18. Discomposure


♪ Stormbringer – Deep Purple

Louis

Ein eisiger Wind blies mir ins Gesicht, als ich das Haus verließ, um mir eine Kippe anzustecken. Der Schnee reichte nicht wie ansonsten bis zu meinen Kniekehlen (daran hatte ich mich nämlich schon gewöhnt), sondern fast bis zur Hüfte. Durch den heftigen Sturm am gestrigen Tag war alles aufgewirbelt worden. Hier war es absolut sinnlos, Schnee zu fegen oder zu räumen. Anuun hatte uns gleich zu Beginn klar gemacht, dass wir damit zurechtkommen mussten. Ich selbst hatte damit kein Problem und schaufelte immer nur ein Stück frei, damit Freddie nicht gänzlich in der weißen Pracht versank, wenn er nach draußen ging.

Wie üblich hatte Briana ihn heute Morgen zum Kindergarten gebracht, welchen er nun fünfmal wöchentlich am Vormittag besuchte. Somit kam er wenigstens mit Gleichaltrigen in Berührung. Trotzdem fehlte ihm hier auf dem Grundstück ein Spielkamerad, vor allem am Wochenende. Eigentlich hätte er schon längst zuhause sein sollen, doch aufgrund der besonderen Vorkommnisse, war Briana außerstande gewesen, ihn dort anzuholen.

Es tat mir leid für sie, da sie eigentlich nur auf Teilzeitbasis arbeitete, doch im Augenblick sah ich keine andere Möglichkeit, um der Lage Herr zu werden. Glücklicherweise beklagte sich Briana deswegen nicht. Dass es sich bei ihr um eine ausgezeichnete und loyale Mitarbeiterin handelte, stand völlig außer Frage. Aber ihre Überstunden durften nicht zum Dauerzustand werden, schon alleine wegen Freddie. Ich wünschte mir nichts mehr, als Eleanor hier haben zu können und so, wie sich die Dinge abzeichneten, würde dies hoffentlich bald passieren.

Während ich den Rauch tief in die Lungen inhalierte, wanderten meine Gedanken zu den heutigen Ereignissen. Ich saß buchstäblich wie auf heißen Kohlen, denn meine Anspannung war noch nie größer gewesen, als zum momentanen Zeitpunkt.

Jetzt wusste ich, was Alistair damit meinte, als er vor einiger Zeit zu mir sagte, dass es nichts Nervenaufreibenderes gäbe, als seine Klienten in Sicherheit zu bringen. Bisher lag es immer in seiner Verantwortung, doch hier in Amerika oblag diese wichtige Aufgabe mir. Zum ersten Mal trug ich diese schwere Last auf meinen Schultern. Ich hatte alles getan, was in meiner Macht stand. Nun hieß es abwarten.

Am liebsten wäre ich selbst nach Jamestown gereist, um die beiden Frauen in Sicherheit zu bringen. Doch Barrow lag viel zu weit entfernt und deshalb war es notwendig, den ursprünglichen Plan komplett umzuschmeißen. Von Sophia und Sienna würde ich die nächsten vierundzwanzig Stunden nichts mehr hören, denn sie mussten untertauchen. Zumindest so lange, bis die Mafia die Spur verlor.

„Louis?"

Brianas Stimme holte mich aus meinem tiefen Grübeln.

„Ja?"

„Alistair hat sich via Skype gemeldet. Er möchte mit uns beiden sprechen."

Schnell schnickte ich die Kippe weg und folgte Briana ins Haus. Dieses Mal regte sie sich nicht darüber auf, dass ich meine Boots nicht auszog und somit den Schnee großzügig auf dem Boden verteilte.

„Hier bin ich", begrüßt ich ihn, als ich mich auf dem Stuhl niederließ, welcher direkt vor dem Laptop stand.

Briana saß neben mir und schaute genau wie ich, aufmerksam in Alistairs wache, braune Augen.

„Sind die Mädchen safe?", fragte er.

„Im Moment ja", antwortete ich und berichtete anschließend, welche Dinge ich in die Wege geleitet hatte.

Alistair nickte zufrieden, bevor er sich anschickte, eine Bemerkung zu machen, welche mich erleichtert aufatmen ließ.

