..~Klang des Sommers~..
Charlie drückte mächtig auf das Gaspedal des Audi R8, den ihr Vater ihr freudig grinsend überlassen hatte. Normalerweise hätte ihr auch ein anderes Auto gereicht, denn sie war die letzten Jahre einiges anderes gewöhnt, aber wenn sie schon einmal so ein Auto unter ihrem Hintern hatte, konnte sie auch Gas geben. Sie fuhr über die immer kleineren Straßen weit ab von Tokyo und wunderte sich genau wie damals, das es nur eine halbe Stunde von der Stadt schon so Ländlich sein konnte. Kleine Felder, wenig Menschen und eine wunderschöne Kulisse um zu malen. Es gefiel ihr sehr, denn sie liebt diese kleinen ruhigen Orte und war neugierig darüber, wie wohl ihre Großmutter gelebt haben mag. Es wundert sie sowieso, das ihre Großmutter ihr ein Haus hinterlassen hat, da sie immer der Meinung war, nie wirklich von ihr als Enkelin angenommen worden zu sein. Vor allem wusste sie nicht einmal etwas von diesem Haus und wenn sie an die Worte ihres Vaters dachte, er auch nicht, da er selbst erst von dem Notar davon erfahren hat, den Schlüssel soll sie sich bei der Nachbarin abholen, auch wieder merkwürdig. Charlie hatte sie, als sie noch ein Kind war nie in ihrem Haus besucht, nur in ihrer Wohnung in der Stadt. Sie stellte sich grinsend ein kleines traditionelles Japanisches Haus vor. Denn diese alte Bauweise liebt sie ganz besonders.
Eine Bauweise, die von der Europäischen sehr abweicht und natürlich ein Aushängeschild für Japan darstellt.
Obwohl es in Japan je nach Klimazone, Region und gesellschaftlicher Stellung der Bewohner unterschiedliche Wohnhaustypen gab, gibt es doch einige Auffälligkeiten an Japanischen Wohnhäusern, die fast allen gemeinsam sind. Das traditionelle Japanische Wohnhaus unterscheidet sich grundlegend von einem Europäische Wohnhaus. Das Europäische Haus soll Schutz vor dem rauen Wetter bieten und besteht aus massiven Wände aus Stein. Das Japanische Haus soll zunächst Schutz vor dem Regen bieten, aber auch im Sommer genügend Durchlüftung erlauben. In Japan gibt es zu den 4 Jahreszeiten noch eine Regenzeit und eine Taifun-Zeit. Die Temperatur unterscheidet sich nicht wesentlich von denen in Südeuropa, aber die Luftfeuchtigkeit ist in den Sommermonaten sehr viel höher. Durch die hohe Luftfeuchtigkeit empfindet man Wärme und Kälte sehr viel extremer als in Europa. Um so erstaunlicher ist es, das die Japaner ihre Wohnhäuser nur für die relativ kurze Zeit der Sommermonate optimiert haben.
Bei dem traditionellen Japanischen Wohnhaus werden zuerst die Außenwände und das Dach errichtet, und dann erst die Innenwände. Da das Japanische Haus eine Art Holzrahmenkonstruktion besitzt, hat es keine massiven Außenwände, sondern zumeist Schiebewände. Das Haus kann also zu jeder Zeit geöffnet werden, und so entsteht ein leichter Übergang zwischen Außen und Innen.
Sie hat viel über die alten Bauweisen von ihrem Vater gelernt, aber auch nur weil sie sich immer sehr dafür interessiert hat. Freudig quiekte Charlie auf „Vielleicht wie ein altes Ryokan. Das wäre es doch". Die Zimmer eines Ryokan sind typisch japanisch gestaltet. Die Böden sind mit Tatami-Matten ausgelegt, die Schiebetüren (Shoji) mit Washi bespannt und im Zimmer ist ein kleiner, leicht erhöhter Bereich, der Tokonoma genannt wird und in dem ein Blumengesteck stehen oder eine Kalligraphie hängen kann. Häufig gibt es auch eine Veranda, die mit Schiebetüren vom Zimmer abgetrennt werden kann und die oft nach außen verglast ist.
