15. Misery
♪ Nowhere - Before the Dawn
Sophia
Wir waren seit mehreren Stunden unterwegs, doch seit ungefähr fünf Minuten bemerkte ich, dass wir verfolgt wurden. Da Sienna im Moment hinter dem Steuer des Mustangs saß, behielt ich den Wagen, der an unseren Fersen klebte, permanent im Blick.
„Fahr ein wenig schneller."
Sofort kam sie meiner Aufforderung nach, indem sie das Gaspedal kräftig nach unten drückte. Währenddessen griff ich nach meiner Waffe. Ich wollte auf die Reifen des Gefährts zielen, welches immer näher kam, obwohl wir die Geschwindigkeit ständig steigerten.
„Bleib ganz ruhig, ich regle das schon", sprach ich möglichst gelassen, bevor ich mich anschickte, das Fenster langsam hinunterfahren zu lassen.
Jetzt brauchte ich nur noch den passenden Moment abzuwarten. Der Augenblick, der alles entschied. Ich musste es tun, bevor unsere Verfolger auf den gleichen Gedanken kamen. Sie wollten uns vermutlich lebend, doch mir war es egal, ob sie draufgingen oder nicht. Für solche Situationen war ich ausgebildet worden.
Die Waffe lag sicher in meiner Hand und es brauchte nur eine Zehntelsekunde, um den Abzug zu drücken.
Schüsse peitschten durch die Luft, der Wagen hinter uns geriet ins Schlingern, denn ich hatte den rechten, vorderen Reifen getroffen. Das war unsere Chance.
„Bieg da vorne links ab, sieh nicht nach hinten und gib Vollgas", kommandierte ich.
Obwohl Sienna kreidebleich wurde, leistete sie meiner Anweisung Folge. Der starke Regen erschwerte uns beiden die Sicht, aber ich hatte das Gefühl, die Verfolger einstweilen abgehängt zu haben. Trotzdem fühlte ich mich nicht sicher. Wer wusste schon, wie konsequent die Mafia bereits ihre Fühler ausgestreckt hatte; welches Netz um uns herum gesponnen wurde. Wie groß oder klein der Kreis in Wirklichkeit war. Wir mussten untertauchen, jetzt.
Keuchend stürzten wir aus dem Wagen, sprangen in den Matsch und rannten so schnell wir konnten durch den strömenden Regen. Weit und breit war keine Menschenseele in Sicht, was jedoch nicht unbedingt als negativ auszulegen war. Denn jeder, der im Moment unseren Weg kreuzte, konnte ein Angehöriger der Mafia sein.
Während des Laufens betätigte ich schnell mein Handy. Es handelte sich um eine einfache Zahlenkombination, die jedoch ein ganz bestimmtes Signal auslöste.
„Schau! Da hinten steht etwas!"
Sienna wies mit dem ausgestrecktem Arm nach rechts und erneut spurteten wir los. Fast wäre ich hingefallen, doch Siennas blitzartige Reaktion bewahrte mich davor, den Boden zu küssen.
Klatschnass und bibbernd vor Kälte retteten wir uns in eine Scheune, nachdem ich den Notruf an Louis getätigt hatte. Der Mustang stand unweit des Grundstücks, in einem kleinen Wald. Es war die einzige Möglichkeit gewesen, den Wagen ungesehen irgendwo abzustellen.
Sienna, die zitternd neben mir ins Stroh sank, strich sich eine nasse Haarsträhne aus dem Gesicht und seufzte: „Das war knapp. Denkst du, wir sind ihnen entkommen?"
Langsam ließ ich mich neben ihr nieder, um dann eine Antwort zu geben.
„Ich weiß es nicht, sie werden nicht locker lassen. Und wenn sie uns einmal entdeckt haben, wird der Kreis, in welchem wir uns in Sicherheit befinden, immer kleiner werden."
Wie hypnotisiert starrte ich auf mein Handy. Warum meldete sich Louis nicht? Er hätte schon längst reagieren müssen, doch das Telefon blieb stumm.
Die Notruffrequenz, mit welcher ich Kontakt zu ihm aufgenommen hatte, besaß eine vierfache Sicherung. Die Möglichkeit, uns darüber zu orten, fiel definitiv aus. Zumindest für Außenstehende. Unser Team, in diesem Falle Louis, konnte jedoch verfolgen, wo wir uns aufhielten.
