24. Serendipity
♪ Blank Space – Taylor Swift
Harry
Es war halb neun am Samstagmorgen, als ich Alistairs und Rosies Haus betrat, um Kieran zu besuchen. Meinen Boss würde ich jedoch nicht zu Gesicht bekommen, da er sich gemeinsam mit Seth in unserem Büro aufhielt, um zu arbeiten. Ich hingegen hatte frei, zumindest offiziell. Denn der Grund, warum ich heute hier einkehrte, bezog sich nicht alleine darauf, Kieran zu bespaßen. Ich bespitzelte Alistairs Tochter.
Seit Alistair mich auf Maggies Freund angesetzt hatte, versuchte ich verzweifelt, dessen Namen herauszufinden. Bisher hatte sich jedoch keine Gelegenheit ergeben, um die Sache erfolgreich abzuschließen. Ich konnte sie ja wohl schlecht einfach so danach fragen, denn sie würde sofort riechen, dass etwas faul war.
Heute Nacht jedoch, war mir ein genialer Plan durch den Kopf geschossen. Maggie würde hoffentlich keinen Verdacht schöpfen, wenn ich meine Idee in die Tat umsetzte.
Zunächst galt es aber, sich um Kieran zu kümmern, der auf mich zugelaufen kam, sobald ich den Flur betrat.
„Onkel Harry!", quietschte er vergnügt und streckte mir seine Ärmchen entgegen, damit ich ihn hochhob.
„Na, Dreikäsehoch", begrüßte ich mein Patenkind, bevor ich ihm einen Kuss auf die Wange drückte.
Kieran kicherte leise und griff mit seinen kleinen Händen in meine Lockenpracht.
Normalerweise wäre ich jetzt Amok gelaufen, doch bei ihm sah ich stets darüber hinweg. Ich konnte ihm niemals böse sein. Dafür liebte ich den kleinen Kerl zu sehr.
Nachdem ich Rosie und auch Maggie begrüßt hatte, nahmen wir alle unsere Plätze am Frühstückstisch ein. Sorgsam schmierte ich für Kieran ein Brötchen mit Marmelade, welches er mit großem Appetit verspeiste.
„Destern hab ich mit Mami und Papi deredet", erzählte er freudig.
„Echt? Das ist ja toll! Was sagen sie denn so?", erkundigte ich mich.
Natürlich war es mir bekannt, dass der Kleine am gestrigen Tag mit seinen Eltern hatte skypen dürfen. Alistair hielt mich diesbezüglich immer auf dem neuesten Stand.
„Wir haben dewonnen!" Stolz brüstete sich der Dreikäsehoch im Sitzen, was mich zu einem Schmunzeln animierte.
„Das ist ja toll! Dann bekommst du ja ein Geschenk."
Er nickte eifrig. „Ja, einen Schlittenhund."
Aus den Augenwinkeln beobachtete ich, wie Maggie verzweifelt ihre Augen rollte. Sie stand noch immer auf dem Standpunkt, dass ihr Vater in dieser Hinsicht einen groben Fehler machte. Aber das war nicht mein Problem. Ich hatte ein ganz anderes, welches ich jedoch heute zu lösen gedachte.
Direkt nach dem Frühstück verabschiedete sich Rosie, da sie zum Einkaufen fuhr. Somit waren Maggie, Kieran und ich alleine im Haus. Da das Wetter mitspielte, beschlossen wir den nahegelegenen Spielplatz aufzusuchen, damit der Kleine seinen Spaß hatte.
Er jauchzte vor Freude, als ich ihn auf eine Schaukel setzte und Maggie ihn anschubste.
„Duck mal, ich fliede sooooooooo hoch!", rief er begeistert.
Es war eine Freude, ihm zuzuschauen, seinen Elan zu erleben und seine Liebenswürdigkeit. Niall und Sienna waren mit einem außergewöhnlichen Kind gesegnet und ich gönnte ihnen dieses Glück von Herzen. Wie sehr mussten die beiden ihren Sohn vermissen.