Das Navi verriet ihr, das es nur noch zwei Kilometer entfernt lag. Ihr Blick wanderte über die kleinen ruhigen Häuser, die ihre Vorfreude nur noch verstärkten. Alles war hier wie sie es sich erhofft hatte. Die schöne Natur, wie man sie in Europa her wohl nur aus Filmen über Japan kennt. Ein kleines Gebirge im Hintergrund, die großen Kirschbäume, die in der richtigen Zeit ihre Pracht entfalten. Die kleinen traditionellen Häuser, die dem gesamten Erscheinungsbild ihren Charme geben.
Charlie bog auf eine kleine Seitenstraße und konnte von weitem zwei Häuser entdecken. Dem Navi zufolge war sie am Ziel angekommen und nachdem sie das Auto vor dem Haus mit dem urigen Eingang abgestellt hatte, stieg sie Freude strahlend aus. Sie guckte sich das alte kleine Haus mit den schönen Schriftzeichen auf dem Holzschild an, die ihr verrieten das es ihres ist, da es der Name ihrer Familie zeigt. "Wie ich es mir erhofft habe, es ist wunderschön" nuschelte sie mit leicht geröteten Wangen. In ihrem Kopf spielten sich alte Szenen aus der Vergangenheit Japans ab, als sie sich das Haus genauer betrachtete.
Wie erhofft war es ein traditionelles japanisches Haus. Ein Blick an die Seiten verriet ihr, das auch eine Holzveranda vorhanden war. Sie sah sich schon gedanklich hinten zum Garten hinaus auf dieser Veranda sitzen und das schöne Wetter genießen, während sie sich Tonnenweise Wassermelonen in den Mund schieben würde. Von vorne konnte sie die Beschaffenheit des Gartens nicht erkennen, aber sie war sich sicher was sie erwarten würde. Kurz hielt Charlie inne, atmete die schöne klare und warme Luft ein. Sie schloss ihre Augen und lauschte dem Klang des Sommers, denn hier konnte man sie gut hören. Die Semi, wie sie ihren Gesang zelebrierten.
Sie sind die japanische Antwort auf das, was in Europa als Zikade bekannt ist und gewissermaßen das Gegenstück zum Zirpen der Grillen. Aber wirklich etwas über sie zu schreiben, gestaltet sich als ganz schön schwierig, besonders weil man sie auch kaum zu Gesicht bekommt.
Ziemlich genau nach Ende der Regenzeit - also mit Sommerbeginn - tauchen sie auf, nachdem sie sieben Jahre unter der Erde verbracht haben, und erfüllen nicht nur ländliche Gegenden mit ihrem Gesang. Zwar ist dieser über weite Strecken zu hören, aber sobald sich ihnen jemand nähert, verstummen sie schlagartig und sind darum auch nicht zu finden.
Als Kind hatte Charlie oft versucht eine Semi zu fangen, aber sie hat nie eine zu Gesicht bekommen. Das einzige was sie je gesehen hat, sind ihre Panzer, die zurückbleiben, wenn sie sich häuten. Das war auch schon alles, aber für ein Kind das so neugierig war, da war das schon ein großes Ereignis gewesen.
Seufzend öffnet sie wieder ihre Augen und richtet sie auf das Nachbarhaus. Dort steht eine kleine ältere Frau, die einen wunderschönen Kimono trägt und ihr verhalten zu lächelt. Die ältere ist für Charlie eine herausragende Erscheinung und erinnert sie ein kleines bisschen an ihre Großmutter, nur das diese selten gelächelt hat. Charlie deutet eine grüßende Verbeugung an und sieht wie die alte Frau sie mit einem leichten Handzeichen zu sich bittet.
