43. Unforgotten


♪ Troublemaker – Olly Murs


Sienna

„Ich habe eine Morddrohung erhalten."

Noch immer hallte Harrys Stimme in meinem Kopf, der sich weigerte, das Gesprochene anzunehmen, geschweige denn anzuerkennen.

„Das kann nicht wahr sein", flüsterte Niall schockiert.

„Bitte sprecht mit niemandem darüber, außer euch weiß es noch keiner", formulierte Harry seine Bitte an uns.

Nach einem synchronen Nicken fragte ich mich allerdings, was er nun zu tun gedachte und vor allem, in welchem Zusammenhang diese Drohung stand.

Doch unser Freund wollte nicht mit der Sprache herausrücken.

„Es tut mir leid, aber ihr müsste euch gedulden, bis ich in Barrow ankomme", lautete seine stoische Antwort, die mich zum wiederholten Male zum Seufzen brachte.

„Hat es etwas mit der Mafia zu tun?", wollte Niall wissen, doch da Louis gerade ins Zimmer stürmte, hüllte Harry sich diesbezüglich in Schweigen.

„Ich komme übrigens übermorgen um zwölf Uhr mittags in Barrow an, es wäre nett, wenn mich jemand am Flughafen abholt", wechselte er professionell das Thema.

„Ich kann mit dem Schlitten kommen", frotzelte Louis, „dann lernst du mal das einzig wahre Transportmittel in Nord Alaska kennen."

„Passt da ein Koffer drauf?", erkundigte sich Harry argwöhnisch.

„Zur Not ja."

„Gut. Und wie kalt ist es zurzeit bei euch? Reich es, wenn ich meinen Mantel mitbringe?"

„Den feinen Zwirn von Yves Saint Laurent?", fiel Niall ihm ins Wort. „Bist du irre? Du wirst dir damit den Hintern abfrieren."

„Ach Mist, dann muss ich ja schon wieder den Parka anziehen", maulte der Lockenkopf.

„So sieht es aus. Und vergiss deine Mütze und die Handschuhe nicht", ermahnte Niall ihn.

„Keine Sorge, das werde ich nicht", erwiderte Harry.

Dann seufzte er kurz und verabschiedete sich von uns. „Wir sehen uns dann übermorgen."

Bis zu Harrys Eintreffen machten Niall und ich uns große Sorgen um unseren Freund. Stets redeten wir über diese Morddrohung, die er erwähnt hatte. Hoffentlich geschah ihm nichts.

Beruhigen konnte ich mich erst, als Louis eine Mitteilung in Form einer WhatsApp Nachricht von Harry erhielt, welche den Satz „Mein Flug nach Barrow startet gleich. Ich komme pünktlich an", erhielt.

„Gott sei Dank", sagte ich erleichtert, worauf Louis mich argwöhnisch beäugte.

Er hatte ja keine Ahnung, was der Grund meines Verhaltens war, da Niall und ich Harrys Bitte, nichts auszuplaudern, nachgekommen waren.

Da Louis sich dazu entschlossen hatte, seinem Kollegen eine Schlittenfahrt zu gönnen, fuhr Niall sicherheitshalber mit dem Auto zum Flughafen, falls das Gepäck des Lockenkopfs wieder so voluminös ausfallen sollte wie bei seinem letzten Besuch. Und er nahm Kieran mit, der bereits ungeduldig wartete.

„Wann kommt Harry?", fragte er bestimmt alle zehn Minuten – so lange, bis Niall ihn endlich in den Kindersitz verfrachtete.

Begeistert klatschte er in seine Hände und winkte mir zu, als das Auto sich in Bewegung setzte.

Eine halbe Stunde später waren alle wieder da. Briana und ich schauten gerade aus dem Küchenfenster, als der Schlitten auf das Grundstück fuhr. Sofort musste ich mir das Lachen verbeißen, denn Harry trug eine Fellmütze, die ihn wie ein Russe aussehen ließ.

„Oh mein Gott, schau dir das an, Briana", prustete ich los.

Die Angesprochene begann schallend zu lachen. „Die hatte er beim letzten Mal aber nicht an", stellte sie fest.

„Vielleicht stellt Yves Saint Laurent neuerdings Fellmützen her", kicherte ich, während ich in den Flur lief, um Harry entgegen zu gehen.

