doch nicht verrückt? Gestern hatte ich Fionn noch gesehen und kurz mit ihm gesprochen. Zudem befand ich mich ohne Zweifel im richtigen Krankenhaus.
Schweigend ließ ich es über mich ergehen, dass die Schwester meinen Blutdruck maß und murmelte: „Der ist gerade ein bisschen hoch."
Kein Wunder, so wie ich mich im Moment aufregte.
„Am besten, Sie ruhen sich einen Augenblick aus, bevor Sie gehen", schlug sie vor, was ich jedoch ablehnte. Ich war viel zu aufgeregt, um jetzt hier ruhig sitzenbleiben zu können.
„Nein, danke, es geht schon", murmelte ich gedankenverloren, bevor ich mich erhob und wie in Trance den langen Gang bis zum Aufzug entlang schritt.
Ich kam mir vor, wie in einem Psycho-Thriller, so also ob sich jemand mit meinen Gefühlen und mit meinem Leben generell spielte. Was war hier nur passiert?
Mit geschlossenen Augen stand ich im Aufzug, atmete schwer und versuchte bis zehn zu zählen, um dann aus diesem miesen Traum zu erwachen. Doch nichts dergleichen tat sich. Als der Fahrstuhl im Erdgeschoss hielt und die Türen sich öffneten, standen bereits jede Menge Leute davor, die einsteigen wollten. Es hatte also nichts genützt, dass ich meine Augen geschlossen hielt und dachte, ich würde träumen. Bei all dem was gerade geschah, handelte es sich um die brutale Realität, welche mich, sinnbildlich betrachtet, fast zu Boden gehen ließ.
Als ich endlich vor Harveys Wagen stand, zitterten meine Finger so sehr, dass ich fast den Autoschlüssel fallen ließ. Ich konnte diesen in letzter Sekunde noch festhalten, sonst wäre er in der großen Pfütze, neben dem Mercedes gelandet.
Mit Tränen in den Augen ließ ich mich auf dem Fahrersitz nieder, stützte die Arme auf dem Lenkrad ab, barg meinen Kopf darin und begann hemmungslos zu weinen. Fionn war verschwunden, das musste ein schlechter Scherz sein. Bestimmt handelte es sich bei dieser Krankenschwester um ein besonders dämliches Exemplar, welches nicht in der Lage war, herauszufinden, dass er auf eine andere Station verlegt wurde. Niemand verschwand einfach so, es musste eine plausible Erklärung dafür geben.
Während ich mir dies immer wieder einredete, bemerkte ich, dass ich ruhiger wurde. Immerhin befand ich mich in der außergewöhnlichen Position, einen Bruder zu haben, der sich mühelos in das System des Krankenhauses einhacken konnte. Ich war mir sicher, dass Seth mich nicht im Stich lassen würde, zumal es hier darum ging, den Vater meines Kindes zu finden.
Für mich bedeutete es aber noch viel mehr. Ich hatte mich total in Fionn verliebt, ich wollte ihn unbedingt sehen und ihm erklären, dass ich Gefühle für ihn hatte. Auch wenn wir niemals zukommen durften, konnte ich diese nicht so einfach abstellen. Mein Herz war keine Maschine, denn es sprach sehr deutliche Worte zu mir. Es sehnte sich nach Fionn.
Langsam trocknete ich meine Tränen mit einem Papiertaschentuch, atmete nochmals durch und startete anschließend den Motor des Wagens. Ich benötigte meine volle Konzentration, wenn ich jetzt zurück nach London fuhr. Glücklicherweise bewegte sich der stärkere Verkehrsfluss aus der Stadt hinaus, sodass ich noch relativ gut durchkam.
Erst kurz vor dem Ziel geriet ich in einen Stau, der mich die letzten Nerven kostete. Um mich abzulenken, stellte ich das Radio lauter und ließ mich von der Musik berieseln, während ich die Regentropfen auf der Scheibe betrachtete, die immer zahlreicher wurden. Schließlich verwandelten sie sich in einen Fluss, der unaufhaltsam seinen Weg nach unten fand.
