Kapitel 9
Nach dem Mittagessen warteten wir am Fuß der Leiter, beziehungsweise auf der Hälfte der Leiter, wenn man Lotti hieß, auf Martin und Buchensturm. Als beide schließlich endlich da waren, Martin in Menschengestalt und Buchensturm als Hirsch mit einem Beutel am Geweih, in dem vermutlich seine Klamotten waren, liefen wir los.
Lotti führte uns in Richtung Waschhaus und als wir das hinter uns gelassen hatten ging es eine gute Viertelstunde durch Unterholz und Gelände ohne Wege. Sie thronte auf Buchensturms Geweih und führte uns, wie ein flauschiges Navigationsgerät. Ich schwitzte. Es war wirklich warm geworden und beim Blick nach links und rechts stellte ich fest, dass anscheinend nicht nur ich eine Abkühlung brauchte. Schließlich glitt Lotti zu einem Ast und verkündete: Wir sind da.
Vor uns lag eine Lichtung, nicht riesig, aber auch nicht gerade klein, in deren Mitte ein See, mit leicht türkisenem Wasser glitzerte. Sonnenstahlen fielen durch das Blätterdach und ließen helle Streifen im Wasser entstehen. Um den See wuchs Moos und ein wenig Gras. „Wow.", war das Einzige, was mir dazu einfiel. Wir standen einfach nur da, überwältigt von der Schönheit dieses Ortes.
Allerdings nur, bis Lotti von ihrem Ast mit einem leisen „Platsch" ins Wasser segelte. Hey, worauf wartet ihr noch? Wollt ihr ewig da rumstehen und doof glotzen?
Jetzt gab es auch für uns kein Halten mehr. Amelie, Martin und ich streiften uns Socken und Schuhe von den Füßen und wateten mit kurzen Hosen und T-Shirts einfach in den See. Auch Buchensturm schüttelte sich den Beutel vom Geweih und trabte ins Wasser. Es war nicht gerade warm, aber für eine Abkühlung genau das Richtige. Eigentlich war ich als Katze kein großer Freund von Wasser, aber an solchen Tagen schlug der Mensch in mir durch und der kalte See war mir mehr als willkommen.
Lotti hatte ihre Vorder- und Hinterpfoten ausgestreckt und ließ sich so auf der Wasseroberfläche treiben. Ich konnte schon wenige Meter hinter dem Ufer nicht mehr stehen und fing an zu schwimmen, bis sich jemand von hinten näherte und mich unter Wasser drückte. Prustend und spuckend tauchte ich wieder auf und drehte mich um. Hinter mir paddelte Martin lachend davon. „Na warte!", rief ich ihm zu und schwamm ihm hinterher, um ihn ebenfalls zu tunken. Leider scheiterte dies daran, dass er durch seine zweite Gestalt als Bär deutlich größer und schwerer war als ich. Erst mit Amelies Hilfe, sie paddelte inzwischen fröhlich als Hund durchs Wasser, gelang es mir ihn ebenfalls ihn unterzutauchen. Amelie gab mir mit ihrer Pfote ein High Five und machte sich dann daran auf Martins Rücken zu klettern, sobald dieser wiederaufgetaucht war. Er verwandelte sich, warf seine Klamotten als Ufer und begann dann mit Amelie auf dem Rücken eine Runde um den See zu schwimmen. Seine großen Bärenpranken pflügten mit Leichtigkeit durchs Wasser. Lotti pennte im Moos und ließ sich die Sonne auf den Pelz scheinen.
„Warte mal kurz.", sagte ich zu Buchensturm, der neben mir paddelte, und schwamm zum Ufer. Tropfnass wie ich war, stand ich da und konzentrierte mich. Ich spürte wie sich mein Körper verformte, wie mir ein Fell wuchs und meine Hände und Füße zu Pfoten wurden. Irritiert schüttelte ich mir meine Unterhose von den Hinterpfoten und sprang dann mit einem großen Satz ins Wasser zurück. Mit den großen Luchspfoten schwamm es sich deutlich besser als vorher und in null Komma nichts war ich wieder bei Buchensturm. Dieser wirkte zwar im ersten Moment ziemlich verunsichert, entspannte sich aber sichtlich, als ich mit ihm zu reden begann.
Wetten ich kann viel länger tauchen als du?
Das glaubst du doch wohl selber nicht. Seine Augen funkelten herausfordernd.
