01. Plan B


♪ Back in Business – AC/DC

Louis

Meine Kinnlade fiel nach unten, gleichzeitig spürte ich das Adrenalin, das unaufhaltsam durch meine Venen pulsierte.

„Harry, wie hast du das herausgefunden?"

Während ich zuhörte, wie er die Einzelheiten erzählte, arbeitete der andere Teil meines Gehirns bereits auf Hochtouren. Angeblich sagte man, dass nur Frauen multitaskingfähig seien, doch ich bildete dahingehend eine Ausnahme. Ich speicherte Harrys Informationen, die wie ein Wasserfall auf mich niederprasselten, in meinem Kopf ab und tippte permanent auf dem Laptop herum.

„Könntest du bitte mal kurz damit aufhören?", beschwerte sich unser Team-Jüngster.

„Nein, ich muss schreiben", sagte ich kurz angebunden.

„Schreiben? An was? Niall ist in Gefahr, verdammt! Und du hämmerst auf deinem Laptop herum, als gäbe es nichts Wichtigeres."

„Schnauze, Styles. Ich setze gerade Plan B in Kraft", klärte ich ihn auf.

„Plan B?" Misstrauisch beäugte er mich.

„Ja, das tut man, wenn Plan A gescheitert ist."

„Ich bin nicht doof, Tomlinson."

„Warum fragst du dann?"

Als ich seinen nervösen Gesichtsausdruck bemerkte, sagte ich lässig: „Komm, schau mir über die Schulter, dann weißt du auch gleich, um was es geht."

Das lies Harry sich nicht zweimal sagen. Er krallte sich einen Stuhl und rollte damit neben mich. Zu zweit saßen wir vor dem Laptop und er begann, wie erwartet, Fragen zu stellen.

„Für wen ist diese E-Mail?"

„Das steht doch da. Anuun."

„Klingt wie ein ägyptischer Gott", kam es von Harry.

Augenblicklich entfuhr mir ein lautes Lachen, bevor ich ihn aufklärte, dass es sich bei Anuun keineswegs um eine ägyptische Gottheit handelte.

„Der Name Anuun kommt aus der Inuit Sprache und bedeutet übersetzt der Mann mit dem Hammer."

„Du verarschst mich doch, oder?"

„Nein, du kannst es gerne in Google eingeben, wenn du mir nicht glaubst", erwiderte ich ruhig und tippte die E-Mail zu Ende.

Tatsächlich suchte Harry nach dem Namen, um sich dann vor Lachen auszuschütten, als er bemerkte, dass ich ihn nicht angelogen hatte.

„Hat er auch wirklich einen Hammer in der Hose?", witzelte er.

„Keine Ahnung, aber ich kann ja mal nachsehen, wenn ich ihn persönlich treffe."

„Ist der Kerl ein Eskimo?"

„Innuit, sie mögen es nicht, wenn man sie als Eskimo bezeichnet", erklärte ich und lehnte mich anschließend in meinem bequemen Stuhl zurück.

„Woher weißt du so viel darüber?"

„Weil ich lange genug bei Alistair bin. Er wollte, dass ich mich damit beschäftige, falls Plan B für irgendeinen unserer Klienten mal nötig sein sollte."

Da Harry die E-Mail komplett mitgelesen hatte, war er bereits im Bilde, als Alistair völlig außer Atem das Büro betraf. Die wenigen, mittlerweile leicht ergrauten Haare auf seinem Kopf, standen nach allen Richtungen ab. Schnaufend ließ er sich auf den nächsten Stuhl fallen und fuhr sich mit der Hand über die Stirn, bevor er sich an uns wandte.

„Der Rest müsste ich gleich hier sein. Ich habe eine Krisensitzung einberufen."

„Briana auch? Freddie hatte gestern Abend Fieber."

„Ja, sie kommt auch, ihre Mutter passt wohl auf ihn auf, da es ihm wohl wieder besser geht."