„Sienna!" Er breitete seine Arme aus, als er mich erblickte, in die ich mich hineinsinken ließ.

„Geht es dir gut?", lautete meine besorgte Frage, die er mit einem Nicken beantwortete.

Er sah müde aus, was ich jedoch der langen Reise zuschrieb.

„Komm erstmal rein, wir haben Tee gekocht und das Essen steht auch gleich auf dem Tisch", ließ ich ihn wissen.

Nachdem Harry seine Boots und den Parka ausgezogen hatte, nahm er Kieran an die Hand und lief in die Küche. Unser Sohn nahm seinen Patenonkel sogleich in Beschlag, da hatten wir anderen nichts zu melden.

„Der Osterhase kommt auch hierher", erklärte Kieran. „Obwohl es so kalt ist und er die Eier im Schnee verstecken muss. Aber Anuun hat gesagt, dass er ein dickes Fell hat und nicht friert."

„Echt? Das wusste ich gar nicht." Harry machte absichtlich große Augen.

„Ja, echt. Und weißt du was, Onkel Harry?"

„Was denn?"

„Ich werde dieses Jahr schon fünf!"

Um die Zahl anzuzeigen, hielt er seine Hand mit fünf ausgestreckten Fingern in die Höhe. „Das ist so viel!"

„Wow, dann bist du ja schon ein richtig großer Junge, Kieran", ging Harry darauf ein.

Bedächtig nickte unser Sohn bevor er antwortete: „Aber Freddie ist noch größer, er ist schon sechs und kommt in die Schule. Da lernt man lesen, schreiben und rechnen."

„Freust du dich schon darauf, wenn es bei dir soweit ist?", erkundigte sich Harry mit einem schelmischen Grinsen.

„Ja, aber Mami und Papi haben gesagt, dass ich erst sechs werden muss, um dahin gehen zu können. Das ist so gemein, weil Freddie darf schon bald."

Der Tag würde kommen, an dem er die Schule verfluchte, das war gewiss. Aber einstweilen wollten wir ihm seinen Elan und die Vorfreude darauf nicht nehmen. Vielleicht würde es sich schneller geben, als gedacht. Spätestens wenn er mitbekam, dass Freddie Hausaufgaben machen musste.

Nach dem Mittagessen durften die Kinder in Freddies Zimmer spielen, während wir Erwachsenen uns in das Wohnzimmer zurückzogen.

„Also, Harry, hast du Neuigkeiten aus London mitgebracht?", begann El die Unterhaltung.

„Ja, habe ich." Der Lockenkopf grinste breit, als er in meine und Nialls Richtung schaute. „Ich habe eine Morddrohung erhalten."

Es erstaunte mich, dass er nun doch darüber sprach, aber vielleicht hatte er es sich anders überlegt.

„Bitte was? Willst du uns verarschen?", meinte Louis.

„Nein, will ich nicht."

„Ok, und wer ist so lebensmüde einen Bullen zu bedrohen, der auch noch in einer Spezialeinheit arbeitet?", lautete Louis' nächste Frage.

Entspannt lehnte Harry sich im Sessel zurück.

„Jemand, der nicht wusste, dass ich ein Bulle bin. Maggies Ex Stecher."

Im ersten Moment hielt ich die Luft an, dann presste ich hervor: „Aber warum macht er sowas?"

„Weil ich ihn ausspioniert habe und das der Grund war, warum Maggie mit ihm Schluss gemacht hat. Der Kerl hat ein ellenlanges Vorstrafenregister, unter anderem dealt er ein bisschen. Aber in ganz kleinem Format."

„Und was willst du jetzt machen?", fragte El.

„Frag mich besser, was ich die Nacht vor meinem Abflug getan habe", erwiderte er grinsend.

„Hast du ihm die Fresse poliert?", kam es von Niall.

„Nein, aber ich habe Liam ins Vertrauen gezogen. Der Kerl muss mir hinterher spioniert haben, wenn ich mit Maggie ausgegangen bin. Er kannte meinen Wagen und hat mir einen Umschlag mit der Morddrohung unter die Scheibenwischer geklemmt, anonym natürlich. Da ich seinen Namen und die Adresse kenne, war es leicht, Liam davon zu überzeugen, dass wir mal bei ihm vorbeischauen."