Nachdenklich zündete ich mir ein Zigarillo an, während Maggie Kieran weiterhin abschubste, was dem kleinen Racker ein lautes Lachen entlockte.
Vielleicht sollte ich langsam mit dem Gespräch beginnen.
„Sag mal, Maggie, hast du heute Abend schon was vor?" Mein unschuldiger Blick ging in ihre Richtung.
„Ähm, ja. Warum fragst du?"
„Ach, ich suche noch jemanden, der mich ins Kino begleitet."
„Da muss ich dich leider enttäuschen, ich bin mit meinem Freund verabredet."
Genüsslich zog ich an meinem Zigarillo. Alles, was ich jetzt tat oder sagte, sollte unauffällig wirken.
„Schade, und ich wusste gar nicht, dass du einen Freund hast."
Sie musterte mich kurz, bevor sie zu einer Antwort ansetzte.
„Das hat mein Vater dir doch bestimmt schon erzählt, oder nicht?"
„Warum sollte er?"
Langsam blies ich den Rauch aus meinen Nasenlöchern, um möglichst lässig zu wirken.
„Keine Ahnung, weil er sich immer in meiner Beziehungen einmischt", kam es prompt.
„Ernsthaft? Wie altmodisch ist das denn?"
Nun legte Maggie erst richtig los.
„Ja, er hat mir bisher jeden Typen madig gemacht, hat immer was gefunden."
Ich konnte mich dumm stellen, wenn es darauf ankam.
„Was gefunden?"
Sie druckste ein bisschen herum und ich musste mir das Grinsen verkneifen.
„Ja, also- . Ich bin mal mit einem ausgegangen, der war wegen Diebstahl vorbestraft. Ein anderer wurde in eine Schlägerei mit Körperverletzung verwickelt. Unglücklicherweise hatte ein Freund von meinem Dad die Sache aufgenommen und ihm natürlich gesteckt. Es ist so ätzend, die Tochter eines Polizeibeamten zu sein, ich sag's dir."
„Du hast mein vollstes Mitgefühl", erwiderte ich.
„Ist er als Boss auch so schlimm? Also überwacht er jeden Schritt von euch?", wollte sie wissen.
„Nun ja, überwachen würde ich es nicht nennen. Wir müssen ihm natürlich über alle Aktivitäten Bericht erstatten, aber das ist generell so üblich, zumindest in unserem Bereich."
„Das ist mal wieder typisch, er ist kontrollsüchtig!", blökte sie, worauf ich mir erneut das Grinsen verkneifen musste.
„Wie hast du die Typen eigentlich kennengelernt?", lautete meine nächste Frage.
„In einem Club, in London gibt es ja genügend davon."
Das absurde Bild, welches sich gerade in meinem Kopf einnistete, bewirkte, dass ich mich schleunigst umdrehte, damit Maggie mein Lachen nicht sah. Ich stellte mir vor, wie Alistair mit einem Baseballschläger und Handschellen, die Londoner Clubs unsicher machte, um seine Tochter zu finden und vor den bösen Jungs in Sicherheit zu bringen.
„Stuart kommt mich nachher abholen", erklärte sie plötzlich. „Wir gehen essen und dann in einen Club."
„Stuart? Ich kannte mal einen Typen, mit dem habe ich zusammen Fußball gespielt. Der hieß auch Stuart", warf ich ein.
„Echt? Das ist ja ein Zufall, denn der Name ist ja nicht so häufig."
Gnadenlos tappte sie in meine geniale Falle.
„Stimmt und deswegen frage ich mich gerade, ob es sich hierbei vielleicht um die gleiche Person handelt."
Maggie musterte mich kurz, dann sagte sie: „Er heißt Brewster mit Nachnamen."
„Brewster?"
Scheinbar angestrengt versuchte ich mich zu erinnern und murmelte seinen Namen. „Brewster, wurde er zufällig 1994 geboren?"
„Ja."
„Und hat er einen älteren Bruder namens Scott?"
