..~Späte Reue~..

Charlie saß neben ihrem Vater in seinem Mercedes und überprüfte noch einmal ob sie alles für den Friedhofs Besuch dabei hatte. Die Blumen, sowie das Eimerchen zum reinigen des Grabsteines lagen im Kofferraum. Die Räucherstäbchen hatte sie in ihrer Tasche deponiert.

Während der Fahrt redeten sie nicht sehr viel. Sie schaute aus dem Fenster des Autos, das gerade aus der Stadt fuhr. Der Friedhof befand sich auf einem alten Tempel Gelände nahe der Stadt Tokyo. Normalerweise hätte ihre Mutter ein Grab in der Stadt für Ausländer bekommen, aber da sie mit Hiro verheiratet war, wurde sie in seinem Familien Grab beigesetzt. Charlie dachte über die Unterschiede von japanischen Beisetzungen und Europäischen Beisetzungen nach, während sie die unzähligen Häuser an sich vorbeirauschen sah.

Hier in Japan wird der Körper eines Verstorbenen meist verbrannt. Seine Asche wird in einer Urne aufbewahrt und schließlich in einem Familiengrab (haka) beigesetzt. Auf dem Grabstein ist der Name der Familie deutlich eingraviert, die übliche Aufschrift auf Gräbern lautet: „Grab mehrerer Generationen der Familie Takahashi". Die individuellen Familien Mitglieder sind hingegen entweder gar nicht, oder wie in dem Falle ihrer Mutter oder Großmutter, an der Rückseite des Grabsteins eingetragen. Darin liegt einer der Unterschiede zwischen Grabstein und ihai (Totentäfelchen). Während ihai einem individuellen Verstorbenen zugeordnet sind, repräsentieren Grabsteine in der Regel eine ganze Familie. Die Familienzugehörigkeit folgt der männlichen Linie. Frauen werden daher meist im Familiengrab ihres Mannes beigesetzt. Ähnlich wie in Europa dienen Gräber dem Gedenken an die Toten in Form von Friedhof besuchen. Beim Grabbesuch (o-haka mairi) schmückt man das Grab mit Blumen und entzündet Räucherstäbchen. Zuvor wird der Grabstein rituell gereinigt, indem man ihn mit Wasser übergießt. Wieder sind es vor allem ältere Menschen, die die Pflege eines Familiengrabes übernehmen. Bei dem Grab der Familie Takahashi machte es bis zu ihrem Tod Charlie's Großmutter. Nun lag es an Hiro dies zu übernehmen. Viele besuchen ihr Grab einmal pro Monat an einem bestimmten Tag, beispielsweise dem Sterbetag ihres Vaters oder ihrer Mutter. Zumindest einmal im Jahr, nämlich zum Bon-Fest, dem Fest der Ahnen, sollte allerdings jeder sein Familiengrab aufsuchen.

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Nachdem Grabbesuch spazierten Hiro und Charlie ein bisschen über das alte Tempel Gelände. Dieser Tempel wird heute nur als Ruhestätte und vieler Abendlicher Noh-Aufführungen (ist ein traditionelles japanisches Theater, das traditionell nur von Männern gespielt, getanzt und musikalisch begleitet wird) unter freiem Himmel genutzt. Viele Japaner kommen zum beten her. Das Gelände ist mit dunklen Kiefern bepflanzt oder mehr bewuchert, hier fühlt sich Charlie als Betrachter in eine mystische geheimnisvolle Welt entrückt. Das tiefe Grün der Kiefern und das Zinnoberrot des Haupttores geben diesem Gelände einen besonderen Akzent und für Besucher ist es allemal ein Erlebnis sich dies anzuschauen. Vor allem wenn im Sommer die bekannten Noh-Aufführungen stattfinden. Damals ragten sich viele Geschichten um diesen alten Tempel. Fälschlich denken viele, das der Sengakuji Tempel besagter Tempel sei, aber dies ist ein Irrtum. Kaum eine Geschichte ist in Japan so bekannt wie die der 47 Ronin. Sie ist immer wiederkehrendes Thema von Puppenspielen, Kabukitheaterstücken, Fernsehspielen und Filmen. Im Jahr 1701 zieht Fürst Asano, provoziert von Fürst Kira, in der Burg von Edo sein Schwert. Ein Vergehen, das er mit dem Leben bezahlen muss. Seine Gefolgsleute werden zu herrenlosen Samurai, zu Ronin. 47 dieser Getreuen beschließen, ihren Herrn zu rächen. Fast zwei Jahre später stürmen sie Kiras Wohnsitz, töten ihn und tragen sein abgeschlagenes Haupt im Triumph zu Asanos Grabstätte. Seine Ehre ist wiederhergestellt. Die 47 Ronin werden indes zum Tode verurteilt. Im buddhistischen Sengakuji sind Herr und Gefolge Seite an Seite bestattet, so heißt es ursprünglich. Auf dem Tempel Gelände hier, wo sich Hiro und Charlie befinden, steht noch der Brunnen, an dem die Ronin Kiras Haupt wuschen, bevor sie es ihrem Herrn präsentierten. Charlie empfindet heute genauso viel Bewunderung für diese Orte wie damals, das Mystische, die Geschichte, alles spürt man Hautnah.