Atemlos schaute ich in seine Richtung und hörte Briana fragen: „Was habt ihr getan?"

„Ihm einen Denkzettel verpasst. Wir besorgten uns einen Durchsuchungsbefehl und haben seine Bude auf den Kopf gestellt. Außer fünf Gramm Kokain fanden wir etliche Beutel Gras und Pillen ohne Ende. Das reicht für eine Anklage."

„Stimmt. Mehr als 0,5 Gramm Koks darf er nicht haben. Alles andere übersteigt den Eigenbedarf", erläuterte Louis, der sich nun erhob, um zum Schrank zu gehen.

Dort öffnete er das Barfach und holte die Wodka Flasche hervor.

„Den trinken wir nachher, Harry, der pustet dir sämtliche Bazillen aus dem Körper."

„Das kann ich absolut bestätigen", mischte Niall sich grinsend ein.

„Ach, es wird Zeit, dass Dimitri wieder vorbeikommt. Es war Akis vorletzte Flasche und ihre letzte wird sie mir ganz sicher nicht geben", jammerte Louis.

Natürlich konnte mein Mann seine vorlaute Klappe nicht halten.

„Das kommt ganz darauf an", bemerkte er mit einem süffisanten Grinsen.

„Auf was?"

„Wie sehr du dich im Bett anstrengst."

Nun war es Harry, der schallend zu lachen begann.

„Du vögelst Anuuns Tochter? Ist das dein Ernst?"

„Im Augenblick gehen wir nur miteinander aus, aber hier im Haus sind sämtliche Herrschaften der Ansicht, dass ich sie flach legen würde", brummte Louis, während er den Wodka wieder im Barfach verstaute.

„Sollte doch noch ein Gentleman aus dir werden?", zog El ihn auf.

„Vielleicht." Er zeigte uns sein spitzbübisches Grinsen.

„Hast du Alistair eigentlich über diese Morddrohung aufgeklärt?", wollte Briana plötzlich wissen.

„Bist du irre? Er weiß bis heute nicht, dass Maggie und ich zusammen sind."

Beinahe schon empört klang seine Stimme.

Jetzt packte mich die Neugier.

„Und warum nicht?"

Harrys grüne Augen schauten zu mir, als er antwortete: „Weil wir noch warten wollen. Wir stellen ihn vor vollendete Tatsachen, wenn sie bei mir einzieht. Sonst würde er nämlich denken, dass ich sein Töchterchen nur verarschen und fürs Bett nehmen will."

Er seufzte kurz, um dann einen abschließenden Kommentar loszulassen: „Stellt es euch bitte nicht einfach vor, mit der Tochter eures Chefs zusammen zu sein. Alistair ist in dieser Beziehung einfach schrecklich."

Im selben Moment ging die Tür auf und die Kinder stürmten ins Zimmer, sodass wir unser Gespräch zwangsweise beenden mussten.

Kieran kletterte wie selbstverständlich auf Harrys Schoß, während Freddie zu seinem Vater rannte.

„Wir wollen einen Schneemann bauen!", verkündete er.

„Ok, dann machen wir das. Alle Männer zu mir, bitte!", befahl Louis.

Es war eine Freude mitanzusehen, wie gut sich alle verstanden, wie eine große Familie, die zusammen war. Und dieses Gefühl setzte sich während der nächsten Stunden fort.

Harry brachte Kieran nach dem Abendessen ins Bett und erzählte ihm eine Geschichte. Es war herrlich mitanzusehen, wie sehr unser Sohn an seinem Patenonkel hing und Harry ihm die gleiche Liebe zurückgab. Doch dann kam eine Frage auf, die mir einen Stich ins Herz versetzte.

„Onkel Harry, wann darf ich dich wieder in London besuchen? Dich und Alistair?"

Sanft streichelte Harry über den Kopf unseres Sprösslings, als er sagte: „Das dauert noch eine Weile, Kieran. Aber ich werde dich wissen lassen, wenn es soweit ist. Ich komme auf jeden Fall im November zu deinem Geburtstag wieder nach Barrow."

„Das ist schön." Unser Sohn strahlte, bevor er den Gute-Nacht-Kuss seines Patenonkels in Empfang nahm.