Obwohl sich Brianas und mein Kontakt meist nur auf geschäftliche Dinge beschränkte, so kommunizierten wir jedoch ständig, wenn es um unseren gemeinsamen Sohn ging, der mittlerweile fünf Jahre alt war.

Alistairs wache braune Augen hefteten sich auf Harry.

„Gute Arbeit, Junge", sagte er. „Du hast super schnell geschaltet."

„Ja, als es hieß, dass Ben Jeffersons Nachfolger ermordet wurde, da kam mir irgendwie ein komischer Gedanke. Mein Bauchgefühl hat mal wieder zugeschlagen."

„Du und dein Bauchgefühl", grinste ich. „Aber behalte es ruhig, es leistet uns gute Dienste, wie man sieht."

Normalerweise hätte man erwarten sollen, dass Alistair hektisch durch das Büro sprang, doch wie immer ließ er sich nicht aus der Ruhe bringen.

„Wie weit bist du, Louis?"

Er wusste genau, mit was ich mich beschäftigt hatte.

„Ich habe Anuun angeschrieben und warte eigentlich nur noch auf eine Antwort. Aber das es in Alaska gerade zehn Uhr abends ist, denke ich, dass er sich melden wird, sobald aus der heimatlichen Kneipe nach Hause gekehrt ist."

„Dann wollen wir hoffen, dass er sich nicht komplett hat volllaufen lassen", erwiderte Alistair trocken. „Das Gespräch könnte sonst etwas schwierig werden."

Anuun, der Alistair persönlich kannte, zählte zu unserem weltweit ausgebauten Sicherheitsnetzwerk. Dieses arbeitete ähnlich wie das der Mafia, nur in entgegengesetzter Richtung. Wir standen für das Gute und die Sicherheit unserer Klienten, während die Mafia daran interessiert war, auf diesem Wege ihre Drogen zu verticken und Geldwäschegeschäfte zu betreiben. Abgesehen davon verfolgten und töten sie unschuldige Menschen. Unser Klient Niall Horan stand erneut ganz oben auf ihrer Abschussliste, seit der Drogenring in Europa gesprengt worden war.

Und sie hatten es geschafft, seine Identität, die vier Jahre lang im Verborgenen blieb, aufzudecken. Sie kannten den Namen James Edwards, unter welchem er nun nicht mehr sicher war. Über kurz oder lang würden sie ihn und seine kleine Familie, bestehend aus seiner Frau und seinem Sohn, finden.

Während wir auf Anuuns Antwort warteten, füllte sich das Büro. Zuerst trafen Liam und Sophia, dann Eleanor und zum Schluss Briana ein. Sie wirke ein wenig übermüdet, was mir doch zu schaffen machte. Egal welche Differenzen wir manchmal hatten, sie war eine verdammt gute Mutter, daran gab es nichts zu rütteln.

Nachdem alle vollzählig waren, begann Alistair zu sprechen.

„Da ihr alle wisst, um was es geht, möchte ich kurz erläutern, was ich in der Zwischenzeit herausgefunden habe."

Er arbeitete sogar während der Fahrt zum Büro, zumindest wenn es um solche Fälle wie Identitätsaufdeckung ging.

„Also, es verhält sich folgendermaßen. Die Ermittlungsarbeit der Kollegen hat ergeben, dass dieser Typ, der erschossen wurde, Spielschulden hatte. Und jetzt ratet, mit wem er seine Pokerrunden verbracht hat?"

„Vermutlich mit der Mafia", kam es gechillt über meine Lippen.

„Ein Punkt für dich, Louis. Ich denke, das Ganze war eingefädelt. Sie müssen herausgefunden haben, dass er für unser Aktenarchiv zuständig war. Dann haben sie einen Plan entwickelt, wie man ihn am besten erpressen könnte. Die Rechnung ging auf. Er hat wohl schon seit längerem gespielt, hatte hin und wieder Spielschulden bei anderen, doch niemals in dieser Höhe. Und er konnte es immer wieder begleichen. Doch dieses Mal war es zu viel. Das war von der Mafia organisiert."