Louis war im Moment unsere einzige Rettung, denn Alistair befand sich auf einem anderen Kontinent und Liam musste zusehen, dass er Niall nicht unnötig in Gefahr, und so schnell wie möglich nach Barrow brachte. Es wäre purer Wahnsinn und zudem verantwortungslos gewesen, wenn ich ihn zu Hilfe gerufen hätte. In dieser Hinsicht hielt ich mich strikt an Alistairs Anweisungen.
Aus den Augenwinkeln beobachtete ich, wie Sienna ihre Jacke auszog, um diese dann zum Trockenen über einen Holzbalken zu hängen, der sich in der Scheune befand. Da ich mich nicht erkälten wollte, tat ich es ihr gleich. Obwohl die Temperatur in unserem Unterschlupf alles andere als kuschelig wirkte, griffen wir zu dieser Maßnahme. Sofort registrierte ich ein Frösteln auf meiner Haut, denn ich trug nur ein Shirt mit kurzen Ärmeln. Logischerweise befanden sich unsere Koffer mit den restlichen Kleidungsstücken im Wagen. Bei einer Flucht blieben solche Dinge außen vor, sie waren zweitrangig, denn es ging in erster Linie ums Überleben.
Doch wir hatten eine andere Idee, wie wir es uns ein wenig gemütlich machen konnten. Arm in Arm legten wir uns in das Stroh, das zwar hin und wieder piekte, doch es war trocken und wärmte ein bisschen.
Die Zeit verging und während ich hin und wieder auf das Display des Handys starrte, hörte ich Siennas tiefes Seufzen. Als ich kurz in ihre Augen schaute, bemerkte ich, dass Tränen darin glitzerten. Beruhigend streichelte ich über ihre Hand, versuchte einige tröstende Worte zu finden.
„Sieh mal, wir sind hier im Moment in Sicherheit und ich habe einen Notruf abgesetzt. Louis wir sich bestimmt bald melden und uns Hilfe zukommen lassen."
„Was ist, wenn sie Niall und Liam inzwischen geschnappt haben?"
In jenem Augenblick wurde mir bewusst, dass sie sich mehr Sorgen um ihren Mann machte, als um sich selbst. Und für eine Sekunde wurde mir ganz mulmig zumute. Was, wenn sich Liam und Niall tatsächlich ebenfalls in Schwierigkeiten befanden und einen Notruf getätigt hatten? Vielleicht meldete sich Louis deshalb nicht – weil er gerade damit beschäftigt war, die beiden zu unterstützen. Mein Notruf würde vermutlich gar nicht durchgehen, wenn Liam mit ihm sprach.
Ich schluckte kurz und versuchte mich zu sammeln. Sienna sollte nicht merken, wie aufgewühlt ich im Moment war. Meine Stimme klang fest, als ich sagte: „Immer positiv denken. Den beiden ist sicher nichts passiert. Vermutlich sitzen sie gerade beim Mittagessen."
Nicht nur die Angst um Liam und Niall machte mich fertig, sondern auch die Tatsache, dass ich nicht wusste, wie man an unsere Spur gelangte. Schon vor Tagen ließ Alistair die Handys überprüfen, wir bedienten uns Autos, deren Besitzer zu unserem Netzwerk gehörten. Alle Hotels waren durch Alistair von London aus gebucht worden. Und trotzdem hatte man uns gefunden. Sienna und mich auf jeden Fall, wie es mit Niall und Liam aussah, entzog sich jedoch meiner Kenntnis.
Seufzend blickte ich auf das Display des iPhones. Doch das Gerät blieb weiterhin stumm.
Sienna setzte sich auf, schlang die Arme um ihre schlanken Beine und sagte: „Ich hab wahnsinnige Angst um Niall und Liam. Kannst du die beiden nicht anrufen?"
Energisch schüttelte ich meinen Kopf.
„Das geht nicht, Sienna. Wir wissen noch immer nicht, wie die Verfolger uns anzapfen. Es ist ein zu großes Risiko auf normalem Wege zu telefonieren. Ich kann und darf nur den Notruf absetzen. Der ist als Einziger geschützt."
Es tat mir leid, ihr das sagen zu müssen, die Verzweiflung und Unruhe in ihrem Gesicht zu sehen. Selbst mir schlug die ganze Situation derart schwer auf den Magen, dass ich jegliches Hungergefühl ohne Probleme ignorieren konnte. Beim Durst funktionierte dies jedoch nicht.