Lächelnd beobachtete Hiro seine Tochter, die sich alles mit großen Augen anschaute. Er findet es schön, das sich seine Tochter heute noch so sehr für dieses Land interessiert, denn es ist seine geliebte Heimat. Er bewundert ihre kindliche Neugier die sie an den Tag legt. Sie stellt noch immer viele Fragen, die er ihr gerne beantwortet. Jedoch hat er eigentlich ein anderes Anliegen.

Er hat die Blicke die Kei ihr zugeworfen hatte mitbekommen, natürlich hat er das, wer denn nicht? Gestern noch hat er Kei gesagt, das der sich von seiner Tochter Fern zu halten hat, aber wie erwartend gab es von diesem Kerl nur ein müdes Lächeln. Seine Antwort war lediglich „Ich werde deinen süßen Apfel zu nichts zwingen, aber sie ist eine erwachsene Frau, sollte sie sich mir in welcher Art auch immer zuwenden, werde ich sie sicherlich nicht abweisen"! Das wurmte Hiro, denn er wusste das Charlie einem Mann wie Kei niemals abgeneigt sein könnte. Er schafft es immer die Frauen in sein Bett zu locken, wie die Hexe die Kinder in ihr Lebkuchenhaus. Hiro war das eigentlich egal, soll der jüngere sich doch amüsieren. Doch jetzt geht es um seine kleine Lotusblüte, da sollte sich lieber niemand mit ihm anlegen.

Er war überhaupt froh, das sie erst einmal wieder hier ist. Noch wusste er nicht für wie lange, das hatte sie im Gespräch gestern offen gelassen. Natürlich hofft er das sie überlegt länger hier zu bleiben, aber er weiß seit 12 Jahren kaum noch etwas über seine Tochter. Nur das was Clara, die Schwester seiner verstorbenen Frau, bei der Charlie in Irland gelebt hatte ihm berichtete und das war sehr dürftig.

"Ich überlege schon die ganze Zeit wie ich mich am besten bei dir entschuldigen kann" fing Charlie plötzlich eine Unterhaltung an. Sie sah ihn bedrückt an und er wusste natürlich worauf sie hinaus wollte. Sie presste ihre Lippen aufeinander und sah ihm beschämt an. Sie hatte viel Respekt vor ihrem Vater, nicht nur weil ihre Großmutter es ihr früher erklärte, das man den japanischen Männern seinen Respekt als Tochter oder als Frau entgegen bringen soll. Sondern weil Hiro jeden Respekt verdient hat. Erst heute begreift sie, das er viele Opfer für sie und ihre Mutter erbracht hatte. Damals war ihr das nicht bewusst.

