31. Shorttaken
♪ Drunken Lullabies – Flogging Molly
Louis
„Was'n los?", murmelte ich schlaftrunken, weil ich mir einbildete, Nialls Stimme gehört zu haben.
Dass dies wirklich der Realität entsprach, bekam ich binnen der nächsten Sekunde mit.
„Da draußen schleicht jemand herum", wisperte der Ire und somit wurde mir endgültig klar, dass ich nicht träumte.
Schlagartig fiel jegliche Lethargie von mir ab. Ich setzte mich auf und horchte angestrengt den Lauten, die von draußen kamen. Als ich mich auf nichts anderes konzentrierte, konnte ich es genau hören: Niall hatte absolut Recht. Jemand tapste durch den Schnee.
Aus reiner Gewohnheit tastete ich nach meiner Waffe, die ich griffbereit neben der Decke platziert hatte. Es war unerlässlich sie mitzunehmen, wenn ich gleich das schützende Schneehaus verlassen würde, um zu schauen, wer sich in dieser gottverlassenen Gegend herumtrieb.
„Bleib du hier drin, ich checke mal, was los ist", flüsterte ich Niall zu, der jedoch entschlossen den Kopf schüttelte.
„Ich komme mit."
Sein irischer Sturkopf war echt durch nichts zu überbieten. Da ich mitten in der Nacht keine Lust auf große Diskussionen verspürte, zuckte ich kurz mit den Schultern und deutete an, dass ich auf jeden Fall vorgehen würde, womit Niall sich durchaus anfreunden konnte.
Am Eingang des Iglus verharrend, versuchte ich die Geräusche herauszufiltern. Ob es sich um einen einzelnen Menschen oder sogar um mehrere handelte. Weiterhin machte ich mir Gedanken, warum die Hunde so ruhig blieben.
Huskys gehörten zwar nicht zu den Wachhunden, die ihr Hab und Gut sofort verteidigten, aber wenn jemand böse Absichten verfolgte, würden sie dies auf jeden Fall spüren. Dies lag in der Natur eines Hundes.
Kurz schloss ich meine Augen und ließ die Laute, die draußen ertönten, auf mich wirken.
Schnee knirschte unter den Schuhen des nächtlichen Besuchers, ansonsten blieb außer dem Pfeifen des Windes alles still. Es musste eine Person sein, die hier herumlief und nicht mehrere.
Als ich meine Augen wieder öffnete, spürte ich, dass Niall direkt hinter mir stand.
„Bleib kurz zurück", flüsterte ich leise, bevor ich mit der Waffe in der Hand einen Schritt nach vorne ging.
Im gleichen Moment setzte Nanook sich auf und schaute mich schwanzwedelnd an. Demnach schienen die Hunde ok zu sein, eine Tatsache, die mich beruhigte.
Vorsichtig pirschte ich mich aus dem Iglu, immer darauf bedacht, so leise wie möglich zu sein.
Und dann erblickte ich ihn.
Ein großer Mann mit breiten Schultern betrat gerade das benachbarte Schneehaus, in welchem das Brennholz lagerte. Das fahle Licht des Mondes leistete mir gute Dienste, als ich weiter vorwärts ging, um alles genau in Augenschein zu nehmen.
Direkt hinter dem Vorratsiglu befand sich die nächste Notunterkunft und davor lag ein Rudel Huskys. Unweit davon parkte ein Schlitten, der unserem von der Bauart ähnelte.
Der Mann schien demnach, genau wie wir, durch die Eiswüste gefahren zu sein.
Da sich so gut wie keine Touristen in dieser Gegend verirrten und diese zudem auch keinen Tag überlebt hätten, stellte sich mir nun die Frage, welchen Grund er vorzuweisen hatte, hier zu sein.
Böse Absichten schieden auf den ersten Blick aus, doch man konnte nie wissen und deshalb zeigte sich meine vorsichtige Seite.