Maggie schüttelte ihren Kopf. „Nein, er hat nur eine jünger Schwester, soweit ich weiß."
„Schade, dann ist es wohl doch nicht der Stuart, den ich kenne."
Innerlich grinsend entsorgte ich mein Zigarillo in meinem kleinen Taschenaschenbecher, der sich stets in der Tasche meines heißgeliebten Mantels befand, welchen ich erst gestern wieder aus der Reinigung geholt hatte. Es war echt nicht mehr normal, wie oft dieser in letzter Zeit beschmutzt wurde.
Doch jetzt hatte ich was ich wollte, den vollen Namen, sowie das Geburtsjahr des Kerls, mit dem Maggie ausging. Diese Informationen benötigte ich, um Einsicht in sein polizeiliches Führungszeugnis zu erhalten. Hoffentlich wies es nicht irgendeinen Makel auf, sonst würde Alistair erneut ausrasten.
Es wäre falsch zu leugnen, dass ich mir ein kleines bisschen missbraucht vorkam, als ich am späten Abend das Präsidium betrat, um meine Nachforschungen bezüglich Stuart Brewster anzustellen.
Als ob wir nicht schon genug andere Sorgen hatten, ließ mein Boss jetzt auch noch seine Tochter beschatten. Gedanklich raufte ich mir die Haare, während der Laptop hochfuhr. Außer meiner Wenigkeit befand sich keine Menschenseele im Büro, das hatte ich absichtlich so eingefädelt. Ich wollte nicht, dass Alistair mir bei den Nachforschungen über die Schulter schaute.
Schnell tippte ich den Namen und das Geburtsjahr ein. Tatsächlich spuckte das System nur einen einzigen Kerl mit diesem Namen aus, der im Jahr 1994 geboren wurde.
Der Zugriff auf die elektronische Akte wurde in jenem Augenblick freigeschaltet, als ich meine Dienstnummer eingab, um Sekunden später auf eine Vielzahl Informationen zu blicken. Das Vorstrafenregister dieses Typen las sich wie ein lückenloser Lebenslauf.
Zunächst kleinere Delikte wie Ladendiebstahl, später kam Hehlerei dazu. Doch das war nicht das Schlimmste. Die nächste Zeile bewirkte, dass mein Körper sich mit einer Gänsehaut überzog.
Vorbestraft wegen Drogenhandel.
Das konnte echt nicht wahr sein! Alistair würde komplett am Rad drehen, sollte er dies jemals erfahren. Vermutlich würde er Maggie rund um die Uhr überwachen lassen oder sie in einer Klosterschule unterbringen.
Während ich mir die schrecklichen Szenarien ausmalte, suchte ich gleichzeitig nach einer Lösung für das Problem. Ich wollte, dass sie mit diesem Typen Schluss machte, denn ich hatte keine Lust, sie eines Tages wegen Prostitution verhaften zu müssen. Darauf würde es nämlich hinauslaufen. Stuart Brewster ging nicht mit Maggie aus, weil er sich in sie verliebt hatte, sondern, weil er ein ganz bestimmtes Ziel verfolgte. Er wollte sie drogensüchtig machen, damit sie später für ihn arbeitete.
Aber das würde ich nicht zulassen.
Wütend druckte ich das ellenlange Vorstrafenregister aus, faltete das Papier zusammen und verwahrte dieses in der Innentasche meines Mantels. Vermutlich gab es nur einen Weg, um Maggie davon abzuhalten, sich weiterhin mit dieser Missgeburt zu treffen. Ich musste ihr reinen Wein einschenken.
Dies war jedoch leichter gesagt, als getan, denn unser Gespräch sollte unter vier Augen, ohne Kierans und vor allem ohne Alistairs Anwesenheit stattfinden. Vielleicht sollte ich sie einfach zu einer Pizza einladen, unter dem Vorwand, eine Überraschung für Kieran planen zu wollen.