Das plätschernde Wasser erinnerte mich an eine frische Quelle, gleichzeitig spürte ich die Trockenheit in meiner Kehle, welche sich langsam einstellte. Seit mehreren Stunden saßen wir nun hier, benötigten dringend etwas zu trinken, sonst würden wir bald an unsere Grenzen stoßen. Eine Dehydration des Körpers konnte sehr gefährlich werden und somit war vorherbestimmt, dass wir nicht für ewig in dieser Scheune bleiben würden.
Wenn Louis sich binnen der nächsten Stunde nicht meldete, hatten wir ein gewaltiges Problem. Wir mussten wieder nach draußen und zum Wagen, um wenigstens den nächsten Ort zu erreichen.
Siennas leise Stimme unterbrach die gespenstische Stille zwischen uns.
„Weißt du, an was ich gerade denke?"
„Nein, aber ich schätze, du wirst es mir gleich verraten."
Ich verlagerte mein Gewicht auf den linken Arm, da der rechte gerade im Begriff war einzuschlafen, und blickte zu Sienna.
„Ich konnte mir nie vorstellen, wie es ist, jemals ohne Niall und Kieran zu sein. Sie sind mein Leben. Ich möchte.... Ich will mein altes Leben zurück. Oceanside, Sonne, der Strand, all das..."
Ihre Stimme erstickte in Tränen und ich wusste im ersten Moment nicht, was ich sagen sollte. Jeglicher Trost war unnütz, denn Sienna, Niall und Kieran würden ihr altes Leben nie wieder zurückbekommen.
Vorsichtig platzierte ich eine Hand auf ihrem Arm. „Lass es raus. Du kannst ruhig weinen, so lange du möchtest. Ich bin hier, Sienna. Ich passe auf dich auf."
Aufgrund meiner psychologischen Ausbildung, die im Übrigen jeder aus unserem Team erhielt, gelang es mir, Ruhe zu bewahren.
Langsam legte ich das Handy aus der Hand und umarmte die junge Frau, die wie eine Freundin für mich war. Ein Jahr hatten wir Haus an Haus gelebt, während Liam und ich auf sie, Niall und Kieran achteten.
Erneut erwachte mein Kampfgeist, ich durfte nicht aufgeben. Zur Not musste ich nochmals einen Notruf absetzen. Irgendwann würde Louis sich schon melden, daran glaubte ich fest.
Während Sienna leise in meinen Armen weinte, lauschte ich dem Regen. Dieser war schwächer geworden und schließlich hörte man nach einigen Minuten nichts mehr vom Rauschen des Wassers.
„Sophia?"
„Ja?"
Sie wischte sich die letzten Tränen aus den Augen, bevor sie weitersprach.
„Ich bin nicht hier, um aufzugeben. Ich möchte meinen Mann und meinen Sohn wiedersehen. Und wenn ich zu Niall laufen muss, mich durch die Wälder durchschlagen, damit man uns nicht findet. Ich würde von rohen Kartoffeln leben und Quellwasser trinken, nur um vorwärts zu kommen."
Als ich ihn ihre Augen schaute, konnte ich nichts anderes tun als Sienna zu bewundern. Sie war eine unglaublich starke Persönlichkeit. Niall konnte sich glücklich schätzen, solch eine Frau an seiner Seite zu haben; eine andere wäre vermutlich schon längst an all dem zerbrochen. Doch sie ließ sich nicht unterkriegen, lief immer weiter, wie ein zuverlässiges Uhrwerk, ein Motor, der Höchstleistungen vollbrachte.
Sanft streichelte ich über ihre Wange, um anschließend einen Kuss auf ihre Stirn zu hauchen.
„Ich begleite dich, gemeinsam werden wir es schaffen."
Genau in diesem Moment meldete sich mein Handy, nach welchem ich hektisch griff.
„Louis?!"
„Sophia, seid ihr beiden ok?"
„Ja, sind wir. Wir sitzen gerade in einer Scheune. Unseren Wagen haben wir in einem Waldstück versteckt. Warum zum Teufel meldest du dich erst jetzt?"
Sein erleichtertes Aufatmen war zu vernehmen.
„Es tut mir leid, bin nicht durchgekommen, wir hatten hier in Barrow den ersten Schneesturm, der einen Funkmast beschädigt hat. Zum Glück läuft es jetzt wieder."
Mir fiel ein Stein vom Herzen, als ich das hörte. Und Louis bewies mal wieder, wie kompetent er war.