„Niall, bleib hier, ich gehe mal schauen, was der Typ im Schilde führt, ok?", raunte ich meinem Freund zu.
„Und wenn er dich niederschlägt? Zu zweit sind wir stärker."
„Ich hab meine Waffe dabei", entgegnete ich grinsend, bevor ich mich anschickte, durch den Schnee zu stapfen.
Der Wind, welcher mir in das Gesicht blies, fühlte sich schweinekalt an. Ein Wunder, dass mir keine Eiszapfen an der Nase wuchsen. Ich atmete flach, um die eisige Luft nicht bis zu meinen Lungen vordringen zu lassen und der typische Geruch des Schnees setzte sich in meiner Nase fest. Die weiße Pracht erhellte die Gegend selbst bei Nacht um ein Vielfaches, was es einfacher machte, Dinge zu erkennen. Der Fremde verließ das Vorratsiglu, um nun jenes zu betreten, das er als seine Schlafstätte auserkoren hatte.
Als ich mich dem Schneehaus näherte, wurde ich durch die Huskys beäugt, welche im Schnee lagen. Genau wie unsere schlugen sie nicht an, sondern erhoben sich nur, um an mir zu schnüffeln. Das war absolut typisch für das Verhalten dieser Rasse. Vermutlich kannte sich der Fremde sehr gut mit diesen Tieren aus, was unser Rudel wahrscheinlich spürte und demnach keine Notwendigkeit sah, uns auf ihn aufmerksam zu machen.
Unbeschadet erreichte ich schließlich den Eingang des weißen Gebildes, trat vorsichtig ein und kündigte mich mit einem „Hallo" an. Dabei befand sich meine rechte Hand an der Schusswaffe, die ich verdeckt unter dem halbgeöffneten Mantel trug.
Erstaunt blickte mich der große Mann an, der gerade im Begriff war, einige Decken auf dem Schlafplatz des Iglus auszurollen.
„Hallo", erwiderte er, „ich habä nicht gädacht, dass noch jämand wach ist."
Sein Englisch wies einen lustigen Akzent auf. Wenn mich nicht alles täuschte, stammte er aus dem Osten.
„Ähm, ja wir wurden wach, als du um unser Iglu geschlichen bist", erklärte ich unverblümt und ehrlich.
„Äs tut mir leid, dass ich dich gäwäckt habä", entschuldigte er sich und reichte mir seine Hand. „Ich bin Dimitri."
„Freut mich, ich bin Louis. Was machst du hier in dieser Einöde?"
Grinsend langte er nach seinem Rucksack, der auf dem Boden lag, um dort eine Flasche herauszuholen.
„Ich möchtä Wodka värkaufän."
Allem Anschein nach stammte er aus Russland, denn nur dieses Volk trieb sich ab und zu in Nordalaska herum, um ihren Alkohol an den Mann zu bringen. Sofern er eine Lizenz hierfür besaß, war dies nicht mal illegal.
„Wo möchtest du denn deine Ware loswerden?", fragte ich neugierig, während ich den massigen Mann betrachtete, der eine Fellmütze zu seiner wintertauglichen Kleidung trug.
„Mein nächstäs Ziel ist einä Stadt namäns Barrow."
Zugegeben, dies wunderte mich nicht, da es sich um den nächsten Ort in dieser Einöde handelte. Doch bevor ich dazu kam, mich zu erkundigen, ob er noch andere Plätze besuchen wollte, tauchte Niall plötzlich im Iglu auf. Natürlich hatte er sich meiner Anweisung widersetzt, aber was wollte ich von dem irischen Sturkopf auch anderes erwarten?
„Hey, ich wollte mal schauen, was ihr so treibt", sagte er mit einem fetten Grinsen im Gesicht.
Gleichzeitig fiel sein Blick auf die mit Wodka gefüllte Falsche, welche Dimitri noch immer in seinen übergroßen Händen, die fast wie Schaufeln wirkten, hielt.