Zufrieden mit meinen Gedanken, verließ ich schließlich gegen zehn Uhr das Büro. Mein Samstagabend war zwar gelaufen, doch vielleicht würde der Sonntag besser werden.
Inzwischen hatte es sich eingebürgert, dass ich jedes Wochenende zum Frühstücken und oftmals auch zum Mittagessen das Kirkland Haus aufsuchte. Rosie umsorgte mich wie eine Mutter und Alistair hielt meistens seine Klappe was geschäftliche Dinge anging. Zumindest, wenn wir beim Essen saßen.
Am heutigen Morgen nahm er mich nur kurz zur Seite, um mir zu erzählen, dass Seth sich inzwischen so weit in das Computersystem der Mafia eingehackt hatte, dass wir bestimmte Aktivitäten permanent verflogen konnten, ohne aufzufliegen. Wir konnten zum Beispiel die Aufenthaltsorte der Mafia Mitglieder einsehen, da im System vermerkt wurde, wer wann wohin reiste. Dies war von großem Nutzen für uns, aber nach wie vor tapsten wir im Dunkeln, was die Sache mit Sophias Namensenthüllung betraf. Es musste eine Verbindung zwischen der Mafia und der Polizei geben.
Während ich mir noch darüber den Kopf zerbrach, warum es ausgerechnet Sophia war, deren Identität aufgedeckt wurde, lenkte Kieran mich erfolgreich mit seinem Geplapper ab.
„Onkel Harry, wann dehen wir wieder in den Zoo?", wollte er wissen.
„Keine Ahnung, wenn das Wetter passt, vielleicht in der kommenden Woche."
Ich wusste, dass Alistair den Jungen zu so schnell wie möglich nach Barrow bringen wollte, obwohl einige essenzielle Dinge noch einer Klärung bedurften. Also blieb mir nicht mehr viel Zeit mit dem kleinen Racker, etwas, was ich sehr bedauerte.
Andererseits gehörte er zu seinen Eltern und es war an der Zeit, die kleine Familie endlich wieder zu vereinen.
Wehmütig dachte ich an Niall, meinen guten Freund und auch an Sienna. Es schien Ewigkeiten her zu sein, als wir uns zum letzten Mal trafen. Unter allen Umständen wollte ich zu Kierans Geburtstag nach Barrow fliegen. Jedes Jahr verbrachte ich diesen besonderen Tag mit ihm und daran würde sich nichts ändern. Mir war es herzlich egal, ob ich die kalifornische Hitze oder die Kälte in Alaska aushalten musste, für mein Patenkind nahm ich alles in Kauf.
Durch seine Frage spielte Kieran mir quasi den Zufall in die Hände, den ich benötigte, um alleine mit Maggie reden zu können.
„Wir sollten vielleicht am Donnerstag in den Zoo gehen", schlug Maggie plötzlich vor, nachdem sie sich die Seite im Internet angeschaut hatte.
„Warum denn ausgerechnet am Donnerstag?", erkundigte ich mich erstaunt.
„Weil..., ich, also wir sollten das unter vier Augen besprechen."
Ihre Aussage ließ mich schmunzeln.
„Was hältst du von einer Pizza, heute Abend um sieben?"
Diese Einladung konnte sie unmöglich ablehnen, denn Maggie liebte Pizza über alles.
„Acht", verbesserte sie, „vorher bringen wir Kieran ins Bett und ich möchte zu dem tollen Italiener um die Ecke gehen."
Wenn es weiter nichts war, diesem Wunsch konnte ich problemlos gerecht werden.
„Ja, so hatte ich mir das vorgestellt", erwiderte ich lächelnd.
Zugegeben, ich war ein wenig aufgeregt, als ich um zehn vor sieben vor der Haustür stand, um Maggie abzuholen. Sie öffnete die Tür und ich stieß einen leisen Pfiff aus, als ich ihr Outfit erblickte. Das Kleid brachte ihre Kurven hervorragend zur Geltung.
„Was ist? Denkst du, Lehrerinnen können sich nicht auftakeln?", schmiss sie mir lachend an den Kopf, als sie meinen Blick bemerkte.