„Na super", stöhnte Liam. „Jetzt können wir nachforschen, wo das Leck in unserem Präsidium ist."

„Es muss nicht unbedingt ein Leck sein", erwiderte Eleanor. „Die können irgendwelche Datenbanken angezapft haben. Man kann das nie hundertprozentig verhindern."

„Eben", stimmte Sophia ihr zu.

Bevor ich in die Diskussion meiner Kollegen miteinsteigen konnte, meldete sich mein Laptop in Form eines eingehenden Anrufs via Skype zu Wort. Als ich den Namen Anuun erblickte, nahm ich die Videoübertragung an. Sofort wurde es mucksmäuschenstill im Büro.

„Louis, wie geht es dir?", erkundigte er sich freundlich.

Sein Akzent ließ mich breit schmunzeln.

„Danke, soweit gut, und dir? Wie war die Kneipentour?"

Da ich öfter via Skype in Kontakt mit Anuun stand, kannte ich seine Gepflogenheiten ein wenig. Unter anderem wusste ich, dass er sich jeden Dienstag mit seinen beiden Freunden immer im gleichen Wirtshaus traf, um einen zu heben.

„Ach, es war ganz lustig und der Heimweg zu Fuß ganz angenehm, da es noch relativ mild ist um diese Jahreszeit.

Das klang durchaus ansprechend.

„Wie warm ist es denn im Moment bei euch?", wollte ich wissen.

„Minus zwei Grad."

Augenblicklich froren meine Gesichtszüge ein. „Was?! Wir haben Ende September! Das ist doch nicht mild."

„Für Nord-Alaska schon."

Anuun lachte herzlich, als er meinen entsetzten Blick bemerkte.

„Ich würde vorschlagen, du kaufst dir einen anständigen Parka und vor allem gutes Schuhwerk, bevor du dich auf den Weg machst."

„Womit wir schon beim Thema wären", führte ich die Unterhaltung fort. „Wann kann ich in Alaska aufkreuzen?"

„Von mir aus sofort."

„Gut, dann sollten wir keine Zeit verlieren. Ich werde mir für morgen die Flugtickets reservieren."

Gott sei Dank führten die Geschäfte bereits Winterkleidung, denn die würde ich heute Abend noch besorgen müssen, bevor ich meine Reise antrat.

„Fein. Schick mir eine Mail, wann du ankommst. Ich hole dich am Flughafen ab."

„Danke, Annun, wird gemacht. Ich freue mich schon darauf, dich persönlich kennenzulernen."

„Ich mich auch, Louis."

Seufzend lehnte ich mich in meinem Bürostuhl zurück, nachdem ich die Unterhaltung per Video beendet hatte. Plan B kam ins Rollen.

Nun war es an Alistair zu reden.

„Du wirst nicht alleine gehen, Louis."

„Ich komme mit!", sagte Harry sofort, doch Alistair bremste einen Eifer sofort aus.

„Das geht nicht. Ich brauche dich hier in London", erklärte er ruhig.

„Aber ich möchte mit Louis gehen! Nur, weil ich der Team-Jüngste bin, heißt das doch nicht, dass ich immer zurückstecken muss, wenn es um die Auslandseinsätze geht!", beschwerte er sich lautstark.

Irgendwo konnte ich ihn verstehen, aber ich wusste, dass Alistair vermutlich andere Pläne für unseren Lockenkopf hatte.

„Nein, Harry, es geht in diesem Fall nicht darum, dass du der Team-Jüngste bist", erklärte unser Boss nun in einem sehr bestimmten Tonfall, der keinen Widerspruch duldete. „Es geht darum, dass du hier wirklich gebraucht wirst. Du wirst es verstehen, wenn wir nachher darüber reden. Außerdem ist dein Yves Saint Laurent Mantel nicht die geeignete Kleidung für die Eiswüste."

