Kapitel 44
Gesagt, getan. Um viertel vor fünf machten wir uns durch den Schnee auf den Weg in Richtung des Reiterhofs. Amelie lief an ihrer Leine neben mir. Der Reiterhof war gut besucht, als wir um kurz nach fünf den schotterbedeckten Parkplatz erreichten. Reitschüler führten ihre Pferde in die Boxen und sattelten sie ab. Andere Pferde wurden von der Weide geholt, oder liefen von selber in ihre Boxen.
Ich glaube, wir kamen uns alle ziemlich verloren vor, als wir in der Eingangstür zum unteren Stall standen, zumindest, bis eine, vielleicht Mitte vierzig Jahre alte Frau auf uns zukam und Ms. Maywood lächelnd die Hand schüttelte.
„Sie sind Frau Mayer, oder?", meinte die Frau, während sie zu Eldina hinuntersah. Anscheinend hatte sich unsere Lehrerin einen Decknamen zugelegt.
„Genau. Frau Lehmann, richtig?"
„Ja, aber Sie können mich Saskia nennen. Und ihr seid?" Sie blickte uns an.
„Das sind die Kinder von meiner Freundin.", sagte Ms. Maywood schnell.
„Alle?"
„Ähm..." ich sah zu Buchensturm. „Er ist mein Zwillingsbruder. Und sie ..." mein Blick wanderte zu Sonja. „ist unsere kleine Schwester." Ich rang mir ein, hoffentlich halbwegs authentisches, Lächeln ab.
Saskia zuckte mit den Schultern. „Okay. Meinetwegen könnt ihr euch umschauen. Macht nur nichts kaputt. Die sind im Moment eh alle am Fressen, also erwartet nicht beachtet zu werden. Tschüss, ihr beiden!"
An ihr vorbei aus der Tür quetschten sich zwei Mädchen und liefen zu einem Auto, das gerade auf den Parkplatz fuhr. „Tschüüüs."
„Denkt dran. Nächste Woche machen wir Bodenarbeit." Sie wendete sich wieder zu uns. „Dann kommen Sie mit nach unten zur Halle?"
Wenige Sekunden später waren wir alleine vor der Tür und die Mission begann. Sonja blieb im unteren Stall. Ich lief mit Buchensturm und Amelie nach oben und bog dann nach links, in einen weiteren Stall. Buchensturm in den nächsten geradeaus. Der Stall war nicht gerade hell. An einem Balken an der Decke hingen mehrere Schwalbennester. Der Geruch nach Pferd und Heu erfüllte die Luft. Das einzige, was hier zu hören war, war das Peitschen von Schweifen und das Rascheln des Heus in den Raufen.
Dann woll'n wir mal. Amelie zog mich sanft in Richtung der ersten Box. Darin stand ein mittelgroßes, weißes Pony, welches glücklich Heu zermalmte. „Schneewittchen" stand auf dem Holzschild, das an die Boxentür geschraubt war. Die Boxen hatten keine Gitterstäbe und waren nach oben hin offen.
Ich schloss die Augen und streckte meine Gedanken in Richtung der Stute. Amelie fühlte ich deutlich neben meinem Bein. Aber so sehr ich mich auch anstrengte, das Pony hatte keine Wolke in meinem Gedankenraum. Also ich spür nichts. Du?
Nee. Auf zum Nächsten.
Wir liefen weiter die Stallgasse entlang. „Askan" war in grün an die Tür gemalt. Ein großes, dunkelbraunes Pferd, mit einer roten Decke über dem Rücken hob neugierig den Kopf, als es uns hörte. „Hallo.", flüsterte ich. Er kam zur Tür gelaufen und schnupperte an meiner ausgestreckten Hand. Den Moment nutzte ich. Ich schloss die Augen und versuchte ihn zu erspüren. Erfolglos.
Nope. Amelie zog mich weiter.
Die nächste Box war leer. Zwar lag Stroh auf dem Boden und Heu in der Raufe, aber das Pferd fehlte. „Tino" stand auf dem etwas schief festgetackerten, laminierten Türschild in Kinderhandschrift.
In der letzten Box, stand ein Haflinger. Sein Fell war dunkler als Sonjas. Außerdem war er ein bisschen kleiner als sie. Laut dem Schild hieß er Chester. Er schien uns nicht zu beachten und fraß einfach weiter, aber ich konnte erkennen, dass seine Ohren zu uns gerichtet waren. Ich wechselte einen Blick mit Amelie. Sie nickte und ich schloss die Augen. Ich spürte Amelie neben mir wieder klar und deutlich, aber erst jetzt spürte ich noch jemand zweiten.
Ich tauschte einen weiteren Blick mit Amelie. Sie nickte wieder und schirmte ihre Gedanken gegenüber dem Pferd ab. Aufschreiben. Dann runter zu Sonja.
Ich zog den zusammengefalteten Zettel aus meiner Jackentasche, schrieb den Namen vom Schild ab und kritzelte eine ziemlich hässliche Aussehensbeschreibung darunter. Auf der halbhohen Wand zwischen den Boxen schrieb es sich nicht wirklich gut.
Wir liefen schnell wieder nach unten, wo Sonja schon auf uns wartete. Wenige Minuten später kam auch Buchensturm und wir gaben ihr unsere Zettel. Sie verabschiedete sich und lief in Richtung Reithalle. Wir nach draußen in Richtung Schule. Ich löste Amelies Leine und zog ihr das Halsband über den Kopf nach vorne herunter.
Erst als wir den Waldrand erreichten, trauten wir uns, wieder zu reden. „Hast du wen gefunden?", fragte ich Buchensturm. Dieser schüttelte den Kopf.
„An ein Pferd bin ich nicht nah genug hingekommen. Das war die ganze Zeit draußen und ich hab mich nicht getraut in die Box zu gehen. Das hab ich auf den Zettel geschrieben."
„Wir haben glaub einen gefunden. Ein Haflinger."
Mal schauen was Sonja und die Anderen noch über ihn rausbekommen. Am Ende ist er so ein 50-jähriger Dude.
Buchensturm grinste. „Genau. Der sieht mindestens genauso gruselig aus wie der Typ von dem Phantombild, was die von der Polizei gemacht haben."
„Phantombild?" Ich sah ihn verwirrt an. „Welches Phantombild?"
Das was sie damals von dem Wilderer gemacht haben. Nach Felix Beschreibung. Hast du das nicht gesehen? Er hat gesagt, er würde dir das noch zeigen.
Ich schüttelte langsam den Kopf. „Nein. Wahrscheinlich hat er es einfach vergessen."
Ich muss dir das zeigen, wenn wir wieder da sind. Ich hab das aufm Handy. Das ist wirklich zum Fürchten. Mit den langen Haaren und dem langen Bart und so.
Ich blieb abrupt stehen. „Lange Haare?! Bart?"
Buchensturm drehte sich um. „Ja. Ungefähr so lang wie Amelie. Und hellblond."
„Was erzählt ihr für Müll? Der hatte weder lange Haare noch einen Bart."
Bitte was? Ich komm nicht mit?
Ich durchsuchte zügig meine Taschen. Scheiße. Mein Handy lag in der Hütte auf meinem Nachttisch. „Ich auch nicht. Wir müssen zurück zur Schule. Jetzt!"
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