Na dann. Eins. Zwei. Drei. Wir tauchten unter. Wasser verschloss meine Ohren und Nase. Buchensturms dunkle, schattenhafte Gestalt konnte ich vor mir gut erkennen. Da das Wasser aber die Kopf-zu-Kopf-Verständigung nicht beeinflusste fragte ich ihn so beiläufig wie möglich: Weißt du eigentlich irgendwas über Felix?
Geht so. Ich weiß, dass er auf eine Wandlergrundschule gegangen ist, also ist er ziemlich gut in verwandeln und solchen Sachen. Eine Freundin hat er, soweit ich weiß, nicht. Ich hörte das Schmunzeln in seiner Gedankenstimme. Wow. Das war echt beiläufig gewesen. Super Tilda.
Oh. Okay. Gut, dass ich als Luchs nicht rot werden konnte. Und, dass wir unter Wasser waren.
Ein großer Schatten glitt über unsere Köpfe. Pass mal auf. Flüsterte ich Buchensturm zu und paddelte nach oben. Zielsicher sprang ich aus dem Wasser und schubste Amelie von Martins Rücken. Die Antwort war ein zufriedenstellendes Jaulen und Platschen und der verdatterte Blick eines Bären. Neben mir tauchte ein Geweih auf. Du hast verloren. Du bist zuerst aufgetaucht.
Ist in Ordnung. Das wars mir wert., grinste ich.
Eine Stunde später lagen wir am Ufer und ließen unsere Pelze trocknen. Ich erzählte, wie ich in einer Kleinstadt aufgewachsen war und dass nur mein Vater und meine Oma Wandler gewesen waren, beide ebenso Luchse wie ich. Auch von meinen miesen Noten in der Schule. Es fühlte sich einfach richtig an. Von meinen Lieblingshobbys Bogenschießen und Judo schwärmte ich eh viel zu lange.
Zweimal die Woche Judo, seit du vier warst. Das ist ganz schön viel., merkte Martin an.
Es macht mir einfach Spaß. Und wenn mich jemand in der Schule blöd angemacht hat wusste ich, was ich tun konnte, ohne mir gleich Zähne und Krallen wachsen zu lassen. Das hat mir halt einfach geholfen meine Aggressionen unter Kontrolle zu bekommen. Aber sag mal, was lernen wir hier eigentlich in Kampf und Überleben?
Amelie antwortete mir: In zweiter Gestalt lernen wir nichts bestimmtes. Wir sollen lernen, die Stärken unserer Gestalt zu nutzen. Glaub mir, Frau Ackerpelz hat uns beim Essen zugetextet. Hilfe. Na egal. In erster Gestalt bringt uns Mr. Brighteye eine Mischung aus Ju-Jutsu und Aikido bei.
Mr. Brighteye?, fragte Buchensturm.
Ja. Garry Brighteye. Unterrichtet Kampf und Überleben, Sport und Tiersprachen. Sein Bruder arbeitet an einer Wandlerschule in Amerika, aber er lebt schon ewig in Deutschland und hat mit Frau Ackerpelz zusammen die Schule hier gegründet.
Hört auf über Schule zu reden. Wir haben noch Wochenende., grummelte Lotti.
Altes Jammerhörnchen., neckte Amelie sie.
Erst zwei Stunden später gingen wir zurück in die Schule zum Abendessen und weitere zwei Stunden später erst ins Bett. Und als ich im Dunkeln unter der Decke lag überkam mich ein Gefühl des angekommen seins. In Amelie hatte ich eine neue beste Freundin gefunden. Und auch Lotti, Martin und Buchensturm hatte ich jetzt schon genau so lieb wie meine alten Freunde aus der Schule. Und Felix, ich seufzte. Naja, vielleicht wurde ja wirklich was draus. Okay, das war verdammt optimistisch gedacht. Bisher hatten wir noch nicht mal miteinander geredet. Solange David nicht weiter andere Leute schikanierte ging er mir am Arsch vorbei. Morgen würde der Unterricht anfangen und ich konnte endlich meine neue Klasse kennenlernen. Erschöpft von diesem doch ziemlich anstrengenden Tag, schlief ich fast sofort ein.
(Ich hab das Gefühl, ihr seid alle ruhige Leser, die keine Meinung haben. Ihr dürft gerne Kommis schreiben, wenn euch etwas nicht gefällt. Oder wenn euch etwas gefällt)
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