„Hallo, ich bin Dimitri", stellte sich mein Gegenüber vor.
„Ich bin John, es freut mich, dich kennenzulernen."
Insgeheim dankte ich dem Schöpfer dafür, dass Niall so intelligent war und niemals vergaß, warum er eigentlich hier in Nordalaska wohnte. Alles andere hätte nämlich in einer Katastrophe enden können.
„Freut mich, John." Dimitri grinste ihn freundlich an. „Möchtät ihr beidän von meinäm Wodka kostän?", erkundigte er sich.
„Nur, wenn du mittrinkst", erwiderte ich wie aus der Pistole geschossen.
Man sollte die nette Geste eines Fremden nicht unbedingt ablehnen und vor allem nicht, wenn es sich um ein gastfreundliches Volk wie die Russen handelte. Er würde sich womöglich beleidigt fühlen. Trotzdem war ich vorsichtig, indem ich die Bedingung stellte, dass er mittrank.
Dimitri brach in meckerndes Gelächter aus. „Natürlich trinkä ich auch. Für uns Russen ist Wodka wie Wassär."
„Gut, dann nimm deine Flasche mit, wir laufen jetzt zu unserem Iglu. Dort machen wir ein Feuerchen und genießen das gemütliche Beisammensein."
Mein Ziel war es, so viel wie möglich über den fliegenden Händler zu erfahren, dessen Wodkavorräte auf einem Schlitten transportiert wurden.
„Auf welchem Weg bist du hierher gelangt?", wollte ich wissen, als wir uns um die kleine Feuerstelle neben unserem Iglu niederließen.
„Übär die Eisstraßä", gab er zur Antwort, wobei seine lustigen braunen Knopfaugen zu mir blickten.
Damit konnte er eigentlich nur die Beringstraße, die Meerenge, die Russland von Alaska trennte, meinen. Diese stach durch eine Besonderheit hervor: Zehn Monate des Jahres wurde sie durch eine dicke Eisschicht bedeckt. Mit einem Hundeschlitten, aber auch mit einem geeigneten Fahrzeug, konnte man dieses Gebiet problemlos überqueren. Man benötigte nur genügend Benzinvorräte, weshalb das Schlittenhundegespann die weitaus bessere Alternative darstellte.
„Wie lange hast du dafür gebraucht?", fragte ich interessiert.
„Vier Stundän für die Eisstraßä, falls du das meinst", erwiderte er und schickte sich an, die bisher versiegelte Wodkaflasche zu öffnen. „Abär ich bin schon mährärä Tagä unterwägs. Bärrow ist meinä lätztä Station."
„Warum ausgerechnet Barrow?", wollte ich wissen.
„Mein Brudä war vor einigän Tagän hier und hat quasi unsär Gäschäft ins Rollän gäbracht", erwiderte Dimitri.
Sofort erfasste ich die Zusammenhänge. Bestimmt handelte sich es sich bei seinem Bruder um diesen Geschäftsmann, den Annun und ich beschattet hatten. Da wir jedoch keinerlei Auffälligkeiten fanden, bestand kein Grund zur Sorge.
Inzwischen hatte Niall drei Becher aus dem Iglu geholt, die eigentlich für Wasser oder Tee gedacht waren. Aber da die Russen ihren Wodka grundsätzlich aus großen Gläsern abkippten, brauchte sich Dimitri wenigstens nicht umzustellen.
Wachsam beobachtete ich, wie er die Gefäße füllte, um uns diese dann zu überreichen. Sein eigenes war randvoll, es lief schon fast über, was mich zu einem Schmunzeln animierte.
„Dann mal Prost!", sagte ich.
Wir stießen an und als Dimitri das Zeug auf Ex hinunterkippte, tranken Niall und ich ebenfalls davon. Jedoch vernichteten wie den Alkohol, der wie Feuer brannte, nicht in einem Zug.