Fast wäre es mir entgangen, dass die Autos vor mir sich endlich wieder in Bewegung setzten. Heilfroh darüber, trat ich die Kupplung durch, legte den ersten Gang ein und ließ den Wagen einfach rollen. Schließlich ging es zügiger voran und als ich nach gefühlten fünf Stunden das Auto in der Tiefgarage abstellte, atmete ich halbwegs erleichtert auf. So schnell meine Beine mich trugen, lief ich zum Aufzug und kam wenige Minuten später im Apartment an, wo Harvey, wie sollte es auch anders sein, bereits in der Küche herumwerkelte. Von Seth war jedoch weit und breit nichts zu sehen.
„Hallo Zuckerpuppe, du bist ja schon da!", begrüßte Harvey mich, der heute seine grüne Lieblingsschürze mit den Gänseblümchen trug.
„Ja."
Noch bevor ich einen vernünftigen Satz herausbringen konnte, begann ich zu weinen.
„Fionn..., Fionn ist..., er ist nicht mehr da...", schluchzte ich aufgelöst.
„Wie? Was meinst du damit?"
Harvey ließ sofort alles liegen und stehen, um mich in seine Arme zu nehmen.
„Schnuckelchen, was ist los?", fragte er und küsste mich auf die Stirn
„Er..., ist verschwunden..."
„Aber er lag doch gestern noch im Krankenhaus? Wie bitte kann er da verschwinden? Das muss doch ein Irrtum sein", meinte Harvey, dessen Ratlosigkeit ihm deutlich anzumerken war.
„Das denke ich auch. Seth muss sich im Krankenhauscomputer einhacken", brachte ich mühsam hervor.
„Das wird er sicher für dich tun, schließlich geht es hier um unseren Neffen oder unsere Nichte", kam es prompt von Harvey.
Seine Worte zeigten mir, wie sehr er sich inzwischen mit dem Gedanken angefreundet hatte, dass ich ein Kind erwartete. Egal, wie dieses entstanden war, Harvey stärkte mir den Rücken, darauf konnte ich bauen.
„Ich will hoffen, dass er es tut", murmelte ich leise, bevor ich die Tränen aus meinen Augen wischte.
„Du wirst dich allerdings noch ein wenig gedulden müssen, denn Seth ist bei einem Kunden. Er wird nicht vor sieben Uhr hier sein, das hat er mir gleich gesagt, damit ich das Essen nicht zu früh fertig habe."
„Gwenny wird sicher auch nicht viel eher auftauchen", lautete mein Kommentar.
Anschließend holte ich ein Glas auf einem der Hängeschränke, welches ich mit Wasser füllte. Noch immer fühlte sich meine Kehle an, als hätte ich tausende von Sandkörnern verschluckt, so rau und trocken.
„Kann ich dir vielleicht in der Küche zur Hand gehen?", richtete ich meine Frage an den Lebensgefährten meines Bruders, der inzwischen wieder vor dem Herd stand.
„Du könntest vielleicht den Salat waschen, wenn du magst, Herzchen."
„Das mache ich doch gerne."
Ich tat es, um mich abzulenken, aber auch, weil Harvey sich so rührend um mich kümmerte. Er sollte nicht das Gefühl haben, alles alleine machen zu müssen, wenn es um unsere gemeinsames Essen ging. Schließlich war ich nur schwanger, und nicht krank. Nachdem ich den Salat verarztet hatte, kümmerte ich mich um die Tomaten und Radieschen, welche bereits gewaschen und trockengetupft auf einem Küchenbrett lagen. Harvey kochte stets mit Liebe und demnach schmeckte es auch immer.
Als er den Braten in den Ofen schob, sagte er: „Was hältst du davon, wenn wir uns auf die Couch im Wohnzimmer setzen? Hier sind wir nämlich vorerst fertig."
Es tat gut, sich nach diesem Horrortag ein wenig ausruhen und anlehnen zu können. Ich hatte es bitter nötig, dass mich jemand in den Arm nahm, wie Harvey es gerade tat.
„Wir kriegen das schon hin, Schätzchen", sprach er mir Mut zu. „Seth wird ganz schnell herausfinden, wo sich dein Fionn befindet."
„Er ist nicht mein Fionn und er wird es leider auch nie sein", seufzte ich laut.
Doch Harvey gab nicht auf.
„Vielleicht überlegt er es sich ja mit dem Priester, wenn er hört, dass du schwanger von ihm bist. Komm schon, Sienna, welcher Hetero Mann kann zu so einer hübschen Frau wie du es bist, nein sagen?"