„Eleanor ist auf dem Weg nach Barrow. Ihr werdet bald Unterstützung haben, sie kommt heute Abend an."

Einen größeren Gefallen hätte er mir im Moment nicht tun können.

„Gibt es sonst noch irgendwelche Neuigkeiten?", erkundigte ich mich.

„Wir sind auf einer Spur", war alles, was Alistair antwortete. „Seth ist dabei, alles durchzuchecken aber das kann dauern. Also halte dich bereit. Rechne mit wenig Schlaf und viel Arbeit."

„Das bin ich gewöhnt", gab ich grinsend zurück.

Nachdem wir das Gespräch beendet hatten, erhob ich mich wieder, um nach draußen zu gehen.

„Ich hole jetzt Freddie ab", rief ich Briana über die Schulter zu.

„Bitt pass auf! Überall sind Schneewehen!", kam es prompt zurück.

„Ich nehme den Hundeschlitten, die Tiere wissen instinktiv, wo sie langlaufen können. Außerdem hatten sie heute noch keine Bewegung."

Als feststand, dass Briana heute nicht zum Kindergarten fahren konnte, hatte ich Anuun gebeten, Freddie abzuholen und zu sich nach Hause zu bringen. Wir konnten ihn nicht unbedingt gebrauchen, wenn wir zu zweit mit Dingen beschäftigt waren, die nicht für seine Ohren bestimmt waren. Und Anuun als Babysitter zu haben, war nicht unbedingt das Schlechteste. Er und Freddie liebten sich vom ersten Tag an, also sollte es keine Probleme geben, wenn unser Sohn sich einige Stunden bei ihm aufhielt.

Die Huskys begrüßten mich freudig, als ich auf sie zuging, allen voran Nanook, der Leithund. Sofort sprang er an mir hoch und leckte kurz über mein Gesicht, zumindest über jenen Teil, den er erwischte, das Kinn.

„So meine Lieben, ihr dürft ein wenig laufen", sprach ich zu den Hunden, während ich ihnen das Geschirr anlegte.

Es dauerte gar nicht lange, da stand das Gespann abmarschbereit vor der Scheune. Die sechs Huskys boten einen grandiosen Anblick. Nanooks eisblaue Augen schauten erwartungsvoll drein, als ich den Schlitten bestieg. Wie immer wartete er auf das Kommando, welches ich ihm prompt zurief.

Ich befand mich voll und ganz in meinem Element, genoss die imposante Winterlandschaft, die sich weiter erstreckte, als mein Blick reichte. Überall nur Schnee und Eis. Es glitzerte, sobald die Sonnenstrahlen darauf trafen, was der Gegend eine unglaublich tolle Atmosphäre verlieh. Ich konnte mich nicht satt daran sehen.

Deshalb störte es mich nicht im Geringsten, das wir einen Umweg fahren mussten, den die Hunde ohne zu zögern annahmen. Vor der Abzweigung, die direkt zu der Straße führte, in welcher Anuun wohnte, türmte sich nämlich eine riesige Schneewehe auf. Selbst für das Gespann gab es kein Durchkommen.

Gehorsam leitete Nanook das Rudel nach links, als ich ihm das Kommando gab. Es fühlte sich herrlich an, mit den Hunden auf diese Art und Weise verbunden zu sein. Wir waren ein Team und vielleicht würde ich es sogar schaffen, an einem der Schlittenhunderennen teilzunehmen. Dahingehend wollte ich mich allerdings gründlich mit Anuun beraten.

Nach einer guten Viertelstunde Umweg erreichten wir endlich das gemütliche Haus des Inuit. Sorgsam befestigte ich die Leine des Gespanns an dem massiven Holzgeländer, welches sich rund um das Gebäude erstreckte.

„Seid schön brav, ich komme gleich wieder", ermahnte ich die Hunde, um anschließend an die Tür zu klopfen.

Schritte waren zu vernehmen und ehe ich mich versah, kam Freddie auf mich zugestürmt. Lachend fing ich meinen Sohn auf, der sofort zu reden begann.

„Daddy, Anuun und ich haben was ganz Tolles gegessen! Außerdem hat er mir seinen Eishockeyschläger gezeigt! Ich möchte auch spielen lernen!"