Hiro ging weiter, faltete seine Hände hinter seinem Rücken zusammen. Der leichte Sommerwind wehte durch die unzähligen Kiefern und trug einen angenehmen Duft mit sich. Hier war die Stille die sie beide umgab annehmbar. Von der Seite aus blickte er sie an. "Es ist viel Zeit vergangen Charlotte. Ich bin dir nicht böse, du warst in tiefer Trauer wegen Joyce, deiner Mutter. Ich war und bin nur enttäuscht, das du wirklich angenommen hattest, das ich mit diesem verheerenden Unfall etwas zu tun hatte. Oder sogar das ich eine Affäre hatte. Nichts dergleichen war der Fall. Ich habe um die Liebe deiner Mutter gekämpft, darum das ich bei meinem Stand eine Gaijin heiraten durfte. So etwas hätte ich niemals aufs Spiel gesetzt. Noch heute trifft es mich tief, das auch deine Mutter der vergifteten Worte einer verbitterten und verschmähten Frau Gehör und Glauben geschenkt hatte. Ihr Unfall, ihr Tod und deine Ablehnung mir gegenüber, dies alles hätte mich fast zerbrochen. Ich habe aber weiter gelebt, immer in der Hoffnung das du eines Tages zu mir zurück kommst. Denn du bist neben Joyce mein größter Schatz. Das hört sich in deinen Ohren jetzt sicherlich schwach an, aber auch ein gebrochener Mann darf Schwäche zulassen" erklärte er ihr bedacht.

Charlie fühlte sich schlecht. Sie wusste nicht wie sehr es ihn getroffen hatte. Sie verzog ihr Gesicht, gerade jetzt merkte sie, wie egoistisch sie all die Jahre war. Sie selbst hatte gelitten. Der Tod ihrer Mutter hatte sie in ein tiefes schwarzes Loch stürzen lassen und sie brauchte unbedingt einen Schuldigen, den fand sie in ihrem Vater. Jetzt erkennt sie, das keine Entschuldigung das je wieder gut machen könnte. Worte der Reue sind nichts, für die verlorenen Jahre.

Charlie blieb stehen, mit gesenktem Kopf stellte sie sich vor ihren Vater. Sie legte ihre Hände als Dreieck zusammen an ihre Oberschenkel und verbeugte sich demütig und entschuldigend vor ihrem Vater. Dies sollte ein Zeichen tiefer Reue bedeuten.

Das Ritual der Saikeirei wird keineswegs mehr von allen Japanern beherrscht. Es ist auch nicht unumstritten. Jungen und Frauen, besonders junge Frauen, zeigen sich dabei am widerspenstigsten, jedoch beherrscht Charlie diese beuge perfekt. Noch nie musste sie sich reumütig vor einem anderen verbeugen, jedoch war es hier und jetzt vor ihrem Vater angebracht.

Hiro erkannte das als reumütigsten Beweis an, den er selbst je bekommen hatte. Er legte ihr seine Hand auf die Schulter, schon lange hatte er ihr vergeben, denn sie war damals noch ein halbes Kind. Charlie erhob sich wieder, ihr liefen die Tränen ihre rosigen Wangen hinab, die er jetzt liebevoll weg wischte. Beide brauchten zu diesem Zeitpunkt kein weiteres Wort zu wechseln, denn sie erkannte seine Liebe zu ihr in seiner Geste ihr gegenüber und in seinem sanften Blick.

Auf dem Weg zum Auto wollte Hiro aber gerne noch einmal Kei ansprechen. Er konnte von weitem seinen Assistenten mit dem Wagen für Charlie entdecken, denn sie wollte noch heute zu dem Haus ihrer Großmutter aufbrechen.

Bevor sie beide das Tempel Gelände verlassen würden zog er sie kurz beiseite. Überrascht sah sie ihn an. Er überlegte kurz wie er es am besten ansprechen könnte. Charlie bemerkte den besorgten Ausdruck den sein Gesicht wieder spiegelte. "Ich habe gesehen, das Kei dir gestern viel zu nahe getreten ist. Es tut mir leid, aber er ist oftmals viel zu offen was das angeht. Darum würde ich dir auch nahe legen, dich nicht zu viel mit ihm abzugeben. Er würde dir nur das Herz brechen" sprach er jetzt seine Bedenken offen aus.