„Ihr müsst noch lärnen, richtig zu trinkän", zog der Russe uns auf, als Niall mit einem kurzen Hustenanfall kämpfte. Auch mir traten bei dem Gesöff die Tränen in die Augen. Der Wodka war richtig heftig, aber so mochten ihn die Inuit. Anuun würde bestimmt seine Freude daran haben und Dimitri seine Ware wahrscheinlich ohne Probleme loswerden.
Wir verbrachten eine ganze Weile am Feuer, wobei ich Dimitri ausquetschte, der bereitwillig alles von sich erzählte. Ursprünglich stammte er aus der Stadt Madagan, wohnte jedoch seit einigen Jahren in einem Ort namens Naukan, welcher direkt an der Küste zur Beringstraße lag. Er hatte vier Geschwister, wovon zwei mit Schnapsbrennerei ihr Geld verdienten; er und sein Bruder.
„Äs gibt nicht vielä Weißä in Bärrow, oder?", fragte er.
„Nein, nur ein paar", antwortete ich, während ich mich innerlich auf die nächste Antwort vorbereitete, die ich ihm zu erteilen gedachte.
„Falls du wissen möchtest, was mich dorthin verschlagen hat, so kann ich dir sagen, dass ich dort die Gegend ein wenig erforsche, um später ein Buch darüber zu schreiben. John und ich sind alte Freunde und er hat mir quasi vorgeschlagen, ihm hier ein wenig Gesellschaft zu leisten, da er seine Stelle als Priester in Barrow in Kürze antreten wird."
„Ja, also falls du mal seelischen Beistand brauchst, kannst du mich gerne in der katholischen Kirche besuchen", erklärte Niall sofort, was dem Russen ein Lachen entlockte.
„Ich habä meinän Wodka, das ist gänug säälischär Beistand", erklärte er, worauf wir alle drei in Gelächter ausbrachen.
Niall und ich tranken den letzten Rest des Alkohols aus, bevor wir uns wieder schlafen legten. Vorher besprachen wir allerdings, dass wir am kommenden Morgen gemeinsam nach Barrow fahren wollten, Dimitri sollte unserem Gespann einfach folgen.
Ich schaute dem Russen noch so lange nach, bis er in seinem Iglu verschwand, dann betrat ich unsere Unterkunft, wo Niall bereits unter den zahlreichen Decken lag. Der Ire war in vielerlei Hinsicht ebenso unkompliziert wie ich, was ihn zu einem unentbehrlichen Verbündeten und guten Freund werden ließ. Ich wollte Niall nicht mehr missen und obgleich ich mir immer wieder vor Augen halten musste, dass wir nicht zum Spaß hier verweilten, kam er mir vor, wie jemand, der einen festen Platz in meinem Leben hatte.
Nach einem gemeinsamen Frühstück brachen wir am nächsten Tag gegen neun Uhr auf. Während Niall sich wie selbstverständlich in die Decken mummelte, nahm ich meinen Platz als Musher ein.
Diese kleine Auszeit hatte gut getan, mir vieles nochmals bewusster werden lassen. Ich freute mich unglaublich auf Freddie, außerdem brannte ich darauf, endlich ein klärendes Gespräch mit Briana zu führen. Dass Niall mir den Kopf zurechtgerückt hatte, war es das Beste, was mir je hatte passieren können. Dafür würde ich ihm wohl ewig dankbar sein.
Wie schon am Tag zuvor rannten die Huskys mit einem unglaublichen Tempo durch den Schnee. Sie waren in der Lage eine Geschwindigkeit von 30 km/h über eine Stunde lang zu halten. Dazu war der Schlitten noch bepackt, was es umso schwerer für die Hunde machte. Aber da sie für gewöhnlich als Arbeitstiere eingesetzt wurden, lag es in ihrer Natur, schwere Lasten zu ziehen.