Briana würde mich sicher umbringen, wenn ich diesem Vorschlag sofort zustimmte. Deswegen hielt ich mich mit meiner Aussage eher bedeckt.

„Du brauchst eine entsprechende Ausrüstung, Freddie. Man kann nicht in normaler Kleidung Eishockey spielen. Das müssen wir erst alles für dich besorgen, ok?"

„Wann denn? Morgen?"

„Nein, morgen ganz sicher nicht. Tante El kommt nämlich zu Besuch."

„Echt?"

Sein kleines Gesicht leuchtete vor Freude, denn er mochte Eleanor ebenso gerne wie Danielle. Überhaupt schien Freddie einen Draht zu weiblichen Wesen zu haben, was ich nicht unbedingt als schlecht erachtete.

„Wie lange bleibt sie denn?", lautete seine neugierige Frage.

„Eine ganze Weile. Du wirst also viel Spaß mit ihr haben."

Anuun blickte zu mir, als ich die Sache mit Eleanor erwähnte. Ich nickte ihm kurz zu und gab ihm somit zu verstehen, dass wir später darüber reden würden.

Als ich Freddie genauer anschaute, bemerkte ich die Spuren der Essensreste auf seinem Pullover. Ich fand das nicht schlimm, denn bei Kindern passierte so etwas öfter. Um genau zu sein, sogar bei Erwachsenen. Als ich dabei an Harry dachte, musste ich unweigerlich schmunzeln. Er bekleckerte sich nämlich ständig, wenn er nicht gerade über seine eigenen Füße stolperte.

„Ich bring mal den Hunden was zu trinken", ließ Anuun sich vernehmen, während ich versuchte, Freddies Pullover ein wenig zu säubern, um Brianas Anfall, den sie mit Sicherheit bekommen würde, zu mildern.

Als ich die Servierte in den Mülleimer schmeißen wollte, vernahm ich eine Bewegung hinter mir.

„Du bist schon wieder..." Das Wort „da" blieb mir buchstäblich im Hals stecken, als ich plötzlich einer jungen Frau gegenüberstand.

Sie lächelte mich freundlich an, streckte mir ihre Hand entgegen und sagte: „Ich bin Aki, Anuuns Tochter. Er kommt gleich rein."

Anhand ihrer schneeumrandeten Boots und dem dicken Parka konnte ich leicht erkennen, dass auch sie von draußen hereingeschneit war. Im wahrsten Sinne des Wortes, denn ihn ihrem langen, schwarzen Haar hatten sich etliche Schneeflocken eingenistet. Wie hypnotisiert starrte ich darauf.

„Ist irgendwas?", fragte sie.

„Ähm, ja. Du hast Schnee im Haar."

Ohne Vorwarnung begann Aki schallend zu lachen. In diesem Augenblick kam ich mir vor wie ein Idiot, weil ich vergessen hatte mich vorzustellen. Das holte ich jedoch sofort nach.

„Ich bin Louis Tomlinson."

„Ich weiß. Du bist bereits im ganzen Ort als das Greenhorn bekannt."

Das konnte nur Anuuns Werk sein. Im Geiste nahm ich mir vor, ihn dafür kräftig in den Hintern zu treten, sobald wir alleine waren.

„Nun, dann weißt du ja Bescheid über mich", grinste ich matt, was Aki zu einem Lächeln animierte.

Dann ging sie vor Freddie in die Hocke und fragte: „Und wie heißt du?"

Da mein Sohn nicht gerade zu den schüchternen Kindern zählte, antwortete er ohne zu zögern.

„Freddie."

„Das ist ein cooler Name."

Aki lächelte ihm aufmunternd zu.

„Weißt du, Freddie, ich arbeite in einem Hotel und wir machen am Sonntag auf dem Parkplatz, der total zugeschneit ist, ein tolles Spiel. Das veranstalten wir jedes Jahr. Magst du vielleicht auch kommen und mitmachen?"

„Was denn für ein Spiel?", kam es prompt von Freddie.

„Wer den schönsten Schneemann zusammen mit seinem Dad baut, ist unser kleiner Hotelkönig und darf sich etwas wünschen."