Mit den Jahren würde es schwieriger werden, ihm zu erklären, dass er nicht nach London durfte. Zumindest so lange er nicht alt genug war, um die Zusammenhänge komplett zu begreifen.

Wir beendeten den Abend mit einer Kostprobe von Dimitris speziellem Wodka, der Harry prompt einen Hustenanfall bescherte.

„Was ist das für ein Teufelszeug", krächzte er und wischte sich die Tränen aus den Augen.

„Das ist was für Männer", zog Louis ihn auf. „Niall und ich haben diese Feuerprobe bereits vor Monaten bestanden. Wir mussten mit einem Russen trinken, als wir in einem Iglu übernachtet haben."

„Ach die Geschichte, die habt ihr bei meinem letzten Besuch schon erzählt. Wann macht ihr eigentlich euren nächsten Männerausflug?"

„Keine Ahnung, noch ist nichts geplant", sagte Niall mit einem Blick zu Louis, der mit einem Grinsen antwortete.

„Vielleicht im Sommer, wenn der Schnee getaut ist."

Dagegen würde ich absolut nichts einzuwenden haben – das wusste ich jetzt schon.

Der nächste Morgen begann mit zwei quengelnden Jungs, die unbedingt Ostereier suchen wollten. Doch Niall erklärte ihnen, dass der Osterhase erst später käme – wenn er aus der Kirche zurück sei.

Wie so oft begleitete ich ihn dorthin, zusammen mit El, Louis und Briana. Harry spielte in dieser Zeit das Kindermädchen und beschäftigte die Jungs.

Mein Blick wich keine Sekunde von meinem Mann, als er in der Kirche seine Predigt hielt, die ich wie immer wunderbar fand. Niall besaß einfach ein besonderes Gespür dafür, den Menschen den Glauben auch im Alltag nahe zu bringen. Jeder hier in Barrow liebte Pfarrer John und Niall ging total in seiner Arbeit auf.

Obwohl ich mich nicht als seine Frau outen durfte, akzeptierte ich dies ohne zu klagen. Denn wir wussten, dass wir einander liebten. Zudem ging es nur uns beide etwas an, was wir hinter verschlossenen Türen taten. Und mittlerweile vertrat ich die Ansicht, dass Gott uns niemals dieses Kind geschenkt hätte, wenn er es nicht selbst gewollt hätte.

Direkt nach der Kirche fuhren wir nach Hause, um die Ostereier im Schnee zu verstecken, während Harry die Kinder im Haus erfolgreich ablenkte. Erst dann durften sie nach draußen.

Die Freude war groß, als sie die ersten Eier entdeckten. Es wurden immer mehr und als wir heimlich mitzählten, bemerkten wir, dass nur noch vier Stück fehlten. Diese hatten Niall und Louis in der Scheune, im Heu versteckt. Natürlich dauerte es eine Weile, bis die beiden Jungs dahinter kamen, doch sie jubelten laut, als sie die letzten bunten Eier endlich fanden.

„Schau mal, Mami, sooooooo viele!", rief Kieran begeistert und auch Freddie freute sich lautstark.

„Die werden aber nicht vor dem Mittagessen angerührt, habt ihr das verstanden?", machte Louis die Ansage, worauf beide brav nickten.

Wie zu erwarten, stopften sich die Jungs nach dem Essen die Schokoladenosterhasen in den Mund, gefolgt von den bunten Eiern. Briana achtete allerdings darauf, dass sie sich nicht zu viel davon einverleibten, um etwaigen Bauchschmerzen vorzubeugen.

Während ich meinem Sohn beim Essen der Naschereien zuschaute, zog Harry mich kurz zu sich.

„Ich habe eine Überraschung für dich, Sienna."

„Für mich?" Erstaunt riss ich die Augen auf. Ich konnte mir nicht vorstellen, um was es sich dabei handeln sollte.

„Komm, wir nehmen Niall mit", forderte er mich auf und deutete in Richtung des Büros.

Ein seltsames Gefühl beschlich mich, als ich den Raum in Begleitung meines Mannes betrat. Eine Mischung aus Angst, Freude, Anspannung und Unruhe, zog durch meinen Körper.

