09. Quick Departure

♪ The unforgiven - Metallica


Sienna

Mit einem Schlag war ich stocknüchtern.

Als Niall meine Hand umfasste und in meine Augen schaute, spürte ich, dass es ihm wohl ebenso erging.

„Eine Schießerei?", stieß er aus.

„Ja, jemand wurde getötet. Liam ist zusammen mit dem Security Typen rausgerannt, als dieser informiert wurde."

„Oh mein Gott." Ich hielt eine Hand vor den Mund und spürte gleichzeitig, wie meine Beine wegzusacken drohten. Mein Puls beschleunigte ins Unermessliche und meine Kehle fühlte sich so trocken an wie die Sahara.

„Weiß man denn schon, wer das Opfer ist und wie es dazu kam?", hörte ich Niall fragen.

„Nein, aber das wird Liam schon herausfinden. Kommt, wir gehen hier erstmal weg."

Sophia zog uns mit sich, da alle im Club plötzlich wie eine aufgescheuchte Rinderherde durcheinanderliefen. Die Security am Eingang hatte alle Hände voll zu tun, Ordnung zu schaffen.

„Es kommt sowieso im Moment keiner aus dem Hotel raus", erklärte der bullige Typ der die Tür bewachte, als führte der Weg aus dieser geradewegs zu Dagobert Ducks Geldspeicher.

Doch Sophia ließ sich davon keineswegs beeindrucken. Lächelnd zückte sie ihre Zimmerkarte und hielt sie dem Kraftpaket vor die Nase.

„Entschuldigung, wir sind Hotelgäste und möchten gerne auf unsere Zimmer", erklärte sie mit zuckersüße aber dennoch fester Stimme.

Der Hüne warf einen schnellen Blick auf die Karte, nickte und schob uns dann durch.

„Diese Hürde wäre schon mal geschafft", seufzte ich.

„Ich würde gerne wissen, wo Liam sich herumreibt", ließ Niall verlauten.

„Vermutlich bei den Polizeibeamten. Er kann sich ja ausweisen und sie werden ihn deshalb nicht wegschicken. Wenn ihr einen Moment wartet, sende ich ihm eine Nachricht. Ich hoffe, dass er schnell antwortet."

In der Tat leistete Liam den amerikanischen Kollegen Gesellschaft, wie sich nach kurzer Zeit herausstellte. Er textete Sophia nämlich sofort zurück, dass wir uns keine Sorgen machen sollten, er sei ok.

„Liam möchte, dass wir im Zimmer auf ihn warten", setzte Sophia noch hinzu.

„Gut, dann sollten wir das auch tun." Niall fasste erneut nach meiner Hand, die sich in seiner warmen ziemlich kalt anfühlte. So, wie mein Innerstes.

Vor unserem Hotel war gerade jemand erschossen worden. Das klang so surreal und gleichzeitig beängstigend.

Ohne Rücksicht auf Verluste bahnte Niall uns den Weg in Richtung der Aufzüge. Menschenmassen kamen uns entgegen, die Schaulustigen wollten alle nach draußen, doch sie hatten keine Chance. Das Hotel war praktisch von der Außenwelt abgeschlossen. Niemand durfte hinaus und hinein gelangte man höchstens noch über die Tiefgarage. Ein Vorteil war jedoch, dass wir den Aufzug jetzt ganz für uns alleine hatten.

Laut seufzte ich auf und Sophia tat es mir gleich. Unsere gute Laune war verflogen und der Alkohol in unseren Venen schien sich komplett verflüchtigt haben. Trist. Das war der richtige Ausdruck für meine momentane Stimmung.

Noch immer hielt Niall meine Hand, so lange bis der Aufzug im fünfundzwanzigsten Stockwerk stoppte.

