Kapitel 39
Als sich das Auto in Bewegung setzte, hatte die Dämmerung schon eingesetzt. Jeder mit einer Tasse Tee, saßen knapp 20 Schüler in der Haupthütte und versuchten, wieder Leben in ihre Füße zu bringen. Eldina, der das Wetter absolut nichts ausmachte, saß zwischen Amelies Beinen und verdrehte den Würfel, wie so viele andere heute auch schon.
In den letzten Wochen hatten wir die Nachteile erfahren müssen, die ein getrenntes Waschhaus mit sich brachte und ich war dankbar, für meine hochleistungsfähigen Katzennieren, die die Anzahl meiner Klogänge minimierten. Lotti lag eingerollt als Hörnchen in meiner Hoodietasche und genoss die flauschige Innenseite.
Auch der Bestand der Lehrer war ziemlich zurückgegangen. Nur Carina und Mr. Brighteye würden bleiben. Herr Schwarz-Feder würde nur unter der Woche da sein.
„Immerhin sind jetzt endlich Ferien." Ich beobachtete Amelie, wie sie langsam, Stück für Stück, den Würfel wieder in seine Ausgangslage zurückbrachte. Im Inneren meiner Tasche streichelte ich Lotti sanft mit einem Finger über ihr weiches Kopffell. Ihrem gleichmäßigen Atem nach zu urteilen war sie eingeschlafen.
Nina nickte. Sie umklammerte ihre Tasse fest mit beiden Händen. „Ich werd den Weihnachtsmarkt vermissen."
Ich nickte ebenfalls und verbrannte mir sehr geistreich an meinem Tee die Zunge.
„Warum bist du eigentlich noch da?", fragte Eldina, den Blick auf Nina gerichtet. Ihr zu einem unordentlichen Zopf geflochtenen Haare waren immer noch etwas feucht vom Schnee.
„Weil ich hierbleiben wollte. Meine Eltern meinten, sie rufen mich oft an, aber hier fühl ich mich wohler als zuhause. Ich werde nur unseren Schwimmbadbesuch vermissen. Wir sind immer am zweiten Weihnachtsfeiertag schwimmen gegangen. Das wird wohl nichts."
„Ich hasse Schwimmbäder." Bei dem Gedanken an das ekelhafte Chlorwasser zog sich alles in mir zusammen. „Können Zecken nicht ewig unter Wasser bleiben?"
„Zecken überleben gefühlt alles." Nina lächelte und starrte in ihren Tee „Auch nen Schleudergang in der Waschmaschine bei 60 Grad. Wasser ist super, auch wenn ich nicht schnell schwimmen kann."
Das konnte ich mir definitiv gut vorstellen. Sie hatte sehr dünne Arme und Beine, die zum Schwimmen sicher nicht ideal waren. Aber der etwas unproportional scheinende Körper machte sie nicht hässlich. Im Gegenteil. Irgendwie passte es zusammen. Außerdem hatte sie ein wirklich schönes Gesicht. Sie hatte blassblaue Augen, die durch eine rahmenlose Brille weiter in den Tee starrten, und graublonde Haare.
Plötzlich wurde die Tür aufgestoßen. Das erschrockene Fauchen eines herumwirbelnden Panthers ließ das leise Beisammensein und die Stimmen aller ersterben. Lotti in meiner Tasche quiekte, als auch ich mich blitzschnell zur Tür drehte. Im Rahmen stand eine vermummte Gestalt, mit einem riesigen Stapel Pakete in den Armen. Sie stellte die Pakete auf den Boden und schloss die Tür.
Sie zog sich den Schal vom Gesicht. „Was ist mit euch los?"
Erleichtert und mit klopfendem Herzen erkannte ich Carina.
Mach das nie wieder! Kas Stimme schnitt durch meine Gedanken. Der Drittjahresschüler setzte sich langsam wieder zu seinen Freunden. Seine Zähne schienen strahlend weiß im Vergleich zu seinem schwarzen Fell. Er war die einzige größere Raubkatze mit mir zusammen und einer Zweitjahresschülerin, die einen eurasischen Luchs als Zweitgestalt hatte. Die Luchsin hieß Heidi und wohnte in Wolfsbergen. Ka dagegen hatte kein richtiges Zuhause außer der Schule. Er kam aus Brasilien und war hier in einen Zoo verfrachtet worden und von dort ausgebrochen. Er mochte weder mich noch Heidi, weil wir ihm seinen Status als Raubkatze in seinen Augen streitig machten.
Carina klopfte ihre Schuhe ab und nahm dann das oberste der Pakete. „Weihnachtspost. Amica?"
Eine wachsame Berner Sennen Hündin hob hechelnd den Kopf. Carina ließ das Paket über den Boden zu ihr schlittern. „Aber erst übermorgen Abend aufmachen. Ich kenn dich doch."
Sie verteilte weiter Pakete. Meines war im Vergleich zu den Anderen das größte, was aber daran lag, dass im inneren auch noch das Paket für Amelie war, welches ihre Eltern meinen geschickt hatte (weiß der Himmel mit welcher Ausrede) und eine Winterjacke von mir, aus der ich letztes Jahr rausgewachsen war, als Weihnachtsgeschenk für Lotti.
Draußen war es inzwischen zappenduster. Nach dem Abendessen und dem anschließenden Film „Star Wars Episode I" tappten nach und nach alle in Richtung Bett. Oder in meinem und Amelies Fall Richtung Dusche durch den Schnee, der zum Glück auf den Wegen plattgetrampelt war.
Mit unserem Duschzeug in den Armen liefen wir schließlich durch den dunklen Wald wieder zur Leiter. „Bleib mal stehen."
Amelie drehte mich zu mir um. „Was ist?"
„Hörst du das?"
Ich sah, wie sie angestrengt versuchte ein Geräusch zu hören. „Nein. Was denn?
„Nichts. Das ist es ja. Es ist komplett leise. Man hört absolut nichts, wie unter einer dicken Decke."
Sie nickte und drehte sich mit geschlossenen Augen um die eigene Achse. „Als hätte man alles ausgeschaltet. Ich spür nur dich. Und die Leute in den Hütten."
Ich schloss ebenfalls die Augen und versuchte, zumindest Amelie vor mir zu spüren, aber da war nur gähnende Leere. Benny hatte es im Unterricht beschrieben wie Lichtpunkte in einem schwarzen Raum, die vor dem inneren Auge auftauchen. So sollte es sich zumindest anfühlen. Aber das tat es nicht. Es war nur ein leerer Raum. Resigniert öffnete ich meine Augen wieder.
„Amelie, deine Haare frieren ein." An ihren schwarzen, nassen Haaren formten sich kleine Eiskristalle.
„Deine auch. Schnell hoch."
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