19. Outsmarted
♪ Still Alive – 3 Doors Down
Niall
Wie in Watte gepackt, erwachte in einem weichen Bett, zumindest fühlte es sich an wie eines. Kuschelig und warm. Langsam schlug ich meine Augen auf, blinzelte dreimal und versuchte dann, meine Umgebung zu sondieren.
Tatsächlich lag ich in einem Doppelbett. Die Frage, die sich mir stellte: Wie war ich dorthin gekommen? Dass ich einen mächtigen Filmriss hatte, begriff ich in jenem Moment. Mir fehlten etliche Stunden, denn es war bereits dunkel draußen. Das Letzte, an das ich mich erinnerte, war, als ich mit Liam in unserem Porsche saß und diskutierte. Und dies hatte um die Mittagszeit stattgefunden.
Liam. Wo zum Teufel steckte er? Es war mucksmäuschenstill im Zimmer und auch aus dem angrenzenden Bad - zumindest vermutete ich, dass sich ein solches hinter der Tür befand, welche gerade in mein Blickfeld fiel -, kamen keine Geräusche. Mutterseelenalleine ließ er mich hier zurück.
Als ich versuchte, mich aufzurichten, bemerkte ich meine missliche Lage vollends. Man hatte mir Handschellen angelegt.
„Das kann nicht wahr sein!", schnaufte ich empört, während mein Erinnerungsvermögen schlagartig zurückkehrte.
Nachdem Basil einfach abgehauen war, hatte ich Liam geweckt und steuerte den nächsten Rastplatz an. Unsere verbale Auseinandersetzung spielte sich in etwa folgendermaßen ab.
„Liam, was ist da los? Basil ist abgehauen und alles was du tust, ist auf dein Handy zu starren und Nachrichten zu tippen!", herrschte ich ihn an.
„Sei still, ich muss mich konzentrieren!", fauchte er zurück.
„Sag mir doch bitte, was geschehen ist! Sienna ist in Gefahr, oder? Wenn ihr was passiert, weil wir uns trennen mussten, laufe ich Amok!"
„Ihr ist nichts passiert, halt mal die Luft an! Sie und Sophia hängen in einer Bahnhofstoilette herum. Die Mafia war ihnen auf den Fersen, aber sie haben sie wohl ausgetrickst."
„Ich will sofort dahin! Wo sind sie?!"
„In Jamestown, aber wir können und dürfen nicht eingreifen, Niall. Es ist auch gar nicht nötig, weil..."
Ich ließ ihn gar nicht ausreden, sondern startete den Motor und fummelte am Navi herum, um Jamestown als neues Ziel einzugeben.
„Weißt du was, Liam? Es ist mir egal, was du sagst, ich fahre jetzt zu meiner Frau, um sie da rauszuholen. Du kannst gerne aussteigen, wenn du möchtest, ich habe meine eigene Waffe dabei."
Sarkastisch kamen die Worte über meine Lippen. Ich hatte die Schnauze gestrichen voll und wollte nur zu Sienna. Ich musste sie retten.
„Niall, was tust du da?", herrschte er mich an, als ich den Hebel auf Drive stellte.
„Nach was sieht es denn aus? Ich fahre jetzt nach Jamestown! Und Fuck, ja, ich widersetze mich deinen Anordnungen!"
„Ok, Niall, du hast es nicht anders gewollt."
Liams Stimme klang unglaublich ruhig, was mich hätte warnen sollen. Doch es war zu spät. Das nächste, was ich spürte, war ein Schlag im Genick, und ab da wusste ich gar nichts mehr.
Dieser Idiot hatte mir Handschellen angelegt und mich in irgendein Motel verfrachtet. Dort lag ich nun alleine im Bett. Dass ich dringend zur Toilette musste, jedoch meine Hose nicht öffnen konnte, kam erschwerend hinzu. Sobald er mich hier losgekettet hatte, würde Liam sein blaues Wunder erleben, das schwor ich mir in diesem Augenblick.