Kaum hatten wir unser Zimmer erreicht, schaltete ich den Fernseher ein, um nach einem Nachrichtensender zu suchen. Als ich diesen gefunden hatte, saßen wir alle drei auf dem Bett und starrten wie gebannt auf die Mattscheibe. Tatsächlich berichtete der Sender bereits von einem Mord, der in Las Vegas vor dem Hotel Wynn stattgefunden hatte. Da es sich um eine Life Übertragung handelte, konnte man im Hintergrund diverse Polizeibeamte ausmachen.

„Da ist Liam!", rief Niall und deutete hektisch nach vorne.

„Tatsächlich. Er steht da wie ein Ermittler", meinte Sophia trocken.

„Vielleicht tut er das auch gerade."

Als Niall diesen Satz aussprach, lief es mir eiskalt den Rücken hinunter.

Was, wenn die Mafia etwas damit zu tun hatte? Der Gedanke fühlte sich zwar absurd an, doch gleichzeitig auch real. Angst breitete sich in mir aus. Furcht, dass man uns jetzt bereits gefunden haben könnte.

„Schreibst du noch mit Liam?", erkundigte sich Niall bei Sophia.

„Ja, er sagt, dass es noch einen Augenblick dauern wird, bis er kommt."

Wir konnten nichts anderes tun als warten. Seufzend ließ ich mich in Nialls Arme sinken, der einen sanften Kuss auf meine Schläfe hauchte.

„Bleib ruhig, Baby. Liam wird gleich wieder hier sein."

Es dauerte ungefähr zehn Minuten bis unser Freund eintraf. Ich bezeichnete Liam als solchen, denn den Status hatten sich sowohl er, als auch Sophia bereits seit Jahren verdient.

Er wirkte etwas abgehetzt, als er sich zu seiner Freundin auf das Sofa gesellte.

„Was war denn los?"

Wir drei fragten dies synchron.

„Nun ja", Liam kratzte sich am Hinterkopf, „der Typ ist mausetot. Abgemurkst durch zwei Schüsse."

„Weiß man denn schon Näheres?", erkundigte sich Sophia vorsichtig.

„Nicht wirklich. Die Polizei vor Ort erteilte keine Auskünfte aber ich habe die Visitenkarte des obersten Polizeichefs von Las Vegas in meiner Brieftasche stecken. Wir werden uns nachher treffen, sobald ich ausgeschlafen habe."

„Das klingt interessant", meinte Niall.

„Ich hoffe, dass ich aufgrund meines Berufes etwas erfahren werde. Aber jetzt macht euch mal keinen Kopf. Wir sollten schlafen gehen, denn hier sind wir auf jeden Fall sicher. Das Hotel wird zurzeit besser bewacht als Fort Knox."

Nachdem sich die beiden verabschiedet hatten, schaute ich noch eine Weile aus dem großen Fenster, um den wundervollen Ausblick in mir aufzusaugen. Meine Gedanken standen nicht still. Sie hingen zwischen Verzweiflung und Hoffnung – irgendwo dazwischen. War es einfach nur ein dummer Zufall, dass ausgerechnet vor unserem Hotel dieser Mord geschah? Oder steckte mehr dahinter?

Morgen würden wir hoffentlich mehr wissen.

„Sienna?" Niall trat aus dem Bad und rief meinen Namen.

„Ja, Schatz?"

„Bist du ok?" Er trat ganz nahe an mich heran, umfasste mich liebevoll und hauchte einen Kuss auf meine Lippen.

Sofort vergrub ich meinen Kopf in seiner Schulter. Der vertraute Duft seines Aftershaves stieg in meine Nase, bewirkte, dass ich meine Augen schloss und mich von der Geborgenheit, die er ausstrahlte, umfangen ließ.

„Hab keine Angst, Baby", vernahm ich sein Flüstern, das mich plötzlich an unsere Zeit im Black Room erinnerte.

Wie einfach war damals alles gewesen. Wir brauchten uns um nichts Sorgen zu machen. Es gab nur ihn und mich und die vollkommene Schwärze, in die wir abtauchten.