„Ähm, darüber habe ich noch nie nachgedacht."
Gott sei Dank hatte ich mich für eine schwarze Jeans und eines meiner Lieblingshemden, ein weißes mit dunkelblauem Druck, der zerfledderten Palmenblättern ähnelte, entschieden. Ich liebte das Hemd, denn es wirkte lässig aber zugleich edel. Da ich im Moment noch meinen Mantel darüber trug, konnte Maggie es jedoch noch nicht sehen.
Als ich diesen ablegte, stieß auch sie einen Pfiff aus.
„Du hast dich ja echt in Schale geschmissen."
„Das tue ich immer, wenn ich mit einer Frau ausgehe."
Nachdem wir Kieran ins Bett verfrachtet hatten, wünschten uns Rosie und Alistair viel Spaß in der Pizzeria.
„Endlich muss ich mir mal keine Sorgen um dich machen, denn du gehst mit einem Bullen aus", gab mein Boss seiner Tochter mit auf den Weg, was diese jedoch nur mit einem Schulterzucken quittierte.
„Ich bin kein Kleinkind mehr, Dad", erwiderte sie schnippisch, bevor sie durch die Haustür schritt, welche ich für sie geöffnet hielt.
Die Pizzeria lag nur wenige Gehminuten von Maggies Elternhaus entfernt und somit benötigten wir auch keinen Wagen. Es tat gut, die frische Luft einzuatmen und bereits während des Laufens zu plaudern.
„Also, warum sollen wir am Donnerstag in den Zoo gehen?", fragte ich.
„Weil da ein Event für Kinder im Alter von drei bis sechs stattfindet. Sie dürfen sich wie Tiere schminken lassen."
„Dann wird Kieran garantiert zum Tiger oder zum Leoparden. Er steht auf die Maserungen des Fells", sprach ich meine Gedanken aus.
„Oh, wie süß! Er sieht bestimmt putzig damit aus."
Da wir zwischenzeitlich die Pizzeria erreicht hatten, half ich Maggie aus ihrer Jacke und hängte diese zusammen mit meinen Mantel an der Garderobe auf. Allerdings entnahm ich meiner inneren Manteltasche vorher die wichtigen Dokumente.
„Was schleppst du denn da mit dir herum?", erkundigte sie sich erstaunt.
„Dazu kommen wir später, lass uns erst das Essen genießen."
Vielleicht würde sie danach keinen Hunger mehr haben. Oder sie rastete aus und schmiss mir die Pizza an den Kopf. Beides wollte ich nicht riskieren und deshalb zog ich es vor, noch eine Weile zu warten, bevor ich mit der Wahrheit bezüglich des Jobs ihres Freundes herausrückte.
Wir ließen uns das Essen schmecken, führten eine angeregte, interessante Unterhaltung und verabredeten uns für Donnerstag, um zwei Uhr nachmittags am Zoo. Maggie wollte direkt nach getaner Arbeit dorthin kommen. Sie unterrichtete in einer Grundschule, weshalb sie nachmittags frei hatte, sofern keine Lehrerkonferenzen stattfanden oder keine Klassenarbeiten zur Korrektur anstanden.
„Wie läuft es denn so mit Stuart?", erkundigte ich mich beiläufig, nachdem der Kellner unsere Teller abgeräumt hatte.
„Super, warum fragst du? Er ist echt toll!"
„Nur so. Wo arbeitet er eigentlich? Ist er auch als Lehrer tätig?"
Maggie lachte laut auf.
„Nein, er ist selbstständig. Er arbeitet in der Kommunikationsbranche."
So konnte man es natürlich auch nennen.
Jetzt war ich wieder am Zug, denn ich hatte nicht vor, das Gespräch unnötig in die Länge zu ziehen.
„Kommunikationsbranche, aha."
Langsam holte ich die Papiere hervor.
„Stuart Brewster, geboren am 02.08.1994 in London, wohnhaft in der Chatsworth Road. Sieh dir an, was er wirklich arbeitet."