Mühevoll rang ich mir ein schwaches Lächeln ab, als ich antwortete: „Ich glaube nicht, dass dies für Fionn ausschlaggebend sein wird, um seinen Beruf zu wechseln."
„Abwarten und Tee trinken."
Harvey und ich saßen eine ganze Weile auf der Couch und schauten uns einen Disney Film an, da wir beide diese so sehr liebten. Heute musste König der Löwen herhalten, welcher zu meinen absoluten Lieblingsfilmen zählte. Für mich gab es nichts Schöneres, als die Disney Welt und später würde ich diese Filme alle gemeinsam mit meinem Kind anschauen. Es sollte schließlich Spaß haben und unbekümmert sein, so lange dies möglich war. Zwischendurch packte Harvey eine Tafel Schokolade aus, welche wir zu zweit ohne Probleme im Handumdrehen verdrückten.
„Eigentlich sollte ich Obst anstatt Süßigkeiten essen", seuftze ich reuevoll und streichelte kurz über meinen Bauch.
„Ach Unsinn, eine halbe Tafel Schokolade schadet nicht, sofern du das nicht jeden Tag praktizierst", tat Harvey seine Meinung zu diesem Thema kund.
„Ich will es hoffen."
„Aber du kannst natürlich trotzdem noch Obst essen. Magst du einen Apfel oder lieber eine Banane?"
„Eine Banane."
Sofort stand er auf, um mich kurze Zeit später mit den Vitaminen zu versorgen.
„Was würde ich nur ohne dich machen, Harvey?", erwiderte ich lächelnd, als ich die frische Banane in Empfang nahm.
„Du würdest auch ohne mich klarkommen, Sienna, nur, dann wäre es halb so lustig", ließ er mich wissen.
„Das glaube ich auch."
Als der Film zu Ende ging, zeigte die Uhr halb sieben am Abend, was mich zusehends unruhiger werden ließ. In einer halben Stunde würde Seth hier auftauchen, jedoch mit knurrendem Magen, was zur Folge haben würde, dass er erst aß, und sich dann um meine Belange kümmerte. Da Seth und auch Harvey sich niemals beim Essen hetzen ließen, war davon auszugehen, dass mein Bruder nicht vor acht Uhr abends den Laptop in Betrieb nehmen würde. So lange musste ich es auf jeden Fall noch aushalten, ob es mir nun passte oder nicht. Glücklicherweise tauchte Gwenny um viertel vor sieben auf, als ich gerade den Tisch deckte.
„Hey, Süße, na, wie geht es Fionn?" Sie begrüßte mich mit einem Kuss sowie einer zarten Umarmung.
Als meine Augen sich mit Tränen füllten, hielt sie jedoch inne. „Was ist los, Sienna?"
„Fionn ist verschwunden."
Auch Gwenny zeigte sich bestürzt über die Ereignisse dieses Tages.
„Die haben was zu dir gesagt? Da muss doch ein Irrtum vorliegen, oder?", meinte sie schockiert.
„Seth muss das herausfinden", entgegnete ich mit zitternder Stimme. „Er muss es einfach."
„Ach klar, wird er das tun. Mach dir keinen Kopf, Sienna. Irgendjemand in diesem Krankenhaus konnte oder wollte dir keine Auskunft geben. So sehe ich das auf jeden Fall."
Es beruhigte mich ungemein, dass Gwenny mich nicht für verrückt hielt, sondern es ebenso sah wie ich: Dass jemand in diesem Hospital einen, oder sogar mehrere Fehler begangen hatte, die dazu führten, dass Fionn nicht auffindbar zu sein schien. Menschen, die nach einem Verkehrsunfall eine stationäre medizinische Betreuung erhielten, verschwanden doch nicht einfach so auf nimmer Wiedersehen. Mittlerweile sah ich der Sache zuversichtlich entgegen, jetzt musste Seth nur noch herausfinden, was genau passiert war und auf welche Station man Fionn verfrachtet hatte.
Als mein Bruder um kurz nach sieben endlich auftauchte, spürte ich, wie mein Magen sich nervös zusammenzog. Unser letztes Treffen war nicht allzu gut verlaufen, weshalb sich noch immer Bedenken meinerseits ansammelten, ob er sich wirklich abgeregt hatte, wie Harvey es mir immer wieder versicherte. Doch zu meiner Überraschung umarmte Seht mich sogar und drückte mir einen kleinen Kuss auf die Wange.