Im Prinzip taten wir nun das Gleiche. Unsere Zukunft lag nach wie vor im Dunkeln. Doch die Sorgen wuchsen stetig zu einem riesigen Berg heran. Wo würden wir morgen sein? Wie ging es weiter?

Als seine Hände sanft an meinen Seiten entlangstreichelten, murmelte ich seinen Namen.

„Niall?"

„Ja, Baby?"

„Denkst du wirklich, dass wir es schaffen?"

Vorsicht umfasste er mein Kinn, sodass ich gezwungen war, ihm in die Augen zu schauen.

„Ja, ich glaube daran und du solltest es auch tun."

Der Klang seiner Stimme wirkte fest und entschlossen. Das gab mir ein wenig Mut und Zuversicht. Zärtlich küsste ich sein Grübchen am Kinn und wisperte: „Bring mich ins Bett, ich bin müde."

„Stets zu Ihren Diensten", flüsterte er, bevor er mich hochhob.

Eng aneinander gekuschelt verbrachten wir die Nacht in dem bequemen, wundervollen Bett. Eigentlich wollte ich am nächsten Morgen gar nicht aufstehen, doch der eingehende Skypeanruf auf Nialls Handy verhinderte dies erfolgreich. Zum Glück war er bereits wach und nahm das Gespräch sofort entgegen. Dabei handelte es sich um eine Videoübertragung. Als ich Alistairs Stimme erkannte, setzte ich mich sofort auf.

„Guten Morgen, seid ihr schon wach?", begrüßte er uns.

„Gerade so", entgegnete Niall grinsend.

„Fein, hier ist nämlich jemand, der ganz dringend mit euch sprechen möchte."

Mein Herz begann vor Freude zu hüpfen, als ich Kierans strahlendes Gesicht erblickte.

„Mami! Papi!" jauchzte er.

„Hallo Kieran", sagte Niall und lachte.

„Hallo mein Süßer, wie geht es dir?", fragte ich.

„Dut. Hab heute Puddin dedessen."

„Schokoladenpudding?"

„Ja, Mami." Er nickte begeistert.

„Hast du Onkel Harry schon gesehen?", wollte Niall wissen, was Kierans Strahlen verstärkte

„Ja! Wir waren im Zoo und dann hat er mir Pullover dekauft."

„Ui, was denn für einen Pullover?"

Unser Sohn schien kurz überlegen zu müssen, bevor er eine Antwort gab.

„Einen Superman und einen Iiiif San Lolo."

„Iiiif San Lolo?" Niall und ich waren ein klein wenig ratlos, doch Alistair brachte Licht in das Dunkel, indem er sich kurz einmischte.

„Er meint Yves Saint Laurent."

Wir konnten unser Lachen nicht verbergen, es war zu süß, wie Kieran den Namen des Designers aussprach. Doch sein nächster Satz bewirkte, dass ich ein bisschen traurig wurde.

„Mami, wann sehe ich Papi und dich wieder? Ich hab euch sooooooooo lieb!"

Er breitete seine kurzen Ärmchen aus, um zu verdeutlichen, wie groß seine Liebe uns gegenüber war. Ich schluckte kurz und nahm aus den Augenwinkeln wahr, dass es Niall ähnlich erging wie mir. Es fiel uns nicht leicht, auf unseren Sohn zu verzichten. Doch gerade nach dem gestrigen Vorfall vor dem Hotel war ich unglaublich froh, dass Kieran sich weit weg befand. London, und vor allem Alistair und Harry boten ihm die nötige Sicherheit.

„Das dauert leider noch ein bisschen", antwortete Niall, „aber deine Mum und ich wollen ja das Spiel gewinnen."

„Nein! Alistair und ich dewinnen!", widersprach Kieran sofort.

„Glaubst du? Dann strengt euch mal an."

Niall lachte und ich stimmte mit ein. Unser Sohn sollte nicht traurig werden, er sollte glücklich sein. Natürlich vermisste er uns, das war logisch und nachvollziehbar. Wenn es anders gewesen wäre, hätten wir uns eher Sorgen gemacht. Doch Harry, Rosie und Alistair kümmerten sich wirklich rührend um ihn, das wussten wir auf jeden Fall.