„Das Internet hat jedoch funktioniert und ich konnte kurz eure Position ausmachen. Ihr befindet euch im Bundesstaat Minnesota."
Jetzt war ich es, die erleichtert aufatmete und seinen nächsten Worten lauschte. Louis besaß eine sehr angenehme Stimme, welche den Effekt aufwies, jemanden beruhigen zu können. Egal, in welch schwieriger Situation man gerade steckte.
„Ok, hör gut zu, Sophia. Da wir im Moment nicht wissen, wo sich das Leck befindet, möchte ich dich bitten, nur über den Notruf mit mir zu kommunizieren. Auch wenn die Handys mehrfach durchsucht wurden, es gibt nichts, was man nicht ausschließen kann."
„Ich habe verstanden."
Doch Louis war mit seinen Ausführungen noch nicht fertig.
„Wir besprechen jetzt die weiteren Schritte. Ungefähr eine Meile von euch entfernt, in westlicher Richtung, liegt eine kleine Stadt. Versucht dorthin zu gelangen, aber zu Fuß, damit man euch nicht anhand des Wagens erkennt, falls die Mafia sich in dieser Gegend herumtreibt."
Ich fühlte Siennas Blick auf mir, als ich antwortete: „Gut, wir werden das tun."
„Vielleicht könntet ihr euch vorher noch einige Klamotten aus dem Auto holen. Am besten auch Basecaps oder Mützen. Ein wenig Tarnung kann nicht schaden."
„Das geht klar, der Mustang steht nicht allzu weit entfernt."
„Super, nun zum nächsten Schritt. Wenn ihr im Ort angekommen seid, begebt euch zur nächsten Bushaltestelle. Der Bus fährt in exakt einer Stunde und zwanzig Minuten los. Sein Ziel ist die Stadt Rochester. Die Fahrt bis dorthin dauert ungefähr eine halbe Stunde. Ihr dürftet also am späten Nachmittag dort eintreffen."
„Und dann?", fragte ich atemlos.
„Dann müsst ihr versuchen, an den nächstbesten Ort zu gelangen, in dem es eine Bahnverbindung gibt, vorzugsweise Minneapolis. Melde dich zwischendurch über den Notruf, damit ich weiß, ob alles ok ist. Ich werde euch weitere Anweisungen erteilen, sobald ihr in Minneapolis angekommen seid."
Es klang beschwerlich aber nicht unlösbar. Wie ich Louis kannte, besaß er bereits einen ausgeklügelten Plan in der Hinterhand.
„Wie geht es Sienna?", erkundigte er sich nun.
„Den Umständen entsprechend gut", erwiderte ich mit einem Blick in ihre Richtung.
Als unsere Augen sich trafen, wusste ich, was sie dachte und so richtete ich meine Frage an Louis.
„Hast du was von Liam gehört?"
„Nein, warum?"
„Ich würde gerne wissen, ob bei ihm und Niall alles in Ordnung ist."
„Nun ja, davon gehe ich aus."
Im Hintergrund war Freddies Geschrei zu vernehmen, der gerade mit seiner Mutter diskutierte. Für einen Moment vergaß ich unsere missliche Lage und musste prompt schmunzeln.
„Was ist denn bei euch los?", erkundigte ich mich.
„Ach, Freddie möchte gerne die Huskys mit ins Haus nehmen aber Briana wehrt sich dagegen. Sie hat Angst vor ihnen."
„Das sind wunderschöne Tiere", entfuhr es mir.
„Ja, das stimmt. Und diese hier besonders. Sie sind ein tolles Gespann, ich bin schon Hundeschlitten gefahren."
„Macht das Spaß?"
„Und wie! Meine Ausbildung zum Musher ist so gut wie abgeschlossen. Anuun ist sehr zufrieden mit mir."
Er klang so fröhlich und beschwingt, als er darüber sprach. Doch beim darauffolgenden Satz wurde er wieder ernst.
„Tu, was ich dir gesagt habe, Sophia. Verliere keine Zeit, ihr müsst so schnell wie möglich von dort verschwinden."
„Wir sind schon auf dem Weg."
„OK, und falls Schwierigkeiten auftauchen, meldest du dich wieder, egal um welche Uhrzeit. Ich bin Tag und Nacht erreichbar."
Bevor ich das Gespräch beendete, hörte ich seine letzten Worte: „Viel Glück, Sophia, du schaffst das schon."