„Sienna." Harry blickte in meine Augen. „Alistair hat erlaubt, dass du mit deinem Bruder sprechen darfst."

Dieser Satz zog mir fast den Boden unter den Füßen weg. Mein Atem ging so rasch, dass ich diesen fast nicht mehr unter Kontrolle bekam. Doch es war Niall, der in diesem Augenblick zärtlich meine Hand hielt und der mich letztendlich soweit beruhigte, dass es mir gelang, einen Satz zu formulieren.

„Oh Gott, ich darf mit Seth sprechen? Wann denn?"

„Jetzt."

Es fühlte sich an, wie ein Traum – so unwirklich und doch so nahe.

Langsam füllten sich meine Augen mit Tränen, die ich verzweifelt zu ignorieren versuchte.

„Komm erstmal zu dir, dann wähle ich die Nummer, ok?" vernahm ich Harrys Worte, die aus der Ferne zu mir erklangen.

Ich war ganz weit weg, mit meinen Gedanken und Gefühlen. Wann hatte ich zum letzten Mal seine Stimme gehört? Das lag fast fünf Jahre zurück. Eine unglaublich lange Zeit, die jedoch unfassbar schnell vergangen war. Erinnerungen aus meiner Kindheit tauchten vor meinem inneren Auge auf. Sie zogen wie ein Band durch meine Gedanken – ein Band, das niemals reißen würde.

Mit geschlossenen Augen lehnte ich mich kurz gegen Niall, der meine Taille umfasste.

„Alles ok, Baby? Ich bin hier, wenn du mich brauchst."

Ich brauchte ihn mehr als jeden anderen Menschen, vor allem nach diesem Telefonat würde das der Fall sein. Aber nun musste ich mich zusammennehmen, damit das Gespräch überhaupt stattfinden konnte.

„Ja, es geht."

Als ich zu Harry schaute, nickte dieser und betätigte sein Handy. Es dauerte nur einen kurzen Moment, da sagte er: „Hallo, Seth. Ich bin jetzt in Barrow und wir machen es wie besprochen."

Dann übergab er mir sein Telefon. Meine Hand zitterte, als ich es entgegennahm und meine Stimme wirkte brüchig, als ich zu reden begann.

„Seth?" Seinen Namen auszusprechen und zu wissen, dass er ihn hörte, ließ erneut die Tränen aus meinen Augen fließen.

„Sienna?" Es hörte sich fast nach einem Schluchzen an.

„Ja, ich bin es. Oh Gott Seth, geht es dir gut?"

„Ja, ja es geht mir gut. Und dir? Ich.. ich freue mich so, dich zu hören. Ich kann es nicht glauben, dass-."

Seine Stimme brach kurz ab, dann wisperte er „Ich liebe dich, Sienna. Und ich vermisse dich so sehr. Wir beide vermissen dich."

„Ich dich auch", schluchzte ich mit letzter Kraft.

Ihn weinen zu hören, brach mir fast das Herz. Und so ließ ich meinen Tränen ebenfalls freien Lauf. Es gab nichts, für was ich mich schämen musste, ich hatte ein Recht auf diese Gefühlsregungen, ebenso wie Seth.

Noch während ich versuchte, mit meinen Emotionen klar zu kommen, vernahm ich ein Rascheln, gefolgt von einem „Sienna? Bist du da, meine Zuckerpuppe?"

Als Harveys Stimme in meinen Ohren erklang, rief diese mindestens ebenso viele Emotionen in mir hervor wie jene, die vor einigen Sekunden durch meinen Körper geflossen waren. Auch ihn liebte ich von ganzem Herzen.

„Harvey", mehr brachte ich nicht hervor, doch es genügte, um ihn wissen zu lassen, dass ich hier war. „Harvey, ich liebe dich." Den letzten Satz hauchte ich nur noch ins Telefon,

„Ich dich auch, meine Kleine."

Harvey begann zu weinen und so übergab ich Harry das Handy mit einer kraftlosen Geste. Zu mehr war ich nicht mehr fähig.

Niall hielt mich fest in seinen Armen, streichelte beruhigend über meinen Rücken und küsste meine Stirn.

„Ich bin da, Baby, alles ist gut."