Kieran durfte eine Viertelstunde mit uns sprechen, welcher er selbstverständlich nutzte, um seine neuen Pullover zu zeigen.

„Die sind aber toll!", sagte ich.

„Die sind ja auch von Onkel Harry", kam es prompt.

Alles, was Harry jemals für Kieran gekauft hatte, fand unser Sohn toll. Ob es sich nun um ein Matchbox Auto handelte oder ein Kleidungsstück oder einfach nur ein Eis. Onkel Harry war der Beste, wenn es um diese Dinge ging. Wir sollten jedoch erfahren, dass unser Sohn noch eine neue Freundin gefunden hatte.

„Maddie und ich malen jetzt", erzählte er.

Bei dem Namen 'Maddie' machte es augenblicklich klick in meinem Kopf. Hierbei konnte es sich nur um Alistairs Tochter Maggie handeln. Zur Sicherheit fragte ich jedoch nach.

„Ist Maggie Alistairs und Rosies Tochter?"

Kieran antwortete mit einem euphorischen Nicken. „Sie ist soooo lieb! Und sie macht immer Puddin für mich."

Er sah absolut glücklich aus, als er diesen Satz von sich gab, doch ich zweifelte daran, dass es so bleiben würde. In einigen Tagen würde er uns vermutlich richtig vermissen. Hoffentlich wurde es nicht so schlimm, dass er dann weinte.

„Du musst dich jetzt leider von deinen Eltern verabschieden", forderte Alistair unseren Sohn liebevoll auf.

„Okeeey. Mami und Papi ich hab euch lieb. Danz doll!"

Es tat so weh, dass ich mich abwenden musste, damit er meine Tränen nicht sah. Kieran sollte nicht spüren, dass ich Angst hatte, ihn vielleicht nie wieder sehen zu können.

„Ich hab dich auch lieb, Kieran", hörte ich Niall sagen.

„Und Mami?"

Mit aller Gewalt schluckte ich meine Tränen hinunter, bevor ich auf das Display des Handys schaute.

„Ich hab dich auch lieb, Kieran."

Nun war er zufrieden, ich konnte es an seinem Strahlen erkennen.

Im Hintergrund hörte ich, wie jemand mit Kieran sprach, der dann aus dem Blickfeld der Kamera verschwand. Stattdessen tauchte Alistair wieder auf.

Er räusperte ich kurz, bevor er zu sprechen begann.

„Liam hat mich vorhin angerufen. Ich weiß somit, was vor eurem Hotel passiert ist. Im Moment besteht kein Grund zur Sorge. Wie vereinbart, wird Liam nachher beim Polizeichef vorsprechen und alle Informationen erhalten, die es zu diesem Fall bereits gibt."

„Wir können also nichts tun außer warten", seufzte ich und spürte gleichzeitig, wie Niall über meine Hand streichelte.

„Nein, das können wir nicht. Und ich möchte euch bitten, so lange nicht aus dem Hotel zu gehen, bis die Sache endgültig geklärt ist."

Alistairs deutliche Worte machten mir bewusst, dass er äußerste Vorsicht walten ließ, so wie er es immer tat. Nichts wurde dem Zufall überlassen.

„Na super", stöhnte Niall, nachdem wir das Gespräch beendet hatten. „Jetzt hocken wir hier auf dem Zimmer und draußen ist strahlendblauer Himmel."

„Du willst dich doch seinen Anordnungen nicht wiedersetzen?"

„Nein, natürlich nicht."

Da das Wynn mit unzähligen Restaurants aufwarten konnte, beschlossen Niall und ich frühstücken zu gehen. Zuvor erkundigten wir uns, ob Liam und Sophia mitkommen wollte, was beide bejahten.