Dimitri schien keine Probleme damit zu haben, bei unserer rasanten Fahrt mitzuhalten, was mich wissen ließ, wie erfahren er als Musher sein musste. Zwischendurch legten wir eine Pause ein, um ein wenig Proviant zu verzehren und heißen Tee zu trinken, welchen ich heute Morgen frisch über dem Feuer zubereitet hatte. Der Allroundtopf war dabei zum Einsatz gekommen.
Niall und ich hatten auf jeden Fall bewiesen, dass wir eine Nacht in der Eiswüste überleben konnten, ohne Schaden davonzutragen. Eigentlich sollte Alistair sehr stolz darauf sein, dass wir uns eine Extrem-Situation ausgesucht hatten, um unsere Fähigkeiten diesbezüglich zu testen. Weicheier waren in Nordalaska nämlich fehl am Platz, zudem konnte man nie wissen, was uns noch erwarten würde.
Am frühen Nachmittag erreichten wir Barrow und führten Dimitri direkt in die kleine Stadtmitte. Mit seiner Lizenz durfte er den Wodka sogar an die Supermärkte verkaufen und da er unserer Sprache mächtig war, gelang es ihm ohne Probleme, die Verhandlungen selbst zu führen. Allerdings wollte er einige Tage in der Stadt bleiben, was ich angesichts der langen und beschwerlichen Reise, die er hinter sich und auch wieder vor sich hatte, sehr gut verstand.
Ich empfahl ihm das Hotel King Eider Inn, das durch Anuuns Tochter gemanagt wurde.
Dimitri bedankte sich artig, bevor er sich von uns verabschiedete.
„Wir sähän uns bästimmt wiedä", rief er uns zu, als ich wir losfuhren.
„Der Typ ist echt lustig", meinte Niall.
„Oh ja, er wird die Inuit gut mit Wodka versorgen. Wir hätten uns noch eine Flasche mitnehmen sollen. Sicher hätte er uns einen Sonderpreis gemacht. Jetzt müssen wir das teure Geld dafür hinblättern, das der Supermarkt verlangt", brummte ich.
„Vielleicht solltest du Aki anrufen und sie drum bitten, dass sie eine Flasche für uns unter der Hand kauft", schlug Niall lachend vor.
„Damit sie mich für einen Alkoholiker hält?", entfuhr es mir prompt.
„Doch nicht wegen einer Flasche!" Niall lachte mich echt aus, worauf ich den Schlitten in der nächsten Kurve ein wenig in die Schräglage brachte.
„Hey, was machst du da? Ich rutsche fast runter", beschwerte er sich lautstark, worüber ich nun lachte.
„Das kommt davon, wenn man sich mit einem Greenhorn anlegt, Bleichgesicht", lautete mein Spruch.
Als unser Haus endlich in Sicht kam, atmete ich erstmal auf. Es war toll gewesen, eine Nacht in der Wildnis in einem Iglu zu verbringen, doch jetzt freute ich mich darauf, Freddie zu sehen und einen warmen Tee zu trinken. Das Wichtigste, auf was ich jedoch brannte, war das Gespräch mit Briana.
Vorher kümmerten wir uns allerdings um die Hunde, die durstig und hungrig waren. Niall half mir, die sechs Futternäpfe zu füllen und ging mir auch beim Abladen des Schlittens zur Hand. Noch schien niemand unser Kommen bemerkt zu haben, vermutlich hielten sich alle im Wohnzimmer auf, dessen Fenster zur anderen Seite herausgingen.
„Danke nochmal für deine Zurechtweisung bezüglich Briana", sagte ich und schaute in seine Augen.
„Bitte, gern geschehen. Du musst einfach lernen, in dieser Hinsicht Verantwortung zu übernehmen, so, wie du es auch in deinem Job tust."
„Hm", machte ich nickend
„Und du solltest echt erwachsen werden, was das angeht. Briana will dir nichts Böses."