Einstweilen schien Harry zu schmollen, denn er sprach keinen Ton mehr, wohl auch, weil Alistair ihn wegen seines heißgeliebten Mantels aufgezogen hatte.

„Louis, wen möchtest du mitnehmen? Briana oder Eleanor?"

Unser Boss überließ mir die Entscheidung, die ich im Geiste bereits gefällt hatte.

„Briana."

Als ich ihren Gesichtsausdruck sah, wusste ich, dass sie mir am liebsten die Gurgel umgedreht hätte. Aber ich konnte nicht auf Freddie verzichten. Er sollte mitkommen, doch das ging nur, wenn Briana auch dabei war. Also nahm ich ihre Anwesenheit in Kauf. Arbeitstechnisch gesehen würde es zu keinem Stress zwischen uns beiden kommen, denn sie war eine hervorragende Mitarbeiterin. Und meine freie Zeit verbrachte ich sowieso mit Freddie oder mit Anuun, wenn es um Männergespräche ging.

„Hm", kam es von Alistair, der meinen Gedankengängen mühelos folgen konnte. „Du kannst deinen Jungen mitnehmen. Er wird sich nur an die Kälte gewöhnen müssen."

„Ich glaube, Kinder kommen damit besser zurecht als Erwachsene", erwiderte ich und fing mir dafür erneut einen bösen Blick von Briana ein.

„Ich werde warme Sachen kaufen, für Freddie und für mich", erklärte sie dann.

„Fein, dass ihr euch so schnell geeinigt habt", meinte Alistair zufrieden. „Und es ist sicher noch unauffälliger, wenn ein Paar mit einem Kind auftaucht."

Ein Paar, das waren wir nie gewesen, doch unsere Schauspielerischen Fähigkeiten würden dies mühelos verstecken. Zumindest in der Öffentlichkeit.

Alistair erklärte nun die weitere Planung.

„Liam und Sophia, ihr besorgt euch bitte für morgen Flugtickets nach Palm Springs. Nehmt Badekleidung mit, die werdet ihr brauchen. Wir treffen uns dort in einem Hotel, das einem guten Freund von mir gehört. Die Adresse und den Namen habe ich euch bereits über WhatsApp zukommen lassen. Harry und Eleanor bleiben hier im Büro und versuchen herauszufinden, wie die Mafia an die Daten des Ermordeten gekommen ist. Außerdem benötige ich drei Ausweise für unsere Klienten."

„Auch für Kieran?", wollte Eleanor wissen.

„Ja, er hat noch keinen. Aber da er in unseren Akten nicht auftaucht, wird er seinen Vornamen behalten. Bei Kindern ist das sowieso problematisch. Die kann man nicht einfach umbenennen, das würde er noch nicht verstehen."

Wie immer ergaben Alistairs Erklärungen einen Sinn.

„Und was machst du?", entfuhr es Harry.

Lächelnd blickte unser Boss zu ihm. „Ich werde nach Oceanside reisen, um Niall, Sienna und Kieran aus der Schusslinie zu bringen. Du kannst mir vertrauen, Harry und nein, du darfst nicht mitkommen, ok?"

Als ich das enttäuschte Aufblitzen von Harrys grünen Augen sah, konnte ich gut nachvollziehen, wie er sich gerade fühlte. Niall war nicht nur ein Klient für ihn, er war sein Freund. Und Kieran, Nialls und Siennas Sohn, sein Patenkind. Normalerweise gestattete es Alistair nicht, dass wir irgendeine persönliche Beziehung zu unseren Klienten aufbauten, doch in diesem Fall verhielt es sich total anders.