Zu viert schlenderten wir durch die pompösen Gänge, bis wir das Gourmet Paradies erreichten. Dort erwartete uns ein gigantisches Buffet. Die Auswahl der unterschiedlichsten Speisen erschlug einen fast und ich hatte Mühe ein paar einfache Pancakes zu finden, die ich mit Früchten dekorierte. Niall hingegen hielt sich an die Rühreier mit Speck, was Liam ebenfalls bevorzugte. Sophia war eher der Müsli Typ und holte sich noch einen Teller mit frischem Obst dazu.

Das Frühstück erfüllte zumindest einen Zweck: Es lenkte mich zeitweise von den trüben Gedanken ab.

„Oh Gott, das ist so lecker." Genießerisch verdrehte ich die Augen, als ich die Pancakes kostete.

Auch die Himbeeren und Erdbeeren, welche ich dazu aß, sprachen meine Geschmacksnerven mehr als nur positiv an. Doch dieser Trip war keine Urlaubreise, obgleich ich mir das immer wieder einzureden versuchte. Es nützte nichts.

„Wie wollen wir uns nachher die Zeit vertreiben?", stellte Sophia die Frage in den Raum.

„Also ich habe einen Termin beim Polizeichef, wie ihr ja alles wisst", wisperte Liam leise, sodass es kein anderer mitbekam.

„Das haben wir nicht vergessen", kam es von Niall, der dann von unserer Skype Session mit Kieran und Alistair berichtete.

„Es ist typisch Harry, dass er eurem Sohn einen Yves Saint Laurent Pullover gekauft hat", meinte Liam grinsend.

„Ach lass ihn doch, er liebt Kieran eben", erwiderte ich lächelnd.

„Hauptsache dem Kleinen geht es gut", seufzte Sophia.

„Von welchem Kleinen redest du? Kieran oder Alistair?" Liam versuchte die Stimmung am Tisch aufzuheitern, was für einen Moment auch gelang. Alle lachten spontan über seine Aussage. Dann blickte Liam jedoch auf seine Armbanduhr.

„Sorry, Leute, ich muss los, sonst komme ich zu spät."

Er drückte Sophia noch einen herzhaften Kuss auf die Wange, bevor er verschwand.

Nachdem wir das Restaurant verlassen hatten, suchten wir unser Zimmer auf und beratschlagten, wie wir die nächsten Stunden verbringen würden. Sophias Vorschlag, das Schwimmbad mit dem Wellness Bereich aufzusuchen fand großen Anklang. Dort konnte man sich auf jeden Fall die Zeit vertreiben. Zur Sicherheit schickte sie eine Nachricht an Liam, damit er wusste, wo er später nach uns zu suchen hatte.

Nachdem dies erledigt war, verschwand Sophia während Niall und ich uns in aller Ruhe umzogen. Gott sei Dank hatte ich einen Bikini einpackt und Niall seine Badeshorts. Wenn man in einem Ort wie Oceanside lebte, tat man so etwas automatisch. Und hier in Las Vegas konnten wir die Badekleidung wirklich nutzen.

Wie zu erwarten gehörte auch der Pool Bereich zur oberen Klasse. Es gab mehrere Becken, die sich allesamt in einem liebevoll angelegten Garten befanden. Die komfortablen Liegen luden direkt zu einem Sonnenbad ein. Auch gab es genügend Sonnenschirme und vor allem liefen mehrere Bedienstete umher, die einem sogar die Getränke brachten. Es fühlte sich fast an wie Urlaub, vor allem, als Niall meinen Rücken fürsorglich mit Sonnencreme einschmierte. Das hatte er früher auch immer getan, wenn wir zum Strand gefahren waren, um dort mit Kieran einen schönen Tag zu verbringen. Das gehörte nun der Vergangenheit an. Unser Kind befand sich derzeit in London und wir waren hier, auf einer Reise, deren Ende im Dunkeln lag.