Sie geht zu ihr und verbeugt sich nochmals. Gerade als sie sich vorstellen will, richtet die Frau das Wort an sie. "Du musst Charlotte sein. Genau wie deine Großmutter dich immer beschrieben hat, nur ein paar Jahre älter und wie ich sehen kann auch einige Kilogramm leichter" flötete sie fröhlich drauf los und grinste Charlie verschmitzt an. Ihr hingegen fiel kurz die Kinnlade herunter, denn mit einer kleinen frechen Omi hätte sie nicht gerechnet, aber das war ihr weitaus lieber als eine murrende alte. Darum grinste Charlie Augenzwinkernd "So sieht es wohl aus. Es freut mich sie kennen zu lernen, sie müssen Matsumoto-san sein"! Die ältere nickte "In der Tat, das bin ich. Mir wäre es aber recht, wenn du mich Nana nennst, wie mein Enkel" erwiderte sie. Lächelnd nahm Charlie das Angebot sehr gerne an.
Sie betrachtete die alte Frau ein bisschen, die wohl angestrengt über etwas nachdachte. Wie Charlie schon dachte trägt sie einen Kimono, aus bester Qualität. Nicht unbedingt alltäglich auf dem Land. Ihre stark ergrauten Haare hat sie zu einer schön geschlungenen Hochsteckfrisur zusammen gesteckt. Sie ist bestimmt einen Kopf kleiner als Charlie und duftet nach einem bunten Sommerstrauß.
"Deine Großmutter hat immer viel von dir gesprochen. Du warst ein großer Teil ihre Lebens" verriet ihr Nana. Charlie war sehr überrascht das zu hören "Wirklich? Ich hatte nie den Eindruck, das sie mich wirklich mögen würde. Sie war immer sehr reserviert und streng" antwortete sie. Nana nickte "Das war sie oft, aber in ihrem Herzen war sie eine liebende und warmherzige Frau"! Jetzt musste Charlie wieder einen Klos herunter schlucken, sie hatte es nicht gewusst, da ihre Großmutter ihr nichts dergleichen gezeigt hatte.
"Ich kann dir gerne ein bisschen über sie erzählen, wenn du magst" schlug die ältere nun vor und Charlie nickte freudig "Sehr gerne, aber erst einmal möchte ich das Haus besichtigen" kicherte sie und rieb sich gedanklich ihre Hände, so sehr wollte sie das Haus von innen sehen. Nana schlug sich mit der Hand gegen den Kopf. "Wie dumm von mir, entschuldige bitte. Wo hab ich nur, wo hab ich ihn nur" murmelte sie. Dann funkelten ihre dunklen Mandelförmigen Augen auf "Genau, ich habe ihn Kojiro gegeben, er sollte die Fenster öffnen und sich um den Garten kümmern. Mein Enkel ist so ein guter Junge, wenn du Hilfe brauchst, dann brauchst du es ihm nur sagen. Er würde alles für dich tun" griente die alte und legte dabei ihre nicht ganz so tau frischen Zähne frei. Nickend wollte Charlie wissen wo dieser Kojiro denn nun sei, denn es sieht nicht so aus, als ob jemand drüben im Haus sein würde. Nana zeigte hinter die beiden Häuser, zu einem kleinen lichten Laubwäldchen. "Wenn er nicht in deinem Garten ist, dann ist er an deinem See" zwitscherte sie und Charlie bekam große Augen. "Was, wie, wo, häähh" stammelte sie. Kichernd hielt sich Nana die Hand vor den Mund "Zu deinem Grund und Boden gehört auch das kleine Waldstück, mit dem See" erzählte sie. Sofort begannen Charlies Augen zu glitzern und sie dachte daran, das ihre Arbeit sich bei der traumhaften Kulisse von selbst erledigen wird.
Nana zeigte ihr wo sie lang laufen muss und sie machte sich unverzüglich auf den Weg. Als sie an ihrem Haus vorbei lief, konnte sie etwas von dem Garten der sich hinter dem Haus befindet erhaschen. Wie vermutet und erhofft, konnte sie einen kleinen typischen Steingarten, mit einem Teich entdecken. Die Pflanzen die sich rings herum befinden brauchen aber unbedingt Pflege. Vielleicht kann dieser Junge von dem Nana sprach, der kleine Kojiro sich wirklich darum kümmern. Sie würde ihn jedenfalls mal fragen.