Vielleicht hing es damit zusammen, dass Niall noch relativ jung gewesen war, als er in unser Zeugenschutzprogramm aufgenommen wurde. Alistair, mit seiner väterlichen Art, nahm ihn unter seine Fittiche, mehr, als er es sonst jemals getan hatte.

Harry führte öfter Unterhaltungen via Skype mit den dreien und tauchte zweimal im Jahr in Oceanside auf. Zu Kierans Geburtstag und zu Ostern. Diese Abstände entsprachen einem gesunden Maß, etwas, womit auch Alistair leben konnte. Doch nun würde dies alles vorbei sein. Die kleine Familie war die längste Zeit im sonnigen Kalifornien gewesen.

Nachdem jeder von uns mit seiner Aufgabe betraut worden war, zerstreute sich das Team wieder. Liam und Sophia wünschten mir viel Glück und Spaß in der Eiswüste, während ich ihnen im Gegenzug die Pest an den Hals wünschte. Das war jedoch nicht ernst gemeint und da wir uns lange genug kannten, lachten die beiden darüber.

Wir blieben sowieso in engem Kontakt, egal ob wir uns an unterschiedlichen Orten aufhielten oder nicht.

Auch Briana entfernte sich wieder aus dem Büro, da Alistair ihr aufgetragen hatte, sich für den Rest des Tages frei zu nehmen, um alles für Freddie und sich besorgen zu können. Ich hingegen musste bis zum Abend ausharren. Immerhin leisteten mir Eleanor und Harry Gesellschaft, wobei Letzterer später von Alistair in Beschlag genommen wurde. Eleanor und ich waren somit alleine; eine ausgesprochen kuriose Situation. Es lag Ewigkeiten zurück, dass wir beide zusammen etwas ausgearbeitet hatten, einfach weil es sich nicht ergeben hatte. Und auch heute befassten wir uns mit unterschiedlichen Dingen, obwohl wir in einem Büro verweilten. Während ich die Flüge für Briana, Freddie und mich buchte, kümmerte sich Eleanor um die neuen Ausweise für unsere Klienten, ganz so, wie Alistair es wünschte.

„Louis, kann ich kurz mit dir sprechen?", unterbrach sie die Stille zwischen uns.

„Ja."

Stirnrunzelnd lehnte ich mich in meinem Stuhl zurück und betrachtete ihr hübsches Gesicht. Eleanor war nicht der Typ, der um den heißen Brei herumredete, aber das, was sie mir nun an den Kopf knallte, ließ mich für eine Sekunde sprachlos werden.

„Denkst du, dass es eine gute Idee ist, wenn du Briana mit nach Alaska nimmst?"

Lässig verschränkte ich die Arme vor meiner Brust.

„Wieso fragst du mich das? Du weißt genau, dass ich es ohne Freddie nicht länger als zehn Tage aushalte. Alaska wird keine Angelegenheit von kurzer Dauer."

„Das ist mir schon bewusst und gerade deswegen mache ich mir Sorgen."

„Um wen?"

Sie ging nicht darauf ein, sondern sagte stattdessen: „Ihr werdet euch zerfleischen, das sehe ich kommen."

So Unrecht hatte sie wahrscheinlich nicht mit ihrer Aussage. Trotzdem fragte ich mich, was sie damit bezwecken wollte. Ihr nächster Satz schaffte in dieser Hinsicht jedoch vollkommene Klarheit.

„Was hältst du davon, wenn ich nachkomme?"

„Bitte was?" Entgeistert starrte ich Eleanor an. „Das ist nicht dein Ernst, oder?"

„Warum denn nicht? Denkst du etwa, ich bin aus Zucker und verkrafte das dortige Klima nicht?", kam es pikiert zurück.

Grinsend suchte ich im Internet nach der entsprechenden Seite.