Seufzend drehte ich mich zur Seite und beobachtete ein älteres Paar, das sich in den Pool wagte. Manchmal fragte ich mich, ob Niall und ich auch zusammen alt werden durften, oder ob die Mafia alles zerstören würde. Unsere Leben, unsere Liebe und unsere Hoffnung.

Die Hitze machte müde und ehe ich mich versah, schlief ich unter dem Sonnenschirm ein.

Die Berührung einer Hand weckte mich abrupt, obwohl diese sehr zärtlich erfolgte. Nialls Finger fuhren an meinem Bein entlang.

„Baby, Liam ist da. Er hat gerade angerufen, wir sollen ins Zimmer kommen."

Das klang gar nicht gut. Ich hatte das dumpfe Gefühl, dass etwas im Busch war, wie man so schön sagte. Ansonsten wäre er nämlich am Pool aufgetaucht, um uns mit seiner Anwesenheit zu beehren.

Schnell packten wir alles zusammen und ich warf mir das Strandkleid über. Auch Sophia schien es ziemlich eilig zu haben von hier zu verschwinden. Zu dritt marschierten wir in Richtung der Aufzüge und warteten wie auf heißen Kohlen sitzend, bis endlich der erste eintraf. Für meinen Geschmack dauerte es viel zu lange, bis wir endlich das fünfundzwanzigste Stockwerk erreicht hatten. Sofort stürzten wir aus dem Lift, um zu Sophias und Liams Zimmer zu laufen.

Liam stand am Fenster und wandte uns den Rücken zu, als wir den Raum betraten.

„Was ist los? Was hast du herausgefunden?", wollte Sophia wissen.

Sie hatte ihn noch nicht einmal richtig begrüßt, aber ihre Reaktion war nachvollziehbar.

Mit verschränkten Armen vor seiner Brust drehte er sich zu uns. Sein Blick wirkte ernst und da fühlte ich es wieder: Diese Angst, die ständig von mir Besitz ergriff. Ohne nachzudenken tastete ich nach Nialls Hand und er verstand sofort. Unsere Finger verschränkten sich miteinander und unsere Körper berührten sich, als Liam endlich zu sprechen begann.

„Die Sache ist folgendermaßen. Der Mann, der vor dem Wynn erschossen wurde, gehört der Russen-Mafia an. Diese liegt seit Jahren im Clinch mit der Kolumbianischen. Die Fronten verhärten sich gerade, seit der Prinz im Gefängnis ist. Die Russen wollen sozusagen den Markt erobern und das lassen die Kolumbianer sich nicht gefallen."

„Dann hat es also nichts mit uns zu tun?", fragte Niall, dem die Erleichterung förmlich anzumerken war.

„Nein, aber es bedeutet trotzdem, dass wir hier nicht sicher sind. Der Russe wurde von der kolumbianischen Mafia getötet. Sie sind hier, in der Stadt. Wir müssen schleunigst verschwinden, heute noch."

Schon wieder lief es mir eiskalt den Rücken hinunter. Meine Nerven waren zum Zerreißen gespannt und die Reise hatte noch nicht einmal richtig begonnen. Las Vegas war nach Palm Springs die zweite Station und bereits jetzt tauchten unvorhergesehene Probleme auf.

„Ich habe Alistair bereits angerufen. Er möchte, dass wir auschecken und weiterfahren."

„Wohin denn?", stellte ich die Frage.

„Bis nach Grand Junction. Das liegt im Bundesstaat Colorado."

Nialls Satz rundete alles ab. „Na Gott sei Dank haben wir bereits wärmere Kleidung gekauft."

„Wir haben jetzt sieben Stunden Fahrt vor uns", erklärte Liam. „Es wird anstrengend aber wir kriegen das hin. Allerdings  sollten wir vorher etwas zu Essen und zu trinken mitnehmen und vor allen Dingen volltanken. Die Kiste wird es sowieso nicht bis dorthin schaffen, selbst mit einem vollen Tank nicht. Also werden wir mehrmals Rast machen."