Verzweifelt versuchte ich den Drang meiner Blase zu ignorieren. Um mich abzulenken, malte ich mir aus, was wohl mit Sienna und Sophia passiert sein könnte. Wut schäumte in mir hoch. Warum nur hatte man uns getrennt? Ich war nicht mehr in der Lage, auf sie zu achten. Die Frau, die ich über alles liebte, war der Mafia hilflos ausgeliefert. Selbst Sophia würde daran nichts ändern können, denn es gehörte keine Kunst dazu, zwei Frauen zu überwältigen. Nicht, wenn zwei ausgewachsene Kerle dies taten.
Diese ganzen Gedanken machten mich fast verrückt. Wenn Liam nicht bald hier auftauchte, konnte ich für nichts garantieren. Irgendwann würde ich vor lauter Frust das Zimmer auseinandernehmen. Mit den Füßen wohlbemerkt, den mit den Händen war die Möglichkeit nicht gegeben.
Mühevoll schälte ich mich unter der Decke hervor, setzte ich mich auf und schaute mich erneut im Zimmer um. Die fast kahlen Wände benötigten dringend einen neuen Anstrich, denn das Weiß wirkte eher grau. Außer dem Bett befanden sich noch eine kleine Küchenzeile, inklusive Kühlschrank, sowie ein kleiner Tisch, zwei Stühle und zwei Sessel im Raum. Wenigstens hatte Liam das Licht angelassen hatte, ansonsten würde ich nämlich mit der Dunkelheit vorlieb nehmen müssen.
Es nervte mich total, dass ich so gut wie hilflos auf diesem Bett saß. Ich war nicht einmal in der Lage dazu, in meine Schuhe zu schlüpfen und diese zuzubinden. Sie standen ordentlich neben dem Bett. Was dachte sich Liam eigentlich dabei? Erst schickte er mich ins Reich der Träume und dann zog er mir noch die Schuhe aus.
„So ein Idiot", murmelte ich vor mich hin.
Erst jetzt registrierte ich, dass der Fernseher, welcher an der Wand, rechts neben dem Bett hing, lief. Da der Ton jedoch ausgestellt war, entdeckte ich es erst jetzt. Die komische Soap Opera, die gerade gezeigt wurde, interessierte mich nicht im Mindesten und meine Blase drückte immer noch. Es würde noch so enden, dass ich ins Bett pinkelte. Dann allerdings konnte sich Liam auf ein richtiges Donnerwetter gefasst machen.
Zu allem Überfluss begann mein Rücken auch noch tierisch zu jucken. Zuerst versuchte ich es zu ignorieren, doch als es schlimmer wurde, sah ich keine andere Möglichkeit, als den Knauf der Tür zu benutzen, um den quälenden Juckreiz zu stillen. Missmutig stand ich auf und wollte zur Tür laufen, als diese plötzlich geöffnet wurde. Liam trat, mit zwei Einkauftüten bepackt, über die Schwelle.
„Hey, Niall, hast du gut geschlafen?" Seine freundlichen Worte brachten mich zum Ausrasten.
„Du Idiot! Was hast du getan?", blökte ich ungehalten.
Mit hochgezogener Augenbraue antwortete er lässig: „Ich habe dich vor einer großen Dummheit bewahrt, würde ich sagen."
Nun platzte mir endgültig der Kragen.
„Bist du von allen guten Geistern verlassen? Sienna und Sophia befinden sich in Gefahr und du weigerst dich, ihnen zu helfen? Außerdem fesselst du mich mit Handschellen! Ich dachte immer, du bist mein Freund! Scheinbar habe ich mich mächtig getäuscht!"
Liam blieb vollkommen ruhig, als er antwortete.
„Ich bin dein Freund, Niall. Und genau deswegen habe ich getan, was getan werden musste. Meine Aufgabe ist es, auf dich zu achten und dafür zu sorgen, dass du heil in deiner neuen Heimat ankommst. Du wolltest dich wieder ins Krisengebiet begeben und das konnte ich nicht zulassen. Alistair hätte mir den Arsch aufgerissen und Louis ebenso. So sind nun mal die Regeln, nach denen wir hier spielen. Nimm es hin oder rege dich weiterhin darüber auf. Aber du wirst es nicht ändern können. Ich werde dich erst von diesen Handschellen befreien, wenn du vernünftig geworden bist."