„Wie geht es dir, Sienna? Alles ok mit dem Baby?", erkundigte er sich, worauf ich nickte.
„Fein, und wie geht es Fionn? So heißt er doch, oder?"
Als ich keinerlei Anstalten machte, etwas zu sagen, ergriff Harvey das Wort.
„Sienna hat ein Problem, Seth. Sie wollte Fionn im Krankenhaus besuchen, doch er ist nicht auffindbar."
„Nicht auffindbar?" Erstaunt zog Seth seine Augenbrauen nach oben. „Das muss ein Scherz sein."
„Das dachte ich auch", brachte ich hervor, wobei ich spürte, wie meine Kehle sich zuschnürte.
Verdammt, alles was Fionn betraf, ging mir sofort ans Herz. Meine Sorge um ihn vergrößerte sich von Minute zu Minute und doch musste ich mitansehen, wie Seth sich in aller Seelenruhe den Bauch vollschlug. Natürlich verdiente er das nach einem lange und harten Arbeitstag, aber es änderte absolut nichts an meiner Ungeduld.
Während die anderen genüsslich ihren Nachtisch verdrückten, saß ich wie auf heißen Kohlen daneben. Das alkoholfreie Tiramisu schmeckte zwar recht gut, doch mir wäre es lieber gewesen, wenn Seth sein Dessert vor dem Laptop eingenommen hätte, um für mich tätig zu werden. Allerdings behielt ich diesen Gedanken für mich, denn ich wollte es mir nicht erneut mit ihm verscherzen.
Gwenny, die meinen ungeduldigen Blick bemerkte, legte ihre Hand kurz auf mein Knie, um mich zu beruhigen, was ich mit einem beinahe lautlosen Seufzen quittierte. Nach einer gefühlten Ewigkeit erhob Seth sich von seinem Stuhl und nickte mir zu. Das hieß dann wohl, dass ich ihm in sein Arbeitszimmer folgen sollte. Ohne zu zögern ging ich ihm nach und nahm unaufgefordert auf dem Stuhl neben dem Schreibtisch Platz.
„Also, Sienna, wie heißt das Hospital, in welchem du ihn gestern besucht hast?", fragte mein Bruder.
Ich schluckte kurz, bevor ich zu einer Antwort ansetzte. „Es ist das Churchill Hospital in Oxford."
„Gut."
Während Seth auf der Tastatur des Laptops herumtippte, sodass mir beinahe schwindelig wurde, ließ er einen Satz los.
„Harvey hat mir erzählt, du hättest ein Bild von Fionn geschossen. Er würde sehr gut aussehen."
„Ähm, ja, das habe ich."
„Kann ich es mal sehen?"
Etwas perplex holte ich das Handy hervor, um dieses vor Seths Gesicht zu halten. Augenblicklich begann mein Bruder zu schmunzeln.
„Er sieht wirklich gut aus, da hat Harvey nicht überrieben. Gratuliere, Sienna, es wird auf jeden Fall ein hübsches Kind werden, auch wenn es unter etwas merkwürdigen Umständen entstanden ist."
Ich ersparte mir jeglichen Kommentar auf diese Äußerung, um Seth nicht noch einmal den Anlass zu geben, mich als Nutte zu beschimpfen. Zu tief saß dieser Schmerz, welchen er mir damit zugefügt hatte. Und seit meiner Schwangerschaft war ich sowieso viel näher am Wasser gebaut als früher. Ständig traten mir Tränen in die Augen, bei jeder noch so kleinen Gefühlsregung. Das war vorher nie der Fall gewesen.
„Das Krankenhaus hat auf jeden Fall eine bessere Hackersoftware als der Swinger Club", ließ Seth sich vernehmen. „Aber der steht schon auf meiner Kundenliste."
Ich glaubte mich verhört zu haben.
„Bitte was? Du hast The Secret auf deine Kundenliste gesetzt?", fragte ich total überrascht.
„Ja, man muss schließlich sehen, wo man bleibt. Geschäft ist Geschäft, egal, womit der Kunde sein Geld verdient. Und da ist für mich auf jeden Fall gut Kohle zu holen."