„Barrow ist die nördlichste Stadt der USA und eine der nördlichsten der Welt. Sie liegt sogar noch etwas nördlicher als das europäische Nordkap. In dem Kaff wohnen ungefähr viertausend Einwohner. Es gibt nicht viel, was man dort tun kann, außer vielleicht Schneemänner bauen."

Langsam drehte ich den Laptop, dass Eleanor einen Blick auf den Bildschirm werfen konnte, um sich das Klimadiagramm anzuschauen. Sie zuckte nur kurz mit den Schultern und meinte dann: „Wenn du glaubst, mich damit abschrecken zu können, dass dort im Winter Temperaturen zwischen fünfzehn und dreißig Grad minus herrschen, dann hast du dich getäuscht."

„Nicht zu kalt für dich?", ließ ich mit hochgezogenen Augenbrauen verlauten.

„Es gibt weder zu kalt, noch zu warm, es gib nur falsche Kleidung", erwiderte sie schlagfertig.

„Wo du Recht hast, und es erinnert mich daran, dass ich noch einkaufen muss", seufzte ich.

„Hm, vielleicht sollte ich dich begleiten und mich ebenfalls eindecken", stellte sie ihre Überlegungen an.

„Du bist dir wohl ziemlich sicher, dass Alistair dich gehen lässt, oder?", konnte ich mir nicht verkneifen zu sagen.

Mit einem galanten Schwung warf Eleanor ihre langen, braunen Haare zurück, um dann zu sagen: „Er wird nach London zurückkehren und Harry bleibt ebenfalls hier. Die zwei Mann Mindestbesetzung im Büro ist somit erfüllt. Außerdem trudeln Liam und Sophia auch irgendwann wieder hier ein. Ich sehe keinen Grund, weshalb er es ablehnen sollte, zumal du in Alaska jede Unterstützung brauchen kannst. Briana muss sich ja auch um Freddie kümmern."

„Womit du mal wieder Recht hast", erwiderte ich. „Also los, lass uns shoppen gehen."

In diesem Moment war es mir vollkommen Schnuppe, was Danielle dazu sagen würde, dass ich in absehbarer Zeit mit meiner Ex-Freundin, sowie meinem One Night Stand unter einem Dach leben würde. Schließlich handelte es sich bei dieser Situation um ein Ding rein beruflicher Natur. Und sie hatte gewusst, welchen Job ich ausübte, bevor sie sich mit mir einließ.

Als Eleanor sich erneut ihrer Arbeit zuwandte, griff ich nach der Akte Niall Horan. Es gab nichts, was ich mir hätte ins Gedächtnis rufen müssen, denn dieser Fall hatte uns damals alle aufgewühlt. Eingehend betrachtete ich sein Foto, welches sich zwischen den anderen Dokumenten befand. Nach wie vor wirkte er sehr sympathisch auf mich und wenn man Harrys Worten Glauben schenken durfte, war er ein Pfundskerl. Ich war schon sehr gespannt darauf, ihn endlich persönlich kennenlernen zu dürfen, wenngleich die Umstände unter denen dies geschah, nicht ideal waren. Seufzend schlug ich die Akte wieder zu, um sie anschließend an Eleanor zu übergeben. Die Dokumente würden nun bei uns verweilen, da der Fall erneut zum Leben erweckt wurde.

Kurz vor Feierabend schneite Harry ins Büro. Als ich ihn anschaute fiel mir auf, dass sein Mantel mit Flecken übersäht war.

„Alter, wie siehst du denn aus?", entfuhr es mir. „Hast du dir beim Händewaschen einen runtergeholt?"

„Halt's Maul, Tomlinson", entgegnete er grinsend. „Ich bin heute Morgen mit einer frustrierten Kollegin zusammengestoßen und dabei habe ich die Hälfte meines Latte Macchiatos auf meinen Mantel verschüttet."

„Und die andere Hälfte?"

„Landete auf ihrer Kleidung."

„Na ja, so lange du das nicht mit deinem Sperma machst, ist alles ok."