Ein kleiner mit reichlich Moos bedeckter Weg, der durch die Bäume führte, tat sich vor ihr auf. Sie folgte dem Weg ein kurzes Stück, bis sie zwischen dem Blattwerk die Oberfläche des Sees in der Sonne glitzern sah. Wie schon vorhin hatte Charlie eine Szenerie vor Augen, nur dieses mal würde sie hier am Seeufer sitzen und malen. Wer würde das nicht wollen, bei diesem Anblick der sich ihr jetzt bot? Zu ihrer linken führte ein langer Steg zwischen den Bäumen und dem ruhig liegendem See entlang. Die langen geschmeidigen Äste ragten teilweise auf das Wasser hinab. Charlie beschloss, nachdem sie Kojiro gefunden und ihr Haus in Augenschein genommen hat, hier her zurück zu kommen um sich genauestens umzuschauen.
Zu ihrer rechten lag der See nicht mehr ganz versteckt, sie konnte das glitzernde Sonnenspiel auf der Wasseroberfläche beobachten. Am liebsten würde sie hinein springen, darum bereute sie es gerade sehr, nie das Schwimmen gelernt zu haben. Am Seeufer gab es eine kleine Rasenfläche, die gut und gerne einmal gestutzt werden könnte, obwohl es dann nicht mehr zu dem gesamt Eindruck von wilder Natur passen würde.
Charlie konnte auf dem ersten Blick keinen Kojiro ausfindig machen, darum rief sie seinen Namen. "Hallo Kojiro? Bist du hier irgendwo"? Ein kleines bisschen hallte ihre helle Stimme über den See. "Ich bin hier drüben" antwortete ihr eine männliche Stimme, die so gar nicht zu ihrer Vorstellung von einem Jungen passte. Sie folgte der melodischen Stimme und trat um einige verschlungene Bäume herum. Breit grinsend entdeckte sie endlich den Jungen, der sich aber eher als ein groß gewachsener Mann entpuppte. Charlies Gesichtszüge entgleisten ihr ein bisschen, als sie Kojiro dabei beobachtete, wie er sich von seinem Bad im See wieder anzog. Sie starrte schwer schluckend auf einen makellosen von der Sonne gut gebräunten Rücken. Sie konnte noch vereinzelte Wassertropfen dabei beobachten, wie sie sich ihren Weg über diesen muskulös schönen Rücken erkämpften, bevor er sie in ein weißes Hemd hüllte. Kurz bevor alles verdeckt war, blickte Charlie auf ein Stück eines Tattoos, das etwas über seine blaue Jeans hervor ragte und sich an seiner rechten Hüfte befand. So hatte sie sich Kojiro bei weitem nicht vorgestellt und sie könnte sich selbst Ohrfeigen, das sie Nana nicht gefragt hatte, wie alt er denn sei.
Sie ließ ihre Augen von oben bis unten gleiten. Er hat schwarzes Haar, kurz und voll. Von der Statur her muss er wohl um die 1,80 m sein. Nein gewiss kein kleiner Junge. Charlie trat noch zwei weitere Schritte auf ihn zu "Ich bin Charlie und habe das Haus von meiner Großmutter Shizune Takahashi geerbt, ich würde mich freuen wenn du, nein sie es mir zeigen können" sprach sie freundlich lächelnd.
Sie konnte gerade nicht das breite grinsen sehen, das sich auf die Lippen von Kojiro legte. Sein Blick ging nach oben zum strahlenden Himmel hinauf, der seine fast schwarzen Augen glänzen ließ. Langsam drehte er sich zu ihr herum. "Ich weiß wer du bist, kleines Äpfelchen" antwortete er ihr in einem rauen Tonfall. Charlies lächeln blieb ihr im Hals stecken, als sie sah wer genau da jetzt vor ihr stand. "Nicht dein ernst" kam es fast quietschend aus ihrem Mund.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top