Ich wusste nicht, warum es ausgerechnet Niall war, dem ich gestattete, so mit mir zu reden. Jedem anderen wäre ich schon über den Mund gefahren, doch der Ire brachte mich stets zum Nachdenken.
Vielleicht lag es daran, dass er schon sehr viel mehr erlebt hatte, als der Durchschnittsbürger und vor allem als die meisten Leute seines Alters. Von Niall nahm ich diesen Rat ohne zu zögern an.
Als wir uns dem Haus näherten, bemerkten wir, dass zwei der drei Motorschlitten fehlten, das Auto jedoch vor der offenen Garage stand. Demnach musste zumindest Briana zuhause sein.
„Kein Wunder, dass uns noch niemand entgegen gelaufen ist", meinte ich und stieß die Haustür auf.
Nachdem ich meine Boots ausgezogen hatte, was Niall mit einem wissenden Grinsen quittierte, lief ich direkt ins Wohnzimmer. Dort saß Briana mit den beiden Jungs, die uns sofort entgegenliefen.
„Dad!", kreischte Freddie und auch Kieran eilte seinem Vater entgegen.
Lachend fing ich meinen Sohn auf, der mir sofort versicherte, dass er mich vermisst hätte.
Anschließend wandte ich mich an Briana.
„Wo sind El und Sienna?"
„Mit den Motorschlitten unterwegs. Sienna wollte es unbedingt mal ausprobieren und du kennst El, sie ist ja ganz verrückt nach diesen Dingern."
Kurz bedachte ich sie mit einem lächelnden Blick. Es war nicht schlimm, dass sie Angst vor den Motorschlitten hatte, dafür fuhr sie umso besser Auto.
„Was hältst du davon, wenn wir uns bei einer Tasse unterhalten?", fragte ich ruhig.
„Gerne." Ihr überraschter Gesichtsausdruck brachte mich beinahe zum Schmunzeln, dennoch lag mir das bevorstehende Gespräch ein wenig im Magen.
Wie würde sie reagieren? Würde sie mir mein kindisches Verhalten verzeihen?
Nachdem Niall seinen Tee in einer übergroßen Mickey Mouse Tasse in Empfang genommen hatte (es war die größte, die wir im Haus besaßen), zog er sich mit den beiden Jungs ins Wohnzimmer zurück. Ich war ihm unendlich dankbar dafür, denn jetzt konnte ich die längst fällige Aussprache mit Briana führen.
„Es tut mir leid." Ein wenig unbeholfen kamen die Worte über meine Lippen, während ich meinen Tee umrührte. Hoffentlich zweifelte sie nicht an meiner Ehrlichkeit, denn ich meinte es bitter ernst.
„Was tut dir leid, Louis?"
Sie wollte es also genauer hören, ihr gutes Recht, wenn man mich fragte.
„Dass ich mich oftmals so kindisch und launisch verhalten habe. Ich weiß, es war nicht richtig und ich möchte mich dafür in aller Form bei dir entschuldigen. Ich habe dich oft verletzt und gedemütigt, das war gemein von mir."
Ich holte noch einmal tief Luft, bevor ich den nächsten Satz aussprach.
„Denkst du, du kannst mir verzeihen?"
Langsam ging ihr Blick zu mir, ihre Augen schauten noch immer ein wenig ungläubig drein, als sie antwortete.
„Auch ich habe Fehler gemacht, Louis. Es war nicht immer alleine deine Schuld. Aber ich denke, wenn wir beide an uns arbeiten, kriegen wir es hin. Schon alleine Freddie zuliebe sollten wir das tun."
„Ja, das denke ich auch", erwiderte ich ein wenig perplex.
Niemals wäre es mir in den Sinn gekommen, dass Briana die Fehler auch bei sich suchte und nicht nur mir alles in die Schuhe schob.
Es würde mich nicht wundern, wenn Niall auch hierbei seine Finger im Spiel hatte.