„Echt?" Freddies blaue Augen wurden groß und rund. „Dad, bitte lass uns da mitmachen, bitte, bitte!"

Da ich ihm noch nie etwas hatte abschlagen können, stimmte ich zu. Freddies Jubel kannte daraufhin keine Grenzen mehr und er ebbte an diesem Nachmittag auch nicht mehr so schnell ab. Denn heute durfte er zum ersten Mal mit mir im zusammen im Schlittenhundegespann fahren.

Bevor ich ihn jedoch in den vorderen Teil hineinsetzte, nahm ich Anuun zur Seite. Freddie war abgelenkt und außerdem passte Aki auf ihn auf. Somit stand einer ungestörten Unterhaltung nichts im Wege.

„Also, was gibt es?" Anuuns braune Augen ruhten auf meinem Gesicht.

„Wie du vernommen hast, kommt Eleanor hierher. Wir werden somit noch mehr Unterstützung haben, denn sie bleibt auf unbestimmte Zeit hier. Je nachdem, wie sich alles entwickelt."

Schnell erzählte ich ihm, was wir inzwischen herausgefunden hatten und das es sich hierbei vermutlich erst um den Gipfel des Eisbergs handelte.

„Wir sollten die Areale auf jeden Fall öfter unter die Lupe nehmen", kam es von Anuun.

„Eleanor wird uns dabei eine große Hilfe sein. Ich wette, sie steht auf den roten Motorschlitten", erwiderte ich schmunzelnd, was Anuun ein herzliches Lachen entlockte.

„Du kannst sie gerne einweisen, kennst dich mit den Dingern ja inzwischen bestens aus", meinte er lässig und schickte sich an, Freddie hochzuheben, der auf uns zugestürmt kam.

„Können wir jetzt fahren, Dad?", lautete seine überaus drängende Frage.

„Ja, können wir."

Es war eine Freude zu erleben, wie mein Sohn diese Schlittenfahrt genoss. Er konnte nicht genug davon bekommen. Da ich ihn warm eingepackt hatte, drang die eisige Kälte nicht zu ihm durch. Er jauchzte und freute sich, wie schnell wir vorwärts kamen. In diesem Moment wünschte ich mir, Briana würde nur halb so viel für diese Tiere übrig haben wie er. Aber sie konnte sich nach wie vor nicht mit ihnen anfreunden. Vielleicht sollte ich sie einfach vor vollendete Tatsachen stellen. Sogleich reifte ein Plan in meinem Kopf, während wir in Richtung Heimat fuhren.

Kaum hatten wir den Hof erreicht, sprang ich aus dem Schlitten und hob Freddie heraus, der sich sofort in die Schneemassen stürzte.

„Wir bauen am Sonntag einen Schneemann, wir müssen üben!", schrie er aufgedreht.

„Wir müssen gar nicht üben, wir schaffen das auch so", entgegnete ich lachend, bevor ich ihn auf meine Schultern setzte.

Es war zu beschwerlich für den kleinen Knirps, durch den für mich inzwischen wieder kniehohen Schnee zu laufen. Dabei hatte ich erst am Morgen kurz freigeschaufelt. Aber Barrow versank momentan in der weißen Masse.

Schnell lief ich ihn Richtung Haus, um meinen Sohn ins Warme zu bringen. Wie zu erwarten stürzte er sich sofort auf Briana und klammerte sich an sie.

„Mum, Dad und ich bauen am Sonntag einen Schneemann! Wir werden ganz sicher gewinnen!"

Während Freddie wie ein Wasserfall auf Briana einredete, ging ich nochmals aus dem Haus. Die Hunde standen noch immer mit dem Schlitten vor der Scheune. Sorgsam löste ich sie von der Leine. Als ich nicht gleich die Tür zur Scheune öffnete, begann Nanook zu heulen. Lachend sagte ich: „Ist ja gut, ihr bekommt gleich euer Futter."

Großzügig verteilte ich die Rationen in sechs Näpfe. Jeder war mit einem Namen versehen und die Huskys kannten ihren Fressnapf genau.

„Lasst es euch schmecken, Jungs und Mädels. Ich komme nachher wieder", verabschiedete ich mich grinsend von meinen vierbeinigen Freunden.