Mit diesen Worten legte ich ihr das ausgedruckte Führungszeugnis auf den Tisch.
Ihre Brust hob und senkte sich heftig unter der beschleunigten Atmung. Mit jeder Zeile, die sie verschlang, wurde ihr Gesicht blasser und ihre Hände zittriger.
„D-Das kann nicht wahr sein", flüsterte sie.
„Doch, Maggie, ich habe ihn eigenhändig überprüft", antwortete ich ruhig.
Als die ersten Tränen über ihre Wangen flossen, griff ich nach ihrer Hand. Sie entzog sie mir nicht, sondern saß einfach nur stumm da, ihren Blick weiterhin auf die vernichtende Wahrheit gerichtet, welche durch das Schriftstück enthüllt wurde.
„Oh Gott, d-das ist s-so schrecklich", stieß sie hervor.
„Ja, es ist schrecklich", sprach ich, entschlossen, sie dazu zu bringen, jeglichen Kontakt zu diesem Kriminellen abzubrechen.
„Maggie, du weißt vermutlich, dass Kieran der Sohn unseres Klienten ist, oder?"
„Ich kann es mir denken, obwohl mein Dad nie etwas darüber gesagt hat", wisperte sie leise.
„Gut. Aber du weißt nicht, dass seine Eltern durch Menschen, die Drogen im ganz großen Stil verkaufen, gejagt werden. Nur deswegen ist der Kleine hier. Er musste in Sicherheit gebracht werden und er darf erst zu seinen Eltern zurück, wenn gewiss ist, dass ihnen keiner mehr folgt."
Jetzt war es vollends um ihre Fassung geschehen. Maggie begann heftig zu weinen, sprang ruckartig auf und stürzte in Richtung der Toiletten.
Ich nahm mir die Freiheit, die Rechnung zu bezahlen und vor den Damentoiletten auf sie zu warten. Es dauerte eine Weile, bis sie herauskam. Ihre Wangen wirkten gerötet und ihre Augen leicht verquollen. Die Wimperntusche war verschmiert und ich spürte, wie sehr ihr das alles zusetzte. In diesem Zustand konnte ich Maggie auf keinen Fall zuhause abliefern. Alistair würde denken, ich hätte wer weiß was mit seiner Tochter angestellt.
„Wollen wir noch irgendwo was trinken gehen?", schlug ich deshalb vor.
Dankbar griff Maggie nach meinem Arm.
„Ja, das wäre schön", schniefte sie und hakte sich ein.
In der Nähe des Restaurants, auf der gegenüberliegenden Straßenseite, befand sich ein Pub, in welches wir einkehrten. Dort genehmigte ich mir eine Cola, während Maggie einen Whiskey orderte. Den brauchte sie jetzt ganz sicher.
„Ich kann ihn auf keinen Fall wieder treffen! Ich hasse solche Menschen! Oh Gott, ich bin so dumm und falle immer wieder auf die falschen Typen rein", schimpfte sie über sich selbst.
„Na ja, vielleicht solltest du einfach mal mit einem Staatsdiener ausgehen", schlug ich vor.
„Ach? Stell dir vor, das tue ich gerade."
Ihre Stimme triefte vor Sarkasmus, sie schien sich also von ihrem Schrecken erholt zu haben. Irgendwie fand ich Maggie süß und deshalb platzte ich mit einem Satz heraus, der sie erstaunt aufsehen ließ.
„Ich meinte, nochmal ausgehen, also nächstes Wochenende oder so."
Merkwürdigerweise errötete ich, nachdem ich das ausgesprochen hatte. Niall hätte mir jetzt wahrscheinlich in den Hintern getreten, Liam hätte mich ausgelacht und Louis eine anzügliche Bemerkung von sich gegeben. Briana würde mich jetzt umarmen, Sophia meinen Nacken kraulen, Eleanor über meine Wange streicheln und Sienna würde mich auf die Stirn küssen. Ich vermisste meine Kollegen und meine Freunde wirklich sehr.