„Und? Was hat er gesagt?"
Wie ein Wasserfall sprudelten die Worte aus Siennas Mund.
„Wir müssen zu Fuß weiter, bis zum nächsten Ort", erklärte ich.
Zu Glück trugen wir beide festes Schuhwerk und keine Flip Flops. Damit wäre die Reise sicher beschwerlich geworden.
Ohne einen Ton zu sagen, erhob Sienna sich aus dem Strohlager, griff nach ihrer Jacke, die mit Sicherheit noch feucht war, und marschierte zur Tür.
„Es regnet nicht mehr", stellte sie erleichtert fest.
„Umso besser", meinte ich, „lass uns losziehen."
Ich zog Sienna mit mir und gemeinsam rannten wir in Richtung des kleinen Waldstücks. Der Mustang stand unversehrt hinter einigen Bäumen. Schnell holten wir trockene Kleidung hervor, tauschten die T-Shirts mit den kurzen Armen gegen langärmelige und nahmen jeder eine Jacke mit. Einer der kleinen Rucksäcke diente nun als Gepäck für frische Unterwäsche und Shirts. Zum Glück besaßen wir noch zwei kleine Flaschen Wasser, die wir ebenfalls im Rucksack verstauten, nachdem jede von uns einen großen Schluck der Flüssigkeit zu sich genommen hatte. Nun konnte es losgehen.
Meine Augen schweiften über die Landschaft, suchten jeden Zentimeter nach etwas Verdächtigem ab, während wir in Richtung Westen liefen. Doch ich fand nichts, was uns hätte gefährlich werden können. Die einzigen Lebewesen, auf die wir trafen, waren einige Kühe, die auf einer Weide standen. Doch sie ließen sich durch unsere Anwesenheit nicht stören, sondern kauten munter auf dem Gras herum.
Durch die Feuchtigkeit, die vom Boden aufstieg, bildeten sich hin und wieder Nebelschwaden über den Wiesen. Es wirkte gespenstisch und gleichzeitig faszinierend.
Sienna besaß eine außerordentlich gute Kondition, sie hielt mühelos mit meinem Tempo mit.
„Du hast ordentlich Sport betrieben in den letzten Jahren, oder?", fragte ich grinsend.
„Natürlich. Du weißt doch, dass ich mich dem Kampfsport verschrieben habe und außerdem oftmals Joggen gehe. Das fehlt mir wirklich im Moment."
„Kann ich verstehen."
Für eine Minute hüllten wir uns erneut in Schweigen, bis Sienna eine Frage an mich richtete.
„Können wir denn gar keinen Kontakt zu Liam und Niall herstellen? Es macht mich verrückt, dass ich nicht weiß, wie es ihnen geht und ob alles in Ordnung ist."
Seufzend erwiderte ich: „Wenn ich das nächste Mal mit Louis spreche, sage ich ihm, dass er sie anrufen soll. Dann kann er uns Bescheid geben, ok?"
„Ok."
Nach ungefähr einer Stunde erreichten wir die kleine Stadt und fragten uns nach der Bushaltestelle durch. Diese befand sich auf der Hauptstraße, in welcher verschiedene Geschäfte ansässig waren, unter anderem einen Supermarkt. Dort deckten wir uns mit Sandwiches und Getränken ein.
„Lass mal, Sophia, ich bezahle das schon. Ich habe noch hundert Dollar einstecken", ließ Sienna verlauten, als ich meine Kreditkarte zücken wollte.
Da es sich um einen sehr geringen Betrag handelte, ließ ich sie gewähren.
An der Bushaltestelle angekommen, setzten wir uns auf die Bank und verzehrten unser Essen. Kaum waren wir fertig, tauchte der große Greyhound Bus auf. Wir kauften zwei Tickets für jeweils zwei Dollar, welche Sienna ebenfalls bezahlte.
Unsere Plätze nahmen wir im hinteren Teil des Buses ein. Mit einem erleichterten Schnaufen ließ ich mich neben Sienna nieder, die den Fensterplatz belegte. Dass ihre Gedanken ständig bei Niall verweilten, drückte ihr nächster Satz aus.
„Was ist, wenn Liam versucht hat, Louis über den Notruf zu erreichen und es hat nicht funktioniert, weil die Leitung gestört war? Ich mache mir schreckliche Sorgen, Sophia."