Nach diesen überaus deutlichen Worten stellte er die beiden Einkaufstüten auf der kleinen Arbeitsfläche der Küchenzeile ab.
„Truthahn oder Schinken?", lautete seine nächste Frage.
Ich blickte ihn an, als sei er von allen guten Geistern verlassen.
„Klapp den Mund zu, Niall und antworte mir, sonst esse ich das Schinkensandwich. Noch hast du die Wahl."
Stumm verfolgte ich seine Bewegungen mit meinem Blick. Sorgfältig holte er zwei riesige, lecker aussehende Sandwiches aus einer der Tüten. Augenblicklich lief mir das Wasser im Mund zusammen. Trotzdem schien sich ein Knoten in meinem Magen gebildet zu haben. Ich musste erst wissen, was mit Sienna und Sophia passieren würde, bevor ich dazu in der Lage war, einen Brocken hinunterzuschlucken.
„Wo sind unsere Frauen?", richtete ich meine Frage an ihn.
Seine Antwort stellte mich jedoch nur halbwegs zufrieden.
„Untergetaucht. Zumindest hat Louis das so angeordnet. Ich hoffe, dass alles geklappt hat, denn wir dürfen im Moment keinen Kontakt zu ihnen aufnehmen."
„Aber wie könnt ihr euch dann so sicher sein, dass alles in Ordnung ist? Die Mafia hat die beiden vielleicht schon längst in ihren Fängen, wenn nicht sogar umgebracht."
Jetzt stieß Liam ein heißeres Lachen aus. Nur zu gerne hätte ich ihm einen schweren Gegenstand an den Kopf geworfen, doch die Handschellen hinderten mich erfolgreich daran.
„Weißt du, Niall. Selbst wenn sie deine Frau hätten, wäre Sienna für sie nur Mittel zum Zweck. Sie würden sie nicht töten, denn die Mafia will dich. Erpressung wäre das, was als nächstes passieren würde. Und glaube mir, davon hätten wir schon Wind bekommen."
Ich schluckte hart, als ich seine Worte vernahm. Hoffentlich würde dieser Fall nie eintreten. Ihr Leben gegen meines. Die Wahl stand ohnehin schon fest. Ich würde es nicht zulassen, dass ihr etwas geschah. Ohne mit der Wimper zu zucken würde ich mein Leben für ihres geben.
Liam bedachte mich mit einem nachdenklichen Blick, bevor er fragte: „Willst du jetzt etwas essen oder nicht?"
Bissig gab ich zurück: „So lange ich Handschellen trage, wird das ein wenig unkomfortabel. Es sei denn, du möchtest mich füttern."
„Wenn du mir versprichst, nicht über mich herzufallen, befreie ich dich aus den Metallfesseln."
„Über dich herfallen werde ich ganz sicher nicht aber ich würde dir echt gerne eine klatschen, das hast du verdient", sprach ich ehrlich. „Außerdem muss ich dringend aufs Klo und wenn du nicht willst, dass ich ins Bett pinkle, solltest du dich beeilen", quengelte ich.
Sofort zog Liam die kleinen Schlüssel für die Handschellen hervor und machte sich umgehend daran, das Schloss zu öffnen. Mit einem erleichterten Seufzen rannte ich ins Badezimmer, um mich dort zu erleichtern. Meine überfüllte Blase dankte es mir, indem sie sich entspannte.
„Gott sei Dank, das war höchste Eisenbahn", schnaufte ich erleichtert, als ich in das Zimmer zurückkehrte.
Ohne einen Ton zu sagen, schnappte ich mir das Schinkensandwich und begann gierig zu essen. Da Liam auch Getränke mitgebracht hatte, griff ich nach einer Dose Cola, die ich fast in einem Zug leerte, weil meine Kehle sich wie ausgedörrt anfühlte.
Aufmerksam wie Liam war, reichte er mir sofort eine zweite Dose.
Vorsichtig schielte ich in seine Richtung, um dann eine Frage zu stellen.