Charlie's Augenbrauen hoben sich sichtlich überrascht, sie schmunzelte ein wenig. "Machst du dir Sorgen ich könnte mich Hals über Kopf in diesen ungehobelten Typen verlieben" fragte sie und brummend nickte ihr Vater. "Er hat das Talent dazu und es passiert häufiger als du dir vorstellen kannst. Ich will dich nur warnen, weil ich es nicht mit ansehen könnte. Ich kann dir natürlich nichts vorschreiben, du bist alt genug und triffst deine eigenen Entscheidungen" sprach er weiter. Seine Tochter lächelte ihn sanft an "So ist das also, jetzt weiß ich auch warum ich bei deinen Models schrägstrich Hosts bei den Shootings dabei sein soll. Damit du und deine Leute ihn und mich immer gut im Blick habt. Gewieft ausgedacht. Das kann aber auch nach hinten los gehen. Aber ich kann dich beruhigen. Er mag zwar ein sehr interessanter Mann sein, mal abgesehen von seinem aussehen. Aber mit seinem Satz gestern hat er sich weit nach hinten katapultiert" erwiderte sie. Hiro atmete hörbar erleichtert aus, doch Charlie war noch nicht fertig. "Aber, du hast recht. Ich bin mittlerweile erwachsen und treffe meine eigenen Entscheidungen. Auch ich muss meine Erfahrungen machen, selbst wenn sie nicht gut ausgehen" fügte sie noch hinzu. Resigniert nickte Hiro ihr zu, denn er wusste das sie recht mit dem hatte was sie sagte. Er hoffte allerdings, das Kei vielleicht wirklich nicht ihr Typ war, wobei das nur Wunschdenken war.

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In einem anderen Teil von Tokyo saß ein schmierig grinsender Amaterasu in seinem kleinen Schalldichten Raum vor seinem LED Flachbildfernseher und schaute sich die Aufnahmen an, die er sich seit über zwei Wochen immer wieder ansah.

"Ich wusste immer das du etwas besonderes bist Schwarzer Lotus, zu gern hätte ich selbst von dir gekostet. Aber dir und der Gaijin dabei zuzusehen befriedigt mich auch" lachte er kehlig. Seine Augen verfolgten gierig das gezwungene Liebesspiel seiner beiden Trophäen, seine eigene Stimme war zu hören, wie er seinen beiden Trophäen immer wieder Anweisungen gab, was sie zu tun hatten. Beide taten was er wollte, da sie sich im Devils Breath Drogenrausch befanden und unter dieser Droge wie Zombies handelten und das machten was man ihnen sagte. Er war noch immer hin und weg von den beiden, es war das erste mal das er gleich zwei Trophäen mit sich genommen hatte und nur dabei Zuschauer war. Aber seiner Meinung nach hatte es sich gelohnt. Wie in Trance verfolgte er den sinnlichen Bewegungen der beiden, als es dumpf an der Tür klopfte.

Schnell zog er seine Maske an. Niemand seiner Leute kannte sein Gesicht und so sollte es auch bleiben. "Herein" grummelte er genervt, denn er hasste es, wenn man ihn dabei störte. Es war sein Beschaffer Izanagi der den Raum mit gesenktem Kopf betrat. Mit beiden Händen hielt er ihm einige Visitenkarten für die nächsten Einladungen entgegen. Aus seiner Verbeugung heraus schielte er beiläufig auf den flimmernden Fernseher und erstarrte Augenblicklich. "Amaterasu, was ist das da" fragte er verwirrt. Amaterasu grinste unter seiner Maske. "Meine beiden schönsten Trophäen. Unser Schwarzer Lotus hatte meine letzte Einladung endlich angenommen und die schöne Gaijin war in Begleitung der Manga Braut anwesend. Damit hatte ich selbst nicht gerechnet, aber derartige Überraschungen sind doch die besten" erzählte er stolz.

Er vernahm ein ungehaltenes knurren, das von Izanagi kam, der noch immer wie paralysiert auf den Fernseher blickte.

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