„Keine Sorge, das kriegen nur auserwählte Frauen", meinte er, wobei sich sein Grinsen verbreiterte.

„Warum hast du plötzlich so gute Laune?", wollte ich wissen. „Vorhin wirktest du noch ziemlich angepisst."

„Nun ja, ich habe von Alistair meinen Spezialauftrag erhalten und der ist ganz nach meinem Geschmack."

Um was es dabei ging, verriet er uns jedoch nicht mehr, sondern rauschte mit schnellen Schritten davon.

Zu weit machten wir uns nach Feierabend auf den Weg in die Westfield Mall, Londons größtes Shopping Center. Dort gab es Auswahl im Überfluss und zudem für jeden Geldbeutel etwas.

„Wusstest du übrigens, dass Barrow ursprünglich Utqiaġvik oder Ukpiaġvik hieß, was so viel wie 'Ort, an dem Eulen gejagt werden' heißt?", erkundigte ich mich, während wir durch die Geschäfte schlenderten.

„Nein, aber jetzt weiß ich es."

Eleanor hielt mir einen blauen Daunenparka hin. „Hier, probiere den mal an, der dürfte dir passen", forderte sie mich auf.

Es war erstaunlich, dass sie nach all den Jahren noch immer meine Maße im Kopf hatte, denn der Parka passte tatsächlich wie angegossen. Es blieb jedoch nicht nur bei diesem Kleidungsstück. Passende Hosen mussten her, welche man vorzugsweise im Schnee tragen konnte, ohne dass sie durchweicht wurden und mir der Hintern abfror. Auch Mütze, Handschuhe und vor allem feste Boots zählten zu den Dingen, mit welchen wir uns beide eindeckten. Eleanor schien sich ihrer Sache wirklich sicher zu sein und je länger ich darüber nachdachte, umso besser gefiel mir der Gedanke, sie an meiner Seite zu haben. Sie würde das perfekte Polster für Briana und mich sein, jemand, der Ausgleich schaffte, wenn es von Nöten sein sollte. Jetzt konnte ich nur noch hoffen, dass Alistair ihrem Vorhaben zustimmte.

Nachdem wir die Einkäufe getätigt hatten, trennten sich unsere Wege, da wir in unterschiedlichen Stadtteilen wohnten.

„Komm gut nach Hause", sagte ich.

„Danke, du auch und ich wünsche dir eine gute Reise nach Alaska."

„Die werde ich haben."

Zuhause angekommen, schaute ich mir nochmals die Flugroute an. Um 12 Uhr 45 starteten wir von London aus nach Minneapolis. Die Flugzeit bis dorthin betrug gut neun Stunden. Anschließend ging es nach Anchorage weiter. Da wir erst um zehn vor neun abends dort ankommen würden, musste ich noch zwei Zimmer im Hotel am Flughafen buchen, denn wir reisten erst am nächsten Morgen weiter. Der Flug von Anchorage bis Prudhoe Bay dauerte zum Glück nur eine Stunde und vierzig Minuten und auch der Anschlussflug bis zu unserem endgültigen Ziel, Barrow, war mit nur fünfzig Minuten gut zu verkraften. Zu meiner Überraschung setzte man für den letzten Teil der Reise sogar eine Boing 737 ein und nicht irgendein Klein-Flugzeug, in welchem ich mich eher unwohl gefühlt hätte. Wir konnten uns glücklich schätzen, dass es in Barrow überhaupt einen Flughafen gab, einem Ort, der sich am Ende der Welt befand.

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So, meine Lieben, jetzt wisst ihr zumindest, wo es Louis hinverschlägt. Nette Aussichten, oder? Was haltet ihr davon, dass Briana und Freddie mitkommen?

Ich hoffe, es hat euch gefallen :)

Danke für die vielen Kommentare zum Prolog und auch dafür, dass ihr Black Ice lest!

LG, Ambi xxx

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