„Was hast du eigentlich mit mir gemacht?"
Ein wenig beschämt kratzte er sich am Hinterkopf. Seine braunen Augen auf mich gerichtet, setzte er zu einer Antwort an.
„Ich habe dich mit einem speziellen Schlag betäubt. Aber versuche bitte nie, das nachzumachen, denn er kann tödlich sein, wenn man ihn nicht richtig ausführt."
„Was?! Du bist das Risiko eingegangen, mich eventuell umzubringen?", knurrte ich zwischen zwei Bissen Schinkensandwich.
„Nein, so ist es nicht. Ich beherrsche diesen Betäubungsschlag schließlich und weiß genau, wie ich ihn dosieren muss und wo er angesetzt wird. Dir tut es nur einmal kurz weh, danach wird alles dunkel. Und was ganz wichtig ist, du solltest jetzt keine Kopfschmerzen haben."
„Die habe ich auch nicht", erwiderte ich ein kleines bisschen erstaunt.
„Gut, dann ist alles prima gelaufen."
Er grinste mich an wie ein Honigkuchenpferd.
„Du bist übrigens schwer wie ein Mehlsack. Ich dachte, ich trage zwei Zentner aber die wiegst du bestimmt nicht. Ich musste mich ganz schön abmühen, um dich ins Zimmer zu schaffen und in das Bett zu verfrachten."
„Das geschieht dir recht", grummelte ich noch immer leicht beleidigt, „aber immerhin hast du mich zugedeckt."
Liam schluckte den letzten Bissen seines Sandwiches hinunter, bevor er antwortete.
„Ich wusste, dass du eine ganze Weile schlafen würdest. Du solltest schließlich nicht frieren."
Meine Stimme triefte vor Sarkasmus, als ich lässig sagte: „Du hättest dich ja zu mir legen können, um mich zu wärmen."
„Du musst ja echt auf Entzug sein", witzelte Liam.
„Nicht so sehr, dass ich schwul werden würde", entgegnete ich grinsend und griff nach der frischen Cola Dose.
Just in diesem Moment meldete sich Liams Handy.
„Das ist Louis, ich bin gespannt, was er für Neuigkeiten hat."
Angestrengt spitzte ich meine Ohren, doch da ich nur hörte, was Liam von sich gab, konnte ich mir keinen Reim daraus machen.
„Ja, ok. – Habe verstanden. – Das ist ja ein Ding! – Und ihr seid euch wirklich sicher?" – Gut, dann werden wir uns umgehend auf den Weg machen."
Fragend schaute ich zu ihm, als er das Handy zur Seite legte.
„Ok, Niall. Die Sache sieht folgendermaßen aus. Man hat Sophias Kreditkarte gehackt, was eigentlich nicht möglich ist, da unsere Daten diesbezüglich durch eine spezielle Sicherheitskontrolle der Kreditkartenfirma betreut und unter Verschluss gehalten werden. Im Zweifel kommt man da nur ran, wenn man den Namen des Mitarbeiters kennt. Das ist wohl passiert. Sophias Name ist der Mafia bekannt. Jedes Mal, wenn sie ihre Kreditkarte eingesetzt hat, konnten sie die Spur aufnehmen. So hat man sich an unsere Fersen geheftet. Als Alistair uns trennte, wurden Sienna und Sophia weiterhin durch die Mafia verfolgt, während wir beide außen vor blieben. Bis zum jetzigen Zeitpunkt sind wir uns nicht einmal sicher, ob die Mafia weiß, dass Sienna mit Sophia unterwegs ist. Anhand der Fahrkartenkäufe für den Zug kann man das nämlich nicht erkennen. Auch anhand der vorangegangen Tankrechnungen nicht. Man sieht ja nur, wo und dass Sophia ihre Karte eingesetzt hat."
Schwindel breitete sich in mir aus und ich wurde kreidebleich.
„Aber, wie konnte das geschehen?", fragte ich mit leicht zitternder Stimme.