„Sag mal", begann ich, „hast du zufällig mit Niall geredet?"
Leicht schüttelte Briana ihren Kopf.
„Nein, aber mit Sienna. Sie hat mir einige Dinge gesagt, die mich zum Nachdenken angeregt haben."
Nun war ich baff. Eigentlich dachte ich immer, dass Sienna voll auf Brianas Seite stand und doch musste es einige Dinge geben, die sie anders sah.
Sienna besaß genau wie Niall ein Herz aus Gold, dies wurde mir gerade bewusst. Die beiden verdienten einander und ich hoffte, dass die Mafia sie niemals trennen würde. Ich für meinen Teil wollte alles dafür tun, damit das nicht geschah.
Bevor ich noch etwas sagen konnte, war das Brummen dreier Motorschlitten zu vernehmen. Eleanor, Sienna und Anuun fuhren in nicht gerade gemäßigtem Tempo auf das Grundstück. Der Schnee wurde nach allen Seiten aufgewirbelt, was mir ein Lächeln entlockte.
Während der Inuit sich Zeit ließ, stürmten die beiden Frauen in das Haus, allen voran Sienna. Ich konnte mir gut vorstellen, wie sie und Niall sich gleich umarmten und Kieran sich an seinen Vater hängte.
„Komm, lass uns ins Wohnzimmer gehen", schlug ich vor, worauf Briana nickte.
Auf dem Weg dorthin begegnete uns Annun, der gerade im Flur Boots und Jacke auszog.
„Hey, Annun", begrüßte ich ihn freudig.
„Hey, Louis, ich komme gleich nach, muss mich nur noch von den Boots befreien", erwiderte er.
„Ok, wir sind im Wohnzimmer."
Es gab eine heftige Umarmung zwischen El und mir und eine eher zögerliche Begrüßung durch Sienna. Immerhin lächelte sie, als sie mich anschaute.
Dann betrat Annun den Raum. Als ich ihn genauer musterte, blieb mir allerdings die Luft weg, denn auf seiner Stirn prangte eine Beule vom Feinsten.
„Wie ist das denn passiert?", keuchte ich erstaunt.
Grinsend antwortete der Inuit: „Das, mein Lieber, solltest du Sienna fragen. Sie hat mich im Flur mit einem Eishockeyschläger angegriffen, als ich in der Nacht nach dem Rechten sehen wollte."
Sofort wurde Sienna puterrot im Gesicht, während die anderen beiden Frauen in schallendes Gelächter ausbrachen.
„Es tut mir so leid", stammelte sie, sicher nicht zum ersten Mal, denn Anuun winkte bloß ab.
„Das ist schon in Ordnung, ich hätte vorher sagen sollen, dass ich einen Schlüssel besitze und später nochmal nach dem Rechten schaue."
Ich wollte gerade etwas erwidern, als es an der Haustür klopfte. Der mächtige Eisenring, den die Besucher zu diesem Zweck gegen die Tür schlagen mussten, veranstaltete wie immer jede Menge Lärm.
„Ich gehe schon", bot ich an und lief durch den Flur.
Als ich die Tür öffnete und der Person ins Gesicht blickte, verschlug es mir im ersten Moment die Sprache.
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Nun, zwei Cliffhanger aufgeklärt und einen neuen produziert. Ich hoffe, das Kapitel hat euch gefallen, ich hatte jedenfalls Spaß beim Schreiben.
Wie fandet ihr die Szene zwischen Louis und Briana?
Danke für die tollen Kommentare zum letzten Kapitel, ich habe es mal wieder genossen, sie zu lesen.
Ich denke, das nächste Update kommt am Freitag.
Oben könnt ihr übrigens ein Foto der Beringstraße sehen, wenn sie nicht vereist ist.
Dieses Kapitel möchte ich schokohoran widmen, denn sie hat ein Fancover für mich erstellt, dass ihr unten bewundern könnt.
LG, Ambi xxx
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