„Harry?" Maggies zarte Stimme holte mich aus meinen Gedanken.
„Ja?"
„Hast du das eben ernst gemeint?"
„Ähm, ja. Das habe ich."
Ihr kleines Lächeln brachte mein Herz zum Schmelzen und ihre Worte ließen es schneller schlagen.
„Gut, dann haben wir nächsten Samstag ein Date. Ich muss die ganze Scheiße hinter mir lassen und mich ablenken."
Moment mal, hatte ich mich gerade mit der Tochter meines Chefs verabredet?
Es musste wohl so sein, denn als wir vor ihrem Elternhaus standen, tauschten wir unsere Handynummern aus.
„Also dann, bis Donnerstag im Zoo", verabschiedete ich mich.
„Ja, bis dann, Harry und danke, dass..."
„Das ist schon ok, ich werde es auch deinem Vater nicht verraten."
Als ich mich im Weggehen umdrehte, um ihr nochmals zu winken, trat ich auf ein nasses Blatt, glitt prompt aus und fiel der Länge nach auf den Boden.
Maggie war sofort zur Stelle, sie rannte auf mich zu und rief: „Um Gottes Willen, Harry! Bist du ok?"
„Ja, es hat nur mal wieder meinen Mantel erwischt", brummte ich und richtete mich auf.
„Hast du dir wirklich nicht wehgetan?"
„Nein, nein, mir geht es gut, mach dir keine Sorgen."
In der Tat schmerzte mein rechter Arm höllisch, doch ich wollte keinesfalls als Memme abgestempelt werden. Als ich wieder auf meinen Füßen stand und zu ihr hinabblickte, fiel mir auf, die klein sie doch war. Bestimmt nicht höher als eins fünfundsechzig, womit sie Alistair jedoch locker um mehr als zehn Zentimeter überragte; eine Tatsache, die ich ziemlich lustig fand.
Wir verabschiedeten uns zum zweiten Mal an diesem Abend und als ich endlich zuhause angekommen war, atmete ich erleichtert auf.
Diesen Stuart Brewster würde ich definitiv im Auge behalten, das stand fest.
Am nächsten Morgen traf ich pünktlich und noch immer mit einem schmerzenden Arm im Büro ein. Alistair war bereits zugegen und bedachte mich mit einem neugierigen Blick.
„Und?", fragte er.
„Was und?"
„Hast du inzwischen etwas über den Kerl herausgefunden, mit dem meine Tochter ausgeht?"
Ich war versucht, ihm an den Kopf zu werfen, dass sie zukünftig mit mir vorlieb nehmen würden, doch dies verkniff ich mir tunlichst. Alistair würde mich vermutlich entlassen und splitternackt durch London jagen.
„Ja, er ist clean."
Eiskalt log ich ihn an, denn sollte er jemals die Wahrheit erfahren, würde er durchdrehen.
„Wenigstens in dieser Hinsicht gibt es gute Neuigkeiten", brummte er.
Argwöhnisch blickte ich zu ihm. „Was meinst du damit?"
Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück, bevor er zu einer Antwort ansetzte.
„Louis hat mich gestern Abend angerufen. In der Gegend um Barrow treibt sich ein Unbekannter herum. Wir wissen noch nicht, aus welchem Land er stammt, aber er ist auf jeden Fall kein Inuit, was die Sache verdächtigt macht."
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Nun, was sagt ihr zu diesem Kapitel? Ich bin sehr gespannt darauf und hoffe, dass es euch gefallen hat. Zumindest wisst ihr jetzt, welche Entdeckung in Barrow gemacht wurde.
An dieser Stelle wollte ich mal wieder für eure tolle Unterstützung bedanken. Es ist Wahnsinn wie viele Kommentare ihr immer schreibt. Sie sind so enorm wichtig und bauen mich wirklich auf. Danke!
Das nächste Update kommt am Dienstag.
LG, Ambi xxx
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