„Das wissen wir noch nicht. Sicher ist nur, dass wir beide nicht verfolgt werden, Niall. Und das müssen wir nutzen. Wir werden uns jetzt auf direktem Weg in Richtung Norden begeben. Und wenn ich sage direkt, dann meine ich damit, dass wir ab jetzt die Flugverbindungen nutzen. Louis hat unsere Flüge bereits gebucht und mit seiner Kreditkarte bezahlt. Es wird also ziemlich schnell gehen, bis wir unser Ziel erreichen. Dein neuer Ausweis kommt somit erstmals zum Einsatz."
„John Miller", murmelte ich vor mich hin.
Gleich darauf fuhr ich mir nervös durch die Haare.
„Sie sind in Gefahr, wie können wir sie da alleine lassen?"
Zu meiner Überraschung sagte Liam: „Sie sind nicht alleine, sie haben Unterstützung. Zumindest sollte derjenige nun bei ihnen sein."
„Wer?", brachte ich mit klopfendem Herzen hervor.
„Basil. Deswegen hat er sich aus dem Staub gemacht. Nicht, weil er Dreck am Stecken hat, sondern um Sienna und Sophia zur Seite zu stehen."
Mir fiel ein Stein vom Herzen, als ich das hörte. Ich hatte ihm Unrecht getan, als ich glaubte, er würde uns im Stich lassen oder gar verraten.
„Wissen wir denn, ob Basil in Jamestown angekommen ist und unsere Frauen unversehrt vorgefunden hat?", hakte ich nach.
Liams Antwort ließ mein Herz erneut heftiger schlagen.
„Nein, das wissen wir nicht. Denn wenn man untertaucht, bedeutet das vierundzwanzig Stunden keinen Kontakt zu unsern Mitarbeitern. Sollten Basil oder Sophia sich bis morgen Nachmittag nicht gemeldet haben, dann müssen wir allerdings davon ausgehen, dass etwas schief gelaufen ist."
„Oh Gott", entfuhr es mir, „das halte ich nicht aus.
„Doch, Niall, du wirst es genau wie ich auch, aushalten müssen."
Seine eindringliche Stimme bewies mir, dass ich keine Chance hatte, ihn umzustimmen. Trotzdem versuchte ich mein Glück.
„Aber Jamestown ist nur einen Steinwurf von hier entfernt. Wir sind wahrscheinlich in einer Stunde dort."
Mein Versuch scheiterte kläglich, denn als Liams Worte in meinen Ohren erklangen, da wusste ich, dass Alistairs Truppe sich ohne zu zögern neuen Gegebenheiten anpasste.
„Wir sind nicht in Bismarck, Niall. Louis hat mir die Anweisung gegeben weiterzufahren. Wir befinden uns derzeit in einem Ort namens Miles City. Das ist fast vier Stunden von Bismarck entfernt und liegt entgegengesetzt von Jamestown."
Angst und Wut lähmten mich gleichermaßen. Wut, über die Unfähigkeit etwas dagegen tun zu können und Angst, dass Sienna etwas zustoßen würde. Ich verstand nicht, wie Liam so ruhig bleiben konnte, schließlich ging es auch um seine Frau. Doch er schien Vertrauen in seine Kollegen zu haben. Wenn ich doch nur mit Alistair hätte sprechen können. Er war noch immer wie eine Vaterfigur für mich. Jemand, dem ich grenzenlos vertraute.
Unruhig erhob ich mich von dem wackeligen Stuhl und begann im Zimmer auf und ab zu gehen.
„Können wir bitte Alistair anrufen?"
Als ich Liam diese Frage stellte, nickte er mit einem Seufzen.
„Ja, Louis hat zumindest für uns das Verbot der normalen Telefonnutzung aufgehoben."
Er griff nach seinem Handy, wählte die Nummer und übergab mich seinem Boss, nachdem er einige Takte mit ihm gesprochen hatte. Der Klang von Alistairs Stimme bewirkte, dass ich augenblicklich ruhiger wurde. Dieser Mann hatte in der Vergangenheit so viel für mich und meine Familie getan. Er würde uns niemals mit seinen Entscheidungen schaden.
„Was gibt es denn, mein Junge? Warum holst du mich mitten in der Nacht aus dem Bett?"