Noch bevor ich das Haus erreichte, traf eine Nachricht auf meinem Handy ein. Diese stammte von Eleanor.

„Bin in Anchorage am Flughafen und komme in zwei Stunden in Barrow an. Ich gehe davon aus, dass du mich abholst."

Mir fiel ein Stein vom Herzen, denn meine Erlösung nahte zusehends.

„Klar, ich werde pünktlich sein", textete ich umgehend zurück.

„Wir müssen das Zimmer für El herrichten", rief ich Briana zu, als ich das Haus betrat.

„Das habe ich bereits erledigt, als du Freddie abgeholt hast", ließ sie mich wissen.

„Fein, dann kann ja nichts mehr schief gehen."

Nachdenklich schaute ich mich in dem großen Wohnraum um und verteilte im Geiste die Huskys um das gemütliche Sofa. Gleich würde ich sie ins Haus holen, ob Briana das passte, oder nicht. Vielleicht ließ sich ihre Angst vor den harmlosen Tieren auf diese Art und Weise besser bekämpfen.

Entschlossen stapfte ich wieder nach draußen, um nach den Hunden zu pfeifen. Da ich die Schuppentür nur angelehnt hatte, konnte sie ohne Probleme in den Hof gelangen. Nanook war der erste, der auf der Bildfläche erschien, die anderen folgten binnen weniger Sekunden. Mit vollem Tempo stoben sie durch den Schnee und kamen direkt vor mir zum Stehen. Schwanzwedelnd beäugten sie mich und warteten ab, was passieren würde.

„Kommt rein", sagte ich und hielt die Haustür geöffnet.

Zuerst schnupperte Nanook neugierig an der Tür, dann entschied er sich jedoch, mein freundliches Angebot anzunehmen. Schnell streifte ich die Boots von meinen Füßen, bevor ich die Hunde ins Wohnzimmer führte. Dort ließ ich mich auf dem Sofa nieder und wartete einfach ab.

Zuerst schnüffelten sie ein wenig herum, dann suchte sich jeder einen Platz. Nanook lag zu meinen Füßen und rührte sich nicht mehr vom Fleck. Erst als Freddie ins Zimmer gestürmt kam, hob er seinen Kopf und spitzte die Ohren.

„Dad! Das ist ja cool! Die Huskys sind hier!"

Sofort stürzte Freddie auf Nanook zu, um ihn zu streicheln. Der Hund schien dies sichtlich zu genießen, denn er streckte alle Viere von sich, während er seine Augen schloss.

Durch Freddies Geschrei angelockt, trat Briana ins Zimmer. Sie gefror beinahe zu einem Eisblock, als sie die sechs Vierbeiner erblickte, welche den Raum wie selbstverständlich in Beschlag genommen hatten.

„Louis! Schaff sofort die Tiere raus! Du weißt genau, dass ich Angst vor ihnen habe!", blökte sie ungehalten.

Sichtlich entspannt lehnte ich mich im Sofa zurück.

„Sie tun dir nichts. Setz dich einfach zu mir und beobachte sie", kam es ruhig über meine Lippen.

„Nein, das kann ich nicht!"

„Versuche es einfach. Freddie hat auch keine Angst."

„Ja, Mum, ich darf sie streicheln, guck mal!"

Grinsend schaute Freddie zu seiner Mutter, die noch immer kreidebleich im Türrahmen stand und sich keinen Zentimeter bewegte. Was zur Hölle hatte sie für ein Problem mit diesen wirklich friedlichen Tieren?

Statt sich zu uns zu setzen, dampfte sie ab und kurze Zeit später hörte ich es in der Küche rumoren. Mir ging es gelinde gesagt am Allerwertesten vorbei, ob es ihr etwas ausmachte, dass ich die Huskys mit ins Haus genommen hatte. Meiner Ansicht nach konnte man es mit seiner Angst auch übertreiben. Ich hätte es vielleicht verstanden, wenn sie in der Vergangenheit von einem Hund gebissen worden wäre. Doch das war keineswegs der Fall.