Ich fühlte mich wütend und hilflos zugleich. Unser Leben änderte sich täglich und wir waren machtlos dagegen. Dinge einfach so hinzunehmen war etwas, was ich noch nie gut gekonnt hatte. Doch in diesem Fall hatte ich wohl keine andere Wahl.

Wieder hieß es packen, um an einen anderen Ort zu reisen. Niall und ich schwiegen die ganze Zeit und verfrachteten unser Gepäck in den Flur, nachdem wir fertig waren. Anschließend klopften wir an Liams und Sophias Tür.

Da die beiden ebenfalls abmarschbereit waren, ging es direkt zum Auschecken an die Rezeption. Wehmütig sagte ich Las Vegas Lebwohl. So ein Hotel wie das Wynn würden wir wohl nie wieder besuchen.

Bevor wir auf die Interstate auffuhren, tankte Liam den Hummer voll. Während Sophia bezahlte, säuberte er noch die Windschutzscheibe und kontrollierte den Reifendruck. Und dann ging es los. Eine neue Stadt, ein neuer Bundesstaat, ein anderes Hotel. Ich konnte nur hoffen, dass uns die Mafia nicht auf die Spur kam.

Nach drei Stunden Fahrt legten wir die erste Pause an einer Raststätte ein. Es war gerade die richtige Zeit zum Essen und dies nutzen wir natürlich.

Sophia schaute nach dem Wetter, das uns in Grand Junction erwartete.

„Achtzehn Grad und trocken. Das ist immerhin etwas", sagte sie halbwegs erleichtert.

„Ja, es hätte schlimmer kommen können", gab Niall ihr Recht.

Ich hingegen zuckte nur mit den Schultern. Meine Gedanken waren bei Kieran. Ich vermisste ihn unendlich, das war mir heute Morgen während der Skype Session wieder einmal richtig bewusst geworden.

Nach dem Zwischenstopp, den wir ebenfalls zum Auftanken nutzten, denn der Hummer zeichnete sich wirklich durch einen gewaltigen Spritverbrauch aus, ging es weiter Richtung Colorado. Es kam wie es kommen musste, irgendwann gerieten wir in einen Stau, die da Rush Hour eingesetzt hatte.

„So ein Mist", fluchte Niall, der hinterm Steuer saß.

Er und Liam hatten nach der Rast die Plätze getauscht.

„Fahr die nächste Ausfahrt runter, wir nehmen lieber eine Nebenstraße, die sind nicht so arg überfüllt", meinte Liam, worauf mein Mann nickte.

Glücklicherweise rollten wir gerade der nächsten Abzweigung entgegen, zwar im Schneckentempo, doch das war egal.

Erleichtert atmete ich auf, als Niall den Hummer auf die Ausfahrt steuerte, um dann nach rechts abzubiegen. Ich hasste es, im Stau zu stehen und nahm lieber einen Umweg in Kauf, Hauptsache der Wagen bewegte sich vorwärts.

Die Straße zu unserem Ziel war kurvig und ging stetig nach oben. Geröll lag am Straßenrand, welches von den Scheinwerfern erfasst wurde. Die Dämmerung hatte bereits eingesetzt, da es Anfang Oktober schon recht früh dunkel wurde. Langsam begann ich zu frösteln und zog meine Strickjacke über, die zwischen Sophia und mir auf der Rückbank lag. Und dann hörte ich plötzlich einen lauten Schlag. Es klang, als ob der Wagen gleich auseinanderfallen würde. Instinktiv trat Niall auf die Bremse, doch aufgrund des herumliegenden Gerölls geriet das Auto sofort ins Rutschen.

Das nächste was ich sah, war ein dicker Baum, der urplötzlich in unserem Blickfeld auftauchte. Binnen Sekunden beschleunigte mein Puls ins Unermessliche und mein Mund formte einen lautlosen Schrei. Jetzt half nur noch beten.

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Ein Cliffhanger der ganz anderen Art. :)

Ich hoffe, ihr seid gespannt, wie es weitergeht.

LG, Ambi xxx

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