An die Zeitverschiebung hatte ich mal wieder nicht gedacht.
„Es tut mir leid aber ich wollte dich etwas fragen", begann ich.
Am anderen Ende der Leitung war ein lautes Gähnen zu vernehmen.
„Schieß los, bevor ich wieder einschlafe."
„Wie sehr vertraust du Louis?"
Ein kurzes Lachen drang zu mir durch, dann redete er.
„Wie sehr? Ich würde ihm jederzeit mein Leben anvertrauen und du solltest das auch tun. Er teilt mir jede seiner Entscheidungen mit und bisher war ich mit allem einverstanden. Und jetzt mach dich mit Liam auf den Weg. Du brauchst keine Angst zu haben, Niall. Wir bleiben am Ball."
Ich schluckte kurz.
„Wie geht es Kieran?"
„Nun, ich vermute, er schläft gerade und hält sich ansonsten tapfer. Harry ist mir dabei eine große Hilfe. Sobald du in deiner neuen Heimat angekommen bist, darfst du mit Kieran skypen."
Es war nicht nur der letzte Satz, der den Ausschlag gab, aber dieser trug dazu bei, dass ich mich schlussendlich dem Willen des großen Meisters beugte. Alleine würde ich sowieso keine Chance haben, die beiden Frauen zu finden. Abgesehen davon würde es Liam sicher auch keine Probleme bereiten, mich ein zweites Mal bewusstlos zu schlagen.
Als ich meinem Freund das Telefon in die Hand drückte, sagte ich nur: „Du hast gewonnen."
„Na also, warum nicht gleich so", lautete seine Antwort. „Und jetzt sollten wir uns auf den Weg machen. Vor uns liegen fünfeinhalb Stunden Fahrt bis zum nächsten großen Flughafen."
Seufzend schlüpfte ich in meine Schuhe. „Wie lautet das vorläufige Ziel?"
„Helena, im Staat Montana."
Es ging immer weiter gen Norden.
Wohin es uns jedoch wirklich verschlug, sollte ich nach einer überaus entspannten Fahrt erfahren. Als wir den Flughafen erreichten, brach gerade die Morgendämmerung an. Liam stellte den Wagen im dortigen Parkhaus ab. Das Ticket deponierte er im Handschuhfach. Als er meinen fragenden Blick bemerkte, sagte er nur: „Der Wagen wird von einem unsere Netzwerkmitarbeiter abgeholt. Dieser besitzt einen Zweitschlüssel für das Auto. Also wird es keine Probleme geben."
Schnell luden wir das Gepäck aus, um uns zum Schalter der Fluggesellschaft zu begeben. Dort erfuhr ich den nächsten Stopp: Anchorage.
Fast wäre ich nach hinten umgekippt. Alaska gehörte nicht gerade zu meinen Präferenzen, was den Wohnort betraf, doch ich hatte keine Wahl.
„Das kann nicht wahr sein", murmelte ich, als wir im Flugzeug Platz nahmen. „Du bringst mich nach Alaska?"
„Nach Nord Alaska, um genau zu sein. In Anchorage erreichen wir unseren Anschlussflug nach Barrow", flüsterte Liam leise.
„Barrow? Das habe ich ja noch nie gehört. Wo liegt das?"
„Am Ende der Welt."
Zuerst dachte ich er würde scherzen, doch je länger ich sein Gesicht betrachtete, umso mehr keimte die Gewissheit in mir auf, dass Liam die Wahrheit sprach. Ich verlebte einen sehr unruhigen Flug und als wir in Anchorage landeten, fühlte ich mich total komisch.
„Komm, hier entlang."
Liam vermied es meinen Namen auszusprechen. Für ihn war ich Niall, doch für Fremde hieß ich John.
Mit gemischten Gefühlen folgte ich meinem Freund, bis wir an einem Gate in der hintersten Ecke des Flughafens landeten. Barrow war bereits auf dem Hinweisschild als Ziel angegeben. In einer halben Stunde sollte der Check-in beginnen. Somit blieb mir genügend Zeit für die Internetnutzung. Ich googelte Barrow, was auch sonst?