Ihre Überängstlichkeit ging mir genauso auf den Wecker wie ihr Ordnungsfimmel. Ich hatte Angst, dass sich die beiden Dinge auf Freddie übertrugen und er vielleicht zu einer Memme mutierte. Ein richtiger Junge musste im Dreck spielen dürfen und auch mal mit aufgeschlagenen Knien nach Hause kommen. In seinem Zimmer brauchte es nicht immer ordentlich zu sein. Er sollte lernen, das Chaos zu beherrschen. Nichts anderes wurde in meinem Job verlangt. Oftmals ging alles drunter und drüber. Pläne wurden umgeschmissen, um sich den schnell veränderten Situationen anzupassen. All dies bereitete mir keine Schwierigkeiten. Mir fiel immer eine Lösung ein.

Mit einem zufriedenen Lächeln beobachtete ich, wie Freddie sich an Nanook kuschelte. Langsam fielen ihm die Augen zu, doch ich sah keine Notwendigkeit, ihn jetzt zu wecken. Er sollte ruhig auf dem Boden liegen und schlafen, zumal das dichte Fell des Hundes ihn wärmte. Außerdem herrschte im Raum eine durchaus angenehme Temperatur.

Die Specksteinöfen, welche im kompletten Haus verteilt waren, verbreiteten eine heimelige Wärme und speicherten diese außerdem bis zum nächsten Morgen. Eine Zentralheizung suchte man in dieser Gegend vergebens. Öl oder Gas hierher zu schaffen war vermutlich viel zu teuer und somit kein lukratives Geschäft für die großen Konzerne, die den Energiebereich abdeckten.

Beinahe wäre ich selbst weggedöst, doch der Klingelton meines Handys verhinderte dies erfolgreich.

„Du hast vergessen mich anzurufen, Louis."

Danielles vorwurfsvoller Ton war nicht zu überhören.

„Tut mir leid, hier war heute enorm viel los", erklärte ich.

„Es ist immer viel los bei dir. Hast du mal auf die Uhr geschaut? In London ist es bereits halb zwölf nachts. Ich würde gerne zu Bett gehen, aber nicht, bevor ich deine Stimme gehört habe."

„Sorry, Honey, ich hab's echt verschwitzt. Außerdem muss ich noch zum Flughafen fahren, um El abzuholen."

„Sag bloß, deine Ex kommt auch dorthin, wo immer du auch gerade bist."

„So ist es. Und ich brauche sie auch ganz dringend, oder besser gesagt ihre Arbeitskraft."

Ihr Seufzen wurde lauter. „Wann kommst du wieder nach Hause, Louis?"

Diese Frage konnte und wollte ich nicht beantworten. Es stand noch in den Sternen, wann ich Barrow wieder verlassen würde.

„Bitte fang nicht wieder damit an, denn ich weiß es nicht", entgegnete ich.

„Nun gut, dann sag mir wenigstens, wann du dich wieder meldest."

„Morgen, Honey, versprochen. Und ich wünsche dir eine gute Nacht. Schlaf schön, ich liebe dich."

„Ich liebe dich auch, Louis."

Erschöpft lehnte ich mich im Sofa zurück. Diese Gespräche kosteten einfach zu viel Kraft. Langsam schloss ich meine Augen und driftete ab in den Schlaf. Zumindest so lange, bis das Handy sich erneut meldete.

„Wolltest du mich nicht am Flughafen abholen, Louis?"

Eleanors halb vorwurfsvolle, halb belustigte Stimme ließ mich augenblicklich von der Couch hochschnellen.

„Ich bin in zehn Minuten da!"

Aus den zehn Minuten wurden fünfzehn, doch das nahm sie mir nicht übel, im Gegenteil.

„Es tut mir leid, ich bin eingeschlafen", entschuldigte ich mich, nachdem ich sie kurz umarmt hatte und nach ihrem Koffer griff.

„Das dachte ich mir schon aber es ist nicht schlimm. Ich hatte in der Zeit Gelegenheit, mich auf virtuellem Wege ein bisschen mit der Gegend vertraut zu machen."

„Und?"

„Sieht groß, aber dennoch überschaubar aus. Zumindest droht uns von der Seite zum Meer keine Gefahr."

„Du meinst wohl, vom Eismeer", korrigierte ich lachend, bevor ich den Motor des Wagens startete.

