Kapitel 8

Als ich mich umdrehte sah ich, dass sie unter ihrem Bett eine Strickleiter hervorgeholt hatte, die sie jetzt an zwei Haken unten am Fensterbrett des geöffneten Fensters einhängte. Unsere Hütte hatte keinen Balkon oder Steg, der um sie herumführte, wie manche andere, deshalb konnte Amelie die Leiter bis auf das Dach der unteren Hütte lassen. An der untersten Sprosse war ein weiteres dünnes Seil befestigt, dass sie durch eine Seilrolle am Fensterrahmen zog und das andere Ende in der Hand behielt.

„Nach dir.", sagte sie und wies auf die Leiter. Flink kletterte ich nach unten und kam fast lautlos auf dem Dach der anderen Hütte an. Amelie brauchte etwas länger als ich, kam dann aber auch neben mir an. Sie zog die Leiter an dem dünnen Seil wieder nach oben und wickelte das Ende um einen Nagel im Baum. Wenn man nicht wusste, wonach man suchen musste, war die Leiter am Fenster leicht zu übersehen. Wir sprangen von der Hütte und suchten uns eine Stelle, die frei von Geäst war und bei der man nicht in Gefahr lief mit, Dornen im Hintern zu enden. Schließlich entschieden wir uns für einen Weg, der zwei Hütten verband.

Nach einer halben Stunde üben, korrigieren, zeigen und probieren schaffte Amelie es immerhin nicht jedes Mal hinzufallen, sobald ihre Füße den Boden verließen. Bei der Landung klappte das nicht wirklich gut. „Zum fünften Mal. Zähl mit, wenn du die Hände aufsetzt. Rechte Hand eins, linke Hand zwei, linkes Bein drei, rechtes Bein vier. Eins, zwei, drei, vier. Du siehst ein bisschen so aus, als würdest du die Nachkommastellen von Pi aufzählen."

Amelie klopfte sich die Hände an ihrer Hose ab. „Ich versuch's ja. Das sagt sich so leicht."

„Üb weiter. Ich hab das auch nicht an einem Tag geschafft."

Plötzlich hörte ich hinter mir Äste knacken und drehte mich um. Aus dem Unterholz in der Nähe kam ein kleines Mädchen hervorgerannt. Mit langen, rotblonden Haaren, einer kurzen geflickten Hose und einem verwaschenem, deutlich zu großem, grünem T-Shirt. Sie strahlte uns an. „Was macht ihr? Darf ich mitmachen?"

Ich starrte sie verdutzt an. „Äähm..." Irritiert warf ich Amelie einen Blick zu. Diese schien, im Gegensatz zu mir, überhaupt nicht verwirrt.

„Hi Eldina. Tilda bring mir grade ein Rad bei. Wenn du willst kannst du mitmachen."

„Au ja!" Sie kam die letzten paar Meter zu uns gerannt, stelle sich vor mich und sah mich mit großen Augen erwartungsvoll an. „Was muss ich machen?"

Ich musste lachen. Auch Amelie grinste. „Ich hab dir gesagt, du wirst sie lieben."

Also erklärte ich nun auch Eldina wie sie ihre Hände aufsetzen und ihre Beine bewegen musste. Eine weitere halbe Stunde später hatte sie bereits den Dreh raus und schlug fröhlich -etwas hässliche- Räder durchs Unterholz. Auch Amelie war sicherer geworden, sie zog nur noch ihre Beine an und landete hin und wieder auf dem Hintern, aber sie hatte ihre Angst vor dem Hinfallen überwunden.

Gerade balancierte ich auf den Händen auf einem umgestürzten Baumstamm, als ich hörte wie sich erneut Schritte näherten. In der freudigen Erwartung noch jemanden zu sehen, der mitlernen wollte, sprang ich zurück auf meine Füße. Stattdessen stand der pummelige Junge mit den grau melierten Haaren vor mir. David.

„Sieh an, sieh an.", spottete er „Turnstunde mit einem Köter, einem Miezekätzchen und einem Klepper, wie reizend."

Meine Augen verengten sich. „Willst du mitmachen? Ein nerviger Idiot hat uns grade noch gefehlt."

„Nein. Danke! Eigentlich wollte ich mal ein Wörtchen mit deiner Schlampenfreundin reden."

Ich schnappte erschrocken nach Luft. „Sag sowas noch einmal und ich werde...", knurrte ich und spürte, wie mein Nacken wieder zu kribbeln begann.

„Dann wirst du was? Mich anmiauen? Die Schulregeln hat dir hoffentlich jemand erklärt.", spottete er weiter.

„Lass ihn reden.", flüsterte Amelie mir zu und nahm mein Handgelenk.

„Ouh. Jetzt muss der Köter das Miezekätzchen auch noch beruhigen." Doch weiter kam er nicht. Eldina machte einen Schritt nach vorne und trat ihn mit voller Wucht in den Schritt.

„Hör auf, meine Freunde zu beleidigen, du Flohsack!" David stöhnte und sackte zusammen, rappelte sich unter unseren Blicken wieder auf und lief humpelnd davon. Ein paar Meter entfernt drehte er sich noch einmal um.

„Das erzähl ich deiner Mutter!"

„Mach doch! Ist mir doch egal!"

Als er außer Sicht war legte Amelie Eldina eine Hand auf die Schulter und drehte sie um. „Du darfst nicht einfach so andere treten. Das macht man nicht."

„Er hat dich Schlampe genannt und mich Klepper. Das ist doch wohl ein Grund ihn zu treten."

„Auch wieder wahr.", murmelte ich.

Eldina lächelte schon wieder. „Bringst du mir nen Handstand bei?"

Auch Amelie musste wieder grinsen. Und so ging es weiter bis zum Mittagessen. Amelie beherrschte jetzt ein relativ sicheres Rad und Eldina spazierte fröhlich auf ihren Händen durch die Gegend. Die beiden waren wirklich Talente, was Akrobatik betraf. Vor allem Eldina hatte ein ungewöhnlich gutes Gleichgewicht. Wir verabschiedeten uns von ihr und kletterten auf das Dach der Hütte mit unserer Strickleiter. Amelie löste das Seil, ließ sie hinunter und wir kletterten nach oben. Lotti hing als Hörnchen kopfüber an dem Seil, das ihre Höhle mit unserer Hütte verband und schaukelte fröhlich hin und her. Flink kletterte sie noch vor uns durchs Fenster. Amelie und ich kraxelten hinterher. Amelie zog die Leiter wieder nach oben und schob sie unter ihr Bett.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top