Konzentriert saugte ich die Informationen in mir auf. Mich erwarteten rund viertausend Einwohner, acht Kneipen und fünf Hotels. Außerdem ein winziger Flughafen, sowie zwei Kirchen. Die Angaben der klimatischen Verhältnisse stürzten meine Seele beinahe in ein Chaos. Die Mindesttemperatur im Winter betrug frostige minus dreißig Grad und es gab nur zwei bis drei Monate im Jahr, welche die eisfreie Zeit ausmachten. Sienna würde ausrasten, definitiv.
„Das kann nicht wahr sein", murmelte ich zerknirscht.
„Was?", fragte Liam, der gerade in eine Zeitung vertieft war.
„Dass du mich in eine Eiswüste bringst."
„Das ist auf Alistairs Mist gewachsen, bedanke dich bei ihm."
„Oh, das werde ich, keine Sorge", erwiderte ich grimmig.
Gott wollte mich wohl erneut prüfen, wissen, was ich alles aushielt. Doch er brauchte nicht zu denken, dass ich klein beigab. Auch das würden meine Familie und ich durchstehen.
Nach einer Stunde und fünfundvierzig Minuten Flug erreichten wir unser endgültiges Ziel. Schon aus der Luft konnte ich die weiße Pracht erkennen, die das Land bedeckte.
„Herr im Himmel, steh mir bei", flüsterte ich, als wir das Flugzeug nach einer recht holprigen Landung verließen.
Mein Eindruck aus der Luft verstärkte sich zusehends, als wir in Richtung der kleinen Flughafen Halle liefen. Ich befand mich am Ende der Welt, in einer riesigen Eiswüste. Ohne Sienna und Kieran war ich hier verloren. Hoffentlich würden sie jemals ankommen.
Nachdem wir unser Gepäck in Empfang genommen hatten (es gab nur ein einziges Gepäckband, was mich angesichts der geringen Größe des Flughafens auch nicht wunderte), trabte ich hinter Liam her. Er schien genau zu wissen, wo es lang ging. Im Nu durchquerten wir die winzige Halle, um zum Ausgang zu laufen. Kaum schritten wir durch die Tür, schlug uns eine eisige Brise entgegen.
„Oh Shit, ist das kalt!", brummte Liam, worauf ich ein sarkastisches Lachen ausstieß.
„Sagt der, der bald von hier verschwindet und mich alleine zurücklässt", konnte ich mir nicht verkneifen zu sagen.
„Du bist nicht alleine", vernahm ich plötzlich eine Stimme neben mir.
Diese gehörte einem Mann, der etwa meine Größe hatte. Seine braunen Haare legten sich ein wenig wirr um seinen Kopf und sein Bartwuchs ließ darauf schließen, dass er sich seit mindestens fünf Tagen nicht mehr rasiert hatte. Freundlich lächelte er mich an, streckte mir seine Hand entgegen und stellte sich vor.
„Ich bin Louis Tomlinson und ab heute für dein Wohlergehen verantwortlich. Willkommen in Barrow."
Der ruhige Ton seiner Stimme und das Strahlen seiner blauen Augen, aus denen der Schalk blitzte, gruben sich in mein Innerstes. Obwohl es sich um unsere erste Begegnung handelte, wurde mir binnen einer Sekunde bewusst, dass ich ihm vertrauen würde. So, wie Alistair es tat.
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Hallelujah, Niall ist endlich in Barrow angekommen! Es musste ja irgendwann passieren. Tja, einige Dinge wurden in diesem Kapitel aufgelöst, andere nicht. Ich hoffe, es hat euch gefallen und ja, ich habe schon früher hochgeladen, weil ich einfach mehr Zeit zum Schreiben hatte, als angenommen.
Habt ihr den ersten Nouis Moment am Ende des Kapitels genossen? :)
Das nächste Update kommt vermutlich Donnerstag oder Freitag.
Ich danke euch für die ständige Unterstützung in Form von Kommentaren, Votes und Reads. Das macht mich so happy!
LG, Ambi xxx
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