Die mit Schneeketten bestückten Reifen wühlten sich durch die winterliche Landschaft. Trotzdem nahm ich lieber den Motorschlitten oder das Husky Gespann, um mich fortzubewegen. Nur zu gerne überließ ich Briana das Auto, wofür sie sich überaus dankbar zeigte. Dies war so ziemlich die einzige Sache, bei der wir nicht aneinander gerieten.

„Wie läuft es zwischen euch?"

El brauchte nicht einmal einen Namen zu nennen, ich wusste sofort, von wem sie sprach.

„Arbeitsmäßig top, ansonsten ist es ziemlich stressig. Du kennst ja das Problem."

„Allerdings. Du bist der Chaot und sie die Penible."

„Ich bin immer das Arschloch", erwiderte ich trocken.

Im Hof angekommen, holte ich Eleanors Koffer aus dem Wagen, während sie ihre Umhängetasche mit dem Laptop trug. Ordentlich wie sie war, zog sie ihre Boots im Flur aus und folgte mir dann bis zum Wohnraum. Dort wurden wir von einer zeternden Briana empfangen.

„Louis, bist du eigentlich komplett verrückt geworden? Unser Sohn schläft bei diesen Hunden! Was, wenn sie ihn plötzlich beißen?", keifte sie.

„Briana, jetzt halt mal die Luft an! Huskys sind keine aggressiven Tiere, sie würden Freddie eher beschützen, als ihm etwas zuleide zu tun!"

Bevor die Situation eskalieren konnte, griff El ein.

„Hallo, Briana, schön, dich zu sehen und ich glaube nicht, dass diese Hunde eurem Sohn etwas antun würden. Ich habe auf dem Flug hierher sehr viel über Huskys gelesen. Sie sind gutmütige Arbeitstiere, die ihren Rudelführer akzeptieren und außerdem ihr Rudel immer beschützen. Du, Freddie und Louis gehört jetzt dazu und ich hoffe, dass sie mich ebenfalls in ihre Runde aufnehmen."

Sprachlos starrte ich El an. Diese Erklärung war absolut richtig und auf den Punkt gebracht. Binnen Sekunden wich die Zornesröte aus Brianas Gesicht. Sie umarmte El zur Begrüßung und sagte: „Tut mir leid, aber ich habe noch immer Angst vor ihnen. Louis hat sie ins Wohnzimmer gebracht und mich alleine mit ihnen gelassen."

Sofort traf mich Els strafender Blick, worauf ich ein wenig schuldbewusst dreinschaute.

Als die Hunde mich erblickten, setzten sie sich auf und begannen zu heulen. Während Briana sich die Ohren zuhielt, begann El zu lachen.

„Die sind ja cool", meinte sie.

Es dauerte nicht lange, bis meine Ex-Freundin durch die Huskys umringt wurde, was ihr jedoch nicht das Geringste auszumachen schien. Sie begann die Hunde zu streicheln, was diese sichtlich genossen. Und schon ging Brianas Gezeter wieder los.

„Sieh nur, die ganzen Haare liegen auf dem Boden! Und ich darf es wieder wegsaugen!"

Bevor ich etwas entgegnen konnte, war El zur Stelle.

„Das ist doch nicht schlimm. Gib mir den Staubsauger und ich mache es", bot sie an.

„Louis kann auch ruhig was arbeiten."

„Das wird er, aber an meinem Laptop."

Noch hatte ich keine Ahnung, was El mir damit offenbaren wollte, aber fünf Minuten später, als ich in meinem kleinen Arbeitszimmer saß, fielen mir fast die Augen aus dem Kopf. Einerseits vor Erleichterung, andererseits vor Verzweiflung. Stöhnend blickte ich auf das Display und griff nach dem Handy, um Liam anzurufen. Er wartete auf eine Ansage und die konnte ich ihm nun geben.

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Ihr wart bestimmt überrascht, jetzt ein Kapitel aus Louis Sicht zu lesen. Sehr viel wurde in diesem Kapitel nicht geklärt, dafür habe ich eine Art Handlungsstrang gelegt. 

Ich wünsche euch einen schönen Sonntag und hoffe, dass euch das Kapitel gefallen hat.

Das nächste Update kommt vermutlich am Mittwoch, vielleicht auch schon früher.

LG, Ambi xxx

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