Sein leises Wispern erreichte meinen Kopf und mein Herz, doch der Schmerz blieb in diesem Moment gegenwärtig. Kurzzeitig drohte ich zu zerbrechen.

Doch je länger ich in Nialls Armen verweilte, die mich mit ihrer Wärme umfingen, umso mehr setzte sich die Freude durch. Der Funke sprang schließlich über. Ich hatte gerade mit Seth, meinem Bruder, gesprochen. Und mit Harvey, seinem Lebensgefährten. Ihre Stimmen zu hören, war das größte Geschenk für mich. Ein besseres hätten Alistair, und auch Harry, mir nicht geben können.

Während ich noch immer in Nialls Armen weinte, breiteten sich die unterschiedlichsten Gefühle in meinem Inneren aus. Alles wirkte surreal und doch entsprach es der Realität. Seth wusste, dass es mir gut ging und ich wusste, dass es umgekehrt genauso der Fall war. Mehr brauchte es nicht, um das Leben weitergehen zu lassen. Vielleicht würden wir noch einmal miteinander sprechen können – irgendwann, in der Zukunft.

Nachdem ich mich ein wenig beruhigt hatte, griff ich nach Harrys Hand.

„Danke", sagte ich nur.

„Bitte, gern geschehen."

Den Moment mit Seth und Harvey hatte ich fest in meinem Herzen eingeschlossen und selbst nachdem Harry wieder nach Hause geflogen war, konnte ich diesen permanent aus meinem Gedächtnis abrufen – selbst nach Tagen und Wochen noch.

Die Zeit verging rasend schnell und langsam hielt der Frühling in Nord Alaska Einzug, der sich damit ankündigte, dass die Sonne nicht mehr unterging. Es blieb sogar nachts hell.

So sehr ich Barrow am Anfang ablehnte, so sehr lernte ich nun die schönen Seiten schätzen. Selbst der viele Schnee machte mir nichts mehr aus und da ich meinen blauen Motorschlitten über alles liebte, fuhr ich nach wie vor zur Arbeit damit.

Der einzige Gedanke, der mich hin und wieder grübeln ließ, war die Tatsache, dass ich noch immer nicht schwanger war. Doch vielleicht sollte ich diesen Dingen einfach Zeit geben. Schließlich konnte man nicht erwarten, dass dies sofort eintrat, aber wir probierten es nun seit drei Monaten und nichts hatte sich bisher getan.

Es stimmte mich ein wenig traurig und gleichzeitig nachdenklich, doch ich sprach mit niemandem darüber. Immerhin hatte ich meine Arbeit und irgendwann würde es schon klappen, da war ich mir sicher.

In Anbetracht der Tatsache, was wir bereits alles hinter uns gebracht hatten, wollte ich mich auch nicht mehr über mein Leben beschweren. Ich hatte einen liebevollen Mann und einen gesunden Sohn, der uns viel Freude bereitete.

Mit einem Schmunzeln im Gesicht stellte ich an diesem Tag den Motorschlitten ab, als ich von der Arbeit nach Hause kehrte. Schnell lief ich ins Haus und entledigte mich der winterlichen Kleidung und den Boots.

„Briana?" Ich rief den Namen meiner Freundin, erhielt jedoch keine Antwort.

Normalerweise kam sie mir immer entgegen, wenn ich noch im Flur stand. Stirnrunzelnd betrat ich die Küche, die vor Leere gähnte und machte mich anschließend auf die Suche nach den Bewohnern. Eigentlich mussten alle hier sein, denn sämtliche fahrbare Untersätze befanden sich auf dem Grundstück.

Plötzlich hörte ich mehrere Stimmen aus dem Wohnzimmer, deshalb begab ich mich sofort dorthin. Als ich die Tür aufstieß, blickte ich in vier Gesichter, deren Ausdruck mir gar nicht behagte.

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Hier kommt das versprochene Update :) Ich möchte eigentlich gar nicht viel dazu sagen.

Wie hat euch die Sienna/Seth Szene gefallen? Es ist meine Lieblingszene in diesem Kapitel.

Der offizielle Shipname von Kieran und Freddie lautet übrigens Kreddie.

Das nächste Update kommt vermutlich am Dienstag.

Danke für die vielen Kommentare zum letzten Kapitel. Das ist so lieb von euch.

LG, Ambi xxx

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