Gekonnt ignorierte er mein lautes Schnauben, was mich noch wütender machte.
„Weißt du, Seth, welche Doppelmoral du eigentlich an den Tag legst?", konnte ich mir nicht verkneifen zu sagen. „Du regst dich darüber auf, dass ich diesen Swinger Club besuche, gehst aber im Gegenzug hin und möchtest diese moralisch verfallene Institution deinem Kundenstamm hinzufügen. Das verstehe ich einfach nicht."
Gelassen lehnte mein Bruder sich in seinem bequemen Sessel zurück, kreuzte kurz die Arme vor seine Brust und sagte dann: „Sieh es doch mal so, Sienna. Ich hole mir das Geld wieder, das du dort hineingebuttert hast. Immerhin waren das hundert Pfund pro Stunde, aber die Kosten, welche der Swinger Club für die Hacker Software berappen muss, werden deutlich höher sein als das, was du dort verpulvert hast."
„Das Geld reut mich nicht", erwiderte ich knapp. „Alles was ich möchte, ist, mit Fionn reden."
„Das weiß ich ja und ich bin schon auf dem Weg dorthin. Es wird aber noch ein bisschen dauern. Vielleicht solltest du dich zu Harvey und Gwenny gesellen. Ich sag dir Bescheid, sobald ich drin bin, ok?"
Da mir nichts anderes übrig blieb als zu warten, folgte ich Seths Vorschlag umgehend. Gwenny spielte mit ihrem Handy und Harvey blätterte in dem irischen Kochbuch, das ich ihm zu Weihnachten geschenkt hatte. Das einträchtige Beisammensein der beiden ließ mich prompt schmunzeln. Als ich mich neben meiner besten Freundin auf dem Sofa niederließ, sah diese kurz auf.
„Gibt es etwas Neues?"
„Nein, Seth hat gesagt, ich soll euch Gesellschaft leisten. Er ruft mich dann, wenn er soweit ist."
Just in diesem Moment hob Harvey seinen Kopf. „Soll ich uns einen schönen heißen Kakao machen? Ich hab noch Schlagsahne da und außerdem für jeden ein Stück Marmorkuchen."
„Oh ja", riefen Gwenny und ich wie aus einem Mund, was Harvey ein Lachen entlockte.
„Ihr seid zwei kleine Leckermäulchen", ließ er verlauten, bevor er sich erhob, um die Küche aufzusuchen.
Da es Freitagabend war, hatten wir unendlich Zeit. Niemand musste morgen zur Arbeit gehen und so stand einem gemütlichen Zusammensein nichts im Wege. Bis auf die Tatsache, dass alle auf Seths Ergebnis warteten. Heute dauerte es wirklich länger, als an jenem Tag, an welchem der Swinger Club seinen Hackerfertigkeiten zum Opfer fiel. Aber das hatte er von vornherein deutlich gemacht. Trotzdem zog sich jede Minute wie Kaugummi dahin, zumindest für mich. Selbst die Ablenkung durch Gwenny und Harvey nützte nicht wirklich etwas. Ständig dachte ich an Fionn. Sicher hatte er heute auf mein Kommen gewartet und war nun enttäuscht, weil ich nicht auftauchte. Mir wäre das zumindest in seiner Situation so ergangen. Aber ich würde hoffentlich morgen in der Lage sein, alles zu erklären. Ich wollte den ganzen Tag an seinem Bett sitzen und ihn einfach nur anschauen.
Träumerisch blickte ich vor mich hin, als ich plötzlich Seths Stimme vernahm. „Sienna, kommst du bitte?"
Er klang so ernst, dass mir angst und bange wurde. Automatisch tastete ich nach Gwennys Hand, die sich nun synchron mit mir erhob. Auch Harvey begleitete uns ins Arbeitszimmer. Schließlich standen wir zu dritt um Seths Schreibtisch, der mich allerdings anwies, mich hinzusetzen, bevor er mit seiner Rede begann.
„Also." Er räusperte sich kurz. „Ich habe jetzt Zugriff auf die Datenbank des Krankenhauses."
„Und?" Drei Augenpaare richteten sich fragend auf ihn, doch Seth schaute nur mich an.
„Es tut mir leid, Sienna. Das System spuckt keinerlei Daten über Fionn aus."