„Hör zu", wisperte ich leise, „sobald wir in Rochester angekommen sind, werde ich Kontakt mit Louis aufnehmen. Aber ich kann es nicht jetzt tun, wenn alle hier im Bus zuhören können, verstehst du?"
Sie nickte beklommen und lehnte ihren Kopf gegen die Scheibe. Ihr langes, rotes Haar glich einer Löwenmähne, so zerzaust stand es Stellenweise von ihrem Kopf ab. Ich sah mit Sicherheit nicht besser aus, doch im Moment betrachtete ich solche Dinge als zweitrangig. Es ging ums Überleben, um nichts anderes. Wir mussten Rochester und dann Minneapolis erreichen.
Die halbe Stunde Busfahrt wärmte unsere Glieder und als wir ausstiegen, fühlte ich mich nicht mehr ganz so zerschlagen wie in der Scheune. Bevor ich mit Sienna den Bus verließ, erkundigte ich mich beim Fahrer, wie wir am besten nach Minneapolis gelangten.
„Am schnellsten geht es mit dem Bus Go Carefree Shuttle, der hält gleich um die Ecke und fährt jede Stunde", erklärte der freundliche Mann.
„Dankeschön für die Auskunft."
Ich schenkte ihm ein freundliches Lächeln und fasste Sienna anschließend am Arm.
„Komm, ich weiß, wo es langgeht."
„Bustickets können Sie übers Internet kaufen aber auch direkt beim Fahrer!", rief der Mann uns noch hinterher.
„Na super, das Internet dürfen wir im Moment nicht nutzen", seufzte ich leise vor mich hin, damit er es nicht hörte.
„Bleibt also nur der Ticketkauf direkt im Bus", ergänzte Sienna.
Gerade wollte ich das Handy zücken, um Louis anzurufen, da näherte sich ein weißer Bus, auf dessen Schild groß und fett Minneapolis geschrieben stand.
„Das war es dann wohl, den müssen wir nehmen, wenn wir nicht eine Stunde hier herumsitzen wollen", erklärte ich, worauf Sienna mir seufzend folgte.
Zu allem Überfluss akzeptierte der Busfahrer keine Kreditkarten, sodass ich gezwungen war, meine Bargeldvorräte anzuzapfen. Diese stellten eine Art eiserne Reserve dar, doch im Augenblick befanden wir uns wirklich in einer sehr misslichen Lage, die es notwendig machte, das Geld anzurühren. Innerlich stöhnend löhnte ich vierundachtzig Dollar für zwei Bustickets.
Vor uns lagen eine Stunde und dreißig Minuten Fahrt, welche ich gerne zum Schlafen nutzen wollte. Doch vorher versuchte ich Louis schnell über die Notruffrequenz zu erreichen. Ich wollte mich unbedingt nach Liam und Niall erkundigen und hoffte, dass er gute Nachrichten haben würde. Erst dann würden Siennas und auch meine innere Ruhe einkehren.
Glücklicherweise meldete Louis sich dieses Mal sofort.
„Wir sind jetzt auf dem Weg nach Minneapolis", ließ ich wissen, was ihm ein erleichtertes „Gott sei Dank", entlockte.
„Wenn ihr dort seid, geht sofort zum Bahnhof und nehmt den Zug in Richtung Bismarck, das liegt in North Dakota", lautete seine neueste Anweisung.
„Ok, ich habe verstanden und hätte noch eine Bitte."
Ich sprach sehr leise, um kein Aufsehen zu erregen. „Könntest du bitte Liam anrufen und uns dann sagen, ob alles ok bei ihm ist?"
„Werde ich tun aber du erfährst es erst, wenn ihr in Minneapolis angekommen seid. Wie du weißt, darf ich die Notfallleitung auch nur für Notfälle nutzen."
„Das ist mir schon klar", erwiderte ich, „und ich denke, bis dahin werden wir es aushalten."
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Fassen wir zusammen: Ihr wisst nun, dass Sophia diesen Notruf getätigt hat aber ihr habt noch immer keine Ahnung, was mit Niall und Liam geschehen ist. Außerdem steht noch aus, ob Seth es schafft, sich in das System der Mafia einzuhacken. Und falls es ihm gelingen sollte, darf er Kieran sehen...
Ich hoffe, ihr freut euch schon auf die nächsten Kapitel!
Danke für euren ständigen Support, in Form von Kommentaren, Reads und Votes.
LG, Ambi xxx
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