Augenblicklich wurde mein gesamter Körper durch ein Zittern erfasst.
„Was..., was bedeutet das?", fragte ich mit bebender Stimme.
„Das heißt, dass seine Daten einfach gelöscht wurden."
„Aber wieso? Ist er..., denkst du, dass er gestorben ist und sie mir das nicht sagen wollten?"
Seth schüttelte seinen Kopf. „Nein, Sienna. Wenn eine Person im Krankenhaus verstirbt, wird das für gewöhnlich im System vermerkt. Man kann das noch nach Jahren überprüfen, weil die Daten abgespeichert bleiben. In Fionns Fall ist es jedoch total anders."
Was genau Seth damit meinte, sollte ich in der nächsten Sekunde erfahren.
„Es ist so, als hätte man seine Identität ausgelöscht, als wäre er nie existent gewesen, verstehst du?"
Seth Worte, die ich zwar verstand, doch deren Sinn ich nicht so ganz erfasste, schlugen auf mich ein, wie ein Sturm großer Hagelkörnern. Sie schmerzten ungemein und erlaubten es nicht, dass ich richtig atmete.
„Aber, was bedeutet das denn jetzt?", fragte ich verzweifelt.
Meine Hände zitterten so stark, dass ich sie nicht mehr kontrollieren konnte und einfach in meinen Schoß legte, was Seths Aufmerksamkeit nicht entging. Sanft umfasste er meine Hände mit seinen langen Fingern und drückte diese leicht, bevor er die Worte aussprach, die mich letztendlich innerlich zusammenbrechen ließen.
„Sienna, es tut mir so leid für dich, aber freunde dich mit dem Gedanken an, dein Kind alleine großzuziehen. Alles deutet daraufhin, dass Fionn in ein Zeugenschutzprogramm aufgenommen wurde. Und das bedeutet, du wirst ihn nie wieder sehen. Er bekommt einen neuen Namen, eine völlig neue Identität und wird ganz sicher auch in der Zukunft nicht mehr in der Nähe leben."
Die Tränen liefen einer Sintflut gleich über meine Wangen. Mein Herz schlug so schnell, dass mir schwindelig wurde und ich rang verzweifelt nach Atem. Ich hatte das Gefühl, jeden Moment ohnmächtig zu werden.
„Das kann nicht wahr sein! Ich will nicht, dass das wahr ist!", schluchzte ich am Ende meiner Kräfte, während ich das Gesicht mit den Händen bedeckte.
„Sienna", sanft umfasste Gwenny meine Schultern, die noch immer bebten. „Wir sind alle für dich da, wir lassen dich nicht im Stich."
„Ich will doch nur...", schluchzte ich erneut, „ich will doch nur zu Fionn. Das Baby..., es ist seins und ich muss es ihm sagen..."
Das nächste, was ich spürte, war, wie Seth seine Arme um mich legte. Er hob mich hoch und trug mich zur Couch im Wohnzimmer, wo ich mich wimmernd an ihn klammerte.
„Woher bist du dir... so sicher?", schniefte ich mit zitternder Stimme.
„Sienna, ich habe mich ebenfalls bei der Datenbank im Swinger Club eingehackt. Selbst dort existiert nichts mehr von ihm. Die Menschen, die für solche Dinge zuständig sind, arbeiten sehr gründlich und schnell, um ihre Zeugen aus der Schusslinie zu bringen. Man hat alles getan, um Fionns Existenz aus sämtlichen Datenbanken zu löschen. Vermutlich ist er jetzt in Sicherheit und darüber solltest du dich freuen, auch wenn es dir schwer fällt."
Es fiel mir schwerer, als alles was ich bisher in meinem Leben durchgestanden hatte. Er war in Sicherheit, doch mein Leben würde nie wieder das Gleiche sein, denn ich fühlte mich innerlich wie zerbrochen.
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Nun ist das Wort gefallen 'Zeugenschutzprogramm'. Denkt ihr, Seth hat Recht mit seiner Aussage?
Und was glaubt ihr, wird Sienna jetzt tun?
Bis zum nächsten Update müsst ihr euch leider gedulden. Ich bin ab morgen eine Woche im Urlaub und komme erst am 15.3. wieder. Aber dann gibt es gleich ein Update, versprochen.
Danke für euren Support!